Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Berlin, 15. Mai 28.

Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Berlin, 15. Mai 28.

Ich glaubte schon, Sie hätten mich ausgetan aus dem Register Ihrer Freunde, oder vielmehr ich dachte, Sie würden nicht können schreiben, da kam Ihr Brief vom 4. Febr. und widerlegte mich. Nun aber werden Sie sich denken, ich hätte Ihrer vergessen, und da will ich Sie nun kräftiglich widerlegen.

Zuerst gratuliere ich Ihnen zu dem neuen Geschenk, das Ihnen der Schöpfer der die Menschenkinder ruft, und sie kommen ins Leben durch Ihre liebe Tochter gemacht hat. Ich kann mir Ihre Freude denken, wie Sie in dem jungen Kinde wieder jung werden, und sich im Neugeborenen neugeboren fühlen, ohne deswegen an dieses Sterbensleben gefesselt zu werden. Denn Christus bleibt ja doch ihr Leben und Sterben Ihr Gewinn. Der HErr hat Sie ja recht heimgesucht und geprüft mit Krankheit, daraus schließen Sie sicher, dass Er Sie recht lieb habe und Ihren Glauben fest und lauter wie Gold machen wolle. Er hat Ihrer wahrlich nicht vergessen. Der Leidensender ist aber auch ein Freudensender. Sie sahen die liebe Fried. Dohna, das vergessen Sie auch nicht Gott zum Preise, und das ist schön. Wahrscheinlich werden Sie nun diese Freude wieder haben, wenn die liebe D. nach W. zur Hochzeit reist, da sind Sie ja glücklich, wie gönne ich Ihnen dieses Glück hinter Ihrem ewigen Vorhang. Er möge Ihnen recht oft eine solche Freude machen. Aber es gibt wenig Fried. Dohna.

Ob ich noch nicht angestellt bin? Nein. Und der Kronprinz und König samt allen ihren Adjutanten bemühen sich was sie können, mich anzustellen, und siehe da, heute bin ich so weit als ich vor fünf Monaten war. Gerade gestern war der entscheidendste Tag. Ich war vom König ernannt als Prediger für 8000 Seelen in der Vorstadt für neue Häuser, wo noch keine Kirche ist. Der König wollte aus seinem Eigenen eine bauen lassen, indes sollte ich in nahegelegenen Kirchen predigen - allein dagegen protestierten alle Prediger und Kirchenvorsteher, so dass ich vor ihnen allen gleich darauf verzichtete, und mich erklärte, dass ich in diesem Falle die Stelle nicht nehmen könnte. Da wurden sie freundlich. Nun habe ich wieder nichts. Ach wie sieht es in den Kirchen aus!! Ich will aber schweigen, und meinen Mund nicht auftun, der HErr wird's machen. Die Menschen sind überall Menschen, auch wenn sie Christen heißen. Der Teufel ist auch in allen Formen schwarz, das sagte ich immer, wie Sie wissen, und nun erfahre ich's wieder.

Nun hat mich zwar die böhmische Gemeinde, wo Jänike stand, selbst verlangt, das Consistorium wollte mich dahin stellen, aber es kam ein Projekt vom Kronprinzen dazwischen, und Rückert, Jänike's Schwiegersohn, der jetzt die Gemeinde bedient, und sie gern hätte, wehrt sich wie eine Hyäne gegen mich, und macht mich aus einem Christen des Lebens zum Ketzer (gerade mit Stellen, die wörtlichster Zinzendorf sind). Er lästert, was er kann, mich der Gemeinde verdächtig zu machen. Es wird ihm aber kaum gelingen. Nun habe ich wenig Freude, neben einem solchen Menschen zu stehen, der mit allen Menschen im Kriege lebt. Ich könnte Ihnen noch Manches schreiben, aber wozu? - Wir wollen Gott danken, dass Er uns seinen Sohn gegeben hat und dass wir erlöst sind, das kann uns Niemand nehmen und das ist doch das Beste und Größte.

Ich hatte auch eine Freude in meinem Leide, die darf ich Ihnen nicht verschweigen. Es besuchten mich zwei Freunde aus Petersburg, und zwar die liebsten, die länger hier bleiben und durch Deutschland reisen. Idda ist seit Oktober immer krank, ach wie viel leidet sie; sie grüßt herzlich und gedenkt Ihrer in Liebe.

Nun segne Sie der gütige und freundliche Heiland, lasse Sie recht vergnügt und froh in Ihm unter Ihren Kindern leben, die ich herzlich zu grüßen bitte. Möge der Friede, der höher ist als alle Vernunft, all Ihre Herzen erfüllen. Mögen Sie an den Kindern, die Er Ihnen geschenkt hat, nichts als Freude erleben. Möge Er Ihnen die Gnade und den Geist schenken, sie ja nur Dem zu widmen und zu erziehen, der sie gegeben hat und zu dem sie früher oder später auch wieder wandern müssen. Oft dürfen ja die Eltern nur eine Zeitlang Wärterinnen der Kinder sein, und der HErr nimmt sie in Sein Haus, in seinen Arm und Schoß, weil Er sie lieb hat. Und wenn Er sie auch länger lässt, will Er sie doch, am Ende für sich haben.

Gnade und Friede sei mit Ihnen! Gedenken Sie meiner vor dem Heiland. Meine Wege sind auch dornigt. Grüßen Sie, wer immer zu Ihnen kommt und Ihnen lieb ist.

Ihr Gossner.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/g/gossner/briefe_an_eine_leidende_freundin/gossner_._briefe_an_eine_leidende_freundin_-_15051828.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain