Blumhardt, Christian Gottlieb - Lazarus, der Kranke, Sterbende und Auferweckte - Ein Wort über das Steigen und Sinken des Glaubens.

Blumhardt, Christian Gottlieb - Lazarus, der Kranke, Sterbende und Auferweckte - Ein Wort über das Steigen und Sinken des Glaubens.

Joh. 11, 17-24.

Da kam Jesus, und fand ihn, dass er schon vier Tage im Grabe gelegen war. (Bethanien aber war nahe bei Jerusalem, bei fünfzehn Feld- Weges.) Und viele Juden waren zu Martha und Maria kommen, sie zu trösten über ihren Bruder. Als Martha nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie Ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen. Da sprach Martha zu Jesu: Herr! wärest Du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber ich weiß auch noch, dass, was Du bittest von Gott, das wird Dir Gott geben. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder soll auferstehen. Martha spricht zu Ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am jüngsten Tage.\\“

1.

Nichts macht unserm göttlichen HErrn und Erzieher größere Freude, als wenn Er in den Herzen derer, welche sich seiner Pflege anvertraut haben, Glauben erwecken, und sie zu immer höheren Glaubensstufen hinan führen kann. Dies ist auch das Hauptziel, an dessen Erreichung Er bei einem Jeden durch eine zahllose Mannigfaltigkeit von Mitteln auf das kräftigste mit unermüdeter Treue bis ans Ende fortarbeitet. Wer nicht glauben kann, oder vielmehr nicht glauben will, der ist für sein Reich verloren. Es mangelt ihm das erste und notwendigste Organ, wodurch sich ihm der HErr mitteilt, und ihn zur Brauchbarkeit in seinem Reiche erzieht. Mit den stolzen Vernunftmännern, die Alles selbst erklügeln, Alles selbst durchschauen, Alles nach ihrem Eigendünkel tun und einrichten, und nur so viel gelten lassen wollen, als sie mit dem trüben Sehrohr ihrer kurzsichtigen Vernunft durchblickt und erfasst zu haben wähnen, kann Er sich so lange nicht einlassen, bis sie das stolze Regiment ihres Eigendünkels Ihm demütig zu den Füßen niederlegen, und einfältige Glaubens-Kinder werden wollen. Wo Er aber einen, wenn auch noch so schwachen, Funken von Glaubens-Bedürfnis in einem Herzen erblickt, da wird Er mit allmächtiger Kraft angezogen. Dies ist der Punkt, bei dem Er das schwache Menschenherz anfassen, und zu sich emporheben kann. Seine unergründliche Gottes-Weisheit kennt eben daher kein angenehmeres Geschäft, als alle Schicksale des Menschen, alle großen und kleinen Begegnisse seines Lebens so einzurichten, und des Menschen Herz immer in solche Lagen zu versehen, die einzig darauf berechnet sind, diesen Glauben, die eigentliche Anziehungskraft des Göttlichen in der Seele, zum Leben zu erwecken, und die ersten Keime desselben unter der sorgfältigsten Mutterpflege zum fruchtbringenden Baume zu erziehen. Er offenbart sich dem suchenden Herzen in der ganzen Majestät und Liebenswürdigkeit seiner Person, und ist froh, ihm nahe zu kommen, so bald Er durch dieses Mittel Glauben erwecken und Glauben stärken kann. Er verbirgt sein Angesicht, entzieht seine beseligende Nähe, und freut sich, nicht da gewesen zu sein, so bald Er durch diese Entfernung dem schüchternen und schwankenden Glauben seiner Schüler größere Festigkeit und Dauer zu geben weiß. Daran ist Ihm Alles gelegen, in seiner unumschränkten Vertrauenswürdigkeit sich dem hilfeschmachtenden Herzen darzustellen. Ginge seine Arbeit auch langsam vorwärts, hätte Er mit noch so vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, um dem Herzen, das Er liebt, Glaubenskraft einzuflößen, müsste Er auch die schmerzhaftesten Mittel ergreifen, um seine Absicht zu erreichen: Er wagt Alles daran, lässt sich in seinen Lieblings-Geschäften nicht ermüden, stellt sich oft so gar hart und unempfindlich, und schlägt unheilbar-scheinende Wunden, über die sein eigenes Herz blutet; und dies Alles tut Er bloß darum, um noch größeren Glauben zu pflanzen, und die engen Herzen zu der ganzen Kühnheit des zuversichtlichen Vertrauens zu erheben. Er will dem suchenden Herzen seines hilfsbedürftigen Schülers Alles werden; sich nach dem ganzen unerreichbaren Umfang seiner Vertrauenswürdigkeit demselben offenbaren, und das schwache ohnmächtige Kind zum Mann und Helden des Glaubens in seiner Pflege heranreifen sehen.

So mannigfaltig die Mittel sind, die seine himmlische Weisheit zu erfinden weiß, um dieses himmlische Senfkorn in den Herzen seiner Schüler zu pflanzen und zur Reife zu bringen; so mannigfaltig sind auch die Veränderungen, welche in der merkwürdigen Glaubens-Geschichte jedes Einzelnen seiner Angehörigen vorkommen. Bald ist ihr Glaube an Ihn groß und stark; kühn erhebt er sich aus dem niedrigen Staube, durchdringt alle hemmenden Fesseln, und steigt unaufhaltsam zum wonnevollsten Sieg über alle Schwierigkeiten empor. Bald ist eben dieser Glaube schwach und klein, und allen beängstigenden quälenden Zweifeln preisgegeben; er sinkt unversehens zum Kleinmut herab, und gleicht dem glimmenden Dochte, das ein leichter Windstoß ganz zu erlöschen droht. Der Mut sinkt, und das Herz wird blöde und von banger Furcht umhergejagter sieht sich von allen Seiten beengt, und seufzt nach einem kleinen kraftvollen Worte aus dem Munde Gottes, an das er sich festzuhalten wagt. So ist in diesem Stande der Unvollkommenheit das Leben des Glaubens beschaffen; diesem Wechsel ist er oftmals ausgesetzt. Den Anfänger und Vollender des Glaubens befremdet diese veränderlichen Erscheinungen in den Herzen seiner Schüler so wenig, dass Er vielmehr gerade auf diesen Wechsel alle seine Kurmittel weislich eingerichtet hat.

Wir kehren zu der Geschichte der frommen Familie in Bethanien wieder zurück, die wir eine Zeitlang verlassen haben, und sind begierig, den weiteren Fortgang und Ausgang ihrer häuslichen Leiden zu erfahren. Unser vorliegende Abschnitt wird uns zu den obigen wichtigen Gedanken einen weiteren Beitrag liefern.

2.

Nach langer geheimnisvoller Zögerung kam endlich Jesus, der längst Erwartete, in die Nähe von Bethanien zum Grabe des modernden Freundes. Schon vier Tage schlummert der Verstorbene in der einsamen Grabesstille auf Hoffnung des ewigen Lebens, beweint von den Liebestränen seiner beiden trauernden Schwestern, die ihn der unaufhaltsamen Verwesung überlassen mussten. Im Glauben an den Gott seiner Väter und mit der herzerhebenden Sehnsucht nach dem verheißenen Troste Israels hatte er seine Augen für diese Welt geschlossen; was ihm hienieden nicht mehr zu sehen glückte, hoffte er in der Ewigkeit sehen und sich desselben von Herzen freuen zu dürfen. Was in diesen vier bangen hoffnungslosen Tagen in den Herzen der beiden Schwestern vorging, durch welche schwere Kämpfe sie sich hindurcharbeiten mussten, das verschweigt die evangelische Geschichte. An Jesu waren sie übrigens nicht irre geworden; dies beweist die Art, wie sie nun bald Jesum empfangen. Sie legen die Hand auf den Mund, und ehren mit blutendem Herzen die verborgene Fügung, die ihnen ihren Bruder für dieses Leben entriss. Ihn wieder zum ferneren Lebens-Gefährten zu bekommen, das wagten sie nicht zu hoffen. Er lag ja schon vier Tage im modernden Grabe. Durch einen stillen Tränenguss suchten sie ihren gepressten Herzen Luft zu machen und dieser Tränen der Liebe hatten sie sich nicht zu schämen denn

Die Liebe darf wohl weinen,
Wenn man ihr Fleisch begräbt.

Viele ihrer Anverwandten und Freunden kamen aus dem benachbarten Jerusalem, um die trauernden Schwestern über ihren Verlust zu trösten. Eine schöne Sitte freundschaftlicher Teilnahme, wenn sie zur rechten Zeit und auf die rechte Art angewandt wird. Aber wie wenig Menschen verstehen die geheime Kunft, Trauernde wahrhaftig zu trösten, und ihren sinkenden Mut aufzurichten. Dazu gehört richtige Herzenskenntnis, lebendige Religiosität und zarte teilnehmende Mit-Empfindung. Bloßer Wortkram und ein beredtes Geklirr von Lobes-Erhebungen und Seligpreisungen des Verstorbenen machen die Sache lange nicht aus. Sie schließen das verwundete Herz des Kummervollen noch tiefer in sich selbst zusammen, und verwunden eher noch mehr, als dass sie heilen sollten. Der Leidende verbirgt sich lieber in stiller Einsamkeit, um ungesehen von Menschen zu den Füßen des All-Erbarmers das volle Herz mit seinem ganzen Gram auszuschütten, wenn er nicht wahrhafte Mit-Empfindung in der Seele und in den Worten des tröstenden Freundes findet. Messe die Kraft deiner Trostgründe niemals nach der Länge und Schönheit der Perioden, die dein Mund ausspricht, sondern nach der kurzen, tief mit-empfundenen, zur rechten Zeit geäußerten Sprache deines Herzens ab. Schweige lieber in dem Trauerhause deiner Freunde, als dass du ein leeres Wort ihnen zum Trost sagen wolltest. Dein empfindungsvolles teilnehmendes Schweigen wird mehr auf sie wirken, als deine unruhige Geschäftigkeit, durch leeres Hersagen deiner Tröstungen ihre Empfindungen abstumpfen zu wollen. Nur Eines konnte Maria und Martha trösten - ein Besuch von ihrem geliebten, ach! - wie oft sehnlichst herbeigewünschten HErrn, an dessen zarter Teilnahme sie nicht zweifeln konnten, ob Er gleich vier lange Tage. mit seinem Trost und seiner Hilfe ausgeblieben war.

3.

Der Glaube der beiden Schwestern lag in seiner tiefsten Tiefe, ehe Jesus bei ihnen ankam. Sie erwarteten keine Hilfe mehr in ihrem Elend. Ihr häusliches Glück war dahin; - der geliebte Bruder, der treue Gefährte ihrer stillen Einsamkeit, modert im Grabe,

Seine Lücke kann mit nichts mehr ausgefüllt werden. Selbst ihr vertrauenswürdigster Hausfreund, in dessen Macht es noch allein gestanden hätte, ihrer großen Not abzuhelfen, kommt nicht; darf nicht kommen, weil die Juden Ihm nach dem Leben trachten. Auch das einzige Wort ihres abwesenden Freundes, das ihnen anfangs so viel Trost und Beruhigung gewährt hatte, ist ihnen nunmehr dunkel und unerklärbar geworden. Was soll es heißen: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes, dass der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.“ Sie wussten sich mit diesem Wort nicht mehr zu trösten, denn sie verstanden es nicht mehr. Ihr Glaube war tief, tief gesunken aber nur, um desto herrlicher sich wieder aus dem Staube zu erheben.

Lass dich dieses Sinken des Glaubens nicht befremden, leidender, heißkämpfender Christ! Du versinkst nicht in dem Abgrund der Zweifelsucht und Trostlosigkeit, welchen du befürchtest. Ausgeleert und öde, lichtlos und schmachtend, kalt und empfindungslos scheint jetzt dein Herz zu sein. Nackt und ohnmächtig steht dein Glaube da, und ermattet in seinem letzten Atem. Selbst den Geschmack am Worte Gottes hast du nicht mehr, wie vormals; das Gebet ist dir ein empfindungsloses erzwungenes Geschäft geworden, und zwar gerade in der Stunde, in der du des Worts Gottes und des Gebets, des Glaubens und des Trostes am meisten bedarfst. Erschrecke nicht vor dieser Tiefe, in die du herabgesunken bist - siehe, hier wird der wahre, unerschütterlich feste Glaube geboren; dies ist die schmerzhafte Geburtsstunde der Glaubens-Gewissheit, in welcher der unzerstörbare Keim deiner ewigen Verbindung mit Gott und Christo tiefe Wurzeln schlägt, welche die Windstöße der Welt- und Fleischesliebe nicht so leicht wieder auswurzeln können. Es ist auf etwas Ewigdauerndes angesehen, das hier in deine Seele gelegt werden soll. Du sinkst, aber du versinkst nicht, denn Jesus Christus ist da, dir zu helfen, und dich aus der Tiefe des Glaubens zur beseligenden Höhe desselben herauszuführen. Die auf den HErrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, wandeln und nicht müde werden.

4.

Martha vernahm, dass Jesus Christus in der Nähe sei. Unaufhaltsam eilt sie vom Trauerhause hinweg, um den vertrauenswürdigsten hilfreichsten Meister so bald wie möglich zu finden, und den tiefen Kummer ihres Herzens mit ihm zu teilen. Das erste Wort: „Jesus ist da! Er ist bei dem Grabe des Bruders angekommen!“ erfasst ihr ganzes Wesen, und weckt ihre innerste Glaubens- und Liebeskraft wieder allmächtig auf. Mit einem vollen Herzen eilt sie weg - um Alles, Alles vor Jesu auszuleeren. Maria, die stille Dulderin, bleibt zu Hause, und wartet ahnungsvoll einer nahen Verherrlichungsstunde. Sie will so lange still dulden, bis ihr der HErr selbst das schwere Kreuz vom Rücken hinwegnimmt. Martha erblickt Jesum - schneller und schneller läuft sie auf Ihn zu, bis Er ihr nahe ist. Auch Hier kann der weibliche Petrus seine Natur nicht verleugnen; es lodert in ihren Gebeinen ein Feuer, das alles in Bewegung setzt; in Mariens Seele ist's eine heiße Glut, die das Innerste verzehrt. HErr! wärst Du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben! Dies ist ihre Anrede. Der gesunkene Glaube erhebt sich hoch - mutige Zuversicht strahlt aus Wort und Augen! So stark hatte sie es noch nie empfunden, wie in diesem Augenblick, dass ihr geliebter Bruder unter den Augen ihres wundertätigen Freundes unmöglich hätte sterben können. Sein Anblick strömt in ihr Herz eine Gotteskraft aus, durch die ihr Glaube unaussprechlich emporgehoben wird. Mit jedem Augenblick wird er noch kühner: Aber ich weiß auch noch, dass, was Du bittest von Gott, das wird Dir Gott geben. Welch' ein köstlicher Willkomm für das glaubensuchende Herz Jesu! Süßer als Honig und Honigseim war Ihm dieses Wort in Marthas Munde, mit ihrem Glaubensfeuer ausgesprochen. Eine solche Erscheinung freute Ihn mehr als Millionen Lobsprüche kaltversuchender Pharisäer. Sie war willkommene Entschädigung für Ihn für alle die Leiden und Misshandlungen, des Unglaubens und der Herzenshärtigkeit, die Er bisher hatte erfahren müssen. Dieses Wort des Glaubens war Ihm besonders auch um der Schwestern willen lieb. Ohne Zutrauen zu Ihm konnte und wollte Er nichts tun; der Unglaube und die Zweifelsucht banden Ihm die Hände der wundervollen Wohltätigkeit. Er musste den Elenden, der kein Glauben hatte, sich selbst überlassen - denn den Hauptzweck aller seiner Reden und Taten, um dessen willen Er alles, und ohne den Er nichts tat, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist, konnte Er an dem glaubenslosen Zweifler nicht erreichen. Aber wo Er Zutrauen fand, da ward sein Herz geöffnet, und seine Hilfe allmächtig herbeigezogen; und je stärker und demütiger dieses Vertrauen auf seine Wundermacht war, desto herrlicher war die Hilfe. In Marthas Seele war eine kühne Zuversicht mit einem Mal aufgelodert; der Anblick Jesu hatte sie zur Heldin umgeschaffen. Sie glaubt nicht bloß, dass ihr Bruder in der Gegenwart Jesu nicht gestorben wäre, sondern glaubt noch mehr, dass Gott Jesu auf sein Gebet Alles geben werde.

So schnell kann der tiefgesunkene Glaube aus dem Abgrunde herausgehoben werden, und eine vorher nie erreichte Geisteshöhe ersteigen. Nur eines einzigen ersehnten Lichtfunkens bedarf es, und siehe! er rafft seine vorige Kraft wieder zusammen, und wird durch neue Kräfte aus dem oberen Heiligtum vermehrt. Jede Feuerprobe macht ihn reiner, stärker, durchdringender. Von seinem wahren Wesen geht nichts in der Stunde der Anfechtung verloren, vielmehr wird ihm von jeder ein neuer unerwarteter Gewinn zu Teil werden. Hierzu sind freilich fortgesetzte, oft sehr angreifende und ermüdende Übungen nötig. Manche Schlacke des Weltsinns und der Fleisches-Lust muss zuvor abgebrannt werden, bis die Liebe dich zum Knecht geschaffen, und zum Herrn der Glaube macht.

Aber gerade das Sinken deines Glaubens ist dir ein sicheres Unterpfand, dass du eine vorher nie erreichte Glaubenshöhe erklimmen sollst. Dazu gehören tiefe Wurzeln, wenn dir diese Höhe nicht eher schaden als nützen, und du nicht in einen Glaubensschwindel verirren sollst. Dafür will der HErr zuvor sorgen, und deinen Glaubensgang durch tiefe Schritte sichern. Darum halte seinem weisen Tun stille, so wenig du es verstehst, und vertraue dich dem Ewig-Treuen an, dessen Erbarmen unveränderlich und ewig ist.

5.

Ein kühnes Glaubens-Wort hatte Martha ausgesprochen, worin sie sich selbst übertroffen hatte. Es war ihr vielleicht selbst nicht ganz klar, wie Vieles damit gesagt war. Sie hatte dabei dem unwiderstehlichen Antrieb ihrer Achtung gegen Jesum und ihrer Glaubens-Zuversicht auf Ihn gefolgt. Dieser innere Antrieb hatte sie kühner gemacht, als sie es vor der kalt räsonierenden Vernunft verantworten zu können glaubte. Diese lähmt den kühnen Flug des Helden-Glaubens; vermindert seine Erwartungen, und tötet durch seine zerstückelnden Fragen und Antworten und Zweifel und Widerlegungen den warmen Glaubenstrieb. Jesus Christus will in ihren noch unbestimmten Ausdruck genauere Bestimmung legen, und doch zugleich ihrem Glaubensmut ein neues Probestück aufgeben. Er spricht demnach zu ihr: Dein Bruder soll auferstehen! Wann? Wie? Durch wen? Diese Fragen soll ihr Glaube beantworten; und damit ein neues Meisterstück ablegen. Ob ihr verstorbene und nun schon vier Tage in dem Grabe liegende Bruder auch jetzt noch durch Jesu Macht zum Leben hervorgerufen werden könne, das soll sie selbst beantworten. Daher gibt ihr Jesus diese noch immer unbestimmte Antwort, - um ihr gleichsam ein Wort des Glaubens vom Herzen und von der Zunge zu lüpfen, das in ihrem Munde noch herrlicher klang als in dem Seinigen. O der unübertreffliche Erzieher! Wie froh ist Er, wenn Andere ein Zutrauen, ein beruhigendes, festes, kühnes Zutrauen zu Ihm fassen. Über ihr „zu viel“ hat Er noch nie, über ihr „zu wenig“ schon oft Klage führen müssen. Wie sehr muss Er den schwachen Glaubens-Kindern zu Hilfe kommen, und ihnen jedes Wort, das Ihn verherrlichen soll, gleichsam vom Herzen hinweglocken. Ohne diese freundliche Geburtshilfe würde unser Glaube niemals ein Wesen gewinnen. Nur Schade, dass wir Ihm seine Freude durch unser kleinmütiges, beschränkendes, Herz und Geist verengendes Vernünfteln so oft stören! - Wir haben uns immer selbst übertroffen, wenn ein großes Wort des Glaubens von unsern Lippen fällt. Wir selbst schränken seinen Sinn oft wieder ein, und schneiden ihn zu, wenn er uns zu groß deucht. So machte es Martha. Dem glaubenlehrenden und glaubenprüfenden Jesus konnte sie in seinem Fluge nicht folgen. Er wollte etwa ein solches Wort von ihr hören: „Ja, ich weiß wohl, HErr! dass Dir auch jetzt noch kein Ding unmöglich ist, und dass Du meinen Bruder selbst aus dem Rachen der Verwesung ins Leben zurückrufen kannst.“ Aber statt dessen sagt sie: „Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am jüngsten Tage.“ So liegt in dem Herzen des Gläubigen die Kraft und die Schwäche, der Glaubensmut und der Kleinmut, das Frohlocken der Zuversicht und das ängstliche Seufzen der Not immer nebeneinander. So kennt uns der HErr, und hat Geduld mit uns. Er wird nicht ermüden, uns vom Glauben zum Schauen hinüberzuführen, und immer wieder unserer Schwachheit zu Hilfe zu eilen. Was Niemand vermag, das vermag Er. Wo jeder andere zu dulden, zu glauben, zu hoffen aufgehört hat, da fängt sein Dulden und Glauben und Hoffen erst recht an.

Wohl uns, dass Er für uns glaubt, wo unsere Schwachheit zu glauben aufhört! Eben dadurch macht Er sich unsern Seelen so liebenswürdig und köstlich, dass Er mit der zärtlichsten Teilnahme uns zur Seite steht, und unserer Schwachheit aufhilft. Wohl uns des feinen Herren!- Ihm liegt es mehr als uns selbst daran, dass wir auf dem Glaubenswege nicht erliegen, sondern die müde gewordenen Hände immer wieder zu Ihm aufheben. An seiner Treue wird es niemals fehlen - denn Er kennt, was für ein Gemächt wir sind; Er gedenkt daran, dass wir nur Staub sind. Nur was sein Geist in unsern Seelen pflanzt, ist wahrhaftig gut und bleibend. Alles andere wankt beim ersten Stoße, und ist eine morsche täuschende Stütze. Aber wenn Er unsere Seelen erfüllt, so ist unser Glück für Zeit und Ewigkeit gemacht.

Jesus soll mein Herz erfüllen,
Alles mir in Allem sein;
Seiner Liebe, seinem Willen
Übergeb' ich mich allein.
Alle Freunde können fehlen,
Nur mein Jesus fehlet nicht;
Dieser Freund der Menschenseelen
Hält noch mehr, als Er verspricht! Amen.

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