Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Davids, des Mannes nach dem Herzen Gottes - Erste Predigt. Das Geheimnis der Wahl.
1 Sam. 16, 1-131).
Ich habe euch früher die Geschichte des Königs Saul zu erklären versucht. Die stille Demut und der treue Gehorsam, womit Saul seine Laufbahn als Knecht Gottes, begann, der brennende, lautere Eifer für die Sache seines Herrn, womit er im Fortgange derselben seine Taten schmückte, sein im geheimen beginnender, langsam fortschreitender, und endlich furchtbar sich offenbarender Fall, mit dem er endete, riefen uns, wie eine Posaune Gottes, das ernste Wort des Herrn ins Gewissen: „Halte was du hast, dass Niemand deine Krone nehme!“ Saul erschien uns wie eine schöne, kräftige, hoffnungsreiche Blüte, die bereits Frucht angesetzt hat, die aber, von einem giftigen Wurme angefressen, abfällt, ehe sie zur Reife kommt. „Und es kam eine große Furcht über die ganze Gemeine und über Alle, die solches hörten!“ heißt es einmal bei einer ähnlichen Gelegenheit im neuen Testament. (Apostelg. 5, 11.) Gewiss! es ist uns sehr notwendig, dass durch Beispiele, wie die Sauls, oder des Ananias und der Sapphira, eine große Furcht vom Herrn auf uns falle, damit wir nicht auch also umkommen. Und doch gilt auch hier das Wort: „Ihr habt nicht einen knechtlichen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet!“ Denn wir wissen es aufs allergewisseste, dass der Herr nicht will, dass auch nur eine der geringsten Blüten oder Früchte verderbe; vielmehr ist es sein guter und gnädiger Wille, dass sie alle behalten werden zum ewigen Leben, wie der Herr Christus selbst sagt: „Es ist vor eurem Vater im Himmel nicht der Wille, dass Jemand von diesen Kleinen verloren werde“ (Matth. 18, 14.), und an einem andern Ort: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“ (Lukas 12, 32.) Wir wissen auch, dass er, der gute Gärtner, Alles tut, was in seiner Macht steht, die Pflanzungen seiner Hand vor dem Verderber zu bewahren, wenn sie selbst sich nur wollen bewahren lassen. Des gibt uns die Geschichte Davids ein wunderbares Zeugnis. Wie wir nämlich aus dem Leben Sauls das innere, geheime Verderben kennen lernen, welches den vor Menschen ehrbar Wandelnden zu Falle gebracht hat, so sehen wir in der Geschichte Davids das verborgene, selige Heilmittel, durch welches der vor Menschen viel tiefer als Saul, Gesunkene vom Verderben erlöst wird. Denn David ist einer von den Menschen, in denen auch nach ihrer Erneuerung durch den Geist Gottes der alte Mensch gewaltig nachwirkt, das Fleisch einen Verzweiflungskampf auf Tod und Leben gegen den Geist führt, und leider oftmals als tyrannischer Sieger triumphiert. Aus der Schrift selbst wissen wir, dass Lüge, Verstellung, Zorn, Ehebruch, Totschlag, Hoffart und Überhebung das Leben Davids befleckt haben. Und dieselbe Schrift nennt ihn den Mann nach dem Herzen Gottes, (1 Sam. 13, 14 und Apostelg. 13, 22) was freilich den Ungeistlichen so unbegreiflich vorkommen muss, dass über keine Person der heiligen Geschichte der Spott der Welt sich so maßlos und frech ergossen hat, wie über David. Aber er bleibt dennoch der Mann nach dem Herzen des Herrn, der durch Gottes gnädige Hand aus allen geistlichen Gefahren sich willig hat retten lassen, und darum endlich als eine gute und reife Frucht in die ewigen Scheuern heimgebracht worden ist. Wohlan! so viele unter uns Arbeiter und Arbeiterinnen im Weinberge des Herrn, Männer nach dem Herzen Gottes zu werden, oder zu bleiben begehren, so viele in ihren Gliedern einen großen und gefährlichen Kampf des Fleisches wider den Geist spüren, in dem sie leider oft unterlegen sind, wie viele endlich von ihrem wiederholten und tiefen Fall aufstehen, und Feld und Krone behalten möchten: die sollen sich betend und mit ernstem Fleiße in die Geschichte Davids versenken, damit sie aus derselben das Licht und die Waffen erlangen, die ihnen in ihrer Arbeit und ihrem Amte unentbehrlich sind, um durch alle Dunkelheiten und Anfechtungen in die ewigen Friedenshütten zu gelangen. Ich aber will, unter dem Beistande des Geistes Gottes und nach dem Maß der Erkenntnis, das mir gegeben ist, in diesen Predigten euch ein Gehilfe sein, das Leben Davids verstehen zu lernen. Lasst uns denn der verlesenen Geschichte näher treten, sie enthüllt uns
Das Geheimnis der Wahl.
I. Der Herr erwählt nicht die, welche durch besondere Gaben der Natur vor Anderen ausgezeichnet sind, sondern II. Er erwählt die, welche das größere oder geringere Maß der Gnade Gottes, was ihnen angeboten ist, mit Treue benutzen, III. die, welche diese Treue durch lauteren Eifer und Gehorsam in der ihnen anvertrauten Arbeit beweisen, und endlich IV. die, welche auch nach etwaigem Gelingen der Arbeit sich nicht ruhmredig hervordrängen, sondern in schweigender Demut und stiller Zurückgezogenheit bleiben, bis der Herr selbst sie hervorzieht.
I.
Saul war wegen seines Ungehorsams verworfen oder vielmehr, weil er in seinem Ungehorsam beharrte, und nicht einfach und ehrlich bekannte: „Ich habe gesündigt!“ Zugleich hatte Samuel ihm verkündigen müssen (1 Sam. 13, 14): „Der Herr hat sich einen Mann ersucht nach seinem Herzen!“ Die Zeit war damals für das Volk Gottes eine so ernste und gefährliche, dass nur durch einen Mann nach dem Herzen des Herrn geholfen werden konnte. Die Philister, die alten Erbfeinde Israels, waren zwar schon oft zurückgeschlagen, aber in immer erneuerten Anläufen und wachsendem Hohn suchten sie das Volk des Herrn unter ihre Füße zu treten. Gerade jetzt bereitete sich, wie uns im folgenden Kap. so lebendig erzählt wird, ein gewaltiger Kriegszug der Philister vor, in welchem aller Hass und Hohn gegen den lebendigen Gott und sein Volk in einem unbesiegbar erscheinenden Riesen sich sammelte. Der Herr sah diese Gefahr über sein Volk hereinbrechen. Darum sprach er zu Samuel: „Wie lange trägst du Leid um Saul, den ich verworfen habe, dass er nicht König sei über Israel? Fülle dein Horn mit Öl und gehe hin, ich will dich senden zu dem Bethlehemiten Isai; denn unter seinen Söhnen habe ich mir einen König ersehen.“ (1 Sam. 16, 1.) Samuel ging hin, heiligte Isai und seine Söhne und lud sie zum Opfer. Da sie nun hereinkamen, „sah er den Eliab an.“ Eliab war der Älteste. Er stand in den Jahren der Manneskraft und des Mannesmutes. Seine Gestalt war ansehnlich; seine Person ragte über alle hervor. Da gedachte Samuel, ob der sei vor dem Herrn sein Erwählter, denn ihm schien für die schwierige Zeit und die große Aufgabe ein solcher Mann der rechte zu sein. Aber der Herr sprach zu Samuel: „Siehe nicht an seine Gestalt, noch seine große Person; ich habe ihn verworfen. Denn es geht nicht, wie ein Mensch sieht; ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.“ Von da an forderte Samuel keinen Andern mehr vor. Aber Isai in seiner väterlichen, halb treuen, halb eitlen Fürsorge für seine Kinder, denen augenscheinlich etwas Großes zu Teil werden sollte, rief den Abinadab und ließ ihn vor Samuel vorübergehen. Und er sprach: Diesen hat der Herr auch nicht erwählt! Da ließ Isai vorübergehen Samma. Er aber sprach: Diesen hat der Herr auch nicht erwählt! Da ließ Isai seine sieben Söhne vor Samuel vorübergehen. Aber Samuel sprach zu Isai: „Der Herr hat derer keinen erwählt.“ Nun hatte Isai keinen mehr vorzuführen; denn an den Einen, der noch übrig war, den jüngsten, der die Schafe hütete, wagte er nicht zu denken. Wie sollte der der Erwählte sein, wenn die sieben andern, die er als Vater doch kannte und für tüchtiger erfunden hatte als den Kleinsten, nicht erwählt waren? Da hat sich trotz der Warnung: „Siehe nicht an seine große Gestalt, noch seine große Person!“ das Wort des Herrn erfüllt: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist!“
Es geht aber mit Gottes Wahl nicht, wie ein Mensch sieht, damals nicht, und auch heute nicht. Es ist uns sehr notwendig, dass wir dies in unser Herz schreiben. Denn die Zeitläufte sind für das Volk Gottes, die heilige Kirche des Herrn, wieder sehr ernst und gefährlich. Zwar sind schon öfter, als man zählen kann, die Feinde des Reiches Gottes zu Boden geworfen, dass sie Staub lecken mussten; aber sie erheben doch immer wieder ihr Haupt, und suchen öffentlich und im geheimen die Gemeinde des Herrn zu vernichten. Und wie zu jener Zeit jener größte und gefährlichste Kriegszug der Philister gegen Israel sich vorbereitete, indem schon der eine Riese ganz Israel beben machte, so ist's ja ganz offenbar, dass die Mächte der Finsternis sich wieder rüsten, und dass in einzelnen Riesen des Unglaubens und der Gottlosigkeit ihre Kraft sich konzentriert. Da tun auch heute Leute not nach dem Herzen des Herrn. Wer sind nun die Leute der Wahl? Es ist hier natürlich nicht von der Wahl zur Seligkeit die Rede. Dazu waren alle Israeliten, auch die sieben älteren Brüder Davids, dazu sind wir als getaufte Christen ohne Ausnahme berufen. Auch handelt es sich bei Saul, wie bei Eliab, nicht um die ewige Verwerfung zur Unseligkeit, denn Beide konnten durch Buße und Glauben selig werden. Unsere Geschichte spricht ausdrücklich zunächst nur von der Wahl und Verwerfung in Bezug auf den Streit und Sieg für die heilige Sache des Herrn. Aber wen der Herr zu seinem Arbeiter erwählt, an dessen Seele arbeitet er selbst durch seine Führungen ohne Unterlass und in besonderer Weise, damit sie in seinem Dienste nicht Schaden leide, sondern die Krone des Lebens erlange nach der gnädigen Verheißung: „Es soll der Ackersmann, der den Acker baut, der Früchte am ersten genießen.“ Die ganze Frage ist also die: Welche Leute kann der Herr in seiner Arbeit gebrauchen, um durch sie und zugleich an ihnen seinen Rat zu offenbaren, seine Wunder zu zeigen? Durch welche Rüstzeuge kann und will er seine Feinde überwinden, seinem Volke eine Erlösung, seinen Gefangenen eine Erledigung bringen, um diese Rüstzeuge selbst sich immer vollständiger zu unterwerfen und der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes entgegen zu führen? Diese Frage geht uns alle sehr nahe an, denn wer getauft und hernachmals konfirmiert ist, ist damit zu einem Streiter Jesu Christi eingeweiht. Die Frage geht aber insbesondere euch an, liebe Schwestern und Lehrerinnen, euch alle, die ihr sonst in irgendeiner besonderen Weise am Werke des Herrn arbeitet.
Ihr sollt Alle nicht allein mit dem Feinde in eurem Herzen, sondern auch mit dem Feinde in der Kirche Christi kämpfen, um in diesem Kampfe selbst zu erstarken, und Sieger über das eigene Herz zu werden. Wer ist nun in diesem Sinne ein David, d. h. der Bedeutung des Namens nach ein Geliebter? Wer ist der Mann der Wahl, der Knecht und die Magd nach dem Herzen Gottes? „Es geht nicht, wie ein Mensch sieht. Denn ein Mensch sieht, was vor Augen ist.“ Ein Mensch; selbst ein solcher, der Erfahrungen hat in den Wegen Gottes, wie Samuel, wähnt, auf die äußeren Anlagen, die natürlichen Gaben und Kräfte des Leibes und des Geistes, auf Geschicklichkeit, Verstand, Klugheit, Gewandtheit, Kenntnisse, Lebenserfahrungen sehen zu müssen, um Siege gegen die Welt und den listigen und mächtigen Fürsten der Welt erfechten zu können. Was sich nicht als bedeutsam hervortut, als glänzend und wichtig in die Augen fällt, das sind wir nur zu geneigt zu übersehen. Wenn wir nun, und das ist die Hauptsache, unser eigenes Herz und seine Gedanken belauschen, so werden die Ehrlichen sich gestehen, dass sie sich für bessere, geschicktere, brauchbarere Werkzeuge Gottes halten als die andern, wenigstens in diesem oder jenem Punkt für brauchbarer, und zu diesem oder jenem Zweck für geschickter. Es ist zwar lächerlich, es laut zu sagen, aber doch leider nur zu wahr, dass das Herz der Jüngeren bei sich spricht: „Wenn ich erst in der Arbeit stehen werde, werde ich ganz andere Erfolge erreichen, ganz andere Werke zu Stande bringen, werde segensreicher, gewinnender, mächtiger auf meinen Nächsten einwirken als die Andern!“ Und die Alten, schon in der Arbeit stehenden, wissen nicht eifrig und laut genug zu tadeln und zu richten, was Andere falsch angefangen haben, und was sie selbst umsichtiger, verständiger, besser gemacht, und darum zu einem vorteilhafteren Ende würden geführt haben. Und warum halten wir so hoch von uns? Weil wir wirkliche, oder was meistens der Fall ist, nur eingebildete, äußere Vorzüge und natürliche Gaben an uns sehen, die bei dem Nächsten nicht in die Augen springen, oder von unsern durch Selbstgefälligkeit geblendeten Augen übersehen werden. Dahin gehören selbst solche natürliche Anlagen, welche den Schein geistlicher Gaben haben, wie eine natürliche Sanftmut und Freundlichkeit, eine natürliche Weisheit und Ordnungsliebe, ein natürliches Gefühl für das Schickliche und Unschickliche, eine natürliche Arbeitslust. Aber sobald wir, wie Samuel, deshalb uns ansehen und meinen, deswegen könne der Herr uns gebrauchen, ruft er uns ernst in das Herz: „Siehe nicht an deine Gestalt, noch die große Person, die du aus dir machst!“ Merkwürdig, von Eliab, den Samuel wegen seiner äußeren Gaben am passendsten gehalten zu haben scheint, spricht der Herr am ernstesten und strengsten: „Ich habe ihn verworfen!“ während es von den Andern nur heißt: „Der Herr hat ihn nicht erwählt!“ Das ist des Herrn Weise noch immerdar. Wer sich wegen äußerer Gaben besonders befähigt glaubt zum Arbeiter und Streiter des Herrn, dem ruft der Herr am strengsten entgegen: „Ich habe dich verworfen, wenigstens kann ich dich so nicht zu meinem Rüstzeuge gebrauchen, auch nur das Geringste, was Bedeutung für die Ewigkeit hätte, durch dich auszuführen!“
II.
„Der Herr sieht das Herz an!“ Doch dass ihr dieses Wort nicht falsch versteht! Herz bedeutet in der Heiligen Schrift nicht ein gefühliges, leicht erregbares und zu rührendes Wesen, oder einen sogenannten gutmütigen Zug des Temperamentes, wie man selbst an verkommenen Leuten ein gutes oder weiches Herz rühmen hört. Herz bedeutet hier, wie allerorts in der Bibel, das innere, geistige Leben des Menschen, die innerste Quelle, woraus sein ganzes äußeres Wesen herfließt, die innere, verborgene Werkstätte aller seiner Gedanken, Empfindungen und Bestrebungen. In diese schaut Gott hinein. Er sieht also damit, in welchem Zusammenhang und welcher Verbindung der Mensch und dessen Gedanken, Worte und Werke mit ihm, dem lebendigen Gott, stehen, und danach trifft er seine Wahl. - Zwar an natürlichen Anlagen fehlte es auch David durchaus nicht. „Er war bräunlich mit schönen Augen und guter Gestalt!“ Wenn nun der Herr sagt: „Auf! und salbe ihn, denn Er ist es!“ so wissen wir nach des Herrn eignem Worte, dass David nicht dieser schönen Augen und guten Gestalt, oder einer andern natürlichen Gabe wegen, sondern dass er um seines inneren, verborgenen Lebens willen der Mann der Wahl, der Mann nach dem Herzen Gottes war. Was ist es nun, was das Herz Davids so auszeichnete? In unserer Geschichte finden wir nur leise Andeutungen. Wir müssen die Antwort in dem suchen, was uns sonst von der ersten Lebenszeit Davids erzählt wird. Im 25. Psalm betet er: „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen.“ So viel sehen wir zu unserm großen Troste aus diesem Worte deutlich, nicht eine fleckenlose Jugend, nicht ein sündloses, engelreines Herz ist's, was der Herr sucht; denn er fände es nicht! Aber was war es denn, das in Davids Herzen dem Herrn wohlgefiel? Im 22. Psalm bekennt David: „Denn Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen; Du warst meine Zuversicht, da ich noch an meiner Mutter Brüsten war. Auf Dich bin ich geworfen aus Mutterleibe. Du bist mein Gott von meiner Mutter Leibe an.“ Und im 71. Psalm2): „Denn Du bist meine Zuversicht, Herr, Herr, meine Hoffnung von meiner Jugend an. Auf Dich habe ich mich verlassen von Mutterleibe an, Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen; mein Ruhm ist immer von Dir. Gott, Du hast mich von Jugend auf gelehrt, darum verkündige ich Deine Wunder.“ Der letzte Vers besonders lässt uns deutlich in Davids Herz sehen: „Du hast mich von Jugend auf gelehrt.“ Welchen äußerlichen Lehrer Gott dem David in seiner Jugend geschenkt hat, wissen wir nicht. Vielleicht nach Psalm 86, 16. die eigene Mutter, weil er sich darin den Sohn der Magd des Herrn nennt. Jedenfalls aber sagt uns das Wörtchen „Du“ ausdrücklich, dass David nicht bloß einen äußerlichen Lehrer hatte, sondern dass Gott ihn innerlich lehrte. Zugleich liegt darin, dass David sich hat lehren lassen, dass er das Licht, was Gott ihm scheinen ließ, in sich aufnahm; oder mit andern Worten, dass David die Gnade und Erkenntnis, die ihm geboten wurde, willig und gewissenhaft annahm. An den Gott, der ihm offenbart wurde, schmiegte er sich kindlich hingebend an, ließ ihm und seinen Wirkungen sein innerstes Leben offen stehen, und wuchs sehnsüchtig verlangend, ihm, dem Herrn seines Lebens, aus unbewusster Kindlichkeit zu bewusster Manneszuversicht immer mehr entgegen. Das ist's, was er in den angeführten Worten ausdrückt, und diese Treue und Gewissenhaftigkeit in der Ergreifung der dargebotenen Gnade und Erkenntnis ist ja auch der erste Punkt, den ich als Grund der Wahl angab. Von David blicken wir auf die Anfänge seines Geschlechts. Warum wurde die Hure Rahab, die Heidin, von Gott erwählt, Stammmutter Davids und des Davidssohnes zu werden? Sie hatte, wie sie erzählt, gehört, welche Wunder der Herr an den Kindern Israel getan hatte. Das hatte sie zu Herzen genommen, hatte mit diesem anvertrauten Pfunde treu gewuchert, und während die übrigen Einwohner Jerichos nur gelernt hatten, zu zittern, aber nicht sich zu beugen vor diesem Gott, hatte sie durch die treue Benutzung des Gehörten sich bis zu dem Bekenntnis durchgearbeitet: „Der Herr, euer Gott, ist ein Gott beides oben im Himmel und unten auf Erden.“ (Josua 2, 11). Warum wurde Ruth, die Moabitin, erwählt, die nähere Stammmutter des Hauses Davids zu werden? Die Antwort ist wieder dieselbe. Was sie durch ihre Schwiegermutter Naemi vom lebendigen Gott und dessen Volk hörte, das nahm sie mit solcher Treue auf, dass sie sagen konnte: „Dein Volk ist mein Volk, und Dein Gott ist mein Gott!“ Warum wurden von allen Heiden zwischen dem Euphrat und dem Meere die Weisen aus dem Morgenlande, das kananäische Weiblein, der Hauptmann von Kapernaum, der Hauptmann Cornelius erwählt? Ich weiß wieder nur dieselbe Antwort: weil sie den Schimmer des Lichts, den Gott ihnen strahlen ließ, sehnsüchtig und gewissenhaft auffingen und ihn im Herzen leuchten ließen. Was wir in den angeführten Geschichten als einzelne Beispiele sehen, spricht Petrus in der Geschichte des Hauptmanns Cornelius als einen allgemeinen Grundsatz im Reiche Gottes aus in dem so oft missbrauchten Worte: „Nun erfahre ich in der Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm!“ (Ap. Gesch. 10, 34. 35.) Wer Gott fürchtet, d. h. wer das Maß der Erkenntnis, was er von Gott hat, wirklich in sich leben und wirken lässt, und dadurch zu einer Unterwerfung unter Gott kommt, wer die ihm widerfahrende Gnade, seien es nun Tröpflein oder Regengüsse, wie ein durstig Land in sich aufsaugt, das Wort des Herrn, was er hört, seien es nun bloß einzelne Sprüchlein, oder der gesamte Rat Gottes zu unserer Seligkeit, behält und bewahrt in einem nachdenksamen Herzen, der ist Gott angenehm, von dem befiehlt er: „Auf und salbe ihn, denn er ist es, den ich gebrauche, der ein Knecht oder eine Magd nach meinem Herzen werden kann!“ Wer aber in der Benutzung der ihm dargebotenen geistlichen Gaben und Gnaden nicht treu und gewissenhaft ist, sondern dieselben unbeachtet lässt, den kann der Herr für seine Arbeit nicht gebrauchen. Wie Hoffnung erweckend, ja glänzend seine natürlichen Anlagen auch sein mögen, es heißt doch: „Diesen hat der Herr auch nicht erwählt!“ Nun muss ich eine Frage an euer Gewissen richten. Ich frage nicht: ist das Maß eurer Erkenntnis groß oder klein? hat Gott euch sein Wort reichlich oder spärlich gegeben? Ich frage: gehört ihr zu denen, die das Maß der geistlichen Gnaden, das ihnen angeboten ist, freudig angenommen, und mit Treue bewahrt und gepflegt haben? Ich frage: seid ihr, wie die Blumen, die verschlossen im finsteren Raume, auch dem matten Lichtschimmer sich entgegen strecken? und wenn euch volleres Licht scheint, betet ihr und könnet ihr beten: Wie die zarten Blumen Willig sich entfalten Und der Sonne stille halten, Lass mich so, Still und froh, Deine Strahlen fassen Und dich wirken lassen!“ Ist's so, oder gehören wir zu denen, zu welchen der Herr sagen muss: „Ist es nicht genug, dass ihr so gute Weide habt, und so überflüssig, dass ihr es mit Füßen tretet, und so schöne Börne zu trinken, so überflüssig, dass ihr darein tretet und sie trübe macht?“ (Hes. 34, 18.)
III.
Wer die angebotene Gnade Gottes treu benutzt, der kaum nicht anders, er muss auch in seiner Arbeit treu sein, muss mit lauterem Eifer und stillem Gehorsam das Amt verrichten, was ihm übertragen ist. Das ist der dritte Punkt. - Um auch über diesen zur Klarheit zu kommen, müssen wir wieder in unsere Geschichte zurückgehen. „Siehe, er hütet der Herde!“ sagt Isai von David. Wisst ihr, wie David die Herde gehütet hat? Er erzählt es (1 Sam. 17, 34. 35.) dem König Saul. „Dein Knecht hütete der Schafe seines Vaters, und es kam ein Löwe und ein Bär und trug ein Schaf weg von der Herde. Und ich lief ihm nach und schlug ihn, und errettete es aus seinem Maul. Und da er sich über mich machte, ergriff ich ihn bei seinem Bart und schlug ihn und tötete ihn.“ Da lerne brennenden Eifer, treuen Gehorsam für dein Amt! Nicht ein Schaf, das ihm anvertraut war, wollte er Preis geben. Lieber das Leben verlieren als lässig, schläfrig, träge, selbstsüchtig in der anvertrauten Arbeit sein! Aber auch von dieser Tat gilt das Wort des Herrn: „Der Herr sieht das Herz an!“ Nicht, um so zu sagen, die Ritterlichkeit und Kühnheit der Tat ist das, was nach Gottes Herzen ist, sondern die Treue in der Tat, und der Eifer in der Treue, und die Lauterkeit in dem Eifer. So wurde diese Tat hinter den Hürden ein Vorbild dessen, was er einst als König für sein Volk tun sollte, und was dereinst sein Sohn nach dem Fleisch für alle Welt tun wollte.
Von David blicken wir wieder auf die Stammmutter seines Geschlechts und auf die übrigen Männer und Frauen, die ich vorhin anführte. Rahab, der Erkenntnis des lebendigen Gottes folgend, beschützte sofort mit Gefahr des eignen Lebens die Boten Gottes. Ruth, getrieben von derselben Erkenntnis, verließ um ihrer Schwiegermutter, der verlassenen Witwe willen, Vaterland und Freundschaft, und redete die treuen, brennend eifrigen Worte: „Rede mir nicht darein, dass ich dich verlassen sollte und von dir umkehren. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, der Tod muss mich und dich scheiden.“ (Ruth 1, 16, ff.) Die Weisen pilgerten ohne Ruhe und Rast von jenseits des Euphrat über Berg und Ströme und durch Wüsten und heißen Sonnenbrand, während man zu Jerusalem stille saß, und sich nicht regte. Das kananäische Weib kämpfte mit Christo um ihre Tochter bis aufs Blut. Der Hauptmann zu Kapernaum baute den Juden die Schule und sorgte, wie ein Vater für seinen kranken Knecht; und Cornelius war voller Almosen, die er tat.
Um Leute nach Gottes Herzen zu sein, brauchen wir vorläufig Löwen und Bären nicht Stand zu halten, wenn wir nur vor den kleinen widrigen Vorkommnissen und täglichen Schwierigkeiten unsers Amtes nicht wie Mietlinge fliehen wollten. Gott hat noch nicht von uns begehrt, dass wir das Leben bei unserer Arbeit aufs Spiel setzen. Er will nur, dass wir ohne Selbstsucht, ohne Schonung der eignen Gemächlichkeit, Behaglichkeit und Bequemlichkeit treu, ehrlich, eifrig unsere kleine und geringe Arbeit tun. Wenn er uns nun vorübergehen ließe, und hierauf unser Herz ansähe: würden wir erwählt zu seinen Knechten, oder verworfen? Wenn wir dort, wohin wir gesandt wurden, vielleicht eine Fliege summen, oder wenn's hoch kam, einen Hund bellen hörten, ist's uns da nicht oft gegangen wie dem Faulen, der da spricht: „Es ist ein Löwe draußen, ich möchte erwürgt werden auf der Gasse.“ (Spr. 22, 13.) Und solches weichliche, auf sich selbst und seine Gemächlichkeit immerfort so leidig Rücksicht nehmende Wesen, soll dem Herrn wohlgefällig sein? Ich fürchte, es müssen zu Viele die Stimme hören: „Diesen hat der Herr auch nicht erwählt!“
IV.
Wir kommen zum vierten und letzten Punkt, der Blüte und Krone alles dessen, was wir bisher gehört haben. Das ist die bescheidene Schweigsamkeit, die stille Demut, die auch, nachdem die Arbeit gelungen ist, sich nicht ruhmredig hervordrängt, sondern wartet, bis der Herr sie hervorzieht. Lasst uns auf David sehen! Wiewohl er jene kühne Tat getan hatte, posaunte er sie nicht aus, sondern hielt stillen Mund, und ließ sie Gott allein gesehen haben. Niemand wusste darum. Er erzählte sie auch erst gezwungen, und da auch nicht, um zu zeigen, dass er etwas vermöchte, sondern dass Gott auch durch schwache, unbekannte, verachtete Leute etwas ausrichten könnte. (1 Sam. 17, 37.) Aber, fragt ihr, woher weißt du, dass David in Demut geschwiegen und nicht versucht hat, sich hervorzudrängen, und hinter den Schafen weg zu kommen? Schaut nur einfach die Geschichte an, so werdet ihr erkennen, woher ich das weiß. Aus der ganzen, schon vorhin erwähnten Art, wie Isai, der Vater, David behandelte, sehen wir zunächst, dass er gering von ihm und seinen Taten dachte. Selbst als Samuel fragte: „Sind das die Knaben alle?“ machte Isai noch nicht einmal Miene, den Kleinsten, der die Schafe hütete, rufen zu lassen, so dass Samuel mit drängendem Ernst ihm gebieten musste: „Sende hin und lass ihn holen, denn wir werden uns nicht setzen, bis er herkommt!“ Daraus geht klar hervor, dass David niemals etwas zu seinem Vater von jenem Sieg über den Löwen und Bären gesagt hat. Denn das war doch wahrlich etwas Großes und Seltenes, dass ein junger Knabe, ohne Wehr und Waffen mit bloßer Hand einen Löwen und Bären zerriss. Simson, der den Löwen erwürgt hatte, war darum eben ja in aller Munde. Hätte David nur eine Silbe von jener Tat, wie keiner seiner Brüder eine vollbracht hatte, erzählt, so würde der Vater ihn ohne Zweifel mit ganz andern Augen angesehen und mit andern Worten von ihm gesprochen haben. - Wiewohl David die Zurücksetzung in seines Vaters Hause fühlen musste, denn Zurücksetzung merkt ein Adamskind nur zu leicht, - wurde er nicht empfindlich, gekränkt, verletzt, sondern die Demut gab ihm Mut, fort und fort treu und eifrig seines Vaters Schafe zu weiden. Das ist angenehm vor dem Herrn! Wie still darum und verborgen David auch vor Menschen wandelte, wie sehr er vom eignen Vater in den Hintergrund gestellt wurde, des Herrn Auge hatte ihn durchschaut, des Herrn Hand wusste ihn zu finden und hinter den Schafhürden hervorzuholen. „Sende hin und lass ihn holen.“ Und als er eintrat, gebot Gott: „Auf und salbe ihn, denn er ist es!“, „Da nahm Samuel sein Ölhorn und salbte ihn mitten unter seinen Brüdern,“ nicht in der Stille, wie einst den Saul, sondern vor den Augen derer, die ihn verachtet und hinter die er zurückgesetzt war!
Von David wieder auf seine Mutter Ruth. Lest ihre Geschichte, wie sie Ähren las in aller Stille, wie sie von Naemi fast gezwungen werden musste, Boas sich zu Füßen zu legen, und ihr findet eine so liebliche Demut, eine so bescheidene Schweigsamkeit und zarte Zurückgezogenheit, dass man nicht müde wird, ihr Bild zu betrachten. Die Demut des kananäischen Weibleins, die nicht empfindlich wurde, als der Herr von Hunden sprach, kennt ihr. Auch vom Hauptmann zu Kapernaum wisst ihr, dass er nicht ein Wort davon sagte, dass er die Schule gebaut habe, dass er aber wohl sagte: „Herr, ich bin nicht wert, dass Du unter mein Dach gehst!“ Solche Geister sind Leute nach dem Herzen Gottes. Wenn der Herr uns nun sieht und findet, kann er sagen:
„Ich hab' einen guten Schatz gefunden,
Treu von Herzen und still von Munden?“
Ach, Geliebte, wir wollen nicht Lügner sein. Unsere Treue war oft sehr schlecht, und unsere Arbeit lau, lässig und unlauter, und geschah nicht um Gottes willen und aus Gehorsam! Dennoch tun wir den Mund weit auf und wissen von unserer Vortrefflichkeit und Wichtigkeit und Bedeutung und unserer Arbeit und unserm Verdienste viel zu reden und zu rühmen, wenn nicht vor Anderer Ohren, so doch desto mehr vor unserm eignen Herzen! Und hätte nun einmal gar Einer dem Löwen in die Zähne gegriffen, so würde man vielleicht vor seinem Rühmen sich nicht zu retten wissen. Es sollte Einer nur einmal hier eine solche Behandlung und Zurücksetzung erfahren, wie David in seines Vaters Hause, da wollt' ich sehen, ob er mit demselben freudigen Gehorsam, ohne Empfindlichkeit, ohne bitteres Gefühl der Kränkung und Verletzung an seine ruhmlose Arbeit ginge! Ich wenigstens muss hier an meine Brust schlagen und rufen: „Verwirf mich nicht von Deinem Angesicht!“ Wo die verborgene Schweigsamkeit und Demut blüht, dahin schaut des Herrn Auge. Seine Hand findet den Demütigen und zieht ihn hervor: „Auf! den salbe, der ist es! den kann ich in meinem Dienst gebrauchen.“ Da wird denn die Demut vor den Augen der Ruhmredigen und ihrer Verächter und Hasser mit Gnade gekrönt und zu Ehren gemacht, nach dem Worte des Herrn: „Wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren!“ Joh. 12, 26.
Hier schließe ich heute. Die erste Antwort auf die Frage: Wer ist ein Mann nach dem Herzen Gottes? haben wir gefunden. Damit Jeder aus derselben ewigen Segen gewinne, werfe ich, in dem Namen des Herrn, einem Jeden die Frage ins Gewissen: „Bist Du ein Mann nach dem Herzen Gottes?“ Amen.
Noch nicht.
Oft aus meiner stillen Enge
Schau ich in den Streit der Welt,
Wie der Feinde stolze Menge
Tobet wider Zions Zelt;
Dann im Herzen hör ich's mahnen:
„Auf! hinaus zu Jesu Fahnen!“
Herr, Du kennst des Geistes Sehnen,
Wie in dieser bösen Zeit
Ich auch mit Gebet und Tränen
Eilen möcht in Deinen Streit.
Doch ich bin Dir noch nicht nütze
In des heilgen Kampfes Hitze.
Wie einst David bei den Hürden,
Bild durch Deines Mundes Hauch
Unter Freuden, unter Bürden
Mich nach Deinem Herzen auch,
Bis Du selbst mich einst wirst mahnen:
Auf! hinaus zu meinen Fahnen!“