Bender, Ferdinand - Geschichte der Waldenser - Siebentes Kapitel. Die Waldenser in den Rheingegenden.

Bender, Ferdinand - Geschichte der Waldenser - Siebentes Kapitel. Die Waldenser in den Rheingegenden.

„Es ist das fromme Stillleben nicht asketischer Kontemplation, sondern des von der geheimnisvollen Kraft protestantischer Freiheit durchzitterten Glaubens, welches in der Gemeinde der Waldenser erblüht.“ H. Reuter.

Von Frankreich aus verbreitete sich schon frühe die Lehre der Waldenser auch nach den lieblichen Ufern des Rheinstromes. Da reihten sich, von Basel bis Köln, die schönsten geistlichen Besitztümer und Klöster aneinander, in welchen freilich mehr der Üppigkeit, als dem beschaulichen Leben gehuldigt wurde. Die Bürger der durch Handel und Gewerbe blühenden Städte beseelte ein kräftiger, gesunder, unabhängiger Geist, dem blinde Unterwerfung unter ein fremdes Joch widerstrebte.

Bereits in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts trat in Köln eine Sekte auf, welche eine biblische Richtung verfolgte, und den Manichäismus der dortigen Katharer geradezu bekämpfte.

Everwin, Propst von Steinfeld, unterscheidet sie in seinem Berichte an den heiligen Bernhard von Clairvaux ausdrücklich von den Letzteren, und schreibt über sie folgendermaßen: „In neuerer Zeit haben sich bei uns in der Nähe von Köln gewisse Ketzer gezeigt, von denen Einige gerne in die Kirche zurückgekehrt sind. Einer, der Bischof unter ihnen war, opponierte aber mit seinen Genossen offen in der Versammlung des Klerus und der Laien, wo der Erzbischof selbst mit Vielen vom Adel zugegen war, und verteidigte seine Ketzerei durch die Worte Christi und seiner Apostel. Aber da die Ketzer sahen, dass sie keinen Eindruck machten, so wünschten sie, es möge ein Tag bestimmt werden, wo sie Männer aufstellen würden, die in ihrem Glauben erfahren seien. Sie versprachen, in die Kirche zurückzukehren, falls ihre Lehrer nicht im Stande sein würden, ihren Gegnern Stand zu halten; im andern Falle aber würden sie lieber sterben, als ihrer Lehre entsagen.“ Von ihren Richtern war jedoch keine Billigkeit zu erwarten; dieselben brandmarkten sie als unverbesserliche Ketzer, und so soll das Volk sie ergriffen und mit wütendem Triumph in die Flammen geworfen haben. Everwin geriet in das größte Staunen über den Heroismus der Dulder, und wandte sich um Belehrung an die höhere Weisheit des heiligen Bernhard. Indem er eine Beschreibung ihrer Ketzerei versucht, erzählt er von ihnen: „Sie streben danach, wie sie allein stehen mit ihrer Verachtung aller weltlichen Größe, ebenso allein dazustehen in der Nachfolge Christi und seiner Apostel, und demzufolge die einzige wahre Kirche auf Erden zu bilden.“ „Da sie sich einer fleckenlosen Sittlichkeit befleißigen, und indem sie sich auf ihren Fleiß, ihre Mäßigkeit und die Einfachheit ihrer Gottesverehrung berufen, vergleichen sie ihren Zustand mit dem der alten Märtyrer, die von Stadt zu Stadt flohen, als Lämmer unter den Wölfen. Zu gleicher Zeit tadeln sie die Geistlichen, als Verehrer der Welt und da her im Frieden mit derselben lebend; als falsche Apostel, die das Wort Gottes verderben und ganz der Heiligkeit ihres Berufes entfremdet seien. Die Ansichten, in denen sie erzogen sind, halten sie für die wahre Lehre der Apostel; sie betrachten das Fegfeuer als eine Fabel, verwerfen die Anbetung der Heiligen als Gottlosigkeit, und verweigern alle Unterwerfung unter den Papst, als schlechthin unvereinbar mit der weltlichen Natur seiner gegenwärtigen Herrschaft. Mit einem Wort, Alles, was in der Kirche beobachtet wird, ohne von Christus selbst oder seinen Aposteln eingerichtet zu sein, bezeichnen sie als Aberglauben.“

Deutliche Spuren der Waldenser zeigen sich uns in Straßburg. Diese damalige freie Reichsstadt war wohl die schönste Blume in dem Städtekranze des Oberrheins, der Wohnsitz des Reichtums und einer tiefen, nicht selten in Schwärmerei und Mystizismus ausartenden Frömmigkeit. Hier hatten die Feinde des Papsttums einen sehr günstigen Boden gefunden. Schon im Jahre 1212 entdeckten die durch den Bischof Heinrich II. von Behringen nach Straßburg gebrachten Dominikanermönche eine zahlreiche Gemeinde, welche ohne Zweifel, wenigstens zum größten Teil, aus Waldensern bestand. Wie uns der glaubwürdige straßburgische Stadtbaumeister Specklin (gest. 1589) versichert, zeichneten diese Leute sich dadurch aus, dass sie nicht, wie gewöhnlich, um St. Claus, St. Peter, oder unserer lieben Frauen willen, sondern „um Gottes willen,“ Andere um ein Stück Brot, oder ein sonstiges Almosen ansprachen. Das Volk nannte sie darum nur „Brot durch Gott.“ Aber es gehörten zu dieser Waldensergemeinde nicht bloß Leute aus der ärmeren Klasse: auch Adelige, selbst Priester und Mönche hatten sich ihnen angeschlossen. Über 500 Mitglieder wurden allein in Straßburg aufgefunden. Der Bischof Heinrich II. versuchte anfangs durch milde Maßregeln diese Leute für die römische Kirche zu gewinnen, und ließ mehrere Religionsgespräche veranstalten. Hier aber schlugen die Waldenser, welche ihre Glaubenssätze trefflich mit der Heiligen Schrift begründeten, die in der Bibel ganz unbewanderten Gegner stets aus dem Felde. Der Bischof schritt hierauf zur Strenge und machte öffentlich bekannt, er werde alle Ketzer, welche ihren Irrtümern nicht abschwören wollten, ohne Weiteres mit dem Feuertode bestrafen. Viele traten nun zur römischen Kirche über und lieferten die Glaubensschriften der Gemeinde dem bischöflichen Gerichte aus. Unter diesen befanden sich auch dreihundert, angeblich von Peter Waldus selbst verfasste Artikel gegen die römische Kirchenlehre, welche leider nicht mehr vorhanden sind. Die von der Sekte Abgefallenen gestanden, dass ihre Gemeinde drei Oberhäupter habe; der erste und vornehmste ist „Obrist“ wohne in Mailand; der zweite sei ein gewisser Birkhardus in Böhmen; der dritte sei der Priester Johannes in Straßburg. Außer denselben gäbe es noch besondere Vorsteher in jedem einzelnen Lande. Diese Oberhäupter waren übrigens durchaus nicht, in der Art der Päpste, mit einer unumschränkten Machtvollkommenheit ausgerüstet, sondern nur die ersten Leiter der Gemeinden und ihre ganze Gewalt beruhte auf dem persönlichen Vertrauen der Pflegbefohlenen. Ihr Beruf, insbesondere die Armensteuer einzunehmen, machte wohl einen längeren Aufenthalt an einem und demselben Orte, namentlich in verbindungsreichen Handelsstädten, wie Mailand und Straßburg, notwendig. Doch konnten sie dabei auch, wie die übrigen waldensischen Barben, umherreisen, um die zerstreuten Glaubensgenossen zu besuchen.

Während viele der Angeklagten aus Todesfurcht ihrem Glauben entsagten, blieben achtzig Waldenser, darunter dreiundzwanzig Weiber, zwölf Geistliche, und vor Allen der mutige Priester Johannes unerschütterlich. Nichts, weder Drohungen noch Versprechungen, vermochten sie zum Widerrufe zu bewegen. Johannes wurde im Namen aller Angeklagten verhört. Seiner fortwährenden entschiedenen Berufung auf die Schrift wussten die Gegner nichts zu erwidern, als, ohne die Erlaubnis des Papstes habe Niemand, am wenigsten aber ein Ketzer, die Befugnis, aus der Schrift zu reden. Wenn sein Glaube der wahre sei, so solle er es durch die Probe des glühenden Eisens ihnen dartun.

„Man soll Gott nicht versuchen,“ antwortete Johannes auf dieses unsinnige Begehren: „Sein Wort ist da, um zu erkennen, was wahr und was falsch ist.“ „Ha, er will sich die Finger nicht verbrennen!“ schrien höhnend die Mönche. „Ich habe Gottes Wort, dafür will ich mir nicht bloß die Finger, sondern auch den ganzen Leib verbrennen lassen,“ entgegnete der Glaubensheld mit edlem Stolze und freudigem Mute. Der Urteilsspruch war leicht vorauszusehen. Solche Verhöre waren ja überhaupt nichts weiter, als ein elendes Blendwerk, um das grausamste, willkürlichste, unnatürlichste Verfahren wenigstens mit einem gewissen Schein des Rechtes zu umgeben. Johannes und seine Glaubens genossen wurden zum Feuertode verdammt.

Vor der Vollstreckung des Urteils wurden ihnen, von dem Erker der bischöflichen Wohnung herab, siebzehn Sätze vorgelesen, welche man als ganz vorzüglich ketzerisch und todeswürdig in ihrer Lehre bezeichnete. Diese Sätze geben einen klaren Begriff davon, was die römische Kirche als Ketzerei betrachtete; zugleich bestätigen sie die Annahme, dass die Verdammten wirklich zu den Waldensern, als den bibelgläubigen Protestanten des Mittelalters, gehörten. Wir heben darum einige dieser Sätze hier hervor.

Sie glauben und lehren:

  • Man solle und müsse Gott allein durch Christum im Geist und Glauben anbeten; darum seien alle Bilder und jede Verehrung derselben zu verwerfen. Solches ist eine Ketzerei wider die heilige römische Kirche und ärgerlich zu hören.
  • Die Jungfrau Maria und die Heiligen begehren nicht, dass man sie anrufe, sondern weisen uns alle zu Gott. Das ist eine Ketzerei usw.
  • Dass der Papst ein Haupt sei über die ganze Welt und alle Königreiche auf Erden, auch die Macht habe, Gottes Wort zu mehren und zu mindern, glauben sie nicht. Das ist eine Ketzerei usw.
  • Sie glauben, dass Christus seine Kirche wohl regieren könne, keines Hauptes auf Erden bedürfe, das sich über Alles, auch über die Engel und Teufel erhebe, und in Pracht und Reichtum lebe. Christus wäre mächtig genug, seine Kirche zu erhalten. Das ist eine Ketzerei usw.
  • Das Sakrament in beider Gestalt den Laien zu geben, halten sie für Recht. Das ist eine Ketzerei usw.
  • Ein Jeder, sei er geistlich oder weltlich, möge, trotz seines Gelübdes, wenn er nicht die Gnade von Gott hätte, keusch zu leben, zur Ehe schreiten. Das sei besser, als ein anstößiges Leben zu führen. Das ist eine ärgerliche Ketzerei usw.
  • Kranke oder Solche, die aus Armut und Hunger sonst nichts zu essen haben, mögen, ohne des Papstes Erlaubnis, an verbotenen Tagen wohl Milch, Butter, Eier, selbst Fleisch essen. Das ist eine Ketzerei usw.
  • Des Papstes Ohrenbeichte, Absolution und Bann halten sie für unnötig; denn Menschen könnten trügen und lügen. Der Papst sei ein Mensch, darum könne er irren. Ein frommer Laie könne besser absolvieren, denn ein böser Priester, weil Gott spricht: ich will fluchen ihrer Benedeiung (Maleachi 2, 2.). Das ist eine Ketzerei.
  • Der Priester Messe komme den Toten nicht zu Nutz, denn es könne kein Fegfeuer bewiesen werden. Nur der Geiz habe Solches erdacht, damit die Geistlichen der Welt Güter an sich bringen; denn sie beten ohne Geld weder für Tote noch Lebendige. Das ist eine große Ketzerei usw.
  • Sie verwerfen alle guten Werke, auch die heiligen Orden, und sagen, Christus habe das beste Werk für uns getan, weil er für unsre Sünden gestorben ist. Das ist eine Ketzerei usw.
  • Sie behaupten, dass die heiligen Sakramente, wenn sie ohne Glauben und Buße empfangen werden, den Menschen verdammen, auch diejenigen, welche sie verkaufen und kaufen und missbrauchen, sowohl die Geistlichen als die Laien. Dies ist eine Ketzerei usw.
  • Christus und seine Jünger sind arm gewesen, haben der Welt Güter verschmäht; der Papst nimmt mit Gewalt aller Welt Güter zu sich, verschwendet Alles auf schändliche Weise, so doch solches den Armen sollte gegeben werden. Das ist eine Ketzerei usw.
  • Wer sich Christo gleich macht, ist der Antichrist, und wird verdammt. Der Papst macht sich nicht allein Christo gleich, sondern stellt sich noch über ihn. Das ist eine Ketzerei usw.

Außer diesen Glaubenslehren wurde den Verurteilten noch vorgeworfen, sie hätten untereinander Gütergemeinschaft, verteilten Almosen, um damit die Leute zu ihrer Partei herüberzuziehen, trieben bei ihren heimlichen Versammlungen die schändlichsten Dinge und lehrten, man könne so viel sündigen, als man nur wolle, das Blut Christi nehme Alles hinweg, man bedürfe darum keiner Absolution und Beichte. Gegen diese Beschuldigungen verteidigte Johannes, laut und kräftig, vor dem zahlreich versammelten Volke den Glauben seiner Gemeinde und berief sich dabei immer und immer wieder auf die Heilige Schrift. Aber das Herz seiner Richter wurde durch die Gewalt seiner Rede ebenso wenig, wie durch die Tränen der Umstehenden erweicht. Sie richteten an den edlen Seelenhirten und seine Leidensgefährten. noch einmal die Frage: wollt ihr auf euerem Glauben bestehen? Johannes erwiderte im Namen Aller: „Ja wir wollen!“ Nun wurden sie nochmals zum Tode verdammt und als Ketzer aus der Gemeinschaft der Kirche hinausgestoßen. Man führte sie, unter dem Jammergeschrei ihrer Angehörigen und Freunde, in eine große, tiefe Grube bei dem St. Galler Kirchhofe. Diese wurde rings mit Holz umgeben. Das Feuer loderte auf, die Psalmengesänge der Sterbenden verstummten und die geheimnisvolle Stille des Todes lagerte sich auf die furchtbare Gerichtsstätte. Noch nach Jahrhunderten sprach mit Schaudern das Volk von der Ketzergrube. Die Güter der Hingerichteten fielen der Obrigkeit und den Dominikanern in gleichen Teilen zu. Die Letzteren bekamen außerdem noch eine Kapelle und ein Wohnhaus, um sich für die Dauer in Straßburg niederlassen und für die Ausrottung der Ketzerei wirken zu können. Aber auch diesen äußersten Anstrengungen der Kirche gelang es nicht, den Kampf gegen ihre Missbräuche zu unterdrücken, oder auch nur aufzuhalten. Sie bot den innersten, heiligsten Bedürfnissen zu wenig Befriedigung, als dass es den Menschen in ihrem Schoße hätte eigentlich wohl sein können. Die Ufer des Rheines sind im Mittelalter die fortwährenden Sammelplätze von Sekten und Gemeinschaften, welche mit Rom in einem größeren oder geringeren Widerspruche stehen. Das Einzige, was alle die blutigen Maßregeln, welche man mit eiserner Konsequenz über die Widersacher verhängte, zu bewirken vermochten, war eine größere Vorsicht und Stille der Verfolgten, oder auch ein äußeres Mitmachen der kirchlichen Gebrauche. Nur wenige Jahre nach jener schaudervollen Verbrennung des waldensischen Priesters Johannes und seiner neunundsiebzig Glaubensgenossen bemerkte man schon wieder eine neue, bereits tief in das Leben des rheinländischen Volkes eingedrungene Ketzerei. Es war die der Ortlieber1) oder der Brüder und Schwestern des freien Geistes, welche, wie die ebenfalls in jenen Gegenden weit verbreiteten Begharden, einem mit waldensischen Lehren vermischten Mystizismus und Pantheismus huldigten. Es ist überhaupt ganz natürlich, dass die von Rom verfolgten Parteien, auch bei verschiedenem Glauben, miteinander in eine gewisse Verbindung traten, um Stärke gegen den gemeinschaftlichen Feind zu gewinnen. Die Folge dieser Verbindung war aber auch nicht selten, dass einzelne Glaubenslehren von der einen Sekte in die andere übergingen, wodurch eine strenge Unterscheidung begreiflicher Weise sehr erschwert wird. Dies gilt besonders von dem Verein der Gottesfreunde, deren Häupter, wie der hochgefeierte Prediger Johannes Tauler von Straßburg, Heinrich von Nördlingen, Rulman Merswin von Straßburg, zum Teil in sehr inniger Verbindung zu den Waldensern standen.

In den Jahren 1229 bis 1231 wütete im Elsass, in der Gegend von Mainz und Trier, der Priester Konrad von Marburg mit schonungsloser Härte. Unter den Verfolgten waren auch Waldenser2): diese scheinen sogar die Mehrzahl gebildet zu haben. Sie nannten die römische Kirche die Schule des Satans, den Papst und die Priester Diener des Satans. Sie verachteten die kirchlichen Zeremonien, und nannten sich Schüler der Apostel. Sie behaupteten, ihre Sekte sei so weit verbreitet, dass, wenn einer unter ihnen von Antwerpen oder aus England nach Rom reisen wolle, er jede Nacht bei einem Bruder schlafen könne3).

Das Verfahren Konrads war so willkürlich und grausam, dass der Erzbischof von Mainz es für nötig fand, dem Papste Gregor IX. darüber Bericht zu erstatten4). „Wer ihm in die Hände fiel“ schreibt der Erzbischof; „dem blieb nur die Wahl, entweder freiwillig zu bekennen, und dadurch sich das Leben zu retten, oder seine Unschuld zu beschwören und unmittelbar dar auf verbrannt zu werden.“ Jedem falschen Zeugen ward geglaubt, rechtliche Verteidigung war Niemanden gestattet, auch dem Vornehmsten nicht. Der Angeklagte musste gestehen, dass er ein Ketzer sei, eine Kröte berührt, einen blassen Mann oder sonst ein Ungeheuer geküsst habe. Darum ließen sich viele Katholische lieber um ihres Leugnens willen unschuldig verbrennen, als dass sie so schändliche Verbrechen, deren sie sich nicht bewusst waren, auf sich genommen hätten. Die Schwächeren logen, um mit dem Leben davon zukommen, auf sich selbst und jeden beliebigen Andern, besonders Vornehme, deren Namen ihnen Konrad als verdächtig suggerierte. So gab der Bruder den Bruder, die Frau den Mann, der Knecht den Herrn an; Viele gaben den Geistlichen Geld, um Mittel zu erfahren, wie man sich entziehen könne, und es entstand auf diese Weise eine unerhörte Verwirrung.“

Den grausamen Konrad von Marburg erreichte endlich die Strafe seiner Unmenschlichkeit. Nach einem Kreuzzuge, den er gegen das freiheitliebende Völkchen der Stedinger, im Oldenburgischen, unternommen, wurde er im Jahre 1233 ermordet5).

Auf dem deutschen Kaiserthrone saß damals der große Hohenstaufe Friedrich II. (1215 - 1250). Trotz der fortwährenden Unbill, welche er von dem römischen Hofe zu erdulden hatte, erließ er von Padua aus, im Jahre 1240, vier äußerst strenge Verordnungen gegen die Ketzer. Die erste derselben beginnt also: „die uns vom Himmel aufgetragene Regierungssorge und kaiserliche Würde, kraft deren wir das weltliche Schwert, unabhängig vom Priestertum, führen, erfordert, es gegen die Feinde des Glaubens und zur Vertreibung der ketzerischen Bosheit zu gebrauchen; damit wir das Otterngeschlecht des Unglaubens, welches Gott und der Kirche Hohn spricht, und gleichsam den Leib der Mutter zernagt, mit Gericht und Gerechtigkeit verfolgen und die Übeltäter nicht länger leben lassen, durch deren verführerische Klugheit die Welt vergiftet, und unter die Herde der Gläubigen durch räudige Schafe eine sehr schädliche Seuche gebracht wird. Demnach verordnen wir hiermit, dass die Ketzer, wes Namens sie auch sein mögen, wo sie auch nur im Reiche verdammt und dem weltlichen Arm übergeben sind, mit der gebührenden Strafe belegt werden.“ Hierauf folgen nähere Bestimmungen. Diejenigen Ketzer, welche zur Einigkeit des Glaubens zurückkehren wollen, sollen mit ewigem Gefängnis bestraft werden. Alle durch die Inquisitoren entdeckten, und von der kirchlichen Zensur verdammten Ketzer sollen als Missetäter hingerichtet, und mit gleicher Strafe diejenigen heimgesucht werden, welche sich zu Beschützern und Verteidigern ihrer Irrtümer aufzuwerfen wagen. Selbst die Erben und Nachkommen der Ketzer und ihrer Freunde sollen, bis in das zweite Glied, aller weltlichen Benefizien, öffentlichen Ämter und Würden beraubt werden, damit sie,“ wie es in dem kaiserlichen Edikte heißt, „bei dem Andenken der Verbrechen ihrer Voreltern Leid tragen, und weil wir überzeugt sind, dass Gott ein eifriger Gott ist, der die Sünden der Väter an den Kindern heimsucht.“

Das zweite Edikt Friedrichs II. hebt besonders die Sekte der Patarener6) hervor, verordnet aber zugleich, dass die Teilnahme an einer jeden verdammten Sekte, ihre Anhänger mögen Namen haben, wie sie wollen, unter die bürgerlichen Verbrechen gerechnet und als Majestätsverbrechen bestraft werde. Die Ketzer werden reißende Wölfe genannt, „die sich in die Sanftmut der Schafe hüllen“; „böse Engel und Kinder der Bosheit, von dem Vater der Schalkheit und dem Urheber des Betruges bestimmt, einfältige Seelen zu verführen“; „Schlangen, die sich stellen, als wenn sie Lebensspeise darböten, aber mit dem Schwanz schlagen, und den Todestrank, das schrecklichste Gift miteinmischen“; usw.

Auf die Waldenser beziehen sich offenbar die Worte des Gesetzes: „wir können gegen solche Feinde ihrer selbst, Gottes und anderer Menschen, unsern Unwillen umso weniger zurückhalten, dass wir nicht das verdiente Racheschwert zücken sollten, offenbarer sie des christlichen Glaubens in der Nähe der Kirche zu Rom, welche man für das Haupt aller Kirchen hält, spotten und je sichtbarer die Bosheit ihres Aberglaubens sich ausbreitet da sogar von Italien aus, vorzüglich aus der Lombardei, in welcher, wie wir gewiss wissen, ihre Bosheit weiter um sich greift, die Bäche ihrer Falschheit bis in unser Reich Sizilien sich verbreitet haben.“

In dem dritten Edikte wird einem Ketzer, der einen andern Ketzer entdeckt, die völlige Wiedereinsetzung in die ehemalige Rechte eines ehrlichen Mannes, durch kaiserliche Gnade, versprochen.

In dem vierten Gesetze werden, unter vielen andern ketzerischen Sekten auch die Waldenser genannt, und zu ewiger Infamie und Einziehung ihrer Güter verurteilt. Alle Obrigkeiten, Bürgermeister und Richter sollen einen öffentlichen Eid ablegen, dass sie die von der Kirche ihnen angezeigten Ketzer mit gewissenhafter Treue vertreiben wollen. Ist die weltliche Obrigkeit von der Kirche erinnert und requiriert worden und versäumt es, ihr Land von der ketzerischen Bosheit zu reinigen, so steht es, nach Ablauf eines Jahres, von der kirchlichen Erinnerung an gerechnet einer andern rechtgläubigen Obrigkeit frei, sich des Landes der ersteren zu bemächtigen, falls der weltliche Arm kein Hindernis in den Weg legt. Ist Jemand, der an die Ketzer geglaubt, ja aufgenommen und verteidigt hat, exkommuniziert worden, und unterlässt es, sich in Jahresfrist von der Strafe zu befreien, so soll er ehrlos und zu allen öffentlichen Ämtern, Beratungen und Zeugnissen unfähig sein. Er darf kein Testament machen, keine Erbschaft antreten. Wenn er ein Richter ist, so hat sein Urteil keine Gültigkeit. Ist er Advokat, so soll er nicht zum rechtlichen Beistand zugelassen werden. Ist er ein Notar, so sollen die von ihm ausgefertigten Urkunden nicht gelten. Die Wohnungen der Ketzer und ihrer Anhänger, die Häuser, wo sie gelehrt, oder Andern die Hände aufgelegt haben, sollen niedergerissen und nie wieder aufgebaut werden, usw.

So sehr auch diese Verordnungen des Kaisers gegen die Ketzer dem Sinne des römischen Hofes entsprachen, so wurde doch die feindselige Stellung beider gegeneinander dadurch in keiner Weise aufgehoben. Der Kampf erreichte vielmehr seinen höchsten Grad, als, mit dem Jahre 1242, Innocenz IV. den römischen Stuhl bestieg, und die deutschen Bischöfe und die lombardischen Städte mit Gold gegen den Kaiser aufwiegelte. Friedrich II. zog gegen Rom. Der Papst entfloh nach Frankreich und hielt in Lyon ein Konzil, auf welchem er den Kaiser, als einen Verächter und Feind der Kirche, als einen heimlichen Muhammedaner mit dem Banne belegte, seiner kaiserlichen Würde entsetzte, und den deutschen Fürsten anbefahl, einen andern Kaiser zu wählen. Dieses Verfahren des Papstes empörte in Deutschland alles Volk. Den Feinden Roms wächst der Mut7); ihre Prediger ziehen umher, und erklären laut den Papst für einen Ketzer. „Kein Mensch,“ sagten sie, „auch kein Papst besitzt das Recht, Jemanden den Gottesdienst zu versagen, oder ihn von demselben auszuschließen.“ „Diejenigen, welche um des Kaisers willen in den Bann getan worden sind, sollen sich den Gottesdienst nicht nehmen lassen.“ „Man muss für Kaiser Friedrich und seinen Sohn Conrad, welche rechtschaffene Männer sind, öffentlich beten; denn sie werden unrechtmäßiger Weise von dem Papste verfolgt.“ „Die bisherigen Prediger haben die Wahrheit vergraben und Lügen verkündigt; wir dagegen vergraben die Lügen und predigen die Wahrheit.“ „Der Ablass, welchen wir verkündigen, ist nicht vom Papste und den Bischöfen erdichtet, sondern ist ein Ablass von Gott.“

Die herrschende Stimmung der Zeiten war religiöser Natur; eine tiefe unabweisbare Sehnsucht nach Versöhnung und Friede durchdrang die Menschheit, die Mittel, welche die römische Kirche bot, begegneten nur scheinbar dem inneren Drange. Furchtbare Zeitereignisse wurden, bei der allgemeinen sittlichen Verderbtheit, als göttliche Strafgerichte empfunden, und weckten in allen ernsteren Gemütern das Bewusstsein der Schuld. Unter dem Namen des schwarzen Todes zog, wie ein Würgengel, die Pest über Deutschland dahin und wandelte die bevölkertsten Gegenden in Kirchhöfe um. Eine streitige Kaiserwahl (zwischen Ludwig dem Bayer und Friedrich von Österreich, v. J. 1322 bis 1325) brachte Verwirrung in alle Verhältnisse und den Bannfluch des Papstes, der für Friedrich sich erklärt hatte, auf einen großen Teil der deutschen Erde. Zur Abwehr des göttlichen Zornes zogen nun unermessliche Scharen von Geißlern umher, die vor den Augen der Welt sich selbst zerfleischten, als verscheuche der äußere Schmerz die innere Pein. Solche Übertreibungen waren in Zeiten der Not natürliche, fast notwendige Erscheinungen bei Menschen, welche daran gewöhnt worden waren, in der Religion nichts als eine strenge Beobachtung äußerer Gebräuche und Übungen zu erblicken, und die römische Kirche brach nur über sich selbst den Stab, als sie diese, gleichsam mit ihrer Milch genährten Verirrungen unterdrückte. Edlere Gemüter zogen sich in sich selbst zurück und fanden Befriedigung in der Gemeinde der Waldenser, welche in den Stürmen der Zeit, statt zu äußeren Bußübungen, zu innerer Bekehrung ermahnten und die Verzagenden und Niedergeschlagenen mit dem Stabe des Evangeliums aufrichteten.

Unaufhaltbar verbreiteten sich die Grundsätze und Lehren der Waldenser. Wie in Zürich, St. Gallen, Konstanz und anderen Orten, so wurden in Freiburg eine Menge Leute entdeckt, welche die Gewalt des Papstes, den Ablass, das Fegfeuer, die Messe, die Anrufung der Heiligen, die Reliquien usw. verwarfen. In Basel hatte sich in stiller Verborgenheit eine zahlreiche Waldensergemeinde gebildet. Ihr Vorsteher war Nikolaus, ein vertrauter Freund von Johannes Tauler und Rulman in Straßburg. Er hatte eine beinahe unumschränkte Gewalt über die Brüder, welche der Überzeugung waren, dass Niemand die Heilige Schrift besser verstünde als er. In seinen Lehren befand sich jedoch auch Manches den Waldensern Fremdartige, namentlich eine Hinneigung zu dem damals allgemeinen Mystizismus, wovon sich Jene sonst durchaus frei zu erhalten wussten. Um den Verfolgungen der Inquisitoren zu entgehen, wurden die Grundsätze der Gemeinde so geheim als möglich gehalten, und den Mitgliedern war gestattet, an den äußeren Gebräuchen der römischen Kirche Anteil zu nehmen. Mittelst geheimer Boten sandten die Glaubensgenossen an Gleichgesinnte Briefe, in welchen jedoch eine nähere Angabe des Wohnorts der Gemeinde auf das ängstlichste vermieden wurde. Nur den Eingeweihten selbst waren die Versammlungsorte bekannt. Aber trotz aller Vorsicht vermochte man nicht, dem Auge der Inquisition zu entgehen. Durch die emsige Verbreitung deutscher religiöser Schriften scheint die Baseler Gemeinde sich zunächst dem Glaubensgericht bemerklich gemacht zu haben. Dem einflussreichen Nikolaus wurde nun überall nachgespürt. Lange Zeit verbarg er sich vor seinen Verfolgern; endlich fiel er aber in ihre todbringende Hand. Auf einer Reise, welche er, bereits hochbetagt, mit zweien seiner Schüler nach Frankreich unternahm, wurde er zu Vienne, in der Provinz Poitou, im westlichen Frankreich, ergriffen. Man verhörte ihn; der edle Greis beharrte unerschütterlich bei seinem Glauben und starb den Feuertod. Seine Anhänger zerstreuten sich nach dem Dahinscheiden des die Gemeinde zusammenhaltenden Hauptes; seine Lehren aber blieben in den Gemütern zurück, und verbreiteten sich weithin in den Gegenden des Rheines.

So wurde, den neunzehnten Juli des Jahres 1393, in Köln der Benediktinermönch Martin von Mainz besonders wegen seiner Verbindung und Übereinstimmung mit dem Laien Nikolaus von Basel hingerichtet8).

Wahrscheinlich flüchteten sich viele Mitglieder der Baseler Gemeinde auch nach Straßburg, und vereinigten sich mit den hier in stiller Verborgenheit lebenden Glaubensbrüdern. Um das Jahr 1400 wurde in dieser Stadt, wohl gerade durch diese Vergrößerung, eine Sekte entdeckt, die allem Anscheine nach aus Waldensern bestand. Man nannte sie, zufolge einer merkwürdigen Urkunde, welche sich in dem Kirchenarchive zu Straßburg befindet, „Gemeinde der Winkeler;“ ein Name, welcher wohl dieselbe Bedeutung wie „Grubenheimer“ hat, und auf das verborgene Leben der Gemeinde hindeutet. Es war durch die Klugheit geboten, den so gefährlichen Namen „Waldenser“ zu vermeiden, und sich entweder gar keinen gemeinschaftlichen Namen beizulegen oder diesen nach Ort und Zeit möglichst zu verändern, um die steten Nachforschungen der Inquisitoren zu erschweren und irre zu leiten. Die Glaubenslehre der sogenannten Winkeler ist ganz die der Waldenser überhaupt und der im J. 1212 in Straßburg Verurteilten. Auch die Verfassung der Gemeinde ist dem Wesen nach dieselbe. Ihre Vorsteher und Beichtväter wurden vorzugsweise „Winkeler“ genannt. Sie mussten Männer von unbescholtenem Rufe sein, und empfingen ihren Unterhalt durch freiwillige Gaben der Gemeindeglieder. Da sie niemals lange Zeit an demselben Orte sich aufhielten, sondern, als Missionare, von einem Lande in das andere reisten, um die Brüder in der Zerstreuung zu besuchen, so waren sie in der Regel unverheiratet. Sie wurden nach vorangegangener öffentlicher Prüfung von der Gemeinde gewählt, und durften, wenn sie ihr Amt angetreten, weder Güter erwerben noch ein sonstiges Geschäft treiben, welches zu ihrem heiligen Berufe nicht passte. Mehrere solcher Meister kamen zu verschiedenen Zeiten nach Straßburg. Genannt werden uns: Eberhard von Weissenburg, Conrad von Sachsen, Hans Weidenhofer, Salomon von Solothurn. Die beiden Letzteren schwuren ihren Glauben ab; der erstere zu Straßburg, der andere in Wien. Es gab auch Winkelerinnen, welche von besonderer Wichtigkeit waren, um dem evangelischen Glauben bei dem weiblichen Geschlechte Eingang zu verschaffen.

Die Winkeler standen bei ihren Glaubensgenossen in hohem Ansehen. Sie galten als die einzigen wahren Priester, und ihre Ankunft an einem Orte wurde mit einem festlichen Mahle gefeiert, an welchem alle Brüder Anteil nahmen. Während ihrer Abwesenheit besorgte ein Gemeindeglied die geistlichen Verrichtungen. In der Regel beichtete man nur dem Winkeler. In dringenden Fällen jedoch wandte man sich auch an einen Priester der römischen Kirche. Eine von diesem auferlegte Buße wurde aber mit weit geringerer Strenge beobachtet, als diejenige, welche ein rechtmäßiger Meister vorgeschrieben hatte, dessen Absolution man auch als die einzig gültige betrachtete. Die gewöhnlichen Winkeler, d. h. Solche, welche nicht Meister waren, durften die katholische Messe besuchen und die Gebräuche der römischen Kirche mitmachen, um den Verdacht der Inquisitoren nicht zu erregen. Beichtete ein Winkeler einem römischen Priester, so verschwieg er natürlich Alles, was auf seine Ketzerei Bezug hatte. Man nahm es dann auch wohl mit gewissen Notlügen nicht so gar genau.

Unter den Handwerkern und Gewerbsleuten Straßburgs zählte die Gemeinde ihre meisten Mitglieder und Anhänger. Diese standen aber wieder mit Gleichgesinnten in den verschiedensten Gegenden Deutschlands in Verbindung. Nach ihren eigenen gerichtlichen Aussagen hatten sie Brüder zu Nördlingen, Regensburg, Augsburg - wo im J. 1393 auf einmal 280 Ketzer, meist Tuchmacher und Holzarbeiter, gefänglich eingezogen worden waren, - Tischingen in Schwaben, Solothurn, Bern, Weißenburg, Hagenau, Speier, Holzhausen bei Frankfurt a. M., Schwäbisch Wörth, Friedberg, Mainz und sogar in Wien. In Hagenau und Mainz9) hatte die Gemeinde ihre Schulen, zu Offenburg und Lahr eigene Häuser und Herbergen. Straßburg scheint aber der Hauptsitz der waldensischen Winkeler gewesen zu sein. Sie besaßen hier vier Schulen, in welchen man betete, beichtete, aus der Bibel predigte und Unterricht im Glauben erteilte. Außerdem gab es noch andere Versammlungsorte in der Stadt. Aus Furcht vor Entdeckung kamen sie aber immer nur abwechselnd und in geringer Zahl zusammen.

Diese Furcht vor freilich unerbittlichen und grausamen Feinden verleitete nicht bloß zur Verleugnung der Wahrheit, sondern selbst zu eigentlichen Verbrechen, die einen unangenehmen Kontrast bilden zu den sonst so untadeligen Sitten, durch welche sich die Waldenser vor der Welt auszeichneten. In der letzten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, um das Jahr 1374, war der eben erwähnte Meister und Winkeler, Johann Weidenhofer zu Straßburg, zur römischen Kirche übergetreten. Der Inquisitor legte ihm die schwere Buße auf, zu seinen früheren Glaubensgenossen zu gehen und sie zur Abschwörung ihrer Ketzerei zu bewegen. Die Winkeler erhielten davon Kunde; sie versammelten sich eiligst, und drei Jünglinge aus ihrer Mitte verschworen sich zur Ermordung des ihnen nun so gefährlichen Weidenhofer. Die Gemeinde versprach ihnen dafür eine Geldbelohnung. Der Plan kam zur Ausführung. Die drei Verschworenen überfielen den Abgefallenen in der Dunkelheit, und warfen ihn, tödlich verwundet, in einen Graben außerhalb der Stadtmauer. Auf das Geschrei des Sterbenden eilten zwei Knechte zur Hilfe herbei; sie wurden aber alsbald ergriffen, und als Mörder in das Gefängnis geworfen. Unter den Qualen der Folter bekannten die Unschuldigen, jene Tat verübt zu haben und wurden durch das Rad hingerichtet. Die eigentlichen Mörder blieben unentdeckt und erhielten das versprochene Blutgeld. Die ganze Gemeinde der Winkeler aber tat, als des Mordes gleich schuldig, Buße und empfing dann von einem ihrer Meister Absolution für das Geschehene.

Das Schicksal Weidenhofers schreckte die Ketzerrichter, und die Gemeinde bestand nach jenem Ereignisse mehr als zwanzig Jahre ruhig fort; ja sie vergrößerte sich durch Aufnahme fremder Flüchtlinge. Aber diese Erweiterung gereichte nicht zum Glück. Durch die hinzugekommenen Fremdlinge, welche mit den Winkelern in ihrem Glauben nicht immer ganz übereinstimmten, kam Unordnung und Zwietracht in die Gemeinde. Mehrere ihrer einflussreichsten Mitglieder sagten sich teils aus Furcht, teils aus Überzeugung von ihr los; die Geheimnisse der Sekte wurden verraten und die Obrigkeit schritt abermals gegen sie ein. Zweiunddreißig Winkeler wurden ins Gefängnis geführt und gefoltert. Sechsundzwanzig derselben bekannten sich zur Ketzerei, erklärten aber zugleich, dass sie schon früher den katholischen Priestern gebeichtet und Absolution erhalten hätten. Besonders eifrig verwandte sich für die Angeklagten Johannes von Blumstein, der früher selbst der Winkelergemeinde angehörte, und aus einer angesehenen elsässischen Adelsfamilie stammte. Der Urteilsspruch fiel auch, im Vergleich zum früheren Verfahren, gelinde aus. Obgleich die Dominikanermönche verlangten, die Gefangenen sollten mit dem Feuertode bestraft werden, so beschränkte sich der Stadtrat doch darauf, die Angeklagten auf längere oder kürzere Zeit aus Straßburg zu verweisen.

So weit reichen die Nachrichten, welche wir über die Winkeler besitzen. Es ist anzunehmen, dass sie, nach Ausweisung einiger ihrer Glaubensgenossen, sich nicht alsobald aufgelöst, sondern im Stillen noch eine Zeit lang fortbestanden haben. Später schlossen sie sich wahrscheinlich den Hussiten und Böhmischen Brüdern an, die sich in Straßburg, der Schweiz und Deutschland in großer Anzahl verbreitet hatten, und mit welchen die Winkeler sicherlich früher schon in Verbindung gestanden.

Nachdem Johann von Drändorf aus Meißen, im J. 1424, zu Worms; Peter Turnau, im 3. 1426, in Speier verbrannt worden waren, wagte es der Schwabe, Friedrich Reiser, in Straßburg sich niederzulassen, für die Sache des Evangeliums zu wirken und die Reste der Winkelergemeinde zu sammeln. Von mühseligen Reisen zu den Glaubensgenossen in Deutschland, der Schweiz und Böhmen zurückgekehrt, stiftete er hier einen Verein von Gleichgesinnten, welchen er das reine Evangelium verkündigte. Seine Glaubenslehre ist ganz die der Waldenser. besondere behauptete er, wie Jene, dass bereits durch den Papst Sylvester (im J. 314) das Verderben in die Kirche gedrungen sei. Er selbst nannte sich „Friedrich, durch Gottes Gnade Bischof der Gläubigen in der römischen Kirche, welche die Schenkung Constantins verwerfen.10)

Auch dieser kleinen Gemeinde kamen die Dominikaner auf die Spur. Reiser wurde verhaftet, verhört, gefoltert und endlich, den 6. März 1458, mit seiner treuen Freundin und Begleiterin, Anna Weiler, aus Nürnberg, dem Feuertode übergeben. Die meisten Gemeindeglieder flohen aus der Stadt.

Der Kampf gegen die Missbräuche der immer tiefer sinkenden Kirche war damit nicht zu Ende. In dem Todesjahre Friedrich Reisers wurde zu Straßburg Sebastian Brandt geboren, der berühmte Verfasser des „Narrenschiffs“, einer originellen und derben Satire auf die herrschenden Laster und Torheiten.

In demselben Geiste wirkte sein Zeitgenosse Johannes Geiler von Kaisersberg. Dieser geniale Kanzelredner strafte in seinen kernigen Predigten, die er zum Teil über Brandts „Narrenschiff“ hielt, mit dem bittersten Hohne und keckem Freimute die sittliche Entartung seiner Zeit. Im engeren Kreise von Freunden sprach er öfters den Grundsatz aus, das Fundament des Glaubens sei die Bibel allein. Öffentlich aber erklärte er: auch dem Papste kann widersprochen werden, wo er am Glauben fehlen sollte. Denn keinem Kaiser oder Papst ziemt, Statuten zu machen wider das göttliche Gesetz. Tut er's aber, so begeht er Unrecht, und man kann nicht allein sie nicht halten, sondern man ist auch schuldig, sie nicht zu halten. Die Dispensierung des Papstes ist nichts wert, wenn nicht eine vernünftige Ursache da ist; und wenn sie von den Oberen, selbst vom Papste, ohne rechten Grund und genugsame Ursache gegeben worden, ist sie eine schnelle Förderung zur Hölle. Ja, Johannes Geiler trug kein Bedenken, offen auszusprechen: „so kann es nicht bleiben, es muss brechen! Die Religion ist verdorben, Gott wird bald einen Mann erwecken, der sie erneuert.“

Schon war der Mann geboren, der das knechtische Joch wirklich brechen, die Kirche erneuern sollte, und Straßburg war nicht die letzte unter den Städten, welche freudig das große Werk Martin Luthers begrüßten. Die Waldenser aber sind auch hier die Morgensterne des neuen, herrlichen Tages.

1)
So genannt von dem Vorsteher der Sekte, Ortlieb aus Straßburg, welcher von Innocenz III. verdammt wurde, und 1216 starb.
2)
„Es scheinen zwar,“ sagt Neander (a. a. O. S. 822), „mancherlei Sekten gewesen zu sein; die Verbreitung der deutschen Bibelübersetzung und die Lehre von dem allgemeinen Priestertum sind aber wohl Merkmale, welche Waldenser erkennen lassen.“
3)
Kann auch die außerordentliche Verbreitung der Waldenser nicht geleugnet werden, eine Verbreitung, welche in dem Bedürfnisse der Zeit ihren natürlichen Erklärungsgrund findet, so müssen wir doch die Nachrichten, welche sich hierüber, namentlich bei älteren Schriftstellern, finden, mit der größten Vorsicht gebrauchen. Es lag natürlich im Interesse der verfolgten Gemeinde, sich in der Meinung der Menschen eine möglichst große Stärke und Ausdehnung zu geben. Was insbesondere die Verbreitung der Waldenser nach England betrifft, welche auch in neuester Zeit wieder behauptet wurde (Flathe, Geschichte der Vorläufer der Reformation II. S. 155 ff.), so ist dieselbe immerhin noch sehr zweifelhaft. Bei der innigen Verbindung, in welcher England mit Frankreich stand - die Könige von England waren die Lehensherren der Grafen von Toulouse - müssen wir es allerdings für wahrscheinlich halten, dass eine Anzahl der im Süden verfolgten Glaubensgenossen nach dem Norden ausgewandert sei, und eine Zuflucht in England gesucht habe, dessen Könige die blutigen Maßregeln Roms gegen die Ketzer nicht unterstützt hatten. Wirklich kamen, bereits um die Mitte des zwölften Jahrhunderts, Häretiker aus der Gascogne über Deutschland nach England. Aber waren dies gerade Waldenser? Füßlin (Dissertatio de fanaticis seculo XII in Anglia repertis. Bernae 1761), Hahn(I. S. 454) u. A. behaupten, es seien Manichäer, Katharer, Paulicianer, Henricianer gewesen. Leger (I. cap. 2. S. 19) spricht von einem in den Waldensertälern gebornen Lollard, der nach England gekommen sei, und dessen Anhänger dort den Namen Lollardisten erhalten hätten. Nach Anderen (Ch. du Pl. d'Argentré collectio judiciorum de novis erroribus. I. S. 282. Walch, miscell. sacr. HI. S. 674) kam ein gewisser Walter Collard, fünfzig Jahre vor Wiclif, von Frankreich aus mit einigen Brüdern nach England, verbreitete dort die evangelische Lehre, und wurde, i. J. 1322, in Köln verbrannt. Auf dem Festlande, besonders in Antwerpen und Utrecht würden „Lollarden“ die Mitglieder eines Vereins genannt, der sich mit Werken der Wohltätigkeit beschäftigte, und für den Gebrauch der Volkssprache beim Gottesdienste ungemein tätig war. Die Ansicht der meisten Gelehrten hat sich dahin ausgesprochen, dass in England der Name Lollarden, welcher oft zur Bezeichnung eines Ketzers überhaupt diente, den Anhängern Wiclifs beigelegt worden sei.
4)
S. Dr. W. G. Soldan, Geschichte der Hexenprocesse. S. 133. Neander a. a. O. S. 869.
5)
Der Streit zwischen den Stedingern und dem Erzbischof von Bremen war eigentlich nichts weniger als religiöser Natur. Die Ersteren hatten sich durch Widersetzlichkeit dem Erzbischof, welcher in ihrem Gebiete den Zehnten und das Jagdrecht in Anspruch nahm, verhasst gemacht. Um sie aber züchtigen zu können, stellte dieser, nebst Konrad von Marburg, die Stedinger als die schrecklichsten Ketzer dar, und der leichtgläubige Gregor IX. ließ alsbald einen Kreuzzug gegen dieselben predigen. Die deshalb erlassene Bulle, welche die angebliche Ketzerei der Stedinger bezeichnet, gibt uns einen Begriff von den seltsamen Erfindungen der Ketzerrichter und von der Leichtigkeit, mit welcher man in Rom den schnödesten Lügen und lächerlichsten Berichten Glauben schenkte. S. Solday a. O. S. 135 ff.
6)
Eine manichäische Sekte, deren Hauptsitz die Gegend von Mailand war. S. Hahn, Geschichte der neumanichäischen Ketzer. I. S. 50. Gieseler, Kirchengeschichte II, 2. S. 504.
7)
Besonders zu Hall in Schwaben traten die Häretiker mit keckem Mute hervor. Ob sie gerade Waldenser waren, ist zweifelhaft. S. Neander a. a. O. S. 822.
8)
Die Sentenz gegen Martin von Mainz findet sich bei Schmidt, Joh. Tauler. Beilage 6. S. 237.
9)
In Mainz wurden, im J. 1395, auf Befehl des Erzbischofs Conrad von Weinsperg, sechsunddreißig Waldenser verbrannt. S. Röhrig a. a. O. S. 150.
10)
Nach einer sicherlich erdichteten Urkunde, welche sich in den sogenannten Dekretalen des falschen Isidor (einer Sammlung angeblicher Beschlüsse und Anordnungen römischer Bischöfe, vom Ende des ersten bis zum Anfange des siebten Jahrhunderts) befindet, hätte Kaiser Constantin der Große dem römischen Bischofe, Sylvester I., die Stadt Rom und alle Provinzen, Orte und Städte Italiens und der westlichen Reiche übergeben und überlassen. S. Münch über die Schenkung Constantins, Freiburg 1824. Gieseler, Lehrbuch der Kirchengeschichte. II. 1. S. 146 ff.
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autoren/b/bender_ferdinand/waldenser/waldenser-kapitel_7.txt · Zuletzt geändert: von aj
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