Murray, Andrew - Nach Jesu Bild - XVI. In seiner Liebe

Murray, Andrew - Nach Jesu Bild - XVI. In seiner Liebe

„Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch unter einander liebt, wie ich euch geliebt habe, auf dass auch ihr einander lieb habt“ (Joh. 13,34).

„Das ist mein Gebot, dass ihr euch unter einander liebt, gleich wie ich euch liebe“ (Joh. 15,12).

Gleichwie: wir fangen nun an, etwas von der Herrlichkeit dieses kleinen Wortes zu verstehen. Es ist nicht ein Teil des Gesetzes, das uns nur von unserer Sünde und Untüchtigkeit überzeugt; nein, es ist ein neues Gebot, es gehört dem neuen Bunde an, welcher auf besseren Verheißungen steht. Es ist das Gebot dessen, der nichts fordert, wozu Er uns nicht tüchtig gemacht hätte, und wozu Er uns die Kraft nicht anböte. Es gibt uns die Gewissheit, dass Er nichts von uns erwartet, was Er nicht in uns wirken wollte: Gleichwie ich euch liebe, und jeden Augenblick diese Liebe durch den Heiligen Geist in euch ausgieße, also liebt euch unter einander. Das Maß, die Stärkung und die Triebkraft euerer Liebe findet ihr in meiner Liebe zu euch.

Gleichwie ich euch liebe: dies Wort zeigt uns das Maß der Liebe, womit wir einander lieben sollen. Die wahre Liebe kennt kein Maß; sie gibt sich ganz. Wohl mag sie Zeit und Maß ihrer Kundgebungen erwägen; aber die Liebe selbst ist stets ganz und ungeteilt. Darin besteht die Herrlichkeit der göttlichen Liebe, dass der Vater und der Sohn, wiewohl zwei Personen, doch durch die Liebe nur ein Wesen sind, da der Eine in dem Andern aufgeht. Jesus, der da ist das Ebenbild Gottes, liebt uns, gleichwie der Vater Ihn liebte; und die brüderliche Liebe soll auch von keinem anderen Maßstab wissen, als von der Liebe Jesu.

Wer Jesu ähnlich gemacht werden will, muss dieses ohne Zögern zur Richtschnur seines Lebens machen. Er weiß, wie schwer, ja wie unmöglich es oft ist, Brüder, welche so manches Widerwärtige oder Unliebenswürdige an sich haben, mit inniger Liebe zu umfassen. Ehe er ihnen nun begegnet, unter Verhältnissen, wo seine Liebe auf die Probe gesetzt werden mag, da geht er zuvor im Stillen zu dem HErrn, und indem er seine eigene Sünde und Unwürdigkeit ins Auge fasst, fragt er: Wie viel bist du deinem HErrn schuldig? Er geht zum Kreuze hin und sucht dort die Liebe zu ergründen, womit ihn der HErr geliebt hat. Er lässt das Licht der unermesslichen Liebe dessen, der sein Haupt und Bruder im Himmel ist, in seine Seele hinein scheinen, bis er es erfassen lernt, dass die göttliche Liebe nur ein Gesetz kennt: Die Liebe sucht nicht das Ihre, die Liebe gibt sich ganz. Dann legt er sich selbst auf den Altar seinem HErrn dar, indem er spricht: „Gleichwie du mich geliebt hast, also will ich auch die Brüder lieben.“ Auf Grund meiner Verbindung mit Jesu, und durch Jesum mit ihnen, kann von keinem geringeren Maße der Liebe die Rede sein: ich liebe sie, gleichwie Jesus liebt. O dass doch die Christen allen Einwendungen ihrer eigenen Herzen gegenüber das Ohr verschließen wollten, und ihre Augen nur auf das Gebot richteten, welches Er, der sie geliebt hat, durch sein eigenes Beispiel ihnen vorhält, - dann würden sie es erkennen, dass sie nichts anderes zu tun haben, als seine Gebote anzunehmen und denselben zu gehorchen.

Die Liebe Jesu kann auch deshalb der Maßstab unserer Liebe sein, weil sie die Quelle ihrer Kraft ist. Sie ist nicht eine bloße Vorstellung oder ein Gefühl; nein, sie ist eine wahrhaft göttliche Lebenskraft. So lange ein Christ dies noch nicht versteht, kann sie ihre volle Macht in ihm nicht zur Geltung bringen. Aber wenn sein Glaube es erfasst, dass Jesu Liebe nichts anderes ist, als eine Mitteilung seiner selbst und seiner Liebe an seine Geliebten, dann wird er eingewurzelt in diese Liebe als in das gute Erdreich, aus welchem sein Leben genährt wird; er erkennt dann, dass sein HErr nur das von ihm verlangt, dass er sich seiner Liebe öffne und dieselbe ihn durchströmen lasse. Er kann nur in der Kraft leben, die ihm Jesus gibt: die Liebe Christi dringt ihn also, und macht es ihm möglich, zu lieben, wie Jesus liebte.

An der Liebe Jesu lernt der Christ, in was seine Arbeit der Liebe zu den Brüdern bestehen soll. Wir haben bereits Gelegenheit gehabt, von verschiedenen Äußerungen der Liebe zu sprechen: von ihrem hingebenden Dienst, ihrer Selbstverleugnung und Sanftmut. Die Wurzel aller dieser Früchte ist die Liebe. Sie lehrt den Jünger sich selbst anzusehen, als in der Tat dazu berufen, in seinem kleinen Kreise, gerade wie Jesus, einzig und allein dafür zu leben, um andere zu lieben und ihnen zu helfen. Paulus betet für die Philipper: „dass eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntnis und Erfahrung“ (Phil. 1,9). Vielleicht versteht der Gläubige nicht sogleich, welcher Art die Arbeit ist, die seine Liebe leisten kann. Wenn er aber betet, dass seine Liebe je mehr und mehr reich werde in Erkenntnis, wenn er wirklich Jesu Vorbild zur Nichtschnur seines Lebens macht, dann wird es ihm klar werden, was für ein großes, herrliches Arbeitsfeld ihm eröffnet ist. Die Kirche Christi, jedes Kind Gottes, ja die ganze Welt hat ein unaussprechliches Bedürfnis nach Liebe, nach einer Kundgebung der Liebe Jesu. Ein Christ, welcher das Wort Jesu: „Liebt euch unter einander, gleichwie ich euch liebe“, als einen Befehl ansieht, dem Folge geleistet werden muss, bringt allen, mit denen er in Berührung tommt, eine Segens- und Lebenskraft mit. Die Liebe ist die Erklärung des wunderbaren Lebens und Sterbens Jesu: und heute noch wird die göttliche Liebe durch Gottes Kinder Wunder bewirken.

„Seht, welch' eine Liebe!“ „Siehe, wie Er liebt!“ Diese Worte bezeichnen die Liebe des Vaters und des Sohnes; sie müssen auch in dem Leben eines jeden Christen tonangebend werden. Es wird überall dazu kommen, wo in lebendigem Glauben und wahrer Hingabe der Befehl Jesu zu lieben, wie Er liebte, als Lebensregel angenommen wird. Schon bei der Berufung Abrahams wurde der Grundsatz, dass, was Gott uns gegenüber ist, wir auch andern sein müssen, als Lebenssame in dem Reiche Gottes niedergelegt. „Ich will dich segnen“, „und du sollst ein Segen sein.“ Wenn das Wort: „Ich habe euch geliebt“ der Höhepunkt der Gesinnung Gottes gegen uns ist, dann muss das andere: „auf dass auch ihr einander lieb habt“ das hauptsächlichste Merkmal eines Kindes Gottes sein. Sowohl in der Lehre als im Wandel muss es anerkannt werden: Die Liebe, welche wie Jesus liebt, ist das Kennzeichen wahrer Jüngerschaft.

Geliebte Mitchristen, Christus Jesus verlangt nach euch, um aus euch eine Quelle der Liebe für eure ganze Umgebung zu machen. Die Liebe des Himmels möchte von euch Besitz ergreifen, um in und durch euch ihr Werk des Segens auf Erden auszuführen. Beugt euch unter ihr Zepter; gebt euch ihr rückhaltlos hin, damit sie Wohnung in euch mache. Verlasst euch zuversichtlich darauf, dass sie euch lehren wird zu lieben, wie Jesus liebte. Wie die Umgestaltung nach Jesu Bild das Kennzeichen eines Christenwandels ist, so muss die Liebe das Hauptkennzeichen dieser Umgestaltung sein. Werdet nicht mutlos, wenn es euch nicht sogleich gelingt. Haltet nur fest an dem Befehl: „Liebt, wie ich euch geliebt habe.“ Es braucht Zeit, um da hinein zu wachsen. Nehmt euch Zeit, im Stillen dieses Bild der Liebe zu betrachten; nehmt euch Zeit, durch ernstliches Gebet euer Verlangen danach zur Flamme anzufachen. Nehmt euch Zeit, alle, die um euch sind, wer sie auch sein mögen, und was ihnen auch geschehen mag, mit diesem einen Gedanken im Herzen anzusehen: „Ich muss sie lieben.“ Nehmt euch Zeit, eurer Verbindung mit eurem HErrn recht bewusst zu werden, damit ihr jedem bangen Zweifel, ob es auch möglich sei, so zu lieben, mit dem Wort entgegnen könnt: „Hat mir nicht Jesus geboten: Liebe, gleichwie ich geliebt habe?“ O meine Brüder, nehmt euch Zeit zum Liebesverkehr mit Jesu, eurem liebevollen Vorbild, dann werdet ihr auch dies Gebot, zu lieben, wie Er liebte, freudig erfüllen.

Herr Jesu, der du mich so wunderbar geliebt hast, und mir nun gebietest zu lieben, wie du liebtest, siehe, hier bin ich zu deinen Füßen. Mit Freuden will ich deine Befehle aufnehmen, und nun in deiner Kraft ausgehen, um deine Liebe an allen Menschen zu erweisen.

In deiner Kraft, o mein HErr! Darum bitte ich dich, mir deine Liebe zu offenbaren. Gieße deine Liebe aus in mein Herz durch deinen Heiligen Geist. Lass es mich jeden Augenblick meines Lebens erfahren, dass ich von dir geliebt bin.

HErr, lehre es mich verstehen, dass ich nicht mit meiner eigenen, sondern mit deiner Liebe lieben kann. Du lebst in mir, dein Geist wohnt und wirkt in mir; aus dir strömt mir die Liebe zu, womit ich andere lieben kann. Du verlangst nur von mir, dass ich meinen Beruf anerkenne, und mich einem dir ähnlichen Leben weihe. Du willst, dass ich meinen alten Menschen mit seiner Selbstsucht und Lieblosigkeit als gekreuzigt betrachte, und mich im Glauben dazu hingebe, zu tun, was du mir gebietest.

HErr, ich gebe mich dir hin; in der Kraft meines HErrn möchte ich nur leben, um zu lieben, gleichwie du mich geliebt hast. Amen!

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