Gerok, Carl von - Passion und Ostern - Palmsonntag
Leidensgeschichte
Da sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brachs und gabs den Jüngern und sprach: nehmt, esst! Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird, das tut zu meinem Gedächtnis. Desselbigen gleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl, dankte und gab ihnen den und sprach: trinkt alle daraus! Das ist mein Blut des neuen Testaments, welches für euch und für viele vergossen wird zu Vergebung der Sünden. Solches tut so oft ihrs trinkt, zu meinem Gedächtnis. Und sie tranken alle daraus. Und er sprach zu ihnen: wahrlich ich sage euch, dass ich hinfort nicht trinken werde von diesem Gewächse des Weinstocks, bis auf den Tag da ichs neu trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. Liebe Kindlein, ich bin noch eine kleine Weile bei euch. Ihr werdet mich suchen; und wie ich zu den Juden sagte, wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen. Und ich sage euch nun: ein neu Gebot gebe ich euch, dass ihr euch unter einander liebt wie ich euch geliebt habe, auf dass auch ihr einander lieb habt. Dabei wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habt. Spricht Simon Petrus zu ihm: Herr, wo gehst du hin? Jesus antwortete ihm: da ich hingehe, kannst du mir diesmal nicht folgen; aber du wirst mir hernachmals folgen. Petrus spricht zu ihm: Herr, warum kann ich dir diesmal nicht folgen? Ich will mein Leben für dich lassen! Jesus antwortete ihm: solltest du dein Leben für mich lassen? Simon, Simon, siehe, Satanas hat euer begehrt, dass er euch möchte sichten wie den Weizen! Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre; und wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Er sprach aber zu ihm: Herr, ich bin bereit mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Er aber sprach: Petre, ich sage dir, der Bahn wird heute nicht krähen, ehe denn du dreimal verleugnet hast, dass du mich kennst!
Die Leidenswoche unsres Heilands ist uns wieder angebrochen. Jene große Woche, welche einen Wendepunkt bildet in der Geschichte der Menschheit; wo am Kreuz des Welterlösers ein Kampf gekämpft und ein Sieg errungen ward, dessen Segen sich fortpflanzt so lange die Erde steht, dessen Früchte hinüberreichen bis in die tiefe Ewigkeit.
Darum bleibt diese Leidenswoche Jesu die heiligste Woche des Jahres für die Christenheit; die stille Woche, wo der Lärm der irdischen Geschäfte und der weltlichen Vergnügungen Platz machen soll der andächtigen Betrachtung der heiligen Passion und durch die ganze Christenwelt hin der Ruf ergeht: Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, es sei vor ihm stille alle Welt! Hab. 3,20. Die Gnadenwoche, wo vom Kreuze des Welterlösers das Trostwort an die Menschheit erschallt: Ihr seid versöhnt mit Gott! „Welt war verdorben, Christ ist gestorben, Freue dich, freue dich, Christenheit!“
Der Herr segne uns diese Woche zu stiller Sammlung und zu andächtiger Betrachtung. Aber er lasse uns von dieser heiligen Leidenswoche unseres Erlösers auch einen Segen mitnehmen in unsre eigenen Arbeits- und Leidenswochen.
Trauerstunden, Trübsalstage, Leidenswochen, Passionszeiten fehlen ja in keines Menschen Leben. Manche von uns stehen vielleicht jetzt eben mitten darin. Keines aber weiß, wie bald auch ihm ein Leidensweg verordnet ist, und wir Alle müssen früher oder später den ernsten Gang tun, auf dem wir jetzt unsern Heiland begleiten, den Gang zum letzten Kampf, zum Tode. Wohl uns wenn wir dann aus seiner Passionsgeschichte etwas gelernt haben für unser Leiden und Sterben. Möchte uns auch unsre jetzige Andacht dazu helfen, indem wir unsrem Passionsabschnitt entnehmen:
Heilsame Mahnungen aus Jesu Leidensstunden für unsre Leidensstunden.
Mahnungen
1) zu inniger Gemeinschaft mit dem Herrn;
2) zu liebevollem Zusammenhalten untereinander;
3) zu ernster Wachsamkeit über uns selbst.
Jesu, deine Passion Lass uns jetzt bedenken,
Wollest uns vom Himmelsthron Dazu Andacht schenken.
In dem Bilde jetzt erschein, Jesu, unsern Herzen,
Wie du, unser Heil zu sein, Littest große Schmerzen. Amen.
Heilsame Mahnungen aus Jesu Leidensstunden für unsre eigenen Leidensstunden wollen wir aus dem verlesenen Passionsabschnitt entnehmen. Und da tritt uns vor allem eine Mahnung entgegen:
1) Zu inniger Gemeinschaft mit dem Herrn.
„Da sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brachs und gabs seinen Jüngern und sprach: nehmt, esst; das ist mein Leib, der für euch gegeben wird, das tut zu meinem Gedächtnis. Desselbigen gleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl, dankte und gab ihnen den und sprach: trinkt alle daraus; das ist mein Blut des neuen Testaments, welches für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches tut, so oft ihrs trinkt, zu meinem Gedächtnis. Und sie trunken alle daraus.“ Wie feierlich und wie tröstlich diese Einsetzung des heiligen Abendmahls in jenen dunklen Stunden banger Erwartung, an jenem ahnungsvollen Vorabend der schmerzlichsten Ereignisse! Als sähen wir uns aus dem stürmischen Meer auf eine friedliche Insel gerettet, als wären wir auf dem Gang durch die Wüste in eine grüne Dase versetzt, so wirds uns zu Mut, wenn wir zwischen all den Schauerszenen der Passionsgeschichte uns hingerückt fühlen zu jenem traulichen, weihevollen Liebesmahl.
Und warum hat der Herr gerade jetzt in der letzten Nacht vor seinem Leiden und Sterben die Passahfeier benützt, seinen Jüngern dies Gedächtnismahl zu stiften? War es nicht, um ihnen noch ein recht tröstliches Vermächtnis vor seinem Abschied zu hinterlassen? Wars nicht, um ein bleibendes Band inniger Geistesgemeinschaft zwischen sich und ihnen zu knüpfen auch wenn er nicht mehr leiblich in ihrer Mitte wäre? Wars nicht, um ihnen noch ein kräftiges Stärkungsmittel zu reichen für so manchen rauen Weg und schweren Gang, der ihnen in seiner Nachfolge bevorstand, damit sie's erfahren möchten noch seliger als der Psalmist im alten Bunde: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln?
Und dieses himmlische Stärkungsmittel, hat es nicht seine Segenskraft bewahrt durch allen Wechsel der Zeiten bis auf den heutigen Tag? Wodurch wird unser Glaube in Widerwärtigkeit am mächtigsten gestärkt und wir in Anfechtung getröstet? Durch das Nachtmahl unsres Herrn Jesu Christi, antwortet unser Konfirmationsbuch. Und es hat Recht.
Ist keines hier, das für eine schwere Stunde, die ihm bevorstand, sich Kraft und Mut holte am Tisch des Herrn und dann unverzagter seinen Weg ging mit dem Trost: Fürchte dich nicht, ich bin mit dir? Keines hier, das schon Zeuge gewesen wäre, wie auch für den letzten Kampf, den Todeskampf, für den schwersten Gang, den Gang in die Ewigkeit, ein Christ gestärkt wurde durch dies himmlische Wahl und dann ruhiger sein Stündlein erwartete in der Zuversicht: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tale, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“?
„Das tut zu meinem Gedächtnis.“ O dies Gedächtnis schon an unsern großen Vorgänger auf der Leidensbahn wie kann es uns stärken in der eigenen Trübsal, wie muss es uns ermuntern zu treuer Nachfolge!
„Das ist mein Leib für euch gegeben, mein Blut für euch vergossen.“ dies liebevolle „für euch“ was ist es ein Trost für arme betrübte Gewissen, die ihre Sünden empfinden und bekennen, Gottes Zorn und den Tod fürchten und nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten!
„Bis ich es neu mit euch trinken werde in meines Vaters Reich.“ wie weist uns das so tröstlich hinaus über Kreuz und Leid, über Tod und Grab in eine selige Ewigkeit, wo Gott abwischen wird alle Tränen von unsern Augen, wo die Seinen bei dem Herrn sein werden allezeit!
Darum die herzliche Bitte an Alle, die eine Stärkung brauchen im Kampf des Lebens und eine Erquickung in Stunden der Trübsal, nicht nur an die Frauen, sondern auch an die Männer, nicht nur an die Einfältigen, sondern auch an die Gebildeten, nicht nur an die Niedriggestellten, sondern auch an die Bevorzugten in der Gesellschaft: Unterschätzet es nicht dieses Mahl des Herrn, überhört nicht die freundliche Einladung: Kommt her zu mir alle die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken! Kommt, nicht nur um eine Pflicht zu erfüllen, das ist ja auch recht und gut, sondern auch um einen Segen zu holen. Kommt, wenn euch die Bürde des Kreuzes drückt; kommt, wenn euch euer Gewissen verklagt; kommt zumal auch in dieser heiligen Festzeit, in dieser stillen Woche, die auch dem Vielbeschäftigten Raum und Zeit lässt zu diesem frommen Gang und erneuert eure Gemeinschaft mit dem, der keinen ungesegnet von sich lässt, welcher heilsbegierig zu ihm naht.
Aber willst du wirklich einen Segen haben von diesem gesegneten Brot und Kelch, so komme nicht nur äußerlich, damit der Sitte Genüge geschehe, sondern mit einem andächtigen, bußfertigen und vertrauensvollen Herzen. Willst du in einer lebendigen Gemeinschaft stehen mit dem Herrn, so komme nicht nur einmal im Jahr zu seinem Tisch, um deiner Pflicht dich wieder zu entledigen, sondern bleibe allezeit im Geist mit ihm verbunden.
Die Gemeinschaft, welche der Christ am Abendmahlstisch eingeht mit seinem Erlöser, ist ja nur die höchste Blüte und der feierlichste Ausdruck der Herzens- und Geistesgemeinschaft, darin er überhaupt mit ihm stehen soll. Täglich an seinem Wort sich erquicken, täglich im Gebet ihm nahen, täglich in Gedanken mit ihm umgehen, täglich ihn in sich aufnehmen als das Brot des Lebens, das erst ist die rechte Herzenskommunion, die wahre Lebensgemeinschaft mit dem Herrn.
Ohne diese Gemeinschaft gleichst du dem schwachen Rohr, das vom Winde hin und her geweht wird, oder der dürren Rebe, die vom Weinstock abgeschnitten ist; in dieser Gemeinschaft aber hast du den rechten Halt für deine Seele, findest du Trost für jedes Leid, Kraft zu jeder Pflicht, Beistand in jedem Kampf, und darfst es auch in Leidensstunden empfinden: In dem Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke!
Haben wir aber so Gemeinschaft mit dem Herrn, dann haben wir auch Gemeinschaft mit einander. Und darauf zielt eine weitere Mahnung aus Jesu Leidensstunden für unsre Leidensstunden:
2) Auf liebevolles Zusammenhalten untereinander.
„Liebe Kindlein, ich bin noch eine kleine Weile bei euch. Ihr werdet mich suchen; und wie ich zu den Juden sagte, wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hingehen. Und ich sage euch nun: ein neu Gebot gebe ich euch, dass ihr euch unter einander liebt, wie ich euch geliebt habe, auf dass auch ihr einander lieb habt. Dabei wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.“ Mich selbst, will der Herr sagen, habt ihr nun bald nicht mehr bei euch: Haltet um so treulicher zusammen, habt einander desto herzlicher lieb, dann werdet ihr durchkommen auch in schwerer Zeit. Denn Eintracht macht stark.
Und nun, meine Lieben, dies Gebot brüderlicher Eintracht gilt es nicht noch heute, gilt es nicht doppelt in böser Zeit?
„Denn wie kann die Last auf Erden
Und des Glaubens Ritterschaft
Besser uns versüßet werden
Als durch solcher Liebe Kraft?“
Nächst den Tröstungen, die von oben kommen, was kann uns die Lasten des Lebens so erleichtern, die Stunden der Trübsal so erheitern, wie die herzliche Teilnahme, die tätige Handreichung brüderlicher Liebe? Wenn Kreuz und Trübsal ein Haus heimsucht, ist es dann nicht ein Wort zu seiner Zeit: Kindlein, liebt einander; haltet einträchtig zusammen; geteiltes Leid ist halbes Leid?
Haltet in Liebe zusammen, wenn Sorgen der Nahrung oder andere Bekümmernisse an die Türe klopfen, statt dass ihr im Missmut murrend und scheltend einander das Leben verbittert; streckt einträchtig alle Kräfte dran mit einander und für einander; Friede ernährt, Unfriede verzehrt!
Haltet in Liebe zusammen, wenn Krankheit eingekehrt ist im Hause; tragt eines des andern Last, steht mit einander an bei Tag und Nacht, löst einander ab im Wachen und Beten - und ihr werdet leichter durchkommen auch durch Angst- und Sorgenzeiten.
Haltet in Liebe zusammen, auch wenn der Tod eine Lücke im Hause gemacht hat. Ihr Gatten, lasst das gemeinsame Leid euch inniger mit einander verbinden. Ihr Kinder, werdet dem bekümmerten Vater, der betrübten Mutter zum Trost und zur Stütze. Ihr Geschwister, streitet euch nicht über dem Grabe der Eltern. Liebe träufelt lindernden Balsam auch in die schmerzlichsten Wunden, Zwietracht tröpfelt ätzendes Gift hinein.
„Ein neu Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.“ Ja wohl ein neu Gebot, so alt es ist, ein Gebot, das immer aufs neue der Christenheit muss eingeschärft werden. Denn wie selten ist diese Liebe zu finden in einer Welt, wo Selbstsucht und Eigennutz die Haupttriebfeder ist bei dem Meisten, was geschieht.
Wie selten auch bei den Jüngern Jesu, wo Hochmut, Empfindlichkeit, Ehrgeiz, Parteigeist, Verdammungssucht so manchmal den Einklang stört.
Wie schmerzlich wird man oft überrascht, wenn man auch in christlichen Kreisen, wo man meinte, da sei alles Liebe und Friede, auf geheime Verstimmungen und Zerwürfnisse stößt! Wie Schad' ists oft, wenn man auch neben edlen Gaben, reichem Wissen, schönen Verdiensten, mancherlei Tugenden, einen traurigen Mangel findet an der Gabe, daran der Herr seine Jünger erkennen will!
„Ein neu Gebot gebe ich euch, dass ihr euch unter einander liebt, wie ich euch geliebt habe!“ So ruft Der uns zu in dieser Passionszeit, der uns durch sein Leben, Leiden und Sterben gezeigt hat, was Liebe heißt, heilige, selbstverleugnende, weltumfassende, weltüberwindende Liebe! „Wie ich euch geliebt habe.“ O wie demütigt uns das, wenn wir unsre unreine und unheilige, unsre matte und laue Liebe mit der seinen vergleichen! Wie erhebend und ermunternd ist aber auch der Ausblick zu solch einem Vorbild himmlischer Liebe!
Ja weißt du, wo die rechte christliche Bruderliebe sich lernt? Nicht in der Schule irgend eines Sittenlehrers, mag er auch die Pflicht der Liebe noch so klar beweisen. Nicht bei den Harfenklängen eines Dichters, wie begeistert er auch die Schönheit der Menschenliebe preist. Nicht unter der Rednerbühne eines Vaterlandsfreunds, mag er noch so eindringlich mahnen: Seid einig, denn Eintracht macht stark! Besser als irgendwo lernt sich die rechte, starke, heilige, christliche Bruderliebe unter dem Kreuz Jesu, beim Anblick des Gotteslamms, das der Welt Sünde trug. Nur wenn du von der Liebe etwas erkannt und erfahren hast, die auch für dich in den Tod gegangen ist, nur dann kann auch in deinem Herzen die Liebe recht kräftig und dauerhaft sich entzünden, die da spricht: Lasst uns ihn lieben, auch in den Brüdern ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt!
Aber wie steht es damit in unsern Herzen? Die Leidensgeschichte des Herrn führt uns zu beschämenden Entdeckungen in unsrem Innern. Sie mahnt uns auch für unsre Leidensstunden
3) zu ernster Wachsamkeit über uns selbst.
Leidenszeiten sind Zeiten der Prüfung und Sichtung. Da wird der Rat der Herzen offenbar; da wird die Spreu gesondert vom Weizen; da werden die Schlacken geschieden vom Golde; da kommt zum Vorschein, was Gutes an einem Menschen und in ihm ist: Standhaftigkeit, Gottvertrauen, Opferwilligkeit, Geduld, Sanftmut und Demut; aber da zeigt sich auch, was von Selbstsucht und Weltliebe, von Hoffart und Weichlichkeit, von Heuchelei und Unbeständigkeit in einer Menschenseele steckt.
So auch in der Leidensgeschichte des Herrn. Er zwar konnte von sich sagen in jenen dunklen Stunden: Nun ist des Menschen Sohn verklärt und Gott ist verklärt in ihm. Für ihn war sein Leiden eine Verklärung, denn was Göttliches in ihm war, hat sich nirgends herrlicher gezeigt, als auf dem dunklen Hintergrund seines Leidens.
Aber auch die Sünde der Welt in allen ihren Gestalten kommt da recht demütigend zum Vorschein, und zwar nicht nur in den Reihen seiner Feinde, sondern auch im Kreise seiner Jünger; nicht nur die Bosheit der Bösen, sondern auch die Schwachheit der Guten stellt sich da beschämend heraus. Schon als er sich mit seinen Jüngern zu Tisch setzte, hatte der Herr ihnen die schmerzliche Eröffnung gemacht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: einer unter euch wird mich verraten.“ Und nun am Schluss des Mahles muss er selbst seinen Petrus so eindringlich warnen: „Simon, Simon, siehe, Satanas hat euer begehrt, dass er euch möchte sichten wie den Weizen,“ und ihm voraussagen: „der Hahn wird heute nicht krähen, ehe denn du dreimal verleugnet hast, dass du mich kennst!“
Eine ernste Warnung auch für den redlichen Christen: prüfe dich selbst, wache über dein Herz, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach!
Und wann, meine Lieben, haben wir diese Wachsamkeit nötiger als in Zeiten der Anfechtung und Gefahr, in Leidenszeiten, wo unser Glaube geprüft, unsre Geduld geübt, unsre Treue bewährt werden soll?
Da mirs wohl ging, sprach ich: ich werde nimmermehr darniederliegen, aber da du dein Antlitz verbirgst, erschreck ich. Das ist Davids Bekenntnis (Ps. 30,7.8.) und ist Petrus Erfahrung; ists nicht vielleicht auch die unsrige?
Wie leicht lassen wir durch eine Reihe glücklicher Tage uns in Sicherheit wiegen, vergessen den Ernst des Lebens und den Fleiß der Heiligung, werden nachgiebig gegen uns selbst und gegen die Welt, lassen unsern Lebenskahn gedankenlos dahinschaukeln auf dem Strom der Zeit. Und wenn nun der Sturm der Trübsal kommt, sind wir nicht gefasst; wenn die Wogen der Anfechtung uns umrauschen, ist nichts in Ordnung, weder Kompass noch Steuer, weder Ruder noch Anker, und jetzt heißts: Herr hilf, wir verderben!
Wie leicht begegnets uns in linden und leichten, erträglichen Tagen, dass wir wie Petrus uns überschätzen, bis wirs mit ihm erfahren müssen: Hochmut kommt vor dem Fall. Man traut sich selber zu viel, entweder als natürlicher Mensch seiner Klugheit, seinen Grundsätzen, oder als Christ seinem Gnadenstand, seiner Herzensverfassung; man meint über das hinaus zu sein was Andern noch versuchlich und gefährlich ist; ja man wünscht sich vielleicht im Übermut eine rechte Glaubensprobe, um darin zu glänzen. Und siehe, die Probe kommt, aber in andrer Gestalt als mans gemeint, zu andrer Zeit, als man erwartet; und der Erfolg ist nicht glänzend, das Ende sind bittere Reuetränen.
Jesus antwortete ihm: „Solltest du dein Leben für mich lassen?“ Ja Mensch, prüfe dich selbst, du Jünger, der du den Herrn liebst, besinne dich wohl: bist du auf jede Anfechtung gefasst welche das Leben bringen, zu jedem Opfer bereit das dein Christenberuf von dir fordern kann? Wer hat den Mut zu einem kecken Ja?
„Siehe, Satanas hat euer begehrt dass er euch möchte sichten wie den Weizen.“ Und wenn so eine Sichtungszeit wieder käme für die ganze Gemeinde, wo es Verfolgungen zu bestehen, wo es Gefängnis und Tod zu wagen gälte, wo im Siebe der Anfechtung die Christenheit gerüttelt würde wie der Weizen - o wie viel Spreu von Namenchristentum würde da im Sturme davonfliegen, von wie manchen auch unter uns würde es heißen: man hat dich gewogen und zu leicht erfunden! Darum was der treue Seelenfreund seinen Jüngern in ernster Stunde mit so heiligem Ernst zur Warnung sagt, davon wollen wir Gewinn ziehen für die Prüfungsstunden, die auch unser noch warten können: Wacht und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallt, denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Und je tiefer wir unsre eigene Schwachheit fühlen, um so demütiger und heilsbegieriger wollen wir unter das Kreuz Christi treten und zu seinem Altare kommen mit der Bitte: vergib mir, was ich bisher gefehlt habe und stärke mich zu neuer Treue!
O du an den ich glaube Und den mein Geist umfasst,
Der du im Todesstaube Für mich gelegen hast
Auf dein Verdienst und Leiden Vertrau ich ganz allein,
Darauf werd ich einst scheiden Und ewig bei dir sein.
Amen.