Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Dritte Predigt. Die Salbung zum Königsamte.
1 Sam. 10, 1-11.
Ich habe meine letzte Predigt gerade da schließen müssen, wo eures Herzens Lust, die seligen Geheimnisse Gottes zu schauen, aufs Höchste gestiegen war. Wenn eure Sehnsucht, wie es denn mir billig ist, also von euch zu denken, in der Arbeit der verflossenen Tage nicht lauer geworden ist, so will ich mein Amt preisen, welches mir heute die süße Last auferlegt, die Offenbarung der herrlichen Verheißung Gottes euch schauen zu lassen. Eins nur bitte ich vom Herrn, dass er mein Herz einfältig mache, dass ich nicht eigene Phantasien, sondern das allein euch zeige, was er bei seinem Licht aus seinem heiligen Wort zu erkennen mich gewürdigt hat. Euch aber gebe er erleuchtete Augen eures Verständnisses, das ihr erkennen möget, welche da sei die Hoffnung eures Berufs, und welcher da sei der Reichtum seines herrlichen Erbes an seinen Heiligen, und welche da sei die überschwängliche Größe seiner Kraft an uns, die wir glauben!
Aber damit ich euch nun sogleich in das helle Licht seiner Liebe hineinführe, lasst mich den Inhalt und die Bedeutung unserer heutigen Geschichte in wenige Worte zusammenfassen. Sie zeigt uns
Die Salbung zum Königsamte,
und lehrt uns über dieselbe zweierlei :
I. Diese Salbung geschieht an denen, die ihrem Gott still halten, zwar wirklich und wahrhaftig, doch aber erst auf Hoffnung.
II. Und ob sie auch nur auf Hoffnung geschieht, so wird sie doch bezeugt durch mitfolgende, göttliche Zeichen.
I.
Samuel war einen Teil der Nacht mit Saul allein auf dem Dache gewesen, und hatte Auge in Auge mit ihm geredet über seine Berufung. Das muss eine Unterredung gewesen sein, welche die tiefsten Saiten in Sauls innerem Leben angeschlagen hat. Da müssen die Worte aus Samuels Munde heiß wie Feuerkohlen, in seine Seele gefallen sein, dann hell wie leuchtende Blitze, dann süß wie Honig, oder sanft wie Öl, dann wieder scharf und durchdringend wie kein zweischneidiges Schwert. Der hat eine Ahnung von solchem Zwiegespräch, den sein Vater einmal oder seine Mutter in einer bedeutungsvollen Stunde mit sich allein auf das stille Zimmer genommen und dort Stirn gegen Stirn mit dem heiligen Ernste der Liebe zu ihm geredet hat von allem Höchsten, was eine Menschenbrust bewegt, von der schweren Bedeutung unsers irdischen Pilgerlaufs und seinem leuchtenden Ziele, aber auch von den verborgenen, dunklen Untiefen des menschlichen Herzens und von den giftigen Schlangen, die innen und außen schleichen. So hatte Samuel zu Saul geredet. Den übrigen Teil der Nacht hatte er ihn auf dem Dache allein gelassen. Das, denke ich mir, ist eine Nacht gewesen, wie sie Eliphas dem Hiob beschreibt: „Zu mir ist gekommen ein heimliches Wort, und mein Ohr hat ein Wörtlein aus demselben empfangen. Da ich Gesichte betrachtete in der Nacht, wenn der Schlaf auf die Leute fällt, da kam mich Furcht und Zittern an, und alle meine Gebeine erschraken. Und da der Geist vor mir über ging, standen mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da stand ein Bild vor meinen Augen, und ich kannte seine Gestalt nicht; es war stille und ich hörte seine Stimme.“ (Hiob 4.) Nach solcher Nacht war's nun wieder Morgen geworden, der ahnungsreichste, seliggeheimnisvollste, den Saul je gehabt hatte. „Was trägt dieser Tag für mich in seinem Schoße?“ mag seine Seele gefragt haben. „Wird die Morgenröte des neuen Lebens, die gestern meinem Geiste lieblicher aufgegangen ist, als die, welche mich jetzt auf diesem Dache bestrahlt, heute zur hellen Sonne werden?“ So dachte er noch. Da rief Samuel dem Saul auf dem Dach und sprach: „Auf, dass ich dich gehen lasse!“ Wie? dass ich dich gehen lasse? So ist also die Hoffnung von der Sonne eine Täuschung gewesen, und das Licht, was hier aufgegangen ist, soll wieder in der Dunkelheit des Hauses Kis untergehen? Er fragte nicht. Er machte sich auf, und die beiden gingen miteinander hinaus, er und Samuel. Ob schweigend, ob redend? ich weiß es nicht; aber in ihrem Herzen wogte ein Strom von Gedanken, das kann nicht anders sein. Sie waren schon bis ans Ende der Stadt gekommen. Nichts Bedeutendes war geschehen. Als sie endlich aus der Stadt und allein waren, musste auch noch Sauls Knabe von hinnen gehen. „Du aber, sprach der Seher, stehe jetzt stille, dass ich dir kund tue, was Gott gesagt hat.“ Da in der Einsamkeit also, ohne andere Zeugen, als Gott im Himmel, da, als Saul stille stand, „Da nahm Samuel ein Ölglas und goss es auf sein Haupt, und küsste ihn und sprach: Siehst du nun, dass dich der Herr zum Fürsten über sein Erbteil gesalbt hat?“ Siehe, da ist der reiche, volle Strom der Segnungen Gottes über Sauls Haupt, in Sauls Herz geflossen die Salbung aus der Höhe, der Kuss, dass ich so sage, vom Munde Gottes, und in beiden und mit beiden das Fürstentum über das Erbteil des Herrn. Das ist ein Strom, dem keiner zu vergleichen ist, so viele auf Erden fließen. Der hat den zum König Berufenen erst wirklich und wahrhaftig zum Könige gemacht. Siehst du nun, dass des Herrn Wort Wahrheit ist? dass er tun kann über Bitten und Verstehen? dass seine Gedanken so viel höher sind, als unsere Gedanken, als du siehst, dass der Himmel höher ist, als die Erde? dass er aus Leuten, die Eselinnen suchen, Könige machen kann, so sie anders seinem Wort und Willen nur stille halten? Denn das sollt ihr nimmer wähnen, als ob diese Königssalbung nur einmal geschehen sei. Sie kann und muss auch an dir, mir, an jedem zum Dienst Gottes und zur Jüngerschaft Christi Berufenen geschehen. Versteht, was ich sage. Das Königsamt in Israel war nicht ein weltliches Königtum. Es ist das Vorbild und Vorspiel des wahrhaftigen Königs, welcher heißt Christus Jesus. Dieser ist darum König, dass er Jeden der Seinen gleich ihm zum Könige mache. Darauf deutet St. Paulus, wenn er sagt, dass wir mit ihm herrschen sollen; das meint St. Petrus, wenn er die, so an Christum glauben, das königliche Priestertum nennt, d. h. eine Priesterschaft, wo jeder Priester ein König ist. Eben dasselbe offenbart aufs klarste St. Johannes, der Theologe, da er spricht: „Er, Christus, hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und seinem Vater,“ und abermals: „Du hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf Erden!“ König zu sein, das ist also des Christen Beruf von seiner Taufe her. Aber zu dem Beruf muss noch die besondere Salbung kommen, ein Übergossenwerden mit dem Geist Gottes, mit den ewigen Lebenskräften. Das kann nicht geschehen im Geräusch, in der Zerstreuung, wenn Leib und Seele von ungeduldiger Hast hin- und hergetrieben wird; es geschieht nur, wenn der Mensch nach Tagen und Nächten, wie Saul eine hatte, seinem Gotte stille hält, ganz stille. Niemals habe ich gesehen, dass die Sonne ihr königliches Antlitz in den vom Sturm gejagten Wellen des Sees gespiegelt habe; noch weniger aber wird man es jemals erleben, dass ein Wiederschein der königlichen Herrlichkeit Christi aus dem Manne wiederstrahle, dessen zweifelndes Gemüt gleich ist, wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und geweht wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er Etwas vom Herrn empfangen werde, am allerwenigsten aber die Salbung mit Kraft aus der Höhe, den Kuss vom Munde des Herrn. Gott macht es mit uns, wie's die lieben Eltern vor dem Christabend mit ihren lieben Kindern machen. Keins darf in den verschlossenen Saal schauen, wo die Mutterliebe Ungeahntes bereitet. Wohl wird dem Kinde gesagt, dass seiner herrliche Dinge warten. Aber das Geheimnis selbst wird nicht enthüllt. Da gilt's für das kleine unruhige, ungeduldige Herz harren und stille halten, bis das Glöcklein klingt, und die Tür sich öffnet da gießt dann der leuchtende Wunderbaum auch eine Salbung über das Kinderherz, und die Mutter küsst das Staunende und sagt: „Siehst du, dass ich an dich gedacht habe?“
Sind wir nicht Kinder vor Gott? Was meinst du denn, hat Gott mit dir vor, wenn er gebietet: „Du aber stehe jetzt stille!“ Ich weiß es, und meine Seele vergesse es nimmermehr! Er will mich, wie ehedem mit der Weihnachtssalbung, so jetzt überströmen mit der Salbung zur königlichen Hoheit und Herrlichkeit.
Aber wer glaubt das! Unsere Gedanken gehen zumeist wo anders hin, wenn wir still halten sollen. Selten wird die Stimme Samuels in uns gehört, die dem unruhigen Herzen zuruft: „Halte still! Du sollst zum Könige gesalbt werden!“ Und doch ist's so. Wer nur harren kann, dem wird auch noch die beschämende Frage entgegentönen: „Siehst du nun?“ Und er wird nichts dawider sagen können, wie auch Saul nicht.
Dieses „Siehst du nun?“ ist im Leben jedes Gottesmannes erklungen. Jakob hat es sich selbst zurufen müssen, da er als Flüchtling jene einsame Nacht durchlebte, wo die Erde sein Bett, der Himmel seine Decke und ein Stein sein Kopfkissen war. Das war eine feierliche Stille. Jakob dünkte sich fern von Gott, und er war's auch, denn seine Sünde war groß. Aber Gott nahte sich zu ihm und öffnete den Himmel und schüttete über den Schlafenden jenen Segen, der sein Haupt zum Fürsten seines Volkes salbte. „Gewisslich, rief der Überschüttete, ist der Herr an diesem Orte, und ich wusste es nicht!“ Und also war's auch in jener Nacht am Jabok, da er allein blieb, und ein Mann sich ihm in den Weg stellte, dass er still halten musste. Denn er war wohl berufen, aber er bedurfte noch einmal einer Salbung, die sein Königsgepräge vollendete. Dort im nächtlich einsamen Ringen wurde sie ihm zu Teil, also dass er hinfort nicht mehr Jakob hieß, sondern Israel, d. i. Einer, der im Kampf mit Menschen und Gott obliegt, also ein rechter Siegeskönig. Er aber fragte noch: „Wie heißt du?“
„Siehst du nun?“
Am jüngsten Tage wird, wer überwunden hat im Streit und die Königskrone trägt, vor den Thron treten und sprechen: „Und mich auch nahm Gott allein und sprach, da ich hin und her lief: Du aber stehe jetzt stille! und ich wusste nicht, was er wollte, bis dass er ausgoss das Ölglas über mein Haupt, und mich salbte zum König, der mit freiem Gewissen sollt' streiten wider Welt, Teufel und Fleisch!“
Wohlan, wenn du so viel heftigen Treibens um dich her siehst, auch in der Kirche Gottes, - so stehe du denn stille, höre, was Gott zu sagen hat. Das stille, heilige Flehen, das nur Einer hört, das ernste Ringen in der Nacht, da man allein bleibt, und was sonst in solchen Stunden Unerzählbares zwischen Gott und Mensch vorgeht, das erst gibt den Berufenen Gottes jenes Gepräge in Antlitz, Ton, Wort, Werk und ganzem Wesen, was wir das Gesalbte nennen, und vor dem wir so gern uns beugen, denn es ist etwas darin von königlicher Würde. Wenn ich euch das an einem Beispiel noch deutlicher machen soll, so schaut auf euren Heiland, wie er in Gethsemane auf seinem Antlitze lag, dass sein Schweiß wie Blutstropfen auf die Erde fiel. Seine Jünger schliefen. Er war ganz allein. Das war die Nacht, in welcher er innerlich den großen Kampf durchkämpfte, womit er die Herrschaft der Welt sich errungen hat. Seht, wie trat er als König wieder unter die Jünger, da er spricht: „Steht auf, lasst uns gehen! siehe, er ist da, der mich verrät!“ Du aber weide dein Herz an dieser königlichen Ruhe, mit der er nun dem Tod entgegen geht, und behalt es fein, welches die Stunden sind, aus denen man als Gesalbter und König in den Streit und die Arbeit des Lebens zurück tritt.
Als ein König! Davon soll uns Niemand ein Titelchen nehmen. Aber als ein König - auf Hoffnung. Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Siehe wieder auf Saul hin. Seine Salbung geschah in der Einsamkeit. Da war keine zujauchzende Menge. Niemand wusste davon, als er selbst, Samuel und Gott. Die Salbung änderte nichts in seiner äußeren Gestalt und Erscheinung; da war keine Spur von einer Königsherrlichkeit. Zu Fuß und arm schritt er wie er war, und nicht anders als jeder Pilger, durchs Land, den Staub noch auf seinen Reisekleidern. Für einen Zepter hielt er einen Wanderstecken. Nicht auf den Thron, in seines Vaters Hütte ging er wieder, in die niedrige, unbekannte. Wer wollte da den König merken? Und doch ein König, wirklich und wahrhaftig ein Fürst über das Erbteil des Herrn.
Es ist nicht anders mit uns, meine Geliebten. Nicht vor allem Volk ohne Zeugen, werden die Könige gesalbt, und Niemand weiß es, als Gott oder sie. Der Königsname ist ein Buchstabe von jenem Namen, den Niemand kennt, als wer ihn empfängt. Wir werden zwar auch Könige sein auf Erden, wie die Schrift sagt, noch äußerlich wird die Königsherrlichkeit der Erlösten offenbar werden. Aber das liegt in der Zukunft. Die Salbung, die schon jetzt geschehen ist, ist nicht eine Salbung vor der Welt, sondern nur eine Salbung vor Gott unserm Vater.“ Aber was sage ich: „Nur eine Salbung?“ Mit einem Hallelujah! muss ich's euch in die Seele rufen: Könige vor Gott, eurem Vater! Könige im Urteil dessen, vor dem alle Fürsten sind wie die Heuschrecken! O, dass ihr auch vor Ihm nur Könige bleiben wollt, dass ihr nicht begehrt, Könige zu sein vor den Augen der Menschenkinder! damit würdet ihr eure Krone vor Gott verlieren. Vor Menschen bleibt fein, was ihr seid, arme und elende Leute. Denn die heilige Königssalbung, der geheime Kuss vom Munde Gottes schafft in der äußern Gestalt keine Umwandlung. Wir müssen fort und fort niedrig und gebückt unsern Weg zichen, als Fremdlinge in dieser Welt. Unser Pilgerkleid, unscheinbar immerdar, wird noch dazu den Staub des Weges nimmer verleugnen können. Sieht man ja eine Krone, so ist's eine Dornenkrone, und ein Zepter, so ist's Gottes Zuchtrute, und einen Thron, so ist's das Kreuz, daran, was noch an irdischem Königsstolz in uns ist, vollends sich zu Tode bluten muss. Wer will den König erkennen in solchen Leuten? in einem Krüppel etwa in einem Siechenhause, der in seiner Stille gesalbt und geküsst ist? oder in einem Kinde, das unmündig lallt? oder in einem Arbeiter auf dem Ackerfelde Gottes, welcher der Schwächen und Gebrechen so viele zeigt?
Sie scheinen von außen die schlechtesten Leute,
Ein Schauspiel der Engel, ein Ekel der Welt,
Und innerlich sind sie die lieblichsten Bräute,
Der Zierrat, die Krone, die Jesu gefällt,
Das Wunder der Zeiten,
Die hier sich bereiten,
Den König, der unter den Lilien weidet,
Zu küssen, in güldenen Stücken gekleidet.
Könige - aber auf Hoffnung. Kein Königszeichen an ihnen für die Kinder dieser Zeit; aber dennoch Zeichen und Pfänder genug für sie selbst. Wir müssen von Saul lernen, welche Zeichen dies seien.
II.
„Siehst du, sprach Samuel, dass dich der Herr zum Fürsten über sein Erbteil gesalbt hat?“ Wie konnte denn das Saul sehen? Wenn er sich betrachtete, musste er sich, mein' ich, als ein gar schlechter König vorkommen. Aber doch fragt er nicht im Unglauben, wie Zacharias: „Wobei soll ich das erkennen?“ Vielleicht, dass er dann nimmermehr ein Zeichen erhalten hätte, ohne ein solches, wie auch Zacharias. Aber da er nun nicht zweifelte, gab ihm Samuel zur Stärkung seines Glaubens gewisse Zeichen und Pfänder, woran er sich halten sollte, wenn er, Samuel, ihm nicht mehr zur Seite stünde. Drei sind der Zeichen. Aber eins ist größer als das andere, und das letzte ist das größte von ihnen.
Dies ist das erste: „Zwei Männer werden dir begegnen und dir sagen: „Die Eselinnen sind gefunden, die du zu suchen bist gegangen!“ Was ihm vordem so viele Sorge machte, was er aber mit allem Jagen und aller Treue nicht erreichen konnte, auch mit allem Fleiß und Rennen nicht, das fällt ihm jetzt von selbst mit zu, fällt wie vom Himmel und aus des Herrn Hand in seinen Schoß. Das ist das erste Unterpfand. - Hat wohl schon mehr als Einer, erfahren: Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein lässt Gott sich gar nichts nehmen. - Rennen und Laufen frommt auch nicht. Denn der Herr hat nicht Gefallen an Jemandes Beinen, ob sie gleich schnell liefen, wie Hirschfüße. Es wollte nicht gelingen mit der Arbeit, weil sie die erste und einige Sorge war, weil man sein Herz damit zerplagte, weil der eigene Kopf Licht und Meister sein sollte. Hört man aber auf, sich zu zerarbeiten in der Menge seiner Wege, ist man stille zu Gott, kehrt man aus der Zerstreuung zurück zu den Füßen Jesu, lernt man dort die Sorge um das Eine, was not tut, den Kampf um die Krone des ewigen Lebens, das Ringen unter Flehen und Weinen mit dem Gegner Jakobs: dann kommt die Salbung mit dem Geiste über unser Haupt und Herz, und es fällt uns alles Andere mit zu. Das sorgliche Quälen hat ein Ende. Da merkt man: „Es ist umsonst, dass ihr frühe aufsteht und hernach lange sitzt, denn seinen Freunden gibt er es schlafend!“ merkt: „So wird euch solches Alles zufallen!“ merkt: „Wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken?“ merkt: „Und es fällt mir jede Gabe als ein Erbteil in die Hand.“
Und diese Zeichen sollen noch unter ganz besonderen Umständen kommen. „Bei dem Grabe Rahels, in der Grenze Benjamins“ empfing Saul jene Botschaft. Rahel starb dort bei der Geburt Benjamins. Aus dem Benoni, dem Sohn der Schmerzen ward doch der Benjamin, der Sohn des Glücks. Dort ein unmündiges Kind, jetzt längst ein ganzer Stamm, der kleinste zwar, aber doch der, aus welchem Gott seinen Knecht erwählt hatte. Siehe, das Alles musste Saul vor die Seele treten. Zu den Erfahrungen seiner Voreltern kamen seine eigenen, und immer fester und heller stand's vor seiner Seele: „Des Herrn Rat ist wunderbar; aber er führt es herrlich hin aus!“ Könnt ihr, die ihr etwas von Gottes Führungen erfahren habt, nicht auch davon erzählen, dass euch die Hilfe zu einer ganz besonderen Zeit, an einem ganz besonderen Ort, bei einem Denksteine früherer Hilfe erschienen, also dass eine ganze Reihe von Wundertaten Gottes dadurch in euch hervorgerufen wurde? Wenn denn nun solche Zeichen und Pfänder euch gegeben werden, so erkennet daran, dass die Verheißungen Gottes wahrhaftig sind und seine Salbung mit euch ist.
Und noch größer ist das zweite Zeichen: „Drei Männer, sagte Samuel, werden dir begegnen, die hinausgehen zu Gott gen Bethel. Und sie werden dich freundlich grüßen und dir zwei Brote geben, die sollst du von ihrer Hand nehmen.“ Der freundliche Gruß, das freiwillige Geschenk sind Beweise, dass Saul nicht bei Gott allein, dass er bei Menschen auch Gnade finden würde, und dies eben ist das zweite Zeichen. - Ist Einer noch nicht gesalbt mit dem Geiste Gottes, so ist des Geizens nach dem Wohlgefallen der Menschen kein Ziel noch Ende, und ist doch vergeblich, und wenn nicht vergeblich, so verderblich. Hat aber Einer Gnade bei Gott erlangt, so sucht er nicht mehr die der Menschen; sie fällt ihm aber mit zu. Es schließt sich ein Bund des Friedens und der Eintracht, des brüderlichen Zuvorkommens, der herzlichen Liebe, der Ehrerbietung. Von Christo, dem Gesalbten, heißt es: „Er nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ In gleicher Weise lesen wir von den ersten Christen, dass sie Gnade gehabt hätten beim ganzen Volke. Im Buch der Sprüche (16, 7) heißt es sogar: „Wenn Jemandes Wege dem Herrn wohlgefallen, so macht er auch seine Feinde mit ihm zufrieden.“ Das hat Saul hernachmals, als er nicht mehr auf Gottes Wegen wandelte, selbst erfahren müssen, da er über David ausrufen musste: „Du bist gerechter, denn ich!“ und ihn segnete. Jetzt wandelte er noch selbst in Gottes Wegen; jetzt boten die, so hinauf gingen zu Gott zum Opfer, ihm selbst noch freundlichen Gruß und zuvorkommende Liebe und Ehrerbietung.
Ich habe wohl einen Spruch von deinen Feinden angeführt, und der soll auch unangetastet bleiben; - aber dies zweite Zeichen gilt doch vorzüglich von denen, die mit dir eines Sinnes sind, die mit dir auf demselben Grunde des Glaubens stehen, mit dir sich und was sie haben, Gott zum Dankopfer bringen, mit dir denselben Pilgerweg laufen, nach Gott hin, nach dem lebendigen Gott, und nach Bethel, dem Hause Gottes, dem ewigen Jerusalem, wie ja auch die drei Männer zu demselben Gott gingen, dem Saul diente. Solche werden auch dir begegnen, wenn du nach deiner Königssalbung wieder in deine niedere Hütte gehst und an deine niedere Arbeit, und werden freundlich tun, und dich grüßen im Namen Gottes, und dir mit ihrer Demut und Liebe dienen, und weißt doch nicht, woher das kommt, und womit du das verdient hast. Mein Freund, das kommt von der heiligen Salbung, vom Kuss Gottes.
Aber das dritte Zeichen, das größte, ist noch dahinten. „Es wird dir begegnen ein Haufe Propheten, von der Höhe herabkommend, und vor ihnen her ein Psalter und Pauken und Pfeifen und Harfen, und sie weissagend. Und der Geist des Herrn wird über dich geraten, dass du mit ihnen weissagst; da wirst du ein anderer Mann werden.“ Und da er nun seine Schultern wandte und von Samuel ging, da gab ihm Gott ein anderes Herz. Der Geist des Herrn, und durch denselbigen ein anderes Herz, ein anderer Mann: das ist das klarste Zeichen der Königssalbung. Mit schweigendem, demütigem Staunen hatte Saul die Salbung empfangen. Kein Wort war über seine Lippen gekommen. Der große Segen hatte ihn stumm gemacht. Da begegnen ihm die Propheten mit Psalter und Pauken, jauchzend, lobpreisend und weissagend. Fröhlich öffnet sich, getrieben vom Geist des Herrn, auch sein Mund wieder und strömt über in lobpreisendem Gejauchze und jubelnden Reden von den Geheimnissen Gottes. Das war eine gewaltige Änderung. Einst der stille, bescheidene, auf dem Acker ruhig arbeitende Jüngling, an dem man so etwas nie gespürt hatte, jetzt in heiliger, hoher Begeisterung weissagend unter den Propheten, also dass, die ihn früher gekannt hatten, fragten: „Was ist dem Sohne Kis geschehen? Ist Saul auch unter den Propheten?“ Wir wissen, was ihm geschehen war, auch was ihn unter die Propheten gebracht hat.
Ist dieses letzte und größte Zeichen auch bei uns offenbar? Treibt uns der Geist des Herrn, nicht mehr der eigene? Ist das andere Herz da? der andere Mann? Nicht einzelne Empfindungen und Regungen, nicht einzelne Stunden voll Andacht und halbkranker Sehnsucht, nicht ein Flicken und Stücken und Ausbessern, ein anderes Herz ist der Beweis für die Salbung. Vorher sagte ich euch, die Salbung habe an Sauls Gestalt nichts geändert; er sei als derselbe Mann weiter gegangen. Derselbe und doch ein anderer Mann. Ja, ein anderer, ein königlicher Mann! Königlich werden seine Gedanken, königlich seine Freuden und Begierden, königlich seine Arbeiten und Hoffnungen. Er sieht mit Königsaugen die Dinge an, die ihn umgeben. Es wird ihm alles zu gering, nur sein Königreich genügt ihm. Er fängt an, das Haupt hoch zu tragen gegen die Feinde seiner Seele. Sein Gang bekommt etwas vom Königsgang: er tritt den Satan unter seine Füße. Ein hehrer, heiliger Königsstolz hebt ihn hoch über die unreinen, befleckenden Neigungen von Fleisch und Blut. Königliche Freiheit ist der Schmuck seines Hauptes, dabei Jedermann seine Würde erkennen mag; denn über jenem Gesetze stehend, dem der Sünde Knechte unterworfen sind, gilt für ihn nur das königliche Gesetz“ der Liebe. Was soll ich mehr sagen? Solche königliche Art liegt nicht in eines Mannes Natur. Wo sie ihre Macht offenbart, da ist ein anderer Mann. Es kommt kein Wort des Rühmens und der Selbstgefälligkeit über seine Lippe; er verstummt in Demut unter seiner Hoheit; bleibt auch stumm in allem niederen Getriebe um ihn her; seine Brust gibt kein Echo für alles Geräusch und Gejauchze derer, die von unten sind und ihm nicht ebenbürtig. Wo aber die Kinder des Königs aller Könige, seine Brüder, seine Schwestern ihm begegnen mit Psalter und Harfen und Pauken, und weissagend und jauchzend ein Lied singen von der großen Königsstadt und ihrem Herrn, da gibt seine Seele fröhliche Antwort, und seine Lippen strömen über:
Ich selber kann und mag nicht ruhn,
Des großen Gottes großes Tun
Erweckt mir alle Sinnen.
Ich singe mit, wenn Alles singt,
Und lasse, was dem Höchsten klingt,
Aus meinem Herzen rinnen!
Da kann freilich und darf auch nicht ausbleiben die staunende oder spottende Frage: „Was ist dem Sohne Kis geschehen? Ist Saul, unser Freund, unser Bekannter, auch unter den Propheten?“ Kommt dir diese Frage, und hat sie wahrhaftigen Grund, weil du ein anderer Mann mit andrem Herzen, mit andrem Geist geworden bist, so sollst du sie für nichts halten, denn was sie wirklich ist, als ein Zeichen und Pfand, von Gott dir gesendet, dass deine Salbung gewiss ist.
„Und kamen alle diese Zeichen auf denselben Tag.“ Immer noch gibt's Tage für die Knechte und Mägde Gottes, wo alle die Wahrzeichen, die Gottes Erbarmung uns zur Stärkung verheißen hat, auf einmal einem ins Haus brechen, also dass das überraschte Herz nicht weiß, was es reden soll, bis es sich Luft macht in einem Ausruf, wie in dem etwa: „Herr, Gott Israels, es ist kein Gott dir gleich, der du hast gehalten deinem Knecht, was du ihm geredet hast!“ oder in dem: „Nun weiß ich von ganzer Seele, dass nicht Ein Wort gefehlt hat an allem, das der Herr geredet hat. Es ist Alles gekommen und keins verblieben! Hochgelobt sei Gott! ich aber bin elend und arm!“
Das ist wohl eine rechte Lust, wenn man solchen jubelnden und doch demütigen Ausbruch der innersten Herzensfreudigkeit mit seinen Ohren anhören, mit seinen Augen ansehen darf. Es ist ein Anblick, Engel und Menschen zu erfreuen, wenn ein Saul, der Mann mit dem andern Herzen, unter den Propheten singt und springt. Aber ich kann mich doch nur freuen mit Zittern. Meine Augen wollen nicht weilen bei der gegenwärtigen Stunde. Sie dringen in den morgigen Tag und sehen einen andern Mann, einen fallenden, und wie ein Posaunenruf schallt mir's durch die Seele: „Halte, was du hast, dass Niemand deine Krone nehme!“ Amen.