Körber, Emil - Ölblatt - Das Kind in der Krippe.
(Christfest 1871.)
Text: Luk. 2, 1-14. Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste, und geschah zur Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und Jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein Jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land, zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum, dass er von dem Hause und Geschlecht Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihrer Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird! Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt, und in einer Krippe liegend. Und alsobald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott, und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.
Halleluja! denn uns ist heut
Ein göttlich Kind geboren;
Von ihm kommt unsre Seligkeit,
Wir wären sonst verloren.
Am Himmel hätten wir nicht Teil,
Wenn nicht zu unser Aller Heil
Dies Kind geboren wäre.
Liebster Heiland, Jesus Christ,
Der du unser Bruder bist,
Dir sei Lob, Preis und Ehre. 1)
Mit diesem uralten Freudenliede der Kirche Christi begrüße ich euch, teure Christen und Geliebte im Herrn, im Namen unseres neugeborenen Heilands, dessen Geburtsfest wir heute feiern. Ein Freudentag ist heute, der größte, den die Welt gesehen; darum beginnen wir mit einem Freudenliede. Der Engel des Herrn trat zu den Hirten und hielt ihnen eine fröhliche Predigt: siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; - und die Wächter Zions sollten heute nicht in die Freudenposaune stoßen, dass von ihrem fröhlichen Schall womöglich Aller Herzen freudig erbeben? ich sollte an dieser heiligen Stätte von dieser seligen Gottesfreude schweigen, die auch euch, ja euch, ihr Lieben, widerfahren ist? Die Menge der himmlischen Heerscharen sammelte sich und sang in seliger Harmonie das erste Lob- und Danklied der Christenheit: Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und an den Menschen ein Wohlgefallen! - und wir, Geliebte, sollten nicht singen, unsere Herzen sollten nicht jauchzen und jubilieren in dem Gott unseres Heils?
Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket ihr Enden der Erden!
Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden.
Friede und Freud wird uns verkündiget heut,
Freut euch, Hirten und Herden!
Ja, wenn Christus nicht gekommen wäre in die Welt, wenn es keinen Heiland gäbe, wenn uns fein göttlich Kind geboren wäre, wenn wir nicht sagen dürften: des Vaters eingeborener und geliebter Sohn ist gekommen zu suchen. und selig zu machen, was verloren ist, Gott ist Mensch geworden uns zu gut; wenn wir heute nur eines gewöhnlichen Menschen Geburtstag feierten, dann müsste ich euch zurufen: weint und klagt! legt Trauerkleider an, und streut Asche auf euer Haupt! dann wollte ich mir selber zurufen und sprechen: ach, dass ich Wasser genug hätte in meinem Haupte und meine Augen Tränenquellen wären, dass ich Tag und Nacht beweinen möchte mein und meiner sündigen Mitmenschen Unglück und Elend! ja, dann möchte ich am liebsten nicht geboren sein. Denn was sind wir in unserem natürlichen Zustand? Sünder! unsere Sünden scheiden uns und unsern Gott! Sünder haben ohne einen Versöhner und Heiland von dem heiligen und gerechten Gott nichts zu hoffen; ein Bruder kann den andern nicht erlösen; uns bleibt ohne Christus nur ein schreckliches Warten des Gerichts. Ach was sind wir in unserem natürlichen Zustand? Unser Geschlecht ist ein krankes Geschlecht; wir sind krank, bis aufs Mark hinein krank, nicht bloß äußerlich, sondern besonders innerlich, am Herzen krank, ohne wahre Kraft zum Guten. Was sollen aber Kranke anfangen ohne einen Arzt? Wie soll der todkranken Welt Gesundheit zu Teil werden ohne den Arzt von Oben, den Weltheiland? Aber nun, meine Lieben: der Arzt ist gekommen, der Versöhner und Weltheiland ist da, das göttliche Kind ist geboren, der Aufgang aus der Höhe hat uns besucht, die heilsame, rettende, seligmachende Gnade Gottes ist erschienen, die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unseres Heilands hat sich dargestellt leibhaftig und persönlich in dem Jesuskinde; Gott ist Mensch, auf dass wir Gottesmenschen werden, Gott ist im Fleische, auf dass alles Fleisch Gott schaue, Gott ist in die Welt gekommen, auf dass die todkranke Welt gesund werde, eine neue Welt, in welcher Gerechtigkeit und Friede sich küssen, auf dass Gott sei Alles in Allen! Darum weg mit aller Traurigkeit! weg mit aller Schwermut, weg mit allen trüben und düstern Gedanken! Niemand soll sich unterstehen, an dem großen. Freudentage der Welt trübsinnig einherzugehen! O nein, wir wollen fröhlich sein und uns freuen! singt dem Herrn ein nenes Lied, denn er tut Wunder; nehmt die Harfen und greift mächtig in die Saiten; singt, spielt unserem Gott in euern Herzen mit einer ganz besonderen, göttlichen, heiligen Freude! Damit diese Freude in uns recht entzündet werde, stellen wir uns heute im Geiste anbetend vor
Das Kind in der Krippe
und betrachten
- Die Tatsache der Geburt des Heilandes.
- Die erste Predigt darüber aus dem Munde des Engels.
- Das erste Loblied darüber aus dem Munde der himmlischen Heerscharen.
Jesu, du schöne Weihnachtsonne, du freundliches Himmelslicht, gehe heute in recht vielen Herzen auf mit deinem milden und sanften Gottesschein; vertreibe all unsere Traurigkeit und schenke uns eine wahre, himmlische Weihnachtsfreude! Amen.
I.
Die heiligste aller heiligen Geschichte beginnt mit einer Weltgeschichte, mit dem Gebot des Kaisers Augustus, dass alle Welt geschätzt würde. Bevor wir nach Bethlehem geführt werden in die Hütte der Armut und Demut, wo Gottes eingeborener Sohn sich in unser armes Fleisch und Blut einhüllte, werden wir im Geiste versetzt in die glänzende Hauptstadt der Welt, nach Rom, wo im prunkenden Palaste ein stolzer Kaiser auf dem Throne sitzt und ein Machtgebot ausgehen lässt, dass alle Welt geschätzt werde. Aber der gewaltige Herrscher, auf dessen Wink die ganze Welt in Bewegung geriet und Federmann ging, dass er sich schätzen ließe, muss ohne Wissen und Willen dienen dem Kindlein im Stalle. Denn auch Joseph mit Maria machte sich auf aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem; und so wurde durch jenes Schatzungsgebot die Weissagung des Propheten Micha von dem Ort der Geburt des Heilands erfüllt: Und du Bethlehem im jüdischen Lande, bist mitnichten die Kleinste unter den Fürsten Juda; denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der über mein Volk Israel ein Herr sei.
So haben wir gleich an der Pforte der heiligen Geschichte die merkwürdige Wahrheit, dass das Weltreich dem Gottesreiche dienen muss. Und wenn es auch jetzt noch gar nicht so aussieht, sondern die Kirche Christi oft eine unterdrückte und mit Füßen getretene Magd ist, so wird sie doch einst herrlich erscheinen, wenn es wahr geworden ist, was in der Offenbarung Johannis geschrieben steht: es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden; und Er wird König sein von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dann dürfen wir mit voller und ganzer Wahrheit singen: Jesus Christus herrscht als König, Alles ist ihm untertänig, Alles legt ihm Gott zu Fuß. Jede Zunge soll bekennen, Christus sei der Herr zu nennen, dem man Ehre geben muss.
Nun aber, meine Lieben, lasst uns zur heiligen Familie zurückkehren! Lasst uns den Wanderstab in die Hand nehmen. und im Geiste nach Bethlehem pilgern und sehen die Geschichte, die da geschehen ist. Die Weissagung ist herrlich erfüllt, Christus ist in Bethlehem geboren. Diese merkwürdige, erstaunliche Tatsache erzählt Lukas mit den schlichten, einfältigen Worten: „Es kam die Zeit, dass sie gebären sollte, und sie gebar ihren ersten Sohn, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“ Wo soll ich Worte finden, die würdig wären dieser großen, göttlichen Tat? Ich muss euch und mir selbst zurufen: Zeuch deine Schuhe aus! denn die Stätte, da du stehest, ist heiliges Land. Beuge dich, mein Geist, in den Staub vor dem Vater aller Geister und bete an die ewige Liebe, die den Sohn der Liebe geschenkt hat der liebeleeren Welt. O lasst uns stille stehen und anbeten vor dem Geheimnis der Gottseligkeit! Gott ist im Fleische! wer kann dies Geheimnis ergründen? Der unendliche, ewige Gott in der endlichen, zeitlichen Welt! Der Heilige und Reine in der Welt voll Unheiligkeit und Befleckung; der Sündlose unter Sündern und für Sünder; der Unsterbliche und Unverwesliche im Lande des Todes und der Verwesung; der selige und allgenugsame Gott im Lande der Unseligkeit und Unzufriedenheit; der auf dem Throne der Freuden sitzt im Tal der Tränen; der eingeborne Sohn, der in des Vaters Schoße ist, liegt als Kind in den Armen einer Jungfrau; den aller Himmel Himmel nicht fassen können, der die Himmel kann verwalten, hält Herberge in einer armen Hütte, ist in dem engen Raume einer elenden Krippe eingeschlossen Gott ist Mensch! ein Kind, ein Knabe, ein Jüngling, ein Mann! wandelt auf Erden, predigt mit holdseligen Lippen unsterbliche Worte der Liebe und Wahrheit, segnet, heilt und rettet die fluchbeladene, kranke und verlorene Welt, leidet und stirbt, ruht im Grabe, bricht die Bande des Todes, steht auf und fährt gen Himmel, da sitzt er zur Rechten seines allmächtigen Vaters, von dannen er wieder kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten.
Wenn ich dies Wunder fassen will,
So steht mein Geist vor Ehrfurcht still;
Er betet an und er ermisst,
Dass Gottes Lieb unendlich ist.
Aber, sprichst du, mein lieber Christ, ist denn kein Schlüssel vorhanden, um dieses Geheimnis aufzuschließen und zu verstehen? O freilich, deine Sünde, die einen Versöhner und Heiland braucht, und die grundlose Güte und Liebe unseres Gottes, der sich erbarmt über das Elend der Welt, die in Sünden dahinschmachtet das ist der Schlüssel zu diesem Geheimnis. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab; durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes hat uns besucht der Aufgang aus der Höhe, dass er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist ein Wunder der göttlichen Liebe. Das Denken hört auf, aber das Danken fängt an. Fröhlich soll mein Herze springen. Ja, du mein Herz, singe und springe, jauchze und jubiliere, schließ auf deine Pforte und lass den Sohn der ewigen Liebe einziehen!
Ich bete an die Macht der Liebe,
Die sich in Jesu offenbart;
Ich geb' mich hin dem freien Triebe,
Wodurch ich Wurm geliebt ward;
Ich will, anstatt an mich zu denken,
Ins Meer der Liebe mich versenken.
Jesu, dass dein Name bliebe
Im Grunde tief gedrücket ein!
Möcht deine süße Jesusliebe
In Herz und Sinn gepräget sein!
Im Wort, im Werk und allem Wesen
Sei Jesus und sonst Nichts zu lesen!
Die Tatsache der Geburt unseres Heilandes ist nur aus der alles Denken übersteigenden Liebe unseres Gottes zu begreifen. Hören wir nun
II.
die erste Predigt darüber aus dem Munde des Engels.
Es war eine stille, nächtliche Stunde, Hirten waren in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten ihre Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids.“ Wahrlich, das ist eine fröhliche Predigt! Die Hirten sind glückliche, beneidenswerte Zuhörer, welche aus dem Munde eines himmlischen Boten die erste Freudenbotschaft von dem gottseligen Geheimnis vernehmen durften. „Fürchtet euch nicht“, hebt der Engel an. O selige Klänge aus der himmlischen Heimat, da man die Furcht nicht kennt, weil keine Sünde und Befleckung ist, sondern Gott schaut von Angesicht zu Angesicht in heiliger Ehrfurcht und stiller Freude. O seliges Wort, o süßes Wort! süßer denn Honig und Honigseim, eine Quelle des lichten Trostes für uns arme Menschenkinder, daraus Bächlein, ja Ströme der Erquickung in unser Herz sich ergießen. Fürchtet euch nicht! fürchtet euch nicht, meine Lieben. Dieses kostbare Wort wollen wir in unser Herz einschließen und nie vergessen; es soll unser liebster Begleiter sein auf all unsern Wegen bis zum Grab, ein freundlicher Stern auch in der dunkelsten Nacht. Unser Herr und Gott lässt nicht bloß den Hirten, sondern auch mir und dir, einem jeden Menschenkinde, das im Glauben des Herrn Wort annimmt, durch den Engel laut und vernehmlich ins Ohr und Herz rufen: fürchte dich nicht! Dein Vater im Himmel erlaubt dir, o Christ, ja er befiehlt dir: du sollst dich nicht mehr fürchten, du sollst furchtlos durch diese Welt gehen, durch diese Welt voll Angst und Not, voll Kummer und Betrübnis, voll Zagen und Verzagen, voll Zweifel und Verzweiflung, voll Elend und Leiden, Krankheit und Tod. Wenn Hundert und Tausend zur Rechten und zur Linken durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sind, so soll und darf ein Christ furchtlos sein. Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen? Christen dürfen getrost das Haupt aufheben und sprechen mit Paulus: „wir haben nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass wir uns abermals fürchten müssten, sondern wir haben einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!“ O fürchtet euch nicht, fürchtet euch nicht, im Herrn Geliebte! siehe, ich verkündige euch große Freude. Neben der heiligen Furchtlosigkeit besitzen die Christen eine heilige Freude. Das Christentum ist nicht Traurigkeit, nicht Trübsinn, nicht Schwermut, nicht Kopfhängen, wie die Feinde des Heilands sich vorspiegeln und wähnen, und deshalb sich und Andere von einem ernsten Christentum abhalten. O nein! siehe, ich verkündige euch große Freude, nicht eine kleine, nicht eine mittelmäßige, nicht eine vergängliche Freude, die bald welkt und abfällt wie die Rosen, sondern eine große, bleibende, andauernde, göttliche, geheiligte Freude. Ja, rechte Christen, welche die Heilsbotschaft im Glauben aufnehmen, sind so wenig traurige und finstere Leute, dass sie vielmehr die glücklichsten, die vergnügtesten, die fröhlichsten Leute unter der Sonne sind; ihnen ist ja ein Heiland geboren, die Sünden sind getilgt, die Missetat ist vergeben, sie haben nun einen freien Zugang zum Vater in Christo. Darum dürfen sie sprechen: meine Seele ist fröhlich im Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit bekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Schmuck geziert und wie eine Braut in ihrem Geschmeide prangt. Das Wesen, der Inhalt des Christentums ist Freude, eine geheiligte, stille Freude im Herrn, die nicht rauscht und braust wie die Weltfreude, die doch keine Freude ist und Niemand befriedigt, sondern die Freude im Herrn ist ein stilles, sanftes Vergnügtsein der Seele. in Gott, dem Heiland und Versöhner.
„Fürchtet euch nicht! siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ Von der Freude des Christentums ist nach der Botschaft des Engels Niemand ausgeschlossen; für alles, alles Volk ist sie bereitet, nicht bloß für die Juden, sondern auch für die Heiden, nicht bloß für die Reichen, sondern auch für die Armen, nicht bloß für die Gesunden, sondern auch für die Kranken, für die Mühseligen und Beladenen, für die Angefochtenen und Sterbenden. Für Hohe und Niedere, für Gelehrte und Ungelehrte, für Junge und Alte, für Männer und Frauen, für Jünglinge und Jungfrauen, für alles, alles Volk ist diese Freude bereitet; wer nur durch den Glauben Jesum aufnimmt im Herzen, der darf und soll und wird sich freuen im Herrn. Meine Lieben, heute ist ein Freudenfest, ein fröhlicher Tag, ein lieblicher Tag! O, dass ich mit der Zunge eines Engels predigen könnte, um den Geburtstag unseres Heilands euch recht groß und herrlich, recht lieblich, heiter und fröhlich zu machen. Es sitzt gewiss manche Seele unter uns, die betrübt und traurig ist und wehmütig und sorgenvoll ins Leben schaut, die gedrückt und gebeugt ist von diesem oder jenem Kummer. Liebe Seele, heute darf und muss ich dir im Namen des neugebornen Heilands zurufen: Lass dein Weinen, trockne die Tränen, wer du auch seist, gib deinem Kummer und deinen Sorgen den Abschied; fort mit den traurigen, schwermütigen Gedanken! denn die Weihnachtsonne ist aufgegangen, der große Freudenbringer ist erschienen, der Tröster in aller Not der Welt liegt in der Krippe! Und wenn du mühselig und beladen bist und Leid trägst über deine Sünden, wenn du hungerst und dürstest nach der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und kannst doch nicht recht satt werden: lieber Freund, wage es heute, dich ganz und rückhaltlos deinem Heiland zu übergeben, wage einen tiefen Blick in den Abgrund. der Liebe Gottes! Dir ist heute ein Heiland geboren, der Arzt der Kranken, der Versöhner und Seligmacher, der nicht bloß helfen will, sondern auch helfen kann; denn er ist Christus der Herr, Gott über Alles gelobt in Ewigkeit.
Wer sich fühlt beschwert im Herzen,
Wer empfind't seine Sünd'
Und Gewissensschmerzen:
Sei getrost! hier wird gefunden,
Der in Eil machet heil
Deine tiefsten Wunden.
III.
Nachdem der Engel seine fröhliche Predigt den Hirten gehalten hatte, war alsbald bei ihm die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und an den Menschen ein Wohlgefallen! Das ist das erste Loblied über die Geburt des Heilands aus dem Munde der himmlischen Geister. Ehre sei Gott in der Höhe! Die Engel fangen mit ihrem Lob- und Dankliede oben an, in den höchsten Höhen, bei Gott. Also ziemt es sich; aller Himmel Himmel, alle seligen Geister, die Cherubim und Seraphim sollen Gott anbeten und ihm die Ehre geben über die neue, herrliche Offenbarung in Christo. Denn hier zeigt sich das innerste Wesen unseres. Gottes im schönsten Glanze, im herrlichsten Lichte. In der Schöpfung offenbart Gott seine Allmacht, Weisheit und Güte; aber in der Erlösung und Wiederbringung der gefallenen, sündigen Welt tut sich ein neuer Abgrund der göttlichen Gnade auf, es glänzt und strahlt die anbetungswürdige Liebe unseres Gottes, der in unbegreiflichem Erbarmen seines eingebornen Sohnes nicht verschont hat, sondern ihn dahingegeben hat für die arme, arge, unglückliche Welt. Darum tönt es durch alle Himmel hindurch: Gott ist die Liebe! Ehre sei Gott in der Höhe!
Und Friede auf Erden! Was gibt es Köstlicheres und Seligeres auf Erden als den Frieden und die Ruhe der Seele. Alle Reichtümer der Welt, alle Schätze dieser Zeit, alle Lustbarkeiten und Vergnügungen des Fleisches, alle Wissenschaft und Kunst, aller Glanz und alle Ehre ist nicht zu vergleichen mit dem glücklichen Zustand einer Seele, die Frieden hat, die versöhnt ist durch Christum und schmecken darf den Frieden Gottes, der höher ist denn alle Vernunft. Dieses köstliche Friedensgut hat Christus auf Erden gebracht, der große Friedefürst, der durch seine Menschwerdung, durch sein heiliges Leiden und Sterben die Sünde getilgt und eine ewige Versöhnung gestiftet hat. Gelobt sei Gott! Nun gibt es auf Erden Friedenskinder, es gibt ein stilles Friedensreich unter dem freundlichen Zepter des Friedefürsten. Freilich ist dieses Reich noch inwendig verborgen in den Herzen und die Welt im Großen will Nichts davon; sie mordet und schlachtet, sie streitet und hadert, als ob die Engel gesungen hätten: „Unfriede auf Erden.“ Aber nur getrost! Das Friedensreich Jesu wird sich noch offenbaren in der ganzen Welt, der Friede Gottes wird ausbrechen wie ein Strom und die Erde bedecken wie die Wogen des Meeres. Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen, und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. O arme, friede- und ruhelose Welt! du wirst einst noch zum Frieden kommen und ruhen am Herzen des großen Friedefürsten. Dann wird das Loblied der himmlischen Geister sich ganz erfüllen: „Friede auf Erden!“
Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und an den Menschen ein Wohlgefallen! Konnten denn die Engel also singen? Sind wir Menschen nicht gefallene, sündige und rebellische Geschöpfe? Ist unsere Gestalt nicht hässlich und schändlich geworden? Haben wir das Ebenbild Gottes nicht entstellt und befleckt durch allerhand Sünde und Unreinheit. Ja, Geliebte, ohne Christus müssten wir ein Abscheu sein in den Augen des heiligen Gottes. Aber Gott selbst hat uns angenehm gemacht in dem Geliebten; nun betrachtet er uns wieder mit freundlichem, liebevollem Auge, sein Wohlgefallen ruht auf den Menschen um Christi willen. O wer kann diese Liebe unseres Gottes fassen! Ewigkeiten der Ewigkeiten werden nicht hinreichen, um die Liebe unseres Gottes auszudenken, auszureden, auszurühmen und genugsam anzubeten. Freut euch im Herrn allewege, und abermals sage ich euch: freut euch! Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und an den Menschen ein Wohlgefallen! Halleluja!
Amen.