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Leighton, Robert - Die Furcht

Leighton, Robert - Die Furcht

Und sintemal ihr den zum Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeglichen Werk, so führet euren Wandel, so lange ihr hier wallet, in Furcht.

1. Petri 1,17

Zweierlei Versuchungen sind es im allgemeinen, die den Christen von Gottes Wegen abwenden können: die Hoffnung auf lockende und glänzende Scheingüter und die Furcht vor Unglück. Diese beiden sind der Versuchung am meisten ausgesetzt, und das Wort Gottes will den Christen noch besonders dagegen wappnen, indem es ihm Hoffnungen und Gefahren zeigt, die über alle irdischen erhaben und groß sind. Der Apostel spricht in diesem Brief oft von der Hoffnung, hier ist's nun die Furcht, die er betrachtet, indem er ihre Natur und ihre Bewegursachen hervorhebt.

Zur Furcht ermahnen, ist das nicht im völligen Widerspruch mit allem Vorhergehenden? Wie läßt sich dies mit „der Hoffnung, mit der Liebe, und mit einer unaussprechlichen Freude“ vereinigen? Sagt nicht Johannes: „die völlige Liebe treibet die Furcht aus“ (1. Joh. 4,18). Sind nicht alle diese Gnadengaben dadurch in Schreckensgaben verwandelt?

Die Furcht, die uns hier empfohlen wird, ist jenen Gnadengaben nicht nur nicht hinderlich, sondern im Gegenteil von ihnen unzertrennlich, sie wächst und verschwindet mit ihnen; denn es ist die heilige Frucht, Gott, den Geber aller guten Gaben, zu beleidigen. Je mehr der Christ glaubt und Gott liebt, je größer wird seine Furcht, seinem Gott zu mißfallen. Diese Furcht ist die wahre Quelle eines reinen Wandels; sie treibt die Seele an, alle Versuchungen zu fliehen, flößt ihr Abscheu ein vor der Sünde, diesem Feind ihres Friedens, und erhält sie im Glauben, in der Hoffnung und in der Freude. Wenn aber diese heilsame Furcht schwach wird oder einschläft, dann verlieren alle diese Gaben ihren Wert, und ohne Zweifel ist eine große Sünde Ursache oder Folge davon. Der Apostel will daher diese kostbaren Gaben unter die Hut einer frommen und wachsamen Furcht gestellt wissen. Diese Furcht ist mit der Heiligung so unzertrennlich, daß sie in der Schrift sehr oft als diese selbst bezeichnet wird. Salomo nennt sie „der Weisheit Anfang“ (Spr. 9,10). Wie jede andere Furcht kommt auch diese aus der Besorgnis eines uns drohenden Übels. Dieses Übel ist die Sünde und das Mißfallen Gottes, dessen Strafen wir zu erwarten haben, darum hält der Christ mit Recht die Sünde für das größte Übel. Wer sollte sich nicht täglich bestreben, in dieser „Furcht des Herrn“ zu wandeln?

Ohne Zweifel ist zwischen der knechtischen und kindlichen Furcht ein großer Unterschied! Aber auch die kindliche Furcht schließt ein gerechtes Strafen der Sünden nicht aus. Der Apostel bezeichnet auch als Beweggrund zu dieser Furcht: „Gott, der ohne Ansehen der Person richtet.“ Und David, der so innig und tief seine Gemeinschaft mit Gott fühlte und seine Hoffnung allein auf ihn setzte, sagt: „Ich fürchte mich vor dir, daß mit die Haut schaudert, und entsetze mich vor deinen Rechten!“ (Ps. 119, 120) Obgleich der edle Teil der Seele nicht verloren gehen kann, so zittert doch das Fleisch vor dem göttlichen Gericht. Es ist weniger die zeitliche Strafe, die dem Christen eine heilige Scheu vor dem Zorne Gottes einflößt, als vielmehr der Gedanke, daß sie eine gerechte ist, daß er sie durch seine Sünden verdient habe, und er fürchtet, die Liebe Gottes zu verlieren, die ihm doch Bedingung seines Lebens geworden ist. Wie die Menschen ihn ansehen, kümmert ihn wenig, wenn nur sein Gott ihm freundlich ist.

Wenn der Christ die Macht so vieler Versuchungen, seine Schwäche und Ohnmacht, ihnen zu widerstehen, und die traurigen Erfahrungen betrachtet, die er über seine edelsten Vorsätze machen mußte, so wird er über seine Schwäche und Unbeständigkeit erschrecken. Welche Widersprüche finden sich doch in einer Menschenseele? Wie erhaben und wonnevoll denkt und fühlt er in gewissen Augenblicken über Gott und seine zukünftige Herrlichkeit! Und wie leicht wird er zu einer anderen Zeit die Beute der niedrigsten Versuchung! Wenn er Gott und seine Verheißungen, die allmächtige Kraft des Heilands und seine Gnade betrachtet, ist er voll des gläubigsten Vertrauens; wirft er aber einen Blick auf sich selbst und findet so vieles noch in seinem Herzen, was nur zu geneigt ist, sich mit den Gefahren und Versuchungen von außen zu befreunden, so wird er sich nicht nur fürchten, sondern er wird an sich selbst verzweifeln müssen. Und so soll es sein, auf daß sein Vertrauen zu Gott um so größer und reiner werde. Diese Furcht ist nicht, wie der Hochmut und Eigendünkel, dem Glauben zuwider, sondern mit ihm verbunden. - „Du stehest, aber durch den Glauben, sei nicht stolz, sondern fürchte dich“ (Röm. 11,20), und im Brief an die Philipper (2,12.13) sagt der Apostel: „Schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern.“

Aber, kann man einwenden, was kann der fürchten, dessen Seligkeit gesichert ist? Diese so fest begründete Sicherheit kann ihm nichts mehr, selbst die Sünde nicht, entreißen. Dies ist wahr, aber ebenso wahr ist, daß es ohne Furcht vor der Sünde keine wahrhafte Sicherheit gibt, ohne diese Furcht ist es nur die falsche Sicherheit und Sorglosigkeit eines ungeheiligten Geistes und nicht die Sicherheit des Glaubens. Und die Sünden eines Gläubigen können ihn, wenn auch nicht seiner Seligkeit, deren er gewiß ist, doch auf eine Zeitlang des Trostes dieser Sicherheit berauben und ihn der Angst eines schuldbewußten Gewissens preisgeben. Niemand wird sich dem Zufall eines Sturzes aussetzen wollen, der ihm ein Glied kosten könnte, auch wenn sein Leben nicht Gefahr liefe und er von seinen Wunden völlig geheilt werden sollte; er wird aus Furcht vor den Schmerzen mit großer Vorsicht den gefährlichen Weg gehen und sich ängstlich vor dem Falle hüten.

Diese Furcht ist nicht Feigheit; nicht herabwürdigend, sondern erhebend, denn sie tötet die niedrige Furcht und erzeugt den wahren Mut, der um den Preis eines guten Gewissens und des Gehorsams gegen Gott alle Gefahren überwindet. „Der Gerechte ist mutig wie ein junger Löwe.“ (Spr. 28,1). Er kann alles wagen, ausgenommen Gott zu beleidigen. Diese Furcht ist die Mutter aller großen und edlen Entschließungen und Taten; die Märtyrer und Heiligen trugen geduldig ihre Leiden, sie fürchteten nicht Gefangenschaft noch Folter noch Tod, weil sie gegen Gott zu sündigen fürchteten. Dies ist der Unterschied zwischen christlicher und fleischlicher Furcht. Christus sagt: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, sondern vor dem, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle“ (Mat. 10,28). Moses war voll Mut vor einem stolzen und schlechten König, als ihm aber Gott erschien, rief er: „Ich bin erschrocken und zittere“ (Heb. 12,21). Der Apostel verlangt diese heilsame Furcht sowohl in Bezug auf Gott, als auch auf die Welt. Gott ist euer Vater und Richter. „Als seine durch ihn neugeborenen Kinder“ sollt ihr voll heiliger Scheu zittern, einen so guten Vater zu beleidigen. Er ist aber auch euer höchster Richter. „Er richtet einen jeden nach seinen Werken.“ Sein Gericht ist gerecht, denn er kennt die Menschen und wägt ihre Gedanken und Werke unparteiisch, bei ihm gilt kein Ansehen der Person. Vor Gott sind die Menschen, groß oder klein, arm oder reich, nur sterbliche Geschöpfe seiner Hand. Unsere Erde hat hohe Berge und tiefe Täler; aber im unermeßlichen Weltall ist diese Erde nur ein kleiner unscheinbarer Punkt, auf dem alle Höhen verschwinden. So ist der Mensch vor ihm wie der Tropfen am Eimer und das Stäublein in der Waage (Jes. 40,15). Auch betrachtet Gott das äußere Ansehen der Werke so wenig als das der Personen; er schaut in die Tiefe der Herzen und erforscht unsere geheimsten Gedanken; er wird jede Handlung an sich und nach dem Geiste richten, daher sollen wir ängstlich wachen über unsere Gesinnungen. Wenn diese nicht rein und redlich sind, so werden selbst unsere besten Werke verworfen, mag unser äußerer Wandel auch tadellos gewesen sein. Möge dieser Gedanke uns auf den Tag des Gerichts in heilsamer Furcht erhalten (1. Kor. 10,11), damit wir nicht an diesem großen Tage ausrufen müssen: „Ihr Berge fallet über uns und ihr Hügel deckt uns!“ (Luk. 23,30) Aber auch in unseren Beziehungen zur Welt sollen wir achtsam und vorsichtig sein: So lange ihr hier auf der Erde wallet, führet euren Wandel mit Furcht. Als Fremdlinge und Reisende seid ihr manchen Zufällen und Gefahren ausgesetzt, es bedarf daher viel sorglicher Klugheit, um den Fallstricken des Feindes zu entrinnen. Hier ist nicht der Ort eurer Ruhe; eine wachsame Furcht ist auf eurer irdischen Laufbahn euch nötig, in eurem ewigen Vaterland wird diese Furcht nicht mehr sein, sie wird als Begleiterin auf eurer Pilgerreise mit euch sterben. Bis dahin also soll der Christ mit Vorsicht wandeln, bis er ankommt in einer Welt, wo nur Ruhe, Friede und Freude wohnt.


Quelle: Leighton, Robert - Das christliche Leben nach dem ersten Petrus-Brief

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