Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - VI. Von der auserwählten Seele herrlichen Himmelfahrt.

Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - VI. Von der auserwählten Seele herrlichen Himmelfahrt.

Jesus gen Himmel ist gezogen;
Mein Herz ist eilend nachgeflogen;
Ich sage gleich ja oder nein,
Will es bei seinem Jesu sein.
Wie soll ich es immer fangen an?
Der Leib will auch mit Kräften dran.
Ich sage gleich ja oder nein;
Will er bei seinem Herzen sein.
Soll denn die Seele nur allein
Verbleiben und verlassen sein?

(Bernhardus in jubilo.)

Seinen Lauf hat nun der Pilger vollendet und die bestimmten Jahre, Monate, Tage, ja auch die bestimmten Stunden, Minuten und Augenblicke seines Lebens vollbracht. Den Leib hat die Seele in sanftem Abschied gesegnet. Und siehe, nun kommen die heiligen Engel (Luk. 16.) und führen sie auf dem feurigen Triumphwagen Eliä zum himmlischen Berg Zion.

Alsdann empfindet sie nicht mehr die Hitze des Fiebers, die Traurigkeit des Trübsinnes, die Schmerzen der mancherlei Krankheiten und Leibesbeschwerden; sondern wie ein Vogel dem Strick entronnen, verwundert sie sich über ihre Freiheit und fängt nunmehr an in vollkommener Weise zu erkennen, dass der vorigen Zeit Leiden gegen dieser Herrlichkeit Anfang oder gar gegen derselben seligen Fortgang ganz nichts zu schätzen sei. Sie verwundert sich über den Wagen, der nicht gezimmert, über die Rosse, die nicht gezäumt, über die Führer, die nicht gedingt. Wenn sie den Leib bei sich hätte, so wären ihre Augen der Tränen, ihre Zunge des Rühmens, ihr Mund des Lachens voll (Ps. 126.): es schiene ihr nicht anders, als ob sie aus dem babylonischen Gefängnis daherwallte und jetzt die Gegend des geliebten und gelobten Landes erblickt hätte.

Schaut sie nun, menschlich davon zu reden, auf die Erde zurück, so bedünkt sie, die Berge hüpfen wie Lämmer und die Hügel wie die jungen Schafe. Und was ist ihr nun dieser Welt Weisheit? Ein Körnlein von einem großen Felsen. Und ihre Ehre? Ein Schatten von einem Nebel. Und ihre Macht und Gewalt? Ein Spiel des Unglücks. Und ihr Reichtum? Eine Last des Leibes, eine Unruhe der Seele, ein Raub der Armut. Und ihre Wollust? Eine Ausgeburt von Sodom, ein Abschaum von der Hölle. Was aber ist ihr nun dieser Welt Leiden? Ein Vorgang der Herrlichkeit, eine Hoffnung der Ewigkeit.

Hier wollen wir ein wenig stillstehen und einen Blick tun in des Himmels unermesslichen Raum. So weit das menschliche Auge blicken und der menschliche Verstand nachrechnen kann, begreift das Firmament in seinem Umkreis 1017 Millionen Meilen, so dass ein Reiter, wenn er auch alle Tage 40 Meilen zurücklegte, dennoch erst in 2904 Jahren diesen Raum durchreisen könnte; ja wenn es möglich wäre, dass ein Mühlstein vom Firmament herabgeworfen würde und derselbe in seinem Falle alle Stunden 200.000 Meilen zurücklegte: so würde er doch kaum in 92 Jahren auf der Erde anlangen. Doch lassen wir diese Berechnung und ihre weitere Erforschung den Gelehrten. Wir haben den Trost, dass Gottes Himmelreich nicht ferne ist von uns. Stephanus hat auf Erden schon hineingeschaut (ApGesch. 7,55.) und Petrus samt Johannes und Jakobus haben auf dem Berge der Verklärung schon darin geruht und wollten darin Hütten bauen (Matth. 17.).

Aber wie hoch muss die auserwählte Seele erfreut sein, wenn sie mit unnachdenklicher Geschwindigkeit den Weg der Ewigkeit reist, wenn sie diese irdische Welt verlässt, die Stätte der Elemente durchdringt, die Veste der Sterne übersteigt, durch die Himmel bricht und zu dem rechten Vaterland eilt! Schnell ist der Flug des Adlers; noch schneller die Bewegung der Gestirne, fast unbegreiflich geschwind der Lauf einzelner Weltkörper; aber noch viel tausend Mal geschwinder ist der Flug der auserwählten Seele bei ihrer seligen Himmelfahrt. Es kann nach irdischen Zahlen nicht bestimmt, und nicht einmal nach Minuten und Augenblicken berechnet werden. Denn sie wird weggerafft von Gottes allmächtigen Händen, denen kein Ding unmöglich ist. Hat Er zu König Hiskias Zeiten den Schatten am Sonnenzeiger Ahas zehn Linien, über welche er gelaufen, in einem Augenblick zurückgezogen: sollte hier seine Hand verkürzt sein? Der Seelen Gedanken begeben sich in einem Augenblick vom Niedergang zum Aufgang, von der Erden zum obersten Himmel: und sollte hierbei die Hand des Herrn verkürzt sein?

Wenn aber die Seele nun herabschaut, wie nichtig ist ihr der Welt Treiben. Auch das gewaltigste Kriegsheer der Erde erscheint ihr als ein kleiner Haufen Ameisen, die auf einem geringen Hügelein sich bewegen. Und sähe sie, wie die hinterlassenen Menschen mit Feuer und Schwert um nichtsgültige Länder kämpfen; sollte sie ihrer nicht spotten und sagen: „Gehabt euch wohl, ihr Kinder, gehabt euch wohl! Streitet um Haus und Hof, um Schlösser und Städte, um Länder und Reiche. Teilt den Punkt der Erde in viel tausend Pünktlein. Bei dem Punkte spielt ihr um die Nichtigkeit; über den Punkt verspielt ihr die Ewigkeit.“

Wie hoch aber wird die Seele erfreut sein, wann sie die himmlische Musik der heiligen Engelein vernimmt, welche rühmen die kluge Jungfrau, die mit der Lampe sich fertig gehalten und nunmehr mit dem Bräutigam zur Hochzeit eingehen soll (Matth. 25.). Hat sie ob ihres treuen Bekenntnisses das Elend bauen, Haus und Hof, Eltern und Verwandte verlassen und das Zeugnis der Wahrheit mit dem Blute ihres Leibes besiegeln müssen: so erheben jene ihre Stimmen und sagen: „Sie hat den Drachen überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort des Zeugnisses; sie hat ihr Leben nicht geliebt bis an den Tod; darum tut euch auf, ihr Himmel, und kommt heraus alle, die darin wohnen (Offenb. 12,11.)!“

Wird aber nicht eine, sondern werden etliche Seelen gen Zion geführt, so ist die Freude und der Jubel noch viel größer. Denn wenn in dieser irdischen Welt Schiffe eines Volkes oder Reiches auf dem Meere einander mit Freudenschüssen empfangen und mit dem Schall der Trommeten1) begrüßen: wie werden sich die Engelein der einzelnen Seelen zusammenschwingen und mit vereintem Gesang rufen: Diese sinds, diese sinds, die kommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht in dem Blut des Lammes; darum sollen sie vor dem Stuhl Gottes sein und Ihm dienen Tag und Nacht in Seinem Tempel (Offenb. 7,14.15.). So fährt dahin die himmlische Sulamith. Sie fährt dahin aus den Beschwerden des Leibes, aus dem Kerker der Welt zur Freiheit des Himmels, zu der sie durch das Evangelium berufen, durch die Taufe eingeweiht, durch die unfehlbare Wahrheit im Wort und Sakrament erhalten und endlich in den letzten Todesnöten durch die Stimme Gottes abberufen ist. Sie fährt dahin in Gesellschaft der Seraphinen, die ihre Flügel hoch aufschwingen, bald auf- und niederschweben, bald vor- bald nacheilen, bald zur Rechten und Linken sich begeben und mit dem so teuer erkauften Gute davon eilen.

O Herr Jesu! Wer bist Du und wer bin ich, Menschenkind? Du bist der Abgrund der Majestät und Herrlichkeit, der Tugend und Weisheit. Ich bin der Abgrund des Elends und der Nichtigkeit, der Sünde und des Unverstandes! Hilf! dass ich allen Auserwählten nachfolge auf dem Wege der Seligkeit und dermaleinst ereile die Stadt der Ewigkeit. Amen.

1)
Trompeten
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autoren/m/mayfart/mayfart-himmlisches_jerusalem/mayfart-himmlisches_jerusalem-kapitel_6.txt · Zuletzt geändert: von aj
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