Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Zweite Predigt. Die Berufung zum Dienste Gottes.
1 Sam. 9, 15-27.
Wir haben am vorletzten Sonntag angefangen, die Geschichte König Sauls, sein Leben und Leiden im Dienst Gottes uns zur Lehre, zur Ermahnung, zur Tröstung, zur Warnung, zur ernsten Selbstbestrafung vorzuhalten. Er erschien uns als der junge, feine Mann, eines Hauptes länger, als alles Volk, der feinste in Israel, mit solchen irdischen Gaben und Vorzügen ausgestattet, die wohl geeignet waren, den Hochmut zu wecken. Aber wir sahen, wie er die erste Probe bestand, wie er in stillem, demütigem Gehorsam die verlorenen Eselinnen suchte, ohne bei dieser ruhmlosen Arbeit sich mit dem hoffärtigen Gedanken zu quälen: „Ich bin zu etwas Besserem tüchtig!“ Danach mussten wir die wunderlichen Wege Gottes anstaunen, der auch diese treue, demütige Arbeit gänzlich vergebens sein ließ. Aber bald offenbarte sich unsern Augen, was Gott im Rate gehabt. Saul sollte, zwar nicht durch einen Engel, sondern nur durch seinen Knaben, durch wasserschöpfende Dirnlein zu Samuel, dem Seher Gottes, hingeführt werden, um hier mit der Offenbarung Gottes ein viel tausendmal köstlicheres Gut zu finden, als er suchte. Wenden wir uns nun zur näheren Betrachtung dieses Gutes. Es ist
Die Berufung zum Dienste Gottes.
Die Geschichte von der Berufung Sauls führt uns drei Punkte vor Augen:
I. Welchen überschwänglichen Segen der Gehorsam hat die Berufung zum Dienst Gottes.
II. Welche große Gefahr in diesem Segen versteckt liegt - die eitle Selbstüberhebung wegen dieser Berufung.
III. Zu welchem seligen Stillehalten die überwundene Gefahr führt zur Vollbereitung für den Beruf.
I.
Wir haben Saul verlassen, als er an dem Wasserbrunnen vorbei den Weg hinauf in die unbekannte Stadt, zu dem unbekannten Manne ging. Sein Herz war noch voller Betrübnis, dass all' seine Arbeit verloren und der Auftrag, den der Vater ihm gegeben hatte, noch unausgeführt war. Er sah mit seinen kurzsichtigen Augen noch nicht, wo das hinaus sollte. Zwar ging er auf den Antrieb seines Begleiters zum Seher Gottes, dass er dort sich Rat holte. „Aber wird der auch,“ mag sein Herz gefragt haben, „dich armen, jungen Menschen aus Benjamin, der ohne Empfehlung, arm und leer kommt, anhören? Ist er nicht ein berühmter Mann Gottes? strömt nicht viel Volks zu ihm? wird er da dich vor sich lassen? dir auch nur die Tür öffnen?“ In solchen bekümmerten Gedanken etwa ging er seines Wegs. Lassen wir ihn. Es hatte ein anderer schon für ihn an Samuels Tür geklopft, dem, wenn er anklopft, so leicht Niemand die Tür verriegelt hält. Es hatte ein anderer seine Ankunft längst gemeldet, und eine Aufnahme ihm bereitet, wie Niemand sonst sie einem Menschen bereiten kann. Und dieser Bote, der vor Saul, ohne dass er's wusste, Wege bahnend, Türe öffnend, herging, es war kein Geringerer, als der allmächtige Gott selber. Denn der Herr hatte Samuel seinen Ohren geoffenbart einen Tag zuvor, ehe denn Saul kam und gesagt: „Morgen, um diese Zeit will ich einen Mann zu dir senden aus dem Lande Benjamin; den sollst du zum Fürsten salben über mein Volk Israel, dass er mein Volk erlöse von der Philister Hand. Denn ich habe mein Volk angesehen, und sein Geschrei ist vor mich gekommen.“ Zur Zeit, die Gott so bestimmt angegeben hatte, ging Samuel am folgenden Tage heraus, seinem Gaste entgegen. Er sah aus der Ferne einen jungen, feinen, aber im Herzen betrübten Mann den Hügel hinaufkommen, stand still, schaute ihn betrachtend an und fragte sich in seinem Herzen: „Ist das der Angemeldete?“ Da antwortete ihm der Herr: „Siehe, das ist der Mann, von dem ich dir gesagt habe, dass er über mein Volk herrsche!“ Da als Gott Alles vorbereitet hatte da trat Saul zu Samuel unter dem Tor, und in seiner ungewissen, bekümmerten Seelenstimmung, die Ihr kennt, fragte er: „Sage mir, wo ist hier des Sehers Haus?“
„Ich bin der Seher!“ Welch plötzlicher heller Sonnenblick dringt da durch die trüben Wolken am Himmel Sauls! Aber ehe sein Herz die fröhliche Überraschung noch kund tun kann, fällt Lichtstrahl auf Lichtstrahl in sein Auge. „Gehe vor mir hinauf auf die Höhe,“ gebietet der Seher, „denn ihr sollt heute mit mir essen!“ Welche Ehre, welche Liebe, welches Zuvorkommen von dem berühmten Manne Gottes gegen den armen Fremdling aus Benjamin! Aber immer mehr noch! „Alles, was in deinem Herzen ist, will ich dir sagen.“ Was für ein Trost! Immer süßer klingt des Sehers Mund. „Und um die Eselinnen, die du vor dreien Tagen verloren hast, bekümmere dich jetzt nicht; sie sind gefunden!“ Welche Überraschung, Beschämung Freude! Aber noch nicht genug. Das Größte und Herrlichste ist noch dahinten. „Und wes wird sein Alles, was das Beste in Israel? Wird's nicht dein und deines Vaters ganzen Hauses sein?“ Was soll er antworten? Eselinnen gesucht und das Beste in Israel, den Dienst des Herrn, ein Königreich gefunden! Hätte er das jemals ahnen können? War das nicht buchstäblich über Bitten und Verstehen? Siehe, so hoch gehen die Wogen der überschwänglichen Liebe Gottes! so wird der Mann gesegnet, der im stillen, schweigenden, demütigen, fröhlichen Gehorsam das Werk tut, das seiner Hand befohlen ist. Ich habe erst in der letzten Predigt von diesem Gehorsam ein Mehreres gesagt. Ich will heute nicht von neuem dazu ermahnen; aber ich möchte durch Vorhaltung des Segens und Gnadenlohnes, den Gott darauf gesetzt hat, euch zu ihm hinlocken.
Ich weiß es wohl, es ist ein schweres Ding um diesen Gehorsam besonders wenn's ein sogenannter blinder Gehorsam sein muss, d. h. einer, bei dem man das Warum? nicht einsehen kann oder will, bei dem Ziel und Zweck uns in Dunkel gehüllt oder töricht erscheinen. Dieser Gehorsam ist auch nur dadurch, dass man leidet, zu lernen. So war's bei Saul; selbst bei deinem Herrn war's nicht anders. Denke du nicht, dass derselbe ohne Leid, ohne Brechen des törichten Eigenwillens zu erlangen sei. Aber leide ohne Scheu, leide gern! Bekümmere dich nicht, wozu es nütze, was dir dein Gott zu tun oder zu tragen auferlegt hat? wie dein Ausharren in der angewiesenen Arbeit der Reichssache förderlich sei? warum du, gerade du sie vollenden müssest, und gerade so sie vollenden? Wenn du noch bekümmert fragst: Wie? und Warum? hat Gott längst seinen Rat beschlossen, seine Mittel gewählt und Alles bereitet, es herrlich hinauszuführen, dass du dich noch musst entsetzen vor allem dem Guten, das er über dich ausschüttet, wie die Wolken über ein dürres Land. Das ist immerdar seine Weise mit den Menschenkindern von ihrem ersten Atemzuge an bis zum letzten. Kennst du nicht den schönen Vers von Paul Gerhard:
Die Windeln, die dich allgemach
Umfingen in der Wiegen,
Dein Bettlein, Kammer, Stub und Dach,
Und wo du solltest liegen:
Das war schon Alles zugericht',
Eh' noch dein Aug' und Angesicht
Ausblickte, dass es sehe,
Was in der Welt geschehe.
Und wer auch den Vers nicht kennt, an dem hat doch Gottes Liebe getan, was drin steht. Sei still und gehorsam, wie ein Kind, das Gott aus Mutterleibe zieht und es nackend, hilflos, elend in eine ganz fremde Welt wirft. Und wüsstest du auch nicht, wohin er dich zöge, in welche Wüste er dich würfe - lass still und gehorsam dich werfen, wohin er dich werfen will! Was gilts, er wird dich an einen Ort werfen, der von ihm für dich längst bereitet ist, wie dem Kindlein die Wiege, dem Benjaminiten Saul das Herz und Haus Samuels! Das sind aber nicht die einzigen Beispiele, die ich anführen kann. Abraham, der Vater der Gläubigen, hat das auch schon erfahren. Als Gott zu ihm sprach: „Nimm Isaak, deinen einigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija, und opfere ihn daselbst zum Brandopfer!“ Da wusst' er auch nicht: „wie? und „warum?“ Da hätt er auch fragen mögen: „Was soll denn werden mit der Welt, wenn er dahin ist, durch den sie soll gesegnet werden!“ da hätt er auch sagen mögen: „Aus Liebe zu der armen Welt, aus Fürsorge für die Sache Gottes will ich Isaak schonen!“ Er hat aber nicht also gefragt und gesagt, sondern er ging hin, still, schweigend, demütig gehorsam, und wenn freilich nicht fröhlich, doch geduldig und im Glauben, und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da war aber der Engel des Herrn schon da und hatte den Widder zum Opfer hergeführt, und welchen Segen er für Abraham bereit hielt, das weißt du, denn du zehrst selbst noch von diesem Segen. Aber was der Herr als Quelle des Segens dem Abraham nannte, daran muss ich dich noch erinnern: „Darum, dass Du meiner Stimme gehorcht hast!“ - Willst du noch ein Beispiel, so siehe das kananäische Weiblein dir an. Da der Meister im Helfen vor ihrem Geschrei schwieg, da er selbst den Bitten der Jünger eine abschlägige Antwort gab, da er endlich das Weiblein nicht undeutlich mit einem Hündlein verglich, hatte er nicht doch schon Alles bereit für das Weib, weil sie im Gehorsam sich seinem Wort Hündlein unterwarf und sprach: „Ja!“ Und als die Weiber am Morgen, da der Herr auferstanden war, zum Grabe gingen und bekümmert sprachen: „Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Türe?“ war er nicht schon abgewälzt? Aber würden sie des froh geworden sein, wenn sie nicht im Gehorsam der Liebe bis zum Grabe gegangen wären, auch ohne zu wissen, wie sie ihr Werk ausrichten könnten? Und ist dir diese dreifältige Schnur noch nicht stark genug, so nimm noch eine vierte hinzu, dass dein Glaube in diesem Punkt fürder nicht zerreiße. Da der Engel des Herrn zu Philippo sprach: „Stehe auf und gehe gegen Mittag auf die Straße, die da wüste ist!“ hätte er nicht auch sagen mögen: Wie, aus diesem Arbeitsfeld in den samaritischen Flecken, wo ich mit so vielem Segen und so großer Freudigkeit gearbeitet habe, soll ich hinausgehen auf eine Straße, die wüste liegt? wo kein Menschenfuß wandelt, wo ich für mein Amt doch keine Arbeit finde? Aber er sagte nicht so, sondern er stand auf und ging hin. Welchen herrlichen Fischzug fürs Reich Gottes er in Folge dieses Gehorsams auf der wüsten Straße getan hat, brauch' ich euch nicht zu sagen. Diese alle haben das ist der Lohn des gläubigen Gehorsams mehr empfangen, als ihr Herz verlangte, als ihre Hoffnung ahnte, als Aug und Ohr je gesehen und gehört, als ihre Erkenntnis verstand als ihr Gebet erflehte.
Nun sagt mir, gibt solche Aussicht in das herrliche Ende der Wege Gottes nicht frischen, fröhlichen Mut zu jenem schweigenden Gehorsam, der Fleisch und Blut so sauer ankommt? Ich möchte euch noch mehr Mut machen. Darum wisst auch dies, dass Saul nicht der einzige gewesen ist, der Eselinnen suchend das Beste in Israel, ein Königreich, gefunden hat. Auf dieser Leiter sind alle Heiligen aus der Niedrigkeit in die Höhe gestiegen. Rebecca, die Tochter des reichen Hirtenfürsten, hat die müden Kamele eines Fremdlings getränkt, und hat dabei den Isaak gefunden, und mit ihm ihr Plätzlein in der Heiligen Familie Gottes. Ruth hat Ähren gelesen auf des Boas Felde für ihre Mutter, da sie's daheim doch viel leichter und besser hätte haben möge. Dabei hat sie das Beste gefunden für Zeit und Ewigkeit, denn, wiewohl eine Heidin, ward sie beigezählt dem Volke Gottes und als des Boas Weib die Stammmutter des Herrn. David ist hinter den Schafhürden weggeholt, für die sich seine sieben großen Brüder zu gut hielten. Naeman hat sich im Gehorsam gegen Gottes Wort siebenmal in den Jordan getaucht, wiewohl das seiner Ehre etwas zu nahe getreten schien; er hat aber Gesundheit vom Aussatz und dabei den lebendigen Gott gefunden. Der Blindgeborne musste hingehen zum Teich Siloha und sich waschen. Er fand das Licht der Augen und das Licht der Welt. Dies ist auch der Weg, den unser Meister selbst gegangen ist. Bei seinem Gehorsam, der ihn bis zur Knechtsgestalt, bis zum Tod am Kreuz erniedrigte, hat er den Thron zur Rechten seines Vaters und die Herrschaft der Welt gefunden!
„Hör' auf!“ ruft ihr mir zu, „diese Kette von Zeugen ist stark genug, uns aus dem hoffärtigen, Gott widerstrebenden Eigenwillen zum stillen, demütigen Gehorsam hinzuziehen.“ Ihr habt Recht. Sie ist stark genug. Sie hat viele Tausend in die Niedrigkeit und den Gehorsam gezogen, wo sie ihres Herzens Wunsch, wo sie das Beste gefunden haben, was es gibt im Himmel und auf Erden. Dann werden auch Etliche von uns Zeugnis geben können und bekennen müssen: „Da ich auf selbstgewählten Wegen das Heil suchte, habe ich nichts gefunden, als viel vergebliche Unruhe und arge Selbstpeinigung. Als ich mich aber endlich nach langem Widerbellen dazu bequemte, da, wo mich Gott hingestellt, auszuharren; so, wie er mich führte, schweigend zu gehen; und so wie er mich züchtigte, still zu halten: da fiel mir Ungeahntes in den Schoß, das, was ich jetzt mein Bestes nenne, die Ruhe und der Friede in meinem Amt, die Freude an meinem Werk, die Zufriedenheit mit Gottes Wegen, und über das Alles das ewige Königreich, also dass ich nunmehr auch aus der Erfahrung sprechen kann: „Mir ist das Los gefallen aufs liebliche; mir ist ein schön Erbteil geworden!“ Wer das erfahren, der übe sich noch mehr im Gehorsam, damit er's noch reichlicher erfahre, damit der Seher immer überraschender ihm entgegentrete und sage: „Wes wird sein Alles, das das Beste ist in Israel? Ist es nicht des, der im Gehorsam wandelt und in der Niedrigkeit!“ Wer's noch nimmer erfahren, der lasse sich endlich zum Gehorsam reizen, damit er auch des Segens teilhaftig werde. Er lasse sich warnen durch Thomä Beispiel und der Emmausjünger. Wie viel Betrübnis wär' denen erspart worden, wenn sie in Gottes Wege, die ihnen doch offenbart waren, demütig und gehorsam sich hätten fügen können. Als sie noch jammerten: „Es ist Alles aus!“ da war längst Alles vollendet. Siehe, das Alles ist dir so oft schon gesagt,
Und dennoch soll dein Angesicht
Dein ganzes Leben führen;
Du traust und glaubest weiter nicht,
Als was die Augen spüren.
Was du beginnst, da soll allein
Dein Kopf dein Licht, dein Meister sein;
Was der nicht auserkoren,
Das hältst du für verloren.
Es ist wahr, wenn du deine Vernunft unter den Gehorsam des Glaubens gefangen zu nehmen begehrst, musst du mit Seufzen wohl noch manch' liebes Mal anstimmen :
Ach, wie so oftmals schweigt er still,
Und tut doch, was uns nützet,
Da unterdessen unser Will'
Und Herz in Ängsten sitzet;
Sucht hier und da und findet nichts,
Will sehen und mangelt doch des Lichts,
Will aus der Angst sich winden,
Und kann den Weg nicht finden.
Wenn du aber nicht müde wirst im Gehorsam, sondern in Geduld ausharrst bis ans Ende, kommst du, ebenso wohl wie Paul Gerhard, mit fröhlichem Herzen auch noch an diesen Vers:
Gott aber geht gerade fort
Auf seinen weisen Wegen,
Er geht und bringt uns an den Port,
Da Sturm und Wind sich legen.
Hernachmals, wenn das Werk geschehn,
Da kann der Mensch alsdann erst sehn,
Was der, so ihn regieret,
In seinem Rat geführt.
Darum lasst mich's noch einmal sagen: Der Gehorsam hat seinen großen, nie ausbleibenden Segen. Aber dieser Segen hat doch auch seine Gefahr. Lasst uns das auch sehen!
II.
Kaum hatte Samuel dem Sohne Kis die großen Verheißungen gegeben, die alle seine Begriffe und seine Ahnungen übersteigen, da wird sofort etwas von den Verheißungen auch schon verwirklicht. Der Seher, der berühmte Mann, nimmt ihn bei der Hand, führt ihn in die Esslaube, wo die Alten und die Angesehenen der Stadt versammelt sind, bei dreißig Mann, und setzt ihn oben an, wie er war, in seinem niedrigen und staubigen Rock. Dann befiehlt Samuel dem Koch: „Gib her das Stück, das ich dir gab und befahl, du solltest es bei dir behalten.“ Und der Koch brachte nicht den Rest der Tafel, er brachte das beste Stück und legte es Saul vor, und Samuel sagte noch öffentlich: „Das ist für dich ganz besonders behalten!“ Nehmt diese große Ehre noch hinzu zu der großen Verheißung, die ihr schon kennt und ihr werdet's begreifen, warum ich gesagt habe, es sei eine Gefahr bei dem Segen gewesen. Bedenkt nur! Der unbekannte Jüngling vom Lande kommt zum ersten Mal vielleicht über seines Vaters Acker hinaus, da wird er von dem unter der Ehre schon ergrauten Seher Gottes öffentlich mit solcher Hochachtung und Anerkennung überschüttet, als einem Unterpfand jener noch größeren Ehre, die ihm in der Zukunft noch verheißen war, und Alles des Besten in ganz Israel. Wahrlich, die Gefahr ist hier eben so groß, als der Segen. Du dürftest dich nicht verwundern, wenn Sauls Demut, die an solche Versuchung nicht gewöhnt war, erlegen; wenn er mit anderen Meinungen von seiner Würde und Bedeutung, mit anderen Plänen für seine Zukunft heimgekehrt wäre, als er mit hinausgenommen hatte. Denn es ist nichts schwerer zu tragen als eine Erhebung aus dem Stand, darin Einer geboren ist, noch dazu eine so unverhoffte und unverdiente. Denn nicht umsonst sagt die Schrift (Spr. 30, 22), dass unter den vier Dingen, die ein Land unruhig machen, eines sei „ein Knecht, wenn er König wird.“
Mit welchen Waffen ist Saul dieser Gefahr entgegengetreten? Mit der einzigen, die er hatte, mit seiner Demut. Dieselbige ließ ihn der großen Gaben anfänglich nicht einmal froh werden. Sie hielt ihn in einer heiligen Furcht, dass er der ganzen Länge und Breite und Höhe und Tiefe, mit einem Worte der ganzen Bedeutung der göttlichen Verheißung kaum weiter nachzuspüren wagte. Sie verschloss ihm die Augen, als Samuel ihm einen Spiegel vorhielt mit einem stattlichen Bilde darinnen und gleichsam sagte: „Siehe, das bist du!“ Er wendete sich erschreckt ab. „Bin ich nicht ein Sohn von Jemini und von den geringsten Stämmen Israels, und mein Geschlecht das kleinste unter allen Geschlechtern der Stämme Benjamins? Warum sagst du denn mir solches?“ Warum hältst du meiner Seele ein verführerisches Zauberbild von Ehre und Größe vor, die mir nimmer gebührt, an der ich meine Sinne nicht weiden, an die ich nicht von ferne einmal nur mit einem Gedanken denken darf? Du kennst nun die Waffe, womit Saul die gefährliche Versuchung zur Selbstüberhebung überwunden hat. Der große Segen Gottes drückte ihn in den Staub, machte ihn schamrot, ließ keinen eitlen Gedanken aufkommen. Die Erhöhung machte ihm seine Niedrigkeit nur noch klarer, nur noch empfindlicher. Darum ist er als derselbe demütige Jüngling nach Hause gekommen, wie er ausgegangen war. Er ließ Niemanden merken, was vorgefallen, erzählte nichts vom Königtum, auch seinem eigenen Vater nicht.
Soll ich neben dieses Bild noch ein zweites stellen, herrlicher noch, als das erste, damit wir desto besser lernen, gegen die Versuchung, welche auch in der Gnade Gottes an uns heran tritt, desto siegreicher zu streiten? Als der Engel zu Maria trat und sprach: „Gegrüßt seist du, Holdselige; der Herr ist mit dir, du Gebenedeite unter den Weibern!“ da erschrak sie über seine Rede und gedachte: „Welch' ein Gruß ist das!“ Und als die Rede des Engels immer höher ging bis zur Überschattung durch den heiligen Geist, da wagte auch sie nicht, der Größe solcher Verheißung nachzudenken, und da sie ihr noch weniger widerstreben konnte, hatte sie nichts, als jenes Wort, das aus der Demut und dem Gehorsam geboren ist: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast!“ Darum hat auch die überschwängliche Gnade ihre Sinne nicht mit seinem Stolze und eitler Selbstüberhebung berauschen können.
Ach! wie ist das doch so ganz anders bei uns. Uns braucht freilich vor solcher Ehre und Erhebung in unserm Beruf nicht bange zu sein; denn sie wird uns Gott Lob! nimmer zu Teil werden, wenn wir's gleich gern möchten. Aber umso trauriger nur ist's, dass wir uns durch viel weniger so über die Maße leicht und schnell aufblähen lassen. Wie die Pflanze nach Luft und Licht lechzt, so lechzt der alte Adam nach Lob, Ehre, Ansehen, Beifall, Anerkennung. Wenn er von Gott auch in die tiefste Grube der Niedrigkeit hinabgestoßen ist, wo ihm nur von ferne her der matteste Schimmer von einem Irrlicht der Ehre bei Menschen, nicht bei gottlosen, sondern bei frommen, wieder hereindämmert, gleich strebt auch die Hoffart von neuem danach empor.
Es hat vielleicht Einer zu dir oder mir einmal gesagt: „Du passtest wohl hierzu, oder dafür hast du eine besondere Gabe!“ alsobald ist uns der Kopf von den absonderlichsten Plänen und herrlichsten Luftschlössern angefüllt. Ein Körnchen Weihrauch brauchte den Götzen nur gestreut zu werden, sofort waren die Christen ihre Diener, und nicht mehr Jesu Jünger. Ein Körnchen des süßduftenden Weihrauchs nur braucht dem Götzen der Eitelkeit in uns geopfert zu werden, sofort sind wir in seiner Gewalt, und unser Geist ist gefährlich umnebelt. Und wenn wir nicht etwa reden, wie Nebukadnezar: „Ich will in den Himmel steigen, und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen!“ so fliegen wir doch wahrlich noch viel zu hoch, als dass Menschenflügel solchen Flug ertragen könnten. Belausche nur Jeder sich selbst, wenn etwa eine Ehre, eine Anerkennung ihm zu Teil wird. O, wie tut das dem alten Menschen so wohl! wie wächst er davon so rasch an! Ist doch schon mancher, der im Schatten und der Niedrigkeit still und gehorsam blieb, schwindlig geworden, als er auf eine nur recht mäßige Höhe gestellt wurde, wo ihm eine etwas verantwortungsvollere Arbeit anvertraut, oder ein wenig Auszeichnung zu Teil ward. Hat nicht Ähnliches Joseph erlebt, als er den bunten Rock erhielt, den Flitter, wie er Kindern zukommt? Wie hub er sich sofort über seine Brüder, dass er in allen Stücken ihr Ankläger ward! Und als ihm nun sogar träumte, was für große Dinge Gott in der Zukunft für ihn bereitet hatte, wie brüstete er sich mit feinem, aber doch verletzendem Hochmut nicht nur gegen sie, sondern selbst gegen seine Eltern! Darum hat ihn Gott auch in den Schmelzofen geworfen. Es ist unglaublich, wie tief diese böse Wurzel des Hochmuts in uns sitzt. Unser Inneres ist zu vergleichen mit den großen Wüsten Südafrikas. Wenn die Sonne dort lange gebrannt hat, so sieht man weit und breit keine lebendige Faser mehr. Man sollte nicht anders denken, denn sie seien in der Hitze ganz und gar verdorrt. Nur ein günstiger Regen - plötzlich schlagen die Wurzeln aus, alles ist wieder grün. Wenn die Hitze der Anfechtung uns lange beschienen hat, meint auch wohl manch Einer, jegliche Faser der Eitelkeit sei ihm verdorrt. Aber nur ein Tag, der dem Wachstum der schädlichen Wurzel günstig ist, und der Gottesacker ist wieder überwuchert mit dem Unkraut des Hochmuts.
Wär's bei Saul so gewesen, er würde, wie mir scheint, von Gott seinem Beruf nicht näher entgegen geführt sein. Merke nun: Demütig werden ist schwer; aber demütig bleiben doch viel hundertmal schwerer, und doch ohne die bleibende Demut wird Niemand von seinem Herrn für seinen Beruf vollbereitet. Lasst uns sehen, worin diese Vollbereitung bestehe.
III.
Saul hatte durch die Ehre sich nicht blenden lassen. Darum richtete der Seher das Werk Gottes an ihm weiter aus. Da sie nämlich am Abend dieses Tages wieder in Samuels Haus zurückgingen, „redete Samuel mit Saul auf dem Dache.“ Die flachen Dächer des Morgenlandes dienten dazu, sich vom Geräusch des Tages und der Straßen in die stille Einsamkeit zurückzuziehen, um dort mit seinem Freunde zu sprechen, wenn man etwas auf dem Herzen hatte; oder mit ihm Rats zu pflegen, wenn man dessen bedurfte. Dort nun redete auch Samuel mit Saul in der Stille des Abends oder der Nacht. Was die beiden miteinander geredet haben, steht nicht da. Ist's etwa so wenig gewesen, oder so gleichgültig, dass es des Erzählens nicht wert war? Gewiss, das ist nicht der Grund des Schweigens. Was brauchte die Unterredung noch erzählt zu werden, da wir doch nicht zweifeln können, über welche Dinge sie gesprochen haben? Wovon sollten sie anders reden, als was ihre ganze Seele füllte, von dem Besten in Israel, was Sauls werden sollte? Was war dieses Beste? Saul wusste es noch nicht. Es war ihm nur im Allgemeinen Hohes und Großes verheißen. Da er nicht nur demütig geblieben, sondern noch demütiger geworden war, hatte er die Reife erlangt, in der Stille die Größe des Verheißenen näher zu schauen und klarer zu erkennen. Davon wird Samuel zu Saul geredet haben, und wie dieser Beruf könnte treulich ausgefüllt werden, und welche Last er mit sich bringe und welche Lust, welche Gefahren dazu, und wo der Schutz zu suchen sei. Meinst du nicht auch, dass solche ernste Unterredung in der Stille und Einsamkeit sehr nötig gewesen sei? Wie lange sie so miteinander gesprochen haben, weiß ich nicht. Aber Samuel ließ dann Saul noch allein auf dem Dache, dass er nachdenken könne über alles das, was er am vergangenen Tage Reiches erlebt und Großes gelernt hatte. Des Morgens frühe mit der Morgenröte rief Samuel den Saul wieder vom Dache, ging mit ihm durch die Stadt, ließ den Knaben vorhin gehen, und als er mit Saul allein war, sprach er zu ihm: „Du aber stehe jetzt stille, dass ich dir kund tue, was Gott gesagt hat.“ Noch einmal waren sie allein, noch einmal musste Saul stille stehen, ehe er erfahren konnte, was Gott gesagt. Merke daraus: es geht nicht sofort nach den Beweisen der Demut in den Beruf, sondern erst geht's zweimal und öfter in die Stille, um zu demselben vorbereitet zu werden. In die Stille, wo Gott den Menschen allein nimmt! Geliebte, das ist der Weg in den Beruf, in die ernste Werktätigkeit der Liebe hinein. Der Weg ist von je von allen Knechten und Mägden Gottes gewandelt. Den Taubstummen nahm Christus allein und besonders von dem Volk. Maria von Bethanien saß in der Stille zu Jesu Füßen. Maria, die Mutter des Herrn, verbarg sich nach der unfassbar großen Verheißung drei Monate in der Einsamkeit des Gebirges bei ihrer alten, erfahrenen Freundin Elisabeth. Johannes der Täufer war in der Wüste, ehe er hervortrat vor das Volk. Paulus war nach seiner gründlichen Umwandlung Jahre lang in Arabien, dann in Tarsus, entfernt von den Christen, ehe er von Gott für vollbereitet für das Amt erachtet wurde. Er selbst, der Erlöser der Welt, war dreißig Jahre stille in Nazareth, und hernach vierzig Tage in der Wüste, ehe das Werk beginnen konnte, dazu er in diese Welt gekommen war.
Bilde dir nicht ein, du könntest dieses Weges überhoben sein. „Sage dem Knaben, dass er vor uns hingehe!“ Und du auch sage zu allem, was dich begleitet, und ob's auch Lieblingsgefährten wären: „Gehet hinaus, dass ich mit meinem Herrn allein sei!“ Weißt du auch im Allgemeinen schon, was Hohes dir Gott dein Herr bestimmt hat, du musst es in der einsamen Unterredung mit ihm doch erst noch tiefer durchschauen, genauer erkennen. Von Klarheit musst du in Klarheit gehen, in immer tiefere Tiefen, in immer höhere Höhen des Verständnisses der göttlichen Verheißungen steigen. Darum lasse dir noch einmal raten, und heiße fleißig Alles, was dich stört, hinausgehen. Du selbst aber stehe still! still in deinen Lieblings-Meinungen und Neigungen und Bestrebungen, dass dir kund werde, was Gott dir zu sagen habe. Murre nicht, wenn du rechts und links Viele rennen und laufen siehst, dich aber dein Meister besonders und allein vom Volk nimmt oder mit großem Ernste dir in den Weg tritt und gebietet: „Du aber stehe stille!“ Murre nicht! sage ich noch einmal. Der dich stille stehen heißt, hat Großes mit dir im Sinne, noch Größeres und Höheres und Erquickenderes und Belebenderes, als du bereits erfahren hast.
Was das sei? Mein Mund muss für heute davon noch schweigen. Auch unser Text schweigt davon. Das Kapitel bricht plötzlich ab, gerade da, wo wir in der erwartungsvollen Spannung sind. Warum? um nichts anders, als uns im Stillhalten zu üben. Es ist genug, dass wir den Zweck des Stillhaltens schon wissen, nämlich den, dass uns darin der heimliche Rat Gottes offenbar werden soll. Wer will da in Ungeduld entlaufen? Harre, wie Saul; so wirst du empfangen, was er empfing.
Und zum Schlusse sage ich in einem andern Sinne noch einmal: Stehe still, schaue das Bild Sauls an, wie es dir aus der heutigen Geschichte entgegengetreten ist, und vergleiche damit Sauls Ende. Hörst du die Stimme Christi nicht gewaltiger noch als zu Anfang, durch deine Seele dringen: „Halte, was du hast, dass Niemand deine Krone nehme!“