Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Fünfte Predigt. Die erste Königstat.

Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Fünfte Predigt. Die erste Königstat.

1 Sam. 11.

St. Johannes sah einmal in der Offenbarung, die er auf der Insel Patmos hatte, in der rechten Hand Gottes ein Buch. Das war inwendig und auswendig beschrieben, aber mit sieben Siegeln versiegelt, also dass er nichts daraus verstehen konnte. Ich weiß nicht, Geliebte im Herrn, ob nicht Einer oder der andere bei Verlesung des Textes gedacht haben mag: „Mit diesem Kapitel geht es mir ebenso. Ich sehe nicht ein, wie diese Kriegstat mir zur Erbauung dienen soll.“ Und noch ein anderer könnte leicht hinzusetzen: „Und ebenso geht mir's mit recht vielen Kriegsgeschichten des Alten Testamentes.“ Wenn ich nun den Spruch anführe: „Was zuvor geschrieben ist, ist uns zur Lehre geschrieben!“ so wird mir zwar Niemand widersprechen, aber auch Niemand hierdurch schon mehr süßen Honig heilsamer Lehre aus dieser verschlossenen Blume saugen können. Und doch ist es für den emsigen und aufrichtigen Sucher nicht so gar schwer. Alle Geschichten und Ordnungen des Alten Testamentes sind lehrreiche und tröstliche, aber auch ernste Vorbilder, wie Gott das, was er ehedem getan, immerfort und in immer herrlicherer Weise an seinen Kindern tun will. Dass die vielen Geseke und Anordnungen über die äußerlichen Opfer und die Priester nur ein Schattenriss von dem einigen und ewigen Opfer und Hohenpriester sind, das wisst ihr. Aber die Kriegsgeschichten? Auch sie sind Vorbilder, wie im neuen Bunde die großen, geistigen Kriege mit Teufel, Welt und Fleisch in rechter Weise geführt werden müssen, vor welchen Gefahren man sich zu hüten habe, und wessen man sich bei rechtem Streit von Gottes Seite zu versehen habe. Wenn man das nur einfach festhält, kommt Licht über manches kriegerische Kapitel der Heiligen Schrift. In einem besonderen Falle tritt uns dies heute lebendig entgegen. Wir können über die verlesene Geschichte als Überschrift setzen:

Die erste Königstat.

Die beiden edelsten Zierden eines Gottesknechtes vereinigen sich

in ihr: I. Der brennende heilige Eifer in der Sache des Herrn und der Brüder.
II. Die stets gleiche Sanftmut in der eigenen Sache.

I.

Wir sehen uns, meine Freunde, wieder nach Saul um. Von der großen Versammlung zu Mizpa, wo Gott ihn hinter den Geräten hervorgezogen und vor allem Volk als König erklärt hatte, war der vom Gejauchze des Volkes umwogte in seine kleine, unberühmte Vaterstadt nach Gibea zurückgekehrt. Wiewohl nun auch äußerlich König, lebte er, des Gleichen in ganz Israel nicht zu finden war, dort in der Stille und Niedrigkeit, wieder beschäftigt mit seinem gewöhnlichen, täglichen Beruf, mit den Geschäften des Hauses, oder auf dem Felde mit den Ochsen pflügend, oder die Eselinnen hütend. Er wollte in dieser von Gott ihm zunächst angewiesenen Arbeit treu verharren, bis ohne sein Zutun eine andere unter seine Hand käme. Gott sandte sie bald genug.

Es zog nämlich herauf Nahas, der Ammoniter, und belagerte Jabes in Gilead. Die Ammoniter waren alte Erbfeinde des heiligen Volkes, dieselben, gegen die schon Jephtah sein siegreiches Schwert gekehrt hatte. Sie hatten, damals überwunden, nun wieder Luft gekriegt, und einen Anschlag gemacht, Israel wieder unter ihr Toch zu bringen. Mit einem Außenposten, der Stadt Jabes in Gilead, sollte der Anfang gemacht werden. Die von Jabes waren auch willig sich zu unterwerfen, sandten zu Nahas und ließen sagen: „Mache einen Bund mit uns, so wollen wir dir dienen.“ Aber der stolze Ammoniter antwortete mit heidnischer Verachtung: „Darin will ich mit euch einen Bund machen, dass ich euch allen das rechte Auge aussteche, und mache euch zu Schanden unter dem ganzen Israel.“ Das war ihnen zu viel geboten! Diese schmachvolle Verhöhnung ging über das Maß dessen hinaus, was sie tragen konnten. Es erwachte in ihnen ein Funke von dem Bewusstsein, dass sie auch zum erwählten Volke Gottes gehörten. Sie erinnerten sich der Zusammengehörigkeit mit der ganzen Gemeinde Israel. Es kam ihnen ein Ahnen, dass auch für sie in den weiten Grenzen des heiligen Landes noch ein Retter möge gefunden werden.

Ähnliches ist oft geschehen. Denkt nur an den verlorenen Sohn. Wer weiß, wenn seine Schmach nicht so über alle Maße groß geworden wäre, wenn die Sünde seiner ein wenig geschont hätte, ob jemals ein Gedanke an des Vaters Haus in ihm erwacht wäre? Aber nun stürzte der Herrscher des fremden Landes ihn zu tief in die Schande. Er musste die Säue hüten, seinen Bauch mit Träbern füllen, die die Säue aßen. Das war zu viel. Da kam ihm ein Gefühl seiner besseren Abstammung zurück, mit ihm eine edle Scham, eine Erinnerung und Sehnsucht nach den verlorenen Tagen. Wär' die Sünde etwas säuberlicher mit manchem Getauften verfahren, er hätte wohl auch einen anständigen Bund mit ihr gemacht, und hätte in Sicherheit und Ruhe das Joch dieses Bundes getragen, bis es zu spät war. Aber als der alte Feind in seiner wahren Gestalt, in seinem unversöhnlichen Hass sich zeigte, um ganz und gar ihn zu Schanden zu machen, da fuhr ihm ein Ahnen durch die Seele, wer er sei, woher er komme, wessen Gepräge er trage, wessen Eigentum er sei, zu welchem Volk er gehöre. Er sah verlangend sich um nach einem Retter, und sandte die Seufzer nach Hilfe aus seiner Schmach in alle Grenzen. Ich hoffe, dass ich euch keine unbekannten und unverstandenen Dinge erzählt habe.

Indes wir müssen zu den Männern von Jabes zurückkehren. Ihre Boten waren in Windeseile ausgesandt. In sieben Tagen sollten sie alle Grenzen Israels durchlaufen haben. Sie kamen auch gen Gibea und erzählten die Schmach, die der Ammoniter ihnen geboten vor den Ohren des Volks. „Da hob alles Volk seine Stimme auf und weinte.“ Weinte, klagte, jammerte über die Not der Brüder, schalt über den Stolz des Heiden. Aber Keiner rührte auch nur einen Finger zur Hilfe. Keiner hatte ein Wort tätigen Mitleids, nicht einmal ein Wort der Ermutigung und des Trostes.

Meint ihr etwa, dass dieses fruchtlose, müßige, träge, feige, arbeitsscheue, erschlaffende, Gott widerwärtige Weinen und Klagen und Schelten aufgehört habe? oder dass es wenigstens nicht unter uns gefunden werde? Ich für mein Teil bin der Ansicht, dass es mehr gefunden wird, als gut ist. Darüber kann ich nicht so rasch hinweg gehen, wenn's sich auch dadurch noch etwas verzögert, bis ich zu Saul komme. Sauls Tat wird uns dafür desto lockender erscheinen.

Es kommen in die Gemeinden, auch zu uns, von allen Seiten her mündliche oder schriftliche Boten, wie nach Gibea, und haben wohl ebenso traurige Kunde zu bringen, als dort. Denn sie erzählen, wie die arme Christenheit in Stadt und Dorf von den alten Erbfeinden Gottes bedrängt wird, wie Sünde und Satan Sturm laufen gegen einzelne Seelen und Gemeinden. In unsern Monatsstunden zum Exempel, wie viele solcher Botschaften werden vor euren Ohren ausgerichtet! Da hebt denn alles versammelte Volk auch oft die Stimme auf, und wenn's nicht weint, so seufzt es und klagt, seufzt laut oder leise: „Ach! das ist sehr betrübt! ach! das ist ein Gräuel und Scheuel! das ist zum Weinen und zum Erbarmen oder gar zum Herzzerreißen!“ oder was dergleichen Klagen mehr sind. Und anderer Orten, wo christlich Volk versammelt ist, geschieht's eben also. Aber was frommt und wirkt solches Weinen und Klagen? Leider zu oft nicht mehr als zu Gibea. Wär' da nicht noch der Eine, der Gesalbte Gottes, gerade herzugekommen, sie hätten ihren Brüdern zu Jabes wohl ruhig das rechte Auge ausstechen und sie zu Schanden werden lassen in ganz Israel, hoch erfreut, dass sie noch nicht vom Feind erhascht wären, und sich entschuldigend und das Gewissen beruhigend, dass sie aus Mitleid geweint und geklagt und gern geholfen hätten, wenn's nur wär möglich gewesen. Solchen mitleidigen Seelen blüht kein anderes Los als den Klageweibern in Jairus Hause. Der Heiland trieb sie hinaus. Wir wollen das aus dieser Predigt mit heimnehmen.

Während also die zu Gibea noch weinten und klagten ohne einen Funken männlichen, gläubigen Mutes für die Sache Gottes und die Not der Brüder; siehe, da kam Saul vom Felde hinter den Rindern her und sprach: „Was ist dem Volk, dass es weint?“ Da erzählten sie ihm die Sache der Männer von Jabes. Und Saul? Stimmt er ein ins klagende Getümmel des Volks, in den jammernden Unwillen, das ohnmächtige Schelten derer, die noch in Sicherheit waren? „Der Geist Gottes geriet über ihn, als er solche Worte hörte.“ Der zündete ein glühendes Feuer in ihm an, der trieb ihn zu Taten, zum heiligen Grimm wider die Feinde, die Schänder seiner Brüder. Denn sein Zorn ergrimmte sehr, und er nahm ein Paar Ochsen und zerstückte sie und sandte in alle Grenzen Israels durch die Boten und ließ sagen: „Wer nicht auszieht Saul und Samuel nach, des Kindern soll man also tun.“ Ist das nicht ein Eifer, glühend wie Kohlen, stark und rasch wie ein Sturm! Ohne diesen Eifer darf kein Gesalbter erfunden werden. Denn bei diesem Wort wirds immer bleiben: „Verflucht sei, wer des Herrn Werk lässig tut.“ Aber wahrlich, Eifer allein ist noch nicht der rechte Schmuck der Kriegsleute Christi. Ist doch der Eifer Marthas vor Christo nicht angenehm gewesen, und hat auch der Eifer Petri, als er dem Malchus das Ohr abhieb, oder der Eifer der Donnerskinder, da sie wollten Feuer vom Himmel fallen lassen, dem Meister nicht gefallen mögen. Solcher Eifer ist nicht hell, wie Himmelsglanz, ist dunkel, wie Rauch, und verraucht auch bald, wie mans an Simon Petro sieht. An Martha aber merkt man, dass er das eigene Herz mürrisch, unzufrieden macht, und gegen den Bruder, die Schwester bitter, ungebärdig, ungerecht, verdammungslustig und selbst gegen den einigen Meister tadelsüchtig.

Es ist Manchem im Dienste Gottes, hier und anderswo, ergangen, wie Petro und Martha. Sie hörten von mancherlei und großen Bedürfnissen, von wachsender Not in der Christenheit, von vielen feindlichen Anfällen und Verspottungen. Da gerieten sie in Eifer, wollten mithelfen, mitarbeiten, mitkämpfen und zogen rasch, fröhlich, mutig ins Feld auf ihren Posten. Aber sie erlahmten in ihrer Arbeit so bald, wie Martha, als sie dem Herrn diente, hatten eben so viel innere Mühe und Sorge und Unlust in der Arbeit, so viel Neid und richtenden Hochmut gegen den Nächsten, soviel Unzufriedenheit mit dem Verhalten des Herrn, wie jene. Der Eifer ward kalt, der Mut verflog, die Liebe brannte nieder. Sie hatten es nicht hinauszuführen. Stolz, wie ein Schiff, das mit vollen Segeln in See geht, waren sie in die Arbeit geeilt. Ein kleiner Sturm nur, und wie ein Fahrzeug, das Schiffbruch gelitten, kehren sie heim. Das traurigste dabei ist noch dieses, dass Viele solcher Schiffbrüchigen redliche, aufrichtige Leute sind, ebenso wie Petrus, die Donnerskinder und Martha. Aus der Geschichte solcher Jünger Jesu ruft's uns mahnend entgegen: Prüfe deinen Eifer, ob er nicht etwa mit Fleisch und Blut vermischt sei, oder gar ganz aus diesem Quelle stamme? und wisse, dass der Eifer um des Herrn Sache nicht aus leichter Erregbarkeit, aus einer augenblicklichen Aufwallung natürlichen Mitleids oder einer plötzlichen Übermannung menschlichen Unmuts und Zorns fließen darf. Nicht das fremde Feuer, das die Söhne Aarons nahmen, das Feuer vom heiligen Altar, der Geist Gottes,- lasst's uns von Saul lernen! - muss uns überwältigen, anfeuern, begeistern. Aus ihm allein wird der rechte heilige Eifer geboren, der Wunder tut, der unermüdliche, der arbeitet, bis er sein Tagewerk vollendet hat, der den ganzen Menschen ergreifende, der aus jeder Miene, jeder Bewegung, jedem Wort hervorglüht. Führen wir uns nur das Bild, welches in unserer Geschichte von Saul gegeben wird, lebendig vor die Augen. Müde kommt er mit seinen Kindern vom Felde zurück, sieht das allgemeine Weinen, erfährt die große Not der Brüder von Jabes. Alle Müdigkeit ist wie fortgeweht. Ein heiliges, brennendes Feuer strahlt aus seinen Augen. Kein Wort kommt über seine Lippen, - er hat keine Zeit dazu - er ergreift ein Paar Ochsen, die seinigen, die er nicht schont, schlägt sie nieder, zerstückt sie, gibt die Stücke den Boten, sendet sie damit in alle Landesteile. Welche Boten sind das! Du kannst andere Boten senden, die besser noch reden und gewaltiger als diese zerstückten Farren und das Blut dieser Ochsen. Du kannst deine Gebete hinaufsenden zu Gott, und vor deinen Gebeten her deinen Heiland, das rechte, geschlachtete Opfer. „Um dieses Opfers willen, ewiger Gott und Vater, heile deine Kirche!“ Vom Throne Gottes können deine Gebete ausgehen in alle Grenzen Israels, und dann reden und rufen sie lauter und rütteln besser auf als tausend zerstückte Ochsen. Du aber, wenn die Not ruft, wenn der Erbfeind ein Glied des heiligen Leibes Christi will zu Schanden machen, tue das Deine, dass du zum heiligen Streite alle rufst, die deine Stimme in deinem Amt, deinem Kreise erreichen kann. Saul sandte die Boten in alle Grenzen Israels. Dein Umkreis ist zwar ein kleinerer. Aber in ihm müsse der Eifer so hell brennen, wie bei Saul in dem größeren Kreise.

Was hat Israel geantwortet als die Boten Sauls kamen? „Die Furcht des Herrn fiel auf das Volk, dass sie auszogen, gleich als ein einiger Mann.“ Das vermag ein Mann im Volke Gottes, wenn er vom heiligen Feuereifer getrieben wird. Die Furcht Gottes geht von ihm aus und fällt auf alle, zu denen er kommt. Wenn erst die Furcht des Herrn ein Streiterheer, ein Volk in den Kampf treibt, so soll mir's nimmer bange sein um den Erfolg. Dreihundert mal tausend Mann zogen aus von Israel und dreißig tausend von Juda, und das Alles in einem oder zwei Tagen. Wo hat je ein König in solcher Zeit eine solche Armee um sich versammelt? Und sie ließen ihren Brüdern in Jabes sagen: „Morgen soll euch Hilfe werden, wenn die Sonne beginnt heiß zu scheinen.“ Wer will sich verwundern, wenn uns erzählt wird, dass solche Botschaft die Bürger zu Jabes froh gemacht habe, wiewohl der Ammoniter Nahas, der Tyrann, noch vor ihren Mauern lag? Und wenn ihr euch mitfreut, so wollt nur das Eine nicht vergessen, dass die Freude der Bedrängten keine müßige, noch träge war, sondern eine muntere, mutige, die auch ihnen den Glauben wieder ins Herz und die Waffen in die Hand gab. Denn morgen, sprechen sie, wollen wir zu euch hinaus gehen, euch entgegen eilen, mit euch den Sieg gewinnen!

Am andern Morgen griff Saul die Feinde von drei Seiten zugleich an. Ehe der Tag heiß ward, hatte er sie alle geschlagen oder so zerstreut, dass nicht zwei beisammen blieben.

Solches hat getan der Eifer des Herrn Zebaoth, hat es getan durch den Jüngling, der Eselinnen suchte, der hinter Fässer sich verkroch und mit Ochsen pflügte. Wer will in diesem Ochsen zerstückenden, an der Spitze der dreimalhunderttausend Mann prangenden, die trotzigen Feinde auseinander jagenden Helden jenen stillen, sanften, bescheidenen, gehorsamen, demütig furchtsamen Jüngling wieder erkennen?

Liebe Gemeinde, glüht in uns der heilige Feuereifer um das Haus des Herrn und die Not der Brüder, er könnte auch in uns solche Umwandlung schaffen, solche Gotteswunder tun. Ein feiger, mürrischer, leidensscheuer Streiter Christi macht leicht hundert feige, denn Feigheit steckt an. Wir haben etwas davon ja manchmal auch unter uns erfahren. Aber Einer, dem nicht das unruhige Feuer von Fleisch und Blut, sondern das heilige, stille Feuer vom Altar Gottes im Herzen brennt und aus den Augen leuchtet, der reißt auch tausend mit sich fort, wie verheißen ist: „Aus dem Kleinsten sollen tausend werden, und aus dem Geringsten ein mächtiges Volk.“ Eine Furcht des Herrn fällt von einem solchen Manne auf die Feinde, wie auf die Freunde. Die Feinde bringt sie zum Zittern. „Ein Gebet dieses Menschen ist mir schrecklicher, als eine Armee von zehntausend Kriegern!“ rief die katholische Marie v. Guise vom Gottesmanne Knox. Die Freunde bringt sie zu einem Jauchzen, das sie wieder stark macht, ihnen den Glaubensmut wieder weckt, und ihre Hand wieder streiten lehrt mit dem Schwerte des Geistes.

An diesem heiligen Eifer liebe Gemeinde, muss sich die Königssalbung bewähren. Ihr wisst, Gott hat auch unter unsere Hände viele Werke gelegt. Er will nicht, dass sie im Schlummer und Traum, sondern wacker und in heiligem Eifer angegriffen werden. Er schickt heute durch diese Geschichte gewaltige Boten, die zur ernsten Arbeit uns wachrufen. „Seid nicht träge, was ihr tun sollt. Seid brünstig im Geist.“ Wollte Gott, es käme eine Furcht vom Herrn über Alle, die wir lässig sind, und wir zögen, getrieben vom Geiste des Herrn, von neuem aus, wie ein Mann. Auch wir könnten andern Brüdern und Schwestern in ihrer Not und Bedrängnis die gute Botschaft senden: „Morgen soll euch Hilfe werden!“ und könnten ihr Herz zu neuer Arbeit froh machen, wie Gott ja schon manchmal mit dieser Gnade unsere Arbeit gekrönt hat. Dass alles Trennende, aller Hader und Hass und Neid verschwände, dass wir daständen als ein Mann: der Sieg wär' unser! Und wer weiß, ob nicht Mancher noch mit uns zöge. Denn Feuer, ihr wisst es, greift um sich. Doch kehre Jeder seinen fressenden Eifer zuerst gegen das eigene Herz. Alle Kräfte und Gaben und Mittel, die Gott ihm gegeben, versammle er gegen den Seelenfeind und greife sein Lager von allen Seiten an. „Keine Schonung für das Fleisch in Ewigkeit!“ Es muss niedergehauen werden; es muss ans Kreuz. Es dürfen nicht zwei böse Gedanken, Lüste und Begierden beisammen bleiben; sie müssen auseinander getrieben werden, wie Spreu vom Wind. In diesem heiligen Vertilgungskrieg muss die Losung dies Wort des Herrn sein: „Verflucht sei, der des Herrn Werk lässig tut; verflucht sei, der sein Schwert aufhält, dass es nicht Blut vergieße!“- das Blut des alten Menschen.

II.

Nahas war gedemütigt. Sein stolzes Heer vernichtet. Saul hatte den Sieg gewonnen. Aber besser ist, der seines Mutes Herr ist, denn der Städte gewinnt. Hat euer Herz vor Lust gesprungen, als ihr Saul von den Kindern her, aus dem müßigen, klagenden Haufen hervorbrechen saht, getrieben vom Feuereifer Gottes, und auf die Feinde und Schänder Gottes und des heiligen Volkes sich stürzen, wie ein Adler auf seine Beute, und ein Löwe auf seinen Widersacher, und die Ruhmredigen vor sich niederwerfen und eine Erlösung bringen dem bedrängten Volke, so muss eures Herzens Lust noch dreifach größer werden, wenn ihr den Löwen plötzlich zum Lamm umgewandelt seht. Denn als Saul nach der gewaltigen Schlacht triumphierend dastand, sein Antlitz noch leuchtend vom Feuer Gottes, ein Helfer in großer Not, ein glänzender Hoffnungsstern für das von so vielen Feinden bedrängte Volk; da sprach das Volk, eines solchen Herrschers sich freuend und willig, sich ihm zu unterwerfen: „Wer sind die, die da sagten: Sollte Saul über uns herrschen? Holt sie her die Männer, dass wir sie töten!“ Aber mit demselben festen Ernste und entschiedenen Herrscherwillen, den er eben gegen die Feinde gezeigt, sprach er jetzt zu seinen Freunden! „Es soll auf diesen Tag Niemand sterben! denn der Herr hat heute Heil gegeben in Israel!“ Da seht beim heiligen Feuereifer in der Sache des Herrn die Sanftmut in der eignen Sache, die Liebe, die Langmut, die Geduld, die Versöhnlichkeit!

Kennt ihr das menschliche Herz, liebe Freunde? Dann müsst ihr auch wissen, wie gern ein Mensch an dem sich rächt, der seine Würde und Bedeutung verachtete, und wär's auch nur mit feiner Rache, mit einem Wort, einer Wendung, einem Blick. Hat man aber glücklich durch die Kraft aus der Höhe alle solche Rachegedanken, auch die feinsten, niedergekämpft, wehe! wie schnell, wie mächtig erheben sie sich wieder, wenn der schlafende Funke durch schürende, reizende Worte unverständiger Freunde wieder angeblasen wird! Was für Arbeit und Mühe kostet es dem Geiste Gottes, solches Feuer wieder auszulöschen, und alle Bitterkeit und verborgene, subtile Rachsucht aus dem Herzen zu treiben. Nur wer dies durchgemacht hat, kann die Tiefe und Größe jener Sanftmut ermessen, welche König Saul hier bewiesen hat, als er mit jenem Ernste, jener Entschiedenheit die zur Rache spornenden Freunde von sich wies, und keiner Silbe ihrer Worte Eingang in sein Herz gestattete. Und doch hätte er nicht bloß mit einem Scheine des Rechten, sondern mit voller Gerechtigkeit jene Verächter vor das Gericht ziehen mögen, denn sie hatten die gesalbte Majestät angetastet. Aber spricht er, der Herr hat heute Heil gegeben in Israel! Der Herr selbst hat mit seinem Volke nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach väterlicher Gnade und Barmherzigkeit gehandelt. Wer weiß es, ob nicht dieses Heil, diese Gnade auch jene noch ergreift, ebenso stark, wie mich, wie euch! Solche Rede ist die schönste Zierde der Kämpfer Gottes, Löweneifer gegen die Feinde Gottes, gegen die Sünde und alle ihre Ausbrüche, Lammesmut gegen die einzelnen Sünder, denn sie sollen nicht verderben, sondern durch dasselbe Heil, das uns widerfahren ist, selig gemacht werden.

Was wir hier in so schönem Anfange bei Saul erblicken, das sehen wir vollendet bei unserm Meister. Er ist der Löwe aus dem Stamme Juda, der gestritten und überwunden, er ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Er schalt nicht wieder, da er gescholten ward, drohte nicht, da er litte, und wenn seine Schmach aufs höchste stieg, verstummte er. Wohl traten auch an ihn versuchend die unverständigen Freunde heran. Als er nicht aufgenommen ward in Samaria, wo er seine ewige Gnade, das unbezahlbare Gut, anbot, wollten die Donnerskinder auch die Rache seiner Majestät wach rufen und in seiner Kraft Feuer über die Verächter der Gnade regnen lassen. Aber ihr kennt seine Antwort: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er der Menschen Seele verderbe, sondern erhalte“. Achtet darauf. Durch seine Sanftmut gegen euch, durch seine Lindigkeit, Leutseligkeit und Liebe, in welche nichts mit unter gelaufen ist von Rache, hat er euch überwunden, so ihr anders überwunden seid, und ist also an ihm zuerst erfüllt, was sein Mund verheißen hat: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Ist aber dieses leuchtende Himmelsbild zu blendend für Menschenaugen, so schaut auf Abraham, den Vater der Gläubigen. Hat er nicht durch Sanftmut, durch williges Nachgeben den Segen ererbt? Es wär' ihm, als dem Älteren, Erfahreneren, dem Oheim, der viel schon aufgeopfert um Gottes willen, wohl geziemend gewesen, dass er dem jüngeren Lot seinen Wohnplatz angezeigt hätte, als Streit entstanden war. Doch nicht genug, dass er, der ältere, die erste Hand zum Frieden reicht, stellt er sich noch schier demütig bittend, sein Alter, seine Würde, und Lots Jugend vergessend, vor diesen hin und spricht: „Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, willst du aber zur Rechten, so will ich zur Linken!“

Welche Gedanken wären in einem ähnlichen Falle wohl in uns aufgestiegen? welche Worte über unsere Lippen gekommen? Ich saß einmal bei einem mehr als 70jährigen Mann am Bette, auf dem er schon Monate lang gelegen hatte. Seine Tage waren gezählt. Er hatte ein Kleines wider seinen Sohn. Da ich nun schon seit langer Zeit fort und fort gebeten hatte, er möge demselben vergeben, ehe er in die Ewigkeit gefordert würde, rief er endlich mit Murren und Unwillen aus: „Soll ich denn meine Würde als Vater so wegwerfen, dass ich vor meinem eignen Kind mich beuge?“ Geliebte, kennt Ihr nicht auch solche Sprache? Soll ich mir so viel vergeben? so mich herablassen? so mein Ansehen in den Staub werfen? Doch lasst mich nicht weiter fragen, lasst mich's euch aber laut in die Seele rufen, dass jene Sanftmut und Liebe, die alles trägt, alles hofft, alles glaubt, alles duldet, mit dem Eifer im Werk des Herrn unzertrennlich verbunden sein muss. Stammt der Eifer aus Fleisch und Blut, oder ist er damit vermengt, so wird die Sanftmut fehlen, und man wird mürrisch sein und gräulich. Ist der Eifer aus Gott, so wird auch die Sanftmut so groß und stark sein, wie der Eifer. Das ist, glaubt mir, der Probierstein. Darum lasse, wer dem Herrn dienen will, dies Gebet nie aus seinem Herzen schwinden :

Deiner Sanftmut Schild,
Deiner Demut Bild
Mir anlege, in mich präge,
Dass kein Zorn noch Stolz sich rege
Vor dir sonst nichts gilt,
Als dein eignes Bild.

Fürchtet euch nicht vor der Sanftmut, als sei sie zu schwach, dass man mit ihr in schwierigen Verhältnissen auskommen könne. Wer sie je geübt hat, weiß, dass sie die mächtigste Waffe ist, Seelen zu gewinnen. Ihr seht's an Saul. Denn alles ging nach Gilgal, das Königreich dort zu erneuern, und sie machten daselbst Saul zum Könige vor dem Herrn und opferten Dankopfer vor dem Herrn. Was gilt es? Dieser Eifer und diese Sanftmut Sauls, vereinigt zu einer herrlichen Krone, sie wird auch euer Königtum, das ihr von Gott in der Stille empfangen habt, vor allem Volk und vor dem Herrn erneuern und bestätigen, und ihr selbst samt denen, welchen ihr also dient, werdet fröhliche Dankopfer vor dem Herrn opfern. Liebe Schwestern, Lehrerinnen und wer Gott dient, nicht Laune und zankende Verdrießlichkeit und persönlicher fleischlicher Ärger gegen die Sünden, Fehler und Gebrechen eurer Kranken, Kinder oder sonstigen Pflegebefohlenen, - und dann wieder, was mit der Laune verbunden ist, fleischliche Nachsicht und falsche Milde, Elis-Liebe, sondern jener heilige, aus Gottes Feuer geborene, schonungslose Eifer gegen allerlei Sünde und Missetat, und dabei die herzliche Liebe, die Demut, die tragende Sanftmut gegen die einzelne Person, wird euch das Herz der Menschenkinder und eurer Pflegebefohlenen gewinnen, wird euch eure Posten erobern und behaupten lehren, euch einen Sieg nach dem andern verschaffen, und vor den Leuten zeigen, dass ihr die Königssalbung empfangen; denn wo solche Königstaten sind, da muss sie vorhergegangen sein.

„Und Saul samt allen Männern Israels freuten sich daselbst fast sehr.“ Hätte Saul gerechte Strenge und Strafe gegen jene Leute gebraucht, ob alles Volk und Saul selbst sich also würden gefreut haben? Meint ihr nicht auch, dass das ein Misston im Feste gewesen wäre? Geliebte, bedenkt doch dies! Wenn Einer für seinen Herrn auch Großes tut und viele Mühe und Arbeit um seinetwillen nicht scheut, kann sein Herz in fast großer Freude bleiben, wenn er gegen den Nächsten der Sanftmut und Geduld vergisst, gereizt gegen ihn wird, bitter und ungebärdig? Ich weiß es, bei wie vielen die Fest- und Siegesfreude durch solches Mürrisch- und Gräulichtun, wär's auch nur in Gedanken, ganz vergällt worden ist, wie ein Becher des besten Weines durch einen Tropfen Wermut oder Galle ganz ungenießbar wird. Darum, wo der Apostel Paulus den Philippern sagt: „Freut Euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich freut Euch,“ setzt er mit großem Ernste hinzu: „Eure Lindigkeit lasst kund sein allen Menschen!“ Das bedeutet etwas.

So komme denn der Geist Gottes, der den König Israels ergriff, auch über unsere Seele, dass er uns ausrüste mit Inbrunst und frischer Glaubenskraft für ihn und seine Sache, und dass er mit diesem Eifer den selteneren und schöneren Schmuck der Sanftmut verbinde, auf dass unsere Freude vor dem Herrn allewege fast sehr groß sei in unserer Arbeit, wie die Freude Sauls zu Gilgal, da er die Ammoniter zerschmettert und die losen Bürger Israels mit Liebe überwunden hatte. Aber wie lange hat Saul vor Gott und Menschen in dem Doppelschmucke dagestanden, den wir heute auf seinem Haupte geschaut haben? wie lange hat die fast große Freude gewährt, mit der er sich freute zu Gilgal? Diese Frage drängt sich mir, ob ich's will oder nicht, gewaltsam in Herz und Mund. Beantwortet sie euch. Ich aber muss wie einen Feuerbrand den Mahnruf in eure Seele werfen: „Halte, was du hast, dass Niemand deine Krone nehme.“ Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/d/disselhoff/saul/disselhof_-_saul_-_predigt_5.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain