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Hohelied, Kapitel 5

Hohelied, Kapitel 5

5:1 Ich bin gekommen, meine Schwester, liebe Braut, in meinen Garten. Ich habe meine Myrrhe samt meinen Würzen abgebrochen; ich habe meinen Seim samt meinem Honig gegessen; ich habe meinen Wein samt meiner Milch getrunken. Eßt, meine Lieben, und trinkt, meine Freunde, und werdet trunken!
Des Gläubigen Herz ist der Garten Christi. Er hat diesen Garten erkauft mit seinem teuren Blut, und Er zieht darin ein und spricht ihn an als sein Eigentum. Ein Garten ist ein verschlossener Raum. Er ist kein offenes freies Land; auch ist er keine Wüste; er ist mit einer Mauer umgeben oder durch Hecken ringsum geschützt. Wie gern sehen wir doch die schützende Trennungsmauer zwischen der Gemeinde der Heiligen und der Welt erhöht. In einem Herzen, das noch fragen kann, wie weit es sich dieser Welt gleichstellen dürfe, ist der mächtige Strom der Gnade schon zu einem spärlichen Bächlein zusammengeschrumpft. Ein Garten ist eine Stätte und Heimat der Schönheit; das unbebaute, raue Land steht weit hinter ihm zurück. Der wahre Christ muss danach trachten, in seinem Wandel den rechtschaffensten Tugendmenschen zu übertreffen, weil der Garten Christi die herrlichsten Blumen in der Welt hervorbringen sollte. Und selbst das Herrlichste ist da noch immer armselig im Vergleich mit dem, was Christus verdient. So wollen wir Ihm denn keine Schande machen mit verwelkenden und schädlichen Pflanzen. Die seltensten, reichsten, köstlichsten Lilien und Rosen sollten an dem Ort blühen, den der Herr Jesus sein eigen nennt. Der Garten ist eine Stätte fruchtbaren Wachstums. Die Heiligen sollen nicht unentwickelte Pflänzlinge bleiben; sie sollen Blätter und Blüten und Knospen treiben. Wir müssen wachsen in der Gnade und in der Erkenntnis unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi. Wo Jesus der Gärtner und der Heilige Geist der Tau von oben ist, da sollte ein schnelles Wachstum stattfinden. Ein Garten ist auch eine Stätte lieblicher Einsamkeit. So begehrt der Herr Jesus, dass wir unsre Seelen bewahren als einen Ort, an dem Er sich offenbaren kann, wie Er sich der Welt nicht offenbart. Ach, dass doch die Christen mehr in der Stille lebten, und ihre Herzen besser bewahrten für ihren Herrn und Heiland! Wir schaffen uns oft viele Sorge und Mühe, dem Herrn zu dienen, wie Martha, so dass wir nicht mehr Raum haben für seine Nähe, und nicht zu seinen Füßen sitzen, wie wir sollten. Der Herr gieße über uns aus den lieblichen Regen seiner Gnade, um unsern Garten diesen Abend zu bewässern! (Charles Haddon Spurgeon)

5:2 Ich schlafe, aber mein Herz wacht. Da ist die Stimme meines Freundes, der anklopft: Tue mir auf, liebe Freundin, meine Schwester, meine Taube, meine Fromme! denn mein Haupt ist voll Tau und meine Locken voll Nachttropfen.
Kann man auch zugleich wachen und doch schlafen, oder schlafen und doch wachen? Wenn du zwar frühe aufstehest, und hernach lange sitzest, und issest dein Brot mit Sorgen; ja arbeitest mit Kopf und Händen Tag und Nacht für deines Leibes Nothdurft und Nahrung, oder für deinen zeitlichen Wohlstand und Reichthum; bekümmerst dich aber weder um den Schaden noch um das Heil deiner Seele, machst dir gar keine Gedanken über das, was du vor Gott bist und sein sollst, oder machst dir eitle und vergebliche Gedanken darüber, die nach dem Worte Gottes nicht wahr sind: so bist du ein Mensch, der leiblich wacht und geistlich schläft. Höre, ich habe Gottes Wort an dich! „Wache auf, der du schläfest, und stehe auf von den Todten, so wird dich Christus erleuchten“ (Ephes. 5, 14.). Laß dein Herz aufwachen, wie jener Israeliten Herz aufwachte durch das Wort von dem gekreuzigten Herrn und Christ, daß sie zu Petro und den andern Aposteln sprachen: „Ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir thun?“ Laß dein Herz aufwachen, wie Sauls Herz aufwachte, daß er mit Zittern und Jagen sprach: „Herr, was willst du, das ich thun soll?“ Laß dein Herz aufwachen, wie das Herz jenes Kerkermeisters aufwachte, daß er zu den gefangenen Aposteln sprach: „Lieben Herrn, was soll ich thun, daß ich selig werde?“ Auf die Frage deines erwachten Herzens wird dir geantwortet werden. Der Herr hat dafür gesorgt, daß dir Antwort auf deine Frage, Licht in deiner Finsterniß, Rath in deiner Verlegenheit, Trost in deiner Traurigkeit, Hülfe in deiner Noth werde. Mit der Frage im Herzen: „was soll ich thun, daß ich selig werde?“ lies sein Evangelium, höre die Predigt desselben, und bete zu ihm. Er wird dir geben, was dein Herz wünschet. Wohl dir, du Hast es gut, wenn du nicht mehr geistlich schläfst und unter den geistlich Todten liegst. - Aber wer ist ein solcher, der, obschon er schläft, doch wacht; wie die Braut spricht, Hohes Lied Sal. 5, 1: „Ich schlafe, aber mein Herz wacht!?“ Wenn die Liebe Gottes ausgegossen ist in unser Herz durch den heiligen Geist, die Liebe nämlich, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, und Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren; wenn das Herz durch gläubige Aneignung in Erfahrung und Genuß dieser Liebe steht; wenn das Herz von dem gewonnen, eingenommen und hingenommen ist, der uns geliebet und sich selbst für uns dar gegeben hat dann wacht der Mensch auch für den Freund der Seele. Er ist von ganzem Herzen an ihm, sowohl im leiblichen Wachen als im leiblichen Schlafen. Er verrichtet sein zeitliches Geschäft; aber sein Herz wacht und erinnert ihn, daß er es thue, nach des Herrn Wohlgefallen. Er muß als ein treuer Arbeiter oft alle Kräfte seiner Seele oder seines Leibes auf seine Arbeit richten, er kann oft nicht dazwischen hinein gottselige Gedanken hegen, und bei seinen Betrachtungen verweilen; aber sein Herz wacht, und sobald er von der Arbeit zur Ruhe, von der Zerstreuung äußerlicher Thätigkeit wieder zu sich selbst kommt, so kommt er wieder zum Herrn, da wo sein Herz ist. Er schläft, aber gleichwohl heißt es: „Von Herzen begehre ich dein des Nachts, dazu mit meinem Geist wache ich frühe zu dir“ (Jes. 26, 9.). Hast du ein zu dem Herrn gerichtetes wachendes Herz? Bete darum mit mir, daß wir nicht schlafen wie die anderen, deren Herz noch nicht aufgewacht ist, die Christus noch nicht erleuchtet und mit Licht, Liebe und Leben erfüllet hat. Denn die Leuchte des Herrn ist des Menschen Odem, die gehet durch's ganze Herz (Spr. Sal. 20, 27.). Ja, er gebe es uns, mit bräutlich liebendem Herzen so zu ihm zu stehen, daß wir sagen können: „Ich schlafe, aber mein Herz wacht. Da ist die Stimme meines Freundes, der anklopft!“ (Carl Johann Philipp Spitta)


Scheinbare Widersprüche sind in der Christenerfahrung sehr zahlreich, und hier ist ein solcher: die Braut schlief, und doch war sie wach. Nur der kann dies Rätsel des Glaubens treffen, der mit dem Kalbe der Erfahrung pflügt. Die beiden Hauptpunkte in unsrer heutigen Schriftstelle sind: eine traurige Schläfrigkeit und eine hoffnungsvolle Wachsamkeit. Ich schlafe. Durch die Sünde, die in uns wohnt, können wir in Erfüllung unsrer heiligen Pflichten lässig gemacht werden, träge zu geistlichen Übungen, unempfänglich für himmlische Freuden, und ganz und gar sorglos und gleichgültig. Das ist ein schmählicher Zustand für jemand, in dem der lebendigmachende Geist wohnt, und er ist gefährlich im höchsten Grade. Selbst die klugen Jungfrauen schlafen zeitweise, aber es ist hohe Zeit für alle, die Bande der Trägheit abzustreifen. Es steht zu fürchten, dass viele Gläubige ihre Kraft verlieren, wie Simson seine Locken verlor, während sie auf dem Schoß der fleischlichen Sicherheit schlafen. Schlafen, während die uns umgebende Welt ins Verderben stürzt, ist entsetzlich; es ist Wahnsinn, wo die Ewigkeit so nahe ist. Dennoch ist keiner unter uns so wachsam, als er sollte; ein paar Donnerschläge würden uns treffliche Dienste leisten, und wenn wir uns nicht bald aufraffen, werden wir sie vielleicht bald zu hören bekommen unter der Gestalt des Krieges, der Pestilenz oder persönlicher Verluste und Heimsuchungen. Ach, dass wir uns doch für immer vom Lager weichlicher Behaglichkeit erhöben und auszögen mit brennenden Fackeln dem kommenden Bräutigam entgegen! Mein Herz wacht. Das ist ein seliges Zeichen. Das Leben ist nicht erloschen, obgleich tief herabgestimmt. Wenn unser erneuertes Herz wider unsre natürliche Trägheit ankämpft, so sollten wir der unumschränkten Gnade dankbar sein, dass sie in dem Leibe dieses Todes etwas Leben wach erhalten hat. Jesus will auf unsre Herzen hören, will unsren Herzen helfen, will unsre Herzen besuchen; denn die Stimme des wachsamen Herzens ist wahrlich die Stimme unsers Freundes, der da spricht: „Tue mir auf!“ Heilige Sehnsucht hilft mir gewiss die Riegel von der Tür zurückschieben. „Schaff‘ in mir, Herr, den neuen Geist, Der Dir mit Lust Gehorsam leist‘.“ (Charles Haddon Spurgeon)

5:3 Ich habe meinen Rock ausgezogen, wie soll ich ihn wieder anziehen? Ich habe meine Füße gewaschen, wie soll ich sie wieder besudeln?

5:4 Aber mein Freund steckte seine Hand durchs Riegelloch, und mein Innerstes erzitterte davor.
Das Anklopfen genügte noch nicht, denn meine Augen waren zu voll Schlafs; zu kalt und zu undankbar war ich, um aufzustehen und die Tür aufzutun, aber die Berührung seiner wirksamen Gnade hat meine Seele munter gemacht. Ach, wie langmütig ist doch mein Freund, dass Er noch bleibt, wenn Er sich ausgeschlossen findet und mich schlafend trifft auf dem Bett der Trägheit! O, wie groß ist doch seine Geduld, dass Er immer und immer wieder anklopft, und dass Er mit seinem Anklopfen zugleich noch seine Stimme erhebt und mich bittet, Ihm aufzutun! Wie ist es nur möglich, dass ich Ihn abweisen konnte! Niederträchtiges Herz, schäme dich und vergehe! Aber welch eine alles übertreffende Güte ist doch das, dass Er selbst zum Pförtner wird und die Tür öffnet! Dreifach gesegnet ist die Hand, die sich herablässt, die Klinke zu drücken und den Schlüssel aufzudrehen! Nun begreife ich, dass nichts als die selbsteigne Macht meines Herrn imstande ist, solch einen elenden, erbarmungswürdigen Wurm, wie ich bin, zu erretten; alle Heilsmittel bleiben wirkungslos, selbst das Evangelium vermag nichts über mich, bis dass Er seine Hand ausstreckt. Nun begreife ich auch, dass seine Hand heilsam ist, wo alles andre wirkungslos bleibt; Er kann öffnen, wenn nichts sonst wirkt. Gelobt sei sein Name, dass ich auch in diesem Augenblick seine Gnadengegenwart spüre. Wohl mag mein Innerstes davor zittern, wenn ich daran denke, was Er alles für mich erduldet hat, und wie ich mich so treulos wieder von Ihm abwandte. Ich habe andre Götter neben Ihm gehabt. Ich habe Ihn betrübt. O Du lieblichster und teuerster aller Freunde, ich bin mit Dir umgegangen, wie ein treuloses Weib mit ihrem Mann. Ach, meine schrecklichen Sünden, meine entsetzliche Selbstsucht! Was soll ich Tun? Tränen sind zu armselig, um meine Reue zu bezeugen, mein ganzes Herz wallt von Unwillen über mich selbst. Ich Elender, dass ich meinen Herrn, mein Ein und Alles, meine unaussprechlich große Freude so behandeln konnte, wie wenn ich Ihn nicht kennte. Herr Jesu, Du vergibst gern; aber das ist noch nicht genug, bewahr mich in Zukunft vor aller Treulosigkeit. Küsse diese Tränen hinweg, und dann halte mein Herz fest, dass es Dich nie wieder verliere. (Charles Haddon Spurgeon)

5:5 Da stand ich auf, daß ich meinem Freund auftäte; meine Hände troffen von Myrrhe und meine Finger von fließender Myrrhe an dem Riegel am Schloß.

5:6 Und da ich meinem Freund aufgetan hatte, war er weg und hingegangen. Meine Seele war außer sich, als er redete. Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht; ich rief, aber er antwortete mir nicht.
Zuweilen muss das Gebet auf Erhörung warten, wie ein Bittsteller vor dem Tore, bis dass der König herausgeht und seinen Schoß füllt mit den Segensschätzen, um die er gefleht hat. Der Herr hat oft die, denen Er großen Glauben geschenkt hat, harren lassen, um ihren Glauben durch diese Prüfung zu läutern. Er hat es geschehen lassen, dass die Stimme seiner Knechte in ihre Ohren zurückhallte, wie wenn der Himmel ehern wäre. Sie haben angeklopft an der goldenen Pforte, aber diese hat sich nicht bewegt, als ob sie in ihren Angeln eingerostet wäre. Wie Jeremia haben sie ausgerufen: „Du hast mich mit einer Wolke verdeckt, dass kein Gebet hindurch konnte.“ So haben viele wahrhafte Heilige lange in Geduld geharrt und haben gewartet ohne Gewährung, nicht weil ihr Gebet nicht brünstig gewesen wäre, noch weil sie nicht wären angenehm gewesen, sondern weil es Dem also gefiel, der da unumschränkt ist in seinem Willen, und der gewährt nach seinem Wohlgefallen. Wenn es Ihm gefällt, unsre Geduld aufs Warten anzuweisen, soll Er nicht tun dürfen mit den Seinen nach seinem Gutfinden? Bettler dürfen nicht wählerisch sein mit Zeit, Ort oder Gabe. Wir aber müssen uns sorgfältig hüten, dass wir nicht eine Verzögerung für eine Verweigerung ansehen. Gottes langsichtige Wechsel werden pünktlich eingelöst; wir dürfen vom Satan unser Vertrauen auf den Gott der Wahrheit nicht dadurch erschüttern lassen, dass er uns auf unsre noch nicht erhörten Gebete hinweist. Bitten, die noch keine Erhörung gefunden haben, bleiben deshalb nicht unerfüllt. Gott hat alle unsre Gebete genau verzeichnet, sie werden von keinem Wind verweht, sie werden aufbewahrt in des Königs Reichsarchiv. Es ist am himmlischen Hofe eine Registratur, wo jedes Gebet eingetragen wird. Schwergeprüfte Seele, dein Herr fasset deine Tränen in einen Sack (Ps. 56, 9), in welchem die kostbaren Tropfen heiligen Kummers aufgehoben werden; Er zählt deine Seufzer und schreibt sie in sein Buch zum Gedächtnis. Nach und nach kommen alle deine Anliegen an die Reihe. Bist du nicht zufrieden, dass du ein klein wenig warten musst? Wird nicht deines Herrn Zeit besser sein, als deine eigene? Endlich erscheint Er dir zum Troste und heißt dich den Sack ablegen und anziehen Scharlach und feines Leinen. (Charles Haddon Spurgeon)

5:7 Es fanden mich die Hüter, die in der Stadt umgehen; die schlugen mich wund; die Hüter auf der Mauer nahmen mir meinen Schleier.

5:8 Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, findet ihr meinen Freund, so sagt ihm, daß ich vor Liebe krank liege.
Hier hören wir die Sprache des Gläubigen, der sich nach der Gnadengegenwart und Gemeinschaft Jesu sehnt; er ist krank vor Liebe zu seinem Herrn. Begnadigte Seelen fühlen sich nie vollkommen wohl, wenn sie sich nicht in einem Zustand inniger Vereinigung mit Christo befinden; denn wenn sie ferne von Ihm sind, so haben sie keinen Frieden. Je näher bei Ihm, desto näher bei der Vollkommenheit der himmlischen Ruhe; je näher bei Ihm, desto voller das Herz; nicht nur erfüllt mit Frieden, sondern erfüllt mit Leben, mit Kraft, mit Freude; denn das alles hängt von dem beständigen Verkehr mit Jesu ab. Was die Sonne für den Tag, was der Mond für die Nacht, was der Tau für die Blumen: das ist unser Herr Jesus Christus für uns. Was das Brot ist für den Hungrigen, die Kleidung für den Nackten, der Schatten eines großen Felsens dem Wanderer im dürren Lande: das ist der Herr Jesus für uns; und wenn wir darum uns nicht eins mit Ihm wissen und fühlen, so darf‘s uns nicht wundern, wenn unser Geist in die Worte des Hohenliedes ausbricht: „Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, findet ihr meinen Freund, so sagt Ihm, dass ich vor Liebe krank liege.“ Diese tiefe Sehnsucht, dies ernstliche Verlangen nach Jesu ist mit einem großen Segen verknüpft: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit;“ und darum unaussprechlich selig, die da dürstet nach dem Gerechten. Selig ist solch Hungern, denn es kommt von Gott: kann mir nicht der volle Segen zuteil werden, dass ich satt werde, so will ich diesen Segen zu empfangen suchen, in der süßen Sehnsucht schmachtenden Dürstens und verlangenden Hungerns, bis dass ich an Christo erquickt und gesättigt werde. Kann ich Christum nicht genießen, so ist‘s für mich die nächste Pforte zur himmlischen Seligkeit, wenn ich nach Ihm hungere und dürste. Es ist eine solche Weihe um diesen Hunger, weil er unter den Seligkeiten strahlt, die unser Herr preist. Aber die Seligpreisung schließt auch eine Verheißung in sich. Solche hungernden Seelen „sollen satt werden“ mit dem, wonach sie verlangt. Wenn der Herr Jesus unsre Sehnsucht nach Ihm erweckt, so will und wird Er diese Sehnsucht auch stillen; und wenn Er zu uns kommt, wie Er es verheißen hat, o, was wird dann das für ein seliges Begegnen sein! (Charles Haddon Spurgeon)

5:9 Was ist dein Freund vor andern Freunden, o du schönste unter den Weibern? Was ist dein Freund vor andern Freunden, daß du uns so beschworen hast?

5:10 Mein Freund ist weiß und rot, auserkoren unter vielen Tausenden.

5:11 Sein Haupt ist das feinste Gold. Seine Locken sind kraus, schwarz wie ein Rabe.
Keine Vergleichung reicht aus, uns den Herrn Jesus recht zu vergegenwärtigen; die Braut allein trifft den richtigen Ausdruck, so weit ihr eine Schilderung möglich wird. Unter dem Haupte Jesu können wir seine Gottheit verstehen, „Gott aber ist Christi Haupt,“ ebenso ist ein reiner Guss von feinstem Gold das beste verständliche Bild, aber immer noch viel zu armselig, um einen so herrlichen, so reinen, so köstlichen, so teuren Freund zu schildern. Der Herr Jesus ist kein Goldkorn, sondern eine große Goldkugel, ein unschätzbarer Schatz, dem an Wert weder im Himmel noch auf Erden etwas gleich kommt. Die Geschöpfe sind nichts als Ton und Eisen, sie müssen alle umkommen, wie Holz, Heu und Stoppeln, aber das ewig lebendige Haupt der Schöpfung Gottes wird strahlen von Ewigkeit zu Ewigkeit. In Ihm ist keinerlei Vermengung, noch die geringste Spur eines entwertenden Zusatzes. Er ist ewiglich der unendlich Heilige und durchaus Göttliche. Die krausen Locken bezeichnen seine männliche Kraft. Es ist nichts Verweichlichtes an unserem Freunde. Er ist der männlichste aller Männer. Mutig wie ein Löwe, unermüdlich wie ein Rind, rasch wie ein Adler. Alle denkbare und undenkbare Schönheit findet sich in Ihm, ob Er gleich einst von den Menschen verhöhnt und verworfen wurde.
„Du bist mein Himmel, den ich meine,
Mein Paradies, darin alleine
Mein Geist den ew‘gen Sabbat hält!“
Die Herrlichkeit seines Hauptes wird Ihm nie geraubt, Ihn krönt ewig unvergleichliche Majestät. Das schwarze Haar zeugt von jugendlicher Frische, denn Jesus gehet einher im Tau seiner Jugend. Andre werden matt vor Alter, aber Er ist ein Priester ewiglich nach der Ordnung Melchisedeks; andre kommen und gehen, Er aber bleibet auf seinem Thron in göttlicher Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wir wollen Ihn heute Abend betrachten und verehren. Engel bewundern Ihn, und seine Erlösten wenden ihre Blicke nicht von Ihm. Wo ist irgendein solcher Freund? Ach, dass ich doch eine einzige Stunde Gemeinschaft mit Ihm haben könnte! Hinweg, ihr verführerischen Sorgen! Jesus zieht mich Ihm nach, lasst mich Ihm folgen. (Charles Haddon Spurgeon)

5:12 Seine Augen sind wie Augen der Tauben an den Wasserbächen, mit Milch gewaschen und stehen in Fülle.

5:13 Seine Backen sind wie Würzgärtlein, da Balsamkräuter wachsen. Seine Lippen sind wie Rosen, die von fließender Myrrhe triefen.
Siehe, der Wonnemonat ist gekommen! Märzen-Winde und April-Regen haben ihre Arbeit verrichtet, und die ganze Erde ist bedeckt mit Farben- und Blütenpracht. Komm, meine Seele, ziehe dein Feierkleid an und wandre ins Freie, pflücke Sträuße und winde Kränze himmlischer Gedanken. Du weißt wohl, wohin du dich wenden musst, denn die „Würzgärtlein der Apotheker“ sind dir gar wohl bekannt, und du hast schon so oft am lieblichen Duft der „Rosen“ dich gelabt, dass du gleich hineilen möchtest zu deinem Freund, um in Ihm alle Lieblichkeit, alle Wonne und Freude zu genießen. Diese Wange, die einst so erbarmungslos mit der Geißel zerfleischt wurde, die sonst so oft betaut war von Tränen des Mitleids, aber grausam mit Speichel besudelt wurde, - die Wange ist mit ihrem gnadenreichen Liebeslächeln meinem Herzen wie ein belebender Wohlgeruch. Du hast Dein Antlitz nicht verborgen vor Spott und Speichel, o Herr Jesu, und darum soll‘s meine süßeste Wonne sein, wenn ich Dich preisen darf. Diese Wangen wurden durchfurcht von der Pflugschar des Leidens und gerötet mit rosinfarbenen Blutstreifen von Deinem dornengekrönten Scheitel herab; solche Zeichen unbegrenzter Liebe müssen unfehlbar meine Seele weit mehr entzücken, als „Rosen, die mit fließenden Myrrhen triefen.“ Kann ich nicht sein ganzes Antlitz schauen, so möchte ich doch seine Wangen sehen, denn der flüchtigste Blick auf Ihn ist überschwänglich erquickend für meinen Geist und gewährt meinem Gemüt Wonne die Fülle. In Jesu finde ich nicht nur Wohlgerüche, sondern ein ganzes Gewürzgärtlein; nicht bloß eine einzelne Blume, sondern mannigfaltige Blüten die Menge. Er ist meine Rose und meine Lilie, meines Herzens Lust und meine Traube Copher. Wenn Er bei mir ist, so ist‘s das ganze Jahr hindurch Maimond, und meine Seele gehet hin und wäscht ihr seliges Angesicht in dem Morgentau seiner Gnade, und tröstet sich ob dem Gesang der Himmelsboten seiner Verheißungen. Teurer Herr Jesu, lass mich in Wahrheit die Seligkeit erkennen, die aus einer bleibenden, ununterbrochenen Gemeinschaft mit Dir erblüht. Ich bin ein armer Unwürdiger, dessen Wange Du mit Gnade und Güte geküsst hast! Ach, lass mich Dich wieder küssen mit den Küssen meines Mundes! „Denn Deine Liebe ist lieblicher, denn Wein.“ (Charles Haddon Spurgeon)

5:14 Seine Hände sind wie goldene Ringe, voll Türkise. Sein Leib ist wie reines Elfenbein, mit Saphiren geschmückt.

5:15 Seine Beine sind wie Marmelsäulen, gegründet auf goldenen Füßen. Seine Gestalt ist wie Libanon, auserwählt wie Zedern.

5:16 Seine Kehle ist süß, und er ist ganz lieblich. Ein solcher ist mein Freund; mein Freund ist ein solcher, ihr Töchter Jerusalems!1)
Die unaussprechliche Liebenswürdigkeit und Schönheit Jesu ist allüberwindend; sie reizt nicht so sehr zur Bewunderung wie zur Liebe. Er ist mehr als schön und herrlich anzuschauen; Er ist lieblich. O gewiss, das Volk Gottes kann den Gebrauch dieses goldenen Wortes völlig rechtfertigen, denn Er ist der Gegenstand seiner heißesten Liebe, einer Liebe, die auf der tief-innersten Vortrefflichkeit seines Wesens beruht, auf der höchsten Vollkommenheit seiner reizenden Vorzüge. Schau, o Jünger Jesu, auf deines Herrn Lippen und sprich: „Ist nicht sein Mund ganz lieblich?“ Brennt nicht unser Herz in uns, wenn Er mit uns redet auf dem Wege? Die ihr meinen Immanuel anbetet, hebt euren Blick empor zu seinem Haupt, dem Haupt vom feinsten Golde, und sagt mir, ob seine Gedanken euch nicht köstlich sind? Zerschmilzt eure Verehrung nicht in Liebesseligkeit, wenn ihr euch in Demut beugt vor seiner Gestalt, einer Gestalt wie Libanon, auserwählt wie Zedern? Wogt nicht ein Zauber durch jedes Glied seines Leibes, und duftet nicht sein ganzes Wesen vom Wohlgeruch seiner edeln Salben, dass die Jungfrauen Ihn lieben müssen? Ist ein Glied seines herrlichen Leibes ohne reizende Schönheit? Ist ein Teil seiner Person, der nicht ein neuer Magnet für uns wäre? Ist eine Bewegung, deren Anmut nicht aufs neue unser Herz mit festen Seilen bände? Unsre Liebe ist nicht nur wie ein Siegel, auf sein Liebes-Herz gesetzt; es ist auch auf seinem Allmachtsarm befestigt; es ist nichts an Ihm, was uns nicht mit Liebe gegen Ihn erfüllte. Wir salben seine ganze Gestalt mit der lieblichen Narde unsrer inbrünstigen Liebe. Wir möchten sein ganzes Leben in uns auswirken; sein ganzes Gemüt möchten wir in unsre Seele abschreiben. In jedem andern Wesen sehen wir irgendeinen Mangel; Er ist ganz Vollkommenheit, alles an Ihm ist Vollendung. Auch der beste seiner vorzüglichsten Heiligen hat Flecken auf seinem Gewande und Runzeln an seiner Stirn; aber Er ist ganz Lieblichkeit, nur Lieblichkeit! Alle Sonnen der irdischen Schöpfung haben ihre Flecken; die schöne Welt selber hat ihre Wildnisse und Wüsten; wir können das liebenswürdigste Wesen wohl im ganzen lieben, aber Jesus Christus ist durchläutertes Gold, Licht ohne Dunkel, Glanz ohne Schatten, Herrlichkeit ohne Wolken, ja, „ganz lieblich: ein solcher ist mein Freund.“ „O, Du Liebe meiner Liebe!“ (Charles Haddon Spurgeon)

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