Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Berlin, den 27. Okt. 28.

Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Berlin, den 27. Okt. 28.

Endlich, endlich muss ich doch den lieben Brief vom 29. Aug. beantworten. Sie werden mir verzeihen, wenn ich Ihnen sage, dass ich letzthin einem Reisenden nach Petersburg 36 Briefe mitgegeben habe, gestern zwei einem Andern nach Schlesien, ohne die Briefe, die täglich zu schreiben sind. Doch wozu diese Entschuldigungen, Ihre Liebe erlässt mir Alles.

Ich hatte große Freude, Ihren lieben Schwiegersohn so unerwartet hier zu sehen. Meine tausend Grüße wird er Ihnen gebracht haben.

Sie haben nun doch noch Frau v. R. gesehen; das freut mich, wenn Sie Jemand besucht, als wenn's mir geschehen wäre, ich möchte Ihnen alle Menschen, die Ihnen angenehm sein könnten, hinter Ihren Vorhang schicken, am allermeisten aber Den, der alle Menschen gemacht und erlöst hat. Denn Er ist's doch allein, der uns hilft, tröstet, rät, erleuchtet, belebt.

Meine Anstellung hat sich wieder, wenn nicht ganz, doch auf lange Zeit, verschoben. Die Votation war schon ausgefertigt, sieh, da erregte R. das Volk, sammelt fünfundzwanzig alte Böhmen zusammen, die protestierten gegen mich als einen gewesenen Katholiken (was sie oder ihre Eltern doch alle auch waren) und behaupteten, sie hätten das Recht, einen Böhmen zu wählen. Nun muss das untersucht werden, wie lange, das weiß Gott. Für die Louisenkirche wird nun bald ein Prediger gewählt werden, und ich werde wahrscheinlich, wenn der HErr es nicht wieder hindert, auch ein Mal Predigt halten dürfen, aber ob mich Gott wird gewählt werden lassen, weiß nur Er. Ich habe das Glück, dass mir allenthalben widersprochen wird. Wie schwer es mir ist, dass ich nun schon seit dem August wieder auf den Mund geschlagen bin, nachdem ich vor so vielen Zuhörern vier Monate lang habe predigen dürfen, werden Sie sich kaum vorstellen können, aber mit des HErrn Gnade muss man sich in Alles schicken. Wir sind ja auch nichts wert und können auf nichts Anspruch machen, als auf Schläge und Widerwärtigkeiten; die gebühren Sündern. Wenn's gut geht, ist's lauter Gnade. Für alle jetzigen und vergangenen und noch künftigen Proben sollen wir ja Ihn haben. Es ist ja Alles so gut gemeint, so weislich gewählt, so trefflich getroffen, so heilsam und zuträglich, dass es gar nicht besser sein könnte. Wer könnte es denn besser machen, als Er? Gottlob, dass Er und kein Anderer führt! Ist's gleich oft wunderlich, so ist's doch seliglich, vornehmlich am Ende.

Sie möchtens in Ihrem Innern auch anders haben, als Sie fühlen und haben, ja, wer möchte das nicht, der einmal geschmeckt hat, wie freundlich Er ist. Aber wir müssen uns im Innern und im Äußern Ihm überlassen, freilich darf diese Überlassung in keine Gleichgültigkeit, Lauheit und Sicherheit ausarten, und wir haben daher wohl zu wachen, dass wir die schmale Linie zwischen Ungelassenheit und falscher Gelassenheit treffen. Er lehrt Alles, und sein Geist ist sehr lange - so lange Menschen sind - der treueste Lehrer und Führer, der uns auf ebener Bahn führt. Amen.

Nun gebe der HErr Ihnen Gnade und Kraft, Ihr Kreuz zu tragen und seine Wege, die Er Sie führt, geduldig und ergeben zu wandeln. Wir wissen ja, wohin Er führt: in sein himmlisch Reich. Wir sollen mit regieren, mit leben. und selig und herrlich sein ewiglich. Darum lässt sich auch um Seiner Liebe willen etwas leiden, hat Er's nicht um uns verdient? Und wer hier nicht ein bisschen müde wird, dem wird dort die Ruhe nicht so wohl tun. Nun, grüßen. Sie Ihre lieben Kinder und Kindeskinder, alle christlichen Freunde und Freundinnen recht herzlich. Lobt, liebt und preist den HErrn! Gnade, Friede, Heil und Segen sei mit Ihnen alle Morgen! Amen.

Ihr Gossner.

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