Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Sinai).

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Sinai).

Siebenzehnte Predigt.

Elfte Lagerstätte: die Wüste Sinai.
Fortsetzung.

Hebr. 12, 18-21.

Es ist ordentlich rührend, wenn Gott bei dem Propheten Jesajas Kap. 43,26 sagt: erinnere mich, lass’ uns mit einander rechten; sage an, wie du gerecht sein willst. In den beiden vorhergehenden Versen hält der Herr seinem Volke vor, teils, dass es ihn nicht gerufen und nicht um ihn gearbeitet, ihm nicht aus innerem Drang der Liebe Opfer und dergleichen dargebracht, sondern dass es ihm vielmehr Arbeit gemacht mit seinen Sünden, und Mühe mit seinen Missetaten; teils hält er ihm vor, dass Er dessen Missetat tilge um sein selbst willen und seiner Sünde nicht gedenke. – Wollte ihnen das zu gering und armselig dünken, dass sie so gar kein vorläufiges Verdienst sollten aufzuweisen haben: so fordert Gott sie denn auf, mit ihm zu rechten und einen anderen Weg anzuweisen, wie sie gerechtfertigt zu werden gedächten, ob sie wohl einen anderen ausfindig machen, und nicht am Ende frei erklären müssten, ja, ihr ganzes Heil beruhe und stehe in der Vergebung der Sünden.

Jerem. 2,35 ist auch von einem Rechten, d.i. einem Prozess oder Rechtsstreit zwischen Gott und den Menschen die Rede, das allerdings bei jedem vorgehen muss, der also steht, wie es da gesagt wird. Du sprichst, heißt es daselbst, ich bin unschuldig. Er wende seinen unverdienten Zorn von mir. Aber siehe! ich will mit dir rechten, dass du sprichst: ich habe nicht gesündigt. Das gibt mehrenteils einen langwierigen Prozess, ehe und bevor eine Seele das vollständig, ohne Einschränkung, ohne Ausnahmen und Entschuldigungen einräumt, sie habe gesündigt und nichts anders als das vor Gott aufzuweisen, so dass jemand nicht mit Unrecht sagt: der ist fürwahr ein tief erfahr’ner Christ, der gründlich glaubt, dass er ein armer Sünder ist. –

Ist das aber erst in gehöriger Ordnung, erkennt der Mensch seinen Prozess als verloren an: so tritt dann ein herrliches Recht ein, wovon es Jes. 1,18 heißt: so kommt denn und lasst uns mit einander rechten: wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden und wenn sie gleich ist wie Rosinfarbe, soll sie doch wie Wolle werden.

Auf eine solche heilsame Weise rechte der Herr auch mit uns, indem wir in Betrachtung der Geschichte seines alten Volkes in der Wüste fortfahren.

Wir fahren fort in Betrachtung der Gesetzgebung vom Sinai herab. Wir haben lieber diese Worte des Apostels Hebr. 12, als einen anderen Text vorlesen wollen, obschon wir nicht gesonnen sind, diesmal die großen Vorteile auseinander zu setzen, welche er durch die Verneinung zu erkennen gibt: ihr seid nicht gekommen zu dem Berge Sinai – dem er den Berg Zion entgegensetzt. Er bezeichnet damit zwei Haushaltungen oder Verfassungen, die gesetzliche nämlich und die evangelische, die er hier und an vielen anderen Orten einander entgegenstellt, namentlich 2. Kor. 3, wo er jene als ein Amt schildert, das die Verdammnis, diese aber als ein Amt bezeichnet, das die Gerechtigkeit predigt, woraus der große Unterschied beider Verfassungen deutlich und scharf hervorleuchtet. – Es wäre sehr der Mühe wert, die Vergleichung zu verlängern, um die Verschiedenheit beider Verfassungen genau zu bezeichnen, woraus denn deutlich hervorgehen würde, dass, so wenig Moses bei aller seiner Herrlichkeit im Stande war, das Volk in Kanaan einzuführen, auch das Gesetz nicht dazu taugt, einem sündigen Menschen zur Seligkeit zu verhelfen, dass, wie ein anderer als Moses nötig war, sie in das verheißene Erbe einzuführen, so auch nur Jesus dazu im Stande ist, Sünder selig zu machen. Und, indem ein anderer Prophet wie Moses verheißen ward, werden wir auch zugleich an einen anderen verwiesen, als an ihn, um bei diesem anderen die Seligkeit zu suchen.

Wir sind jetzt im Begriff, unter des Herrn gnädigem Beistande, die weiteren Vorgänge am Sinai zu betrachten, welche sich unter einem doppelten Gesichtspunkte fassen lassen. Nach dem ersten sehen wir, wie das Volk, allen Versprechungen des Gegenteils ungeachtet, dennoch den Gesetzbund zerreißt und damit den angedrohten Strafen anheimfällt, nach dem anderen aber, wie es nun zur Erbarmung seine Zuflucht nehmen muss, wo Moses denn nicht eher ruht, bis er der vollkommensten Begnadigung gänzlich versichert ist. –

Der getroffenen Übereinkunft gemäß redete Gott, nachdem er die 10 Gebote gegeben hatte, nicht mehr selbst zu dem Volke. Der Berg stand aber noch immer mit dicken Gewölk umhüllt da. Moses stieg auf denselben und kam mit mancherlei zusätzlichen Gesetzen zurück, zu welchen allen das Volk seine bereitwilligste Zustimmung gab und sie zu halten versprach.

War Moses bisher jedes Mal allein hinaufgestiegen, so bekam er jetzt Befehl, eine Begleitung mitzunehmen, welche aus 73 Personen bestand, nämlich Aaron und seine beiden Söhne und 70 Ältesten. Jedoch wurde zwischen Mosen und seiner Begleitung ein großer Unterschied gemacht, denn diese sollten nur von ferne anbeten, Moses aber näher hinzutreten. Sie waren aber vorhin mit dem Bundesblut besprengt worden. Sie sahen hier den Gott Israels ohne Zweifel in der Gestalt eines Menschen, als ein Vorzeichen seiner bevorstehenden Menschwerdung. Doch wird von seiner Gestalt nichts gemeldet, sondern nur gesagt, unter seinen Füßen sei ein Pflasterwerk von Saphir gewesen, welches ein kostbarer Edelstein von himmelblauer Farbe ist, weshalb auch hinzugesetzt wird: wie die Gestalt des Himmels, wenn’s klar ist. Der Hohepriester trug einen Mantel von dieser Farbe. Ob und was sie abbildet, weiß ich nicht, meine aber doch, dass blau die Farbe der Liebe ist – und da mögen wir eigentlich den Saphir als das geeignetste Pflaster ansehen für die Füße des Menschensohnes. Weiß Jemand es noch passender zu deuten, so ist das ja desto besser. Sie sahen Gott, und Gott ließ seine Hand nicht über die Obersten in Israel, heißt es, d.i. er tötete sie nicht, obschon er gesagt hatte, niemand könne leben bleiben, der ihn sehe. Beides ist der Wahrheit gemäß. Kein sündiger Mensch würde es ertragen können, wenn er Gott, als Gott, ohne einen Mittler sähe. In dem Mittler aber bist Du gütig. Und so erwies er sich hier. – Blau entsteht durch eine Mischung der entgegengesetzten Farben, von schwarz und weiß, und ich dürfte wohl behaupten, der schöne Saphir bilde die Vereinigung der zwei Naturen, der göttlichen und menschlichen, in dem Mittler ab, weshalb es auch wohl eigentlich nicht weiß, wie die Gestalt, sondern wie der Leib des Himmels, wenn’s klar ist. – Dieser Anblick hatte für die Begleiter Mosis eine erquickende Wirkung, denn es heißt: da sie Gott geschaut hatten, aßen und tranken sie. Sie waren also gesund und munter. Betet nicht auch David also: lass’ leuchten dein Antlitz, so genesen wir. Ps. 80,20.

Jetzt stieg Moses, dem göttlichen Befehl gemäß, höher auf den Berg, wo Gott ihm die steinernen Tafeln einhändigen wollte. Sechs Tage musste er harren, ehe ihm etwas gesagt wurde. Denn die Herrlichkeit des Herrn wohnte auf dem Berge Sinai, und deckte ihn 6 Tage mit der Wolke. In dieser Zeit genoss Moses nicht, wie auch in den folgenden 34 Tagen nicht, denn er brachte im Ganzen 40 Tage auf dem Berge zu. Jene 6 ersten Tage mussten ganz eigener Art sein, die Moses in einer gänzlichen Stille und Abgeschiedenheit von allen Kreaturen zubrachte. Das müssen ganz eigene Tage einer gänzlichen Einkehr gewesen sein, wo seine Seele in eine außerordentliche Stille, Sammlung und Einfalt einging. Es wird sich da in besonderer Vollkommenheit die Seelengestalt ausgebildet haben, die Samuel in den Worten ausdrückt: rede Herr, denn dein Knecht hört. Habakuk drückt sie auch Kap. 2,1 besonders aus, wenn er sagt: ich stand auf der Wacht, um zu vernehmen, was Er in mir reden würde. Von Jesu selbst lesen wir, dass er ganze Nächte im Gebete Gottes zubrachte, welches ohne Zweifel ein ganz ausnehmendes Beten war, eine ganz erhabene Art zu beten, wie sie vielleicht wenige seiner Gläubigen empfangen, verstehen und üben. Doch wollen einige damit begnadigt worden sein, die auch Verschiedenes darüber geschrieben haben, wovon ich nur jenes, nicht ganz unbekannte Lied nenne, was mit den Worten anhebt: „Ach Gott! man kennet dich nicht recht,“ woraus ich nur den einen Vers anführen will, der also lautet:

Was eignes Wirken hat erweckt,
Nicht lange währt, nicht göttlich schmeckt,
Es lässt uns, wie wir waren:
Hier setzt mich Gott selbst zur Ruh’,
Ich stimme seinem Wirken zu,
Und mag nichts mehr erfahren.

Indes werde jeglicher nur mehr und mehr arm am Geiste, leidtragend, sanftmütig, hungrig und durstig nach der Gerechtigkeit, barmherzig, reines Herzens und friedfertig, so wird uns auf diesem Wege alles Übrige zufallen. Es geht hieraus aber auch hervor, dass ein stetes Herumtreiben, möchte es auch einen löblichen Schein haben, mit einer wahren Gottseligkeit sich nicht wohl verträgt. Soll Jemand besonderer göttlicher Mitteilungen teilhaftig werden, so geht auch eine Sammlung, Einkehr, Abgeschiedenheit und Stille hervor. Das unaufhörliche Reden und Hören tut’s nicht. So ihr aber stille bliebt, so würde euch geholfen, durch stille sein und hoffen würdet ihr stark sein.

Am 7ten Tage rief Gott Mosen zu sich und machte ihn mit manchen Geboten und Satzungen bekannt, welche im 2ten B. Mos. Kap. 25-31 angegeben werden. Wir heben das Merkwürdigste daraus hervor und das besteht darin, dass ihm Kap. 25,40 befohlen wurde: siehe zu, mache alles nach dem Bilde, das dir auf dem Berge gezeigt ist, welches Gebot in der Folge wiederholt wird. Diesen Umstand führt nicht nur Stephanus, sondern insbesondere der Apostel Hebr. 8,5 als sehr bemerkenswert an und der Letztere leitet viele wichtige Folgerungen daraus her. Dies Gebot betrag die Stiftshütte und den gesamten Gottesdienst in derselben, wie er nachgehends im Tempel gepflogen wurde. Dies musste genauso eingerichtet werden, wie es demjenigen gemäß war, was Mosi auf dem Berge gezeigt worden war. Was wurde ihm denn daselbst gezeigt? Nicht ein Bild desjenigen, was er auf Erden in der Wirklichkeit darstellen sollte, wie etwa ein Baumeister ein Bild, einen Plan des Gebäudes entwirft, das nach diesem Plan erbaut werden soll. Vielmehr wurde ihm auf dem Berge des Eigentliche und Wirkliche, das Original gezeigt, welches er auf Erden durch die Bilder des levitischen Gottesdienstes abmalen und abschatten sollte. Jenes, was Moses sah, nennt der Apostel himmlische Dinge, also Wirklichkeit, dasjenige, was er in dem levitischen Gottesdienste darstellte: irdische Bilder und Schattenrisse jener wirklichen himmlischen Dinge. Es war demnach etwas äußerst Wichtiges, was Mosi gezeigt wurde, und wir werden nicht zu weit gehen, wenn wir sagen: dass er deutlich einsah, dass es noch einen ganz anderen Priester gebe, als Aaron und seine Nachkommenschaft, noch ein ganz anderes Opfer und Rauchwerk, als derselbe darbringe, noch ein ganz anderes Blut, als er vergieße, noch eine ganz andere Versöhnung, als er stifte und eine andere Reinigung, als er bewirke und überhaupt eine ganz andere Verfassung, als jetzt bestehe. Dies war ohne Zweifel die heimliche Weisheit, wovon David rühmt, Gott lasse sie ihn wissen und den Grund, warum er sagen durfte: Opfer und Speisopfer gefallen dir nicht; warum Jesajas von einem Knecht des Herrn sagte: er werde sein Leben zum Schuldopfer geben, und Zacharias: Gott werde die Sünde des Landes auf einen Tag wegnehmen – warum Daniel es noch als etwas Zukünftiges betrachtete, wo die Missetat versöhnt, die Sünde zugesiegelt und die ewige Gerechtigkeit angebracht werden sollte. Es lässt sich aber auch zugleich wohl begreifen, warum den Gläubigen des Alten Testaments, namentlich einem David, die öffentlichen Gottesdienste so angenehm waren, wenn gleich nicht an sich selbst, doch als lebendige Vergegenwärtigung des einen großen, zukünftigen Opfers durch einen Priester nach Melchisedeks Weise. Und dient nicht das heilige Abendmahl unter dem neuen Testament ebenfalls zu einer sinnlichen Veranschaulichung und Vergegenwärtigung des wirklich vollbrachten und durch alle Ewigkeit gültigen Opfers Jesu Christi, einmal am Kreuz geschehen? Werden dies nicht alle diejenigen mit desto größerer Freude halten, welche insbesondere die Notwendigkeit dieses Opfers für ihre Personen anerkennen?

Beim Beschluss der diesmaligen Audienz Mosis bei Gott, empfing er zwo steinerne Tafeln; auf welche Gott selbst die 10 Gebote geschrieben hat. Der lange 40tägige Aufenthalt Mosis auf dem Berge, machte indes einen sehr üblen Eindruck auf das unbändige Volk. Es bewies auf eine klägliche Weise mit der Tat, dass es ein steinernes Herz habe und dass es einer besondern Kraft Gottes bedürfe, wenn sein Gebot in demselben wohnen solle. Sie versammelten sich wider Aaron auf eine, ihn bedrohende Weise, und taten die unvernünftige Forderung an ihn, ihnen Götter zu machen, die vor ihnen hergingen. Christus sagt, Unvernunft gehe aus dem menschlichen Herzen hervor. Hier sehen wir denn recht, wie weit es gehen kann. Ein Mensch soll Götter machen – gibt’s eine ärgere Unvernunft? Und das forderte ein Volk, welches noch vor kaum 6 Wochen die augenscheinlichsten, die erschütterndsten Beweise seines Daseins und seiner Herrlichkeit gehabt hatte! Gibt es einen stärkeren Beweis von der Ohnmacht des Fleisches und von der Unverbesserlichkeit der menschlichen Natur, welches auch – außer der Dazwischenkunft der Gnade – die Mittel sein mögen, welche angewandt würden? Sollte man nicht glauben, wenn Gott selbst auf eine hörbare und wohl gar so erschreckliche, doch aber auch zugleich gnädige Weise zu Menschen redete, so würden sie sich alle bekehren? Und doch sehen wir hier das gerade Gegenteil, sehen, dass ihre Bereitwilligkeit, zu gehorchen, nicht Herzenssache war, sondern eine bloße Auswirkung einer knechtischen Furcht; sehen also auch, wie sehr auf unsere Bedürfnisse berechnet jene Verheißung ist, worin Gott selbst verspricht: Er wolle sein Gesetz in unser Herz geben und in unseren Sinn schreiben – denn nichts geringeres wie das, ist zu unserer wirklichen Besserung erforderlich. – Welch’ ein Schwall von Sünden treten hier auf einen Klumpen hervor! welche Undankbarkeit und dergleichen. Sie wissen auch einen Grund anzugeben, wenn sie sagen: wir wissen nicht, was aus diesem Manne Mose geworden ist. Sie tun, als kennten sie Mosen kaum, den sie so fremd einen Mann nennen. Ihm schreiben sie ihre Ausführung aus Ägypten zu, die sie als einen schlechten Dienst betrachten. Und so schändlich benehmen sie sich 6 Wochen nach der Gesetzgebung? Rief sie denn ihre Verkehrtheit umso mehr ins Leben, je kräftiger sie den Ausbrüchen derselben entgegentrat? Ist denn das Gesetz die Kraft der Sünde? wird sie durch dasselbe nicht getötet, sondern lebendig? Nimmt sie denn Ursache am Gebot, um allerlei Lust in dem Menschen zu erregen? Ist’s so nötig, dem Gesetz getötet, und bei einem anderen Manne zu sein?

Doch es wird ja alles noch zum Besten beikommen, da diese Unsinnige sich an Mosis Bruder, den Aaron, wenden. Dieser Mann, ein Hoherpriester, der die hohe Auszeichnung genossen, Gott selbst zu sehen, wird sich dieser tollen Zumutung mit Nachdruck und Eifer widersetzen. Mag er auch merken, dass das Volk geneigt ist, sich an ihm zu vergreifen, so wird er, ein beinahe 90jähriger Greis, sein Leben nicht ehrenvoller zu beschließen wissen, als wenn er als ein Märtyrer die Wahrheit mit seinem Blute versiegeln und für dieselbe sterben darf, wenn er sie nicht aufrecht erhalten kann. Wie ein Fels wird er dastehen, an welchem alle Wogen brechen. Und gewiss erwarten wir nicht ohne Grund eine solches Verhalten von diesem Manne, in einem so wichtigen Augenblick, wo er’s in seinen Händen hat, das Volk von einer schweren Sünde abzuhalten. Ein Petrus würde wahrscheinlich vor seinem Falle erklärt haben, ihm für seine Person würde es unmöglich gewesen sein, sich anders, als pflichtmäßig zu benehmen. –

Aber pfui des Aaron! oder lasst uns lieber sagen, der sich selbst überlassenen menschlichen Natur. Aaron lässt sich ganz nicht darauf ein, das Volk vom Irrwege abzuhalten, vielmehr ist er ihnen behilflich dazu, ihn einzuschlagen; wenigstens scheint er ungemein klug verfahren zu wollen, um sich von allen Seiten zu sichern. Denn Christus sagt, dass neben der Unvernunft auch List, Schalkheit und Schalksauge aus dem menschlichen Herzen hervorgehe. Besorgt für sein Leben, widersprach er ihnen nicht; hoffend, sie auf andere Gedanken zu bringen, fordert er ihnen ihren goldenen Schmuck ab, der ihnen aber doch zu diesem Zwecke nicht zu lieb ist, sondern den sie augenblicklich hergeben; er gießt ihnen jetzt ein goldenes Kalb, und wir wollen hoffen, er habe gedacht, ein Kalb, selbst von Gold, werde ihnen doch für einen Gott zu albern vorkommen, und sie über dem Anblick eines solchen Gebildes ihre eigene viehische Unvernunft erkennen, so wie ihre Gleichstellung mit den Ägyptern, welche abgöttischer Weise einen Ochsen als ihren Gott verehrten, mit Abscheu gewahr werden. – Aber nur die Wahrheit macht frei, nicht aber kann das Abweichen von derselben Nutzen schaffen. Das Volk war damit wohl zufrieden und schrie: siehe da! die Götter, die uns aus Ägyptenland geführt haben. Jetzt wollte denn Aaron die äußerste Klugheit beweisen und suchte das Volk dahin zu leiten, dass sie das Kalb nicht als ihren eigentlichen Gott, sondern nur als ein Bild des wahren Gottes verehrten, hoffend, dies werde eine geringe, oder selbst gar keine Sünde sein, rief deswegen aus: morgen ist das Fest des Jehova. So führte er eine Vermengung ein, wodurch die beiden ersten Gebote: du sollst keine andere Götter neben mir haben, und: du sollst dir kein Bildnis, noch irgendein Gleichnis machen, zugleich übertreten wurden. Das Volk ließ sich diesen selbsterwählten Gottesdienst, der den Menschen immer besser ansteht, als der von Gott verordnete, ganz gut gefallen. Es wohnte des Morgens den Opfern bei, die Aaron verrichtete, des Nachmittags setzten sie sich nieder zum Essen und zum Trinken und standen sodann auf zu spielen. Das war denn ein, dem Fleisch sehr anständiger Gottesdienst. Sie spielten – oder wie es eigentlich heißt: lachten und trieben allerhand Mutwillen – welcher ihnen Kurzweil’ machte.

Mag man denn aus der Verbindung, in welcher hier des Lachens, Spielens und Singetanzes gedacht wird, da es aus dem Abfall von Gott und aus einem falschen Gottesdienst entsprang – einen rechtskräftigen Schluss machen, von den Lustbarkeiten, welche auf eine ähnliche Art unter uns im Schwange geh’n, und daraus abnehmen, was wir, als sogenannte Christen, von dem Lachen und Spielen, von Schauspiel und Tanz zu halten haben, diesen Dingen, die bei den Vornehmen, wie bei den Geringen so eifrige Verteidiger finden. Mögen sie das. Wir müssen sie aber als Dinge betrachten, welche zum Kälberdienst gehören und sich mit der wahren Gottseligkeit schlechterdings nicht vertragen. – Die Kinder Israel mussten ihr Spielen und Tanzen sehr bitter büßen und ihrer 3000 dafür das Leben lassen. Dies ist offenbar ein Lachen, welches sich, wenn es taugen soll, in Weinen, und eine Freude, die sich in eine Traurigkeit nach Gott verwandeln muss. Man besteht darauf, es solle mit dürren Worten aus der Schrift bewiesen werden, dass namentlich das bezeichnete Wesen ausdrücklich verboten sei. Wem dies ausdrückliche Verbot nicht aus den Worten hervorleuchtet, wo von diesen Kälberdienern gesagt wird: sie standen auf zu spielen, und wovon Moses nachher sagt: ich höre das Getümmel eines Singetanzes, der beweist damit nur seinen bösen Willen und sein ungehorsames, widerspenstiges Herz. Diese sollen aber auch wissen, dass sie von wahrer Gottseligkeit gar nichts besitzen und dass sie die Leute sind, von denen Jesus sagt. wehe euch, die ihr hier lachet, denn ihr werdet weinen und heulen.

So lustig ging es in dem Lager zu. Man scherzte, man lachte, man tanzte und sang. Man dachte in seiner Fröhlichkeit weder an Gott, vor dem man sich so gefürchtet hatte, noch an Mosen, der ihnen so nötige gewesen war, noch an die 10 Gebote, die der Herr selbst zu ihnen geredet und ihnen namentlich verboten hatte: du sollst keine andere Götter neben mir haben, du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen. Sie waren heiter, munter und fröhlich. Aber ganz anders wurde auf dem Berge davon gedacht, geurteilt und gesprochen. Das hätte ihnen Hauptsache sein sollen, nicht, wie sie es ansahen, sondern wir es von oben herab angesehen wurde. Das würde ebenso nützlich gewesen sein, als es nötig war. Aber das Hauptsächlichste schlugen sie nicht an. Und so geht’s ja im Ganzen mit den leichtsinnigen Menschen. Sie machen voran. Sie bekümmern sich nicht d’rum, was and’re Menschen, oft nicht d’rum, was die Obrigkeit, bekümmern sich nicht d’rum, was ihr eigenes Gewissen und was Gott selbst dazu sagt. O! ein jämmerlicher Leichtsinn! wohin wird derselbe führen? Wie gänzlich muss sich derselbe verlieren, welche genau Rücksicht auf Gott werden sie lernen müssen, wenn es gut mit ihnen werden soll.

Gott, der Herr, redete mit Mose über diese Sache. Kaum hatte er die zwei Tafeln empfangen, so hieß es zu ihm: geh’, steig’ hinab, denn dein Volk, das du aus Ägypten geführt hast, hat es verdorben. Gott tut ganz fremd und nennt es nicht mehr sein, sondern des Mosis Volk, das er, nicht Gott, aus Ägypten geführt habe. Aber es lag in dieser Art zu reden, doch eine heimliche Gnade versteckt, wie eine Traube unter den Blättern. Denn es ward Mosi gleichsam an die Hand gegeben, dem Herrn zu widersprechen, und Ihm das dein und du zurückzuschieben, wie er auch alsbald tat, da er sagte: warum will dein Zorn ergrimmen über Dein Volk, das Du mit großer Kraft aus Ägypten geführt hast. Seltsames Warum? wo doch so viel Ursache zum Zürnen vorhanden war! – Der Herr machte dem Moses die Sünde des Volkes bekannt. Sie sind, sagt er, schnell von dem Wege abgetreten, den ich ihnen geboten hatte; sie haben sich ein gegossen Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert und gesagt: das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben. Dachten sie in ihrem Ungehorsam nicht an Gott, welches sie davon hätte zurückhalten können: so dachte doch Gott an sie, um es ihnen zu vergelten. Er setzte hinzu: ich sehe, dass es ein halsstarrig, unbiegsam Volk ist. Nun lass’ mich, dass mein Zorn über sie ergrimme und sie auffresse: so will ich dich zum großen Volk machen. Welche wunderbare Rede und welche versteckte Gnade. Allerdings hatte Gott das Recht, also zu handeln, als er zu handeln droht, wenn der Mittler des alten Bundes seine Einwilligung dazu gibt. Indem er ihn aber zu dieser Einwilligung auffordert, gibt er zugleich zu verstehen, dass er ohne diese nichts tun werde. Er fasst Mosen von der Seite an, von welcher die meisten am leichtesten zu überwinden sind, der Ehrliebe nämlich, wenn er sagt: so will ich dich zum großen Volk machen. – Der Herr kannte seinen Knecht allzu genau, als dass er hätte besorgen dürfen, er willige in etwas ein, das in seinen Ratschluss nicht passe, deswegen wagte er ihn so dabei und durfte ihn also wagen. – Moses erkannte sehr wohl, dass Alles in seine Hand niedergelegt sei, wenn der Herr sagte: lass’ mich, und so hatte er’s fürs Volk gewonnen. Was die Ehre anbetraf, so gab er auch diese dem Herrn zurück und erinnerte ihn daran, was die Ägypter dazu sagen würden, wenn er also verführe, erinnerte ihn an seine Wahrheit, an seinen Eid, den er Abraham, Isaak und Israel gegeben, da er bei sich selbst geschworen, er wolle ihnen das Land geben, und zeigte so die Unmöglichkeit, anders als gnädig mit seinem Volke zu verfahren. – So hatte Moses Gelegenheit, sein Mittleramt fürs Volk bei Gott zu verwalten und betete und sprach: kehre dich von dem Grimm deines Zorns und sei gnädig über die Bosheit deines Volks, 2. Buch Mose 31,12. Und dies gefiel dem Herrn sehr wohl. Warum wollte er zürnen, da er Gnade beweisen konnte.

Also getröstet stieg Moses, die beiden von Gott selbst geschriebenen Tafeln in der Hand, den Berg hinab. Schon von ferne tönte ihm das Jauchzen im Lager entgegen. Als er nun nahe genug gekommen war, und des Kalbes und der Tänze ansichtig wurde, ergriff ihn selbst ein heiliger Eifer und Zorn, dass er auch die beiden Tafeln aus seinen Händen warf und sie am Fuße des Berges an dem Felsen zerschmiss – nicht aus Unwillen über die auf den Tafeln eingegrabenen Gebote, sondern über das ungehorsame Volk, als wollte er sagen: was sollen solche heilige Gebote solchem unartigen Volke! Wer will solchen garstigen Leuten von irgendeinem Gebote reden, da sie’s nur hören, um es zu vergessen und zu übertreten. Moses Tat wird übrigens weder gelobt noch getadelt, wir dürfen uns also auch weder das eine noch das andere erlauben. Wohl hatte das Volk die Gesetztafeln zerschmettert und bedurfte andere Tafeln und einer anderen Schrift. Und sind wir nicht in dem nämlichen Fall? – Das Kalb aber nahm Moses, zerbrach, verbrannte es zu Asche, streute sie ins Wasser und gab’s ihnen zu trinken. Aaron bekam einen ernsten Verweis und nun rief Moses: her zu mir, wer den Herrn fürchtet. Der Stamm Levi sammelte sich zu ihm, dem er befahl, mit dem Schwerte in der Hand das Lager zu durchziehen und alle Abgötter zu töten, die ihnen vorkamen, was sie taten, so dass 3000 fielen. Des anderen Morgens sagte er zum Volke: ihr habt eine große Sünde getan. Nun will ich hinauf steigen zu dem Herrn, ob ich vielleicht euere Sünde versöhnen möchte. Er ließ auch nicht eher nach, bis er alles wieder ins Gleiche gebracht hatte, wovon wir – so der Herr will – nächstens zu handeln gedenken.

Sehet denn hier einen kläglichen Beweis von der unaussprechlichen Verderbnis, nicht nur des jüdischen, sondern auch des menschlichen Herzens überhaupt, wozu auch Aaron einen bedauernswürdigen Beitrag gibt. Lasst uns ja nicht bei den Juden stehen bleiben und auf eine scheinheilige Weise fragen: wie war das möglich? Lasst uns vielmehr erkennen, dass wir nicht weniger verderbt, nicht weniger zum Bösen geneigt und – wenn Versuchung dazu schlägt – des Bösen nicht weniger fähig und also auch nicht weniger strafbar sind, wie sie waren. Lasst uns uns rechtschaffen demütigen und rechtschaffen bekehren und allen Ernstes unsere Zuflucht zum Gnadenthron nehmen und nicht ablassen, bis auch uns unsere Sünde vergeben wird, die da groß ist. Bekehre Du uns, Herr, so werden wir bekehrt, heile Du uns, so werden wir heil. Amen.

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