Diedrich, Julius - Einleitung in die Psalmen.

Diedrich, Julius - Einleitung in die Psalmen.

Gott hat sich der Menschheit von Anfang nicht nur durch Seine sichtbaren Werke, sondern noch viel inniger, Seine Lebensfülle uns zum Mitgenusse aufschließend, durch Sein Wort geoffenbart, welches Er besonderen Personen vor allen übrigen, welche sie hören möchten, eingegeben hat. So entstanden zuerst die prophetischen Sprüche, wie wir solche teils selbst aus den ältesten Zeiten haben, teils sie in den ersten Schriften erwähnt finden. Indem uns aber die Umstände bei diesen Sprüchen erzählt werden, erhalten wir einen Faden, an dem wir die Führung des Reiches Gottes durch eine Reihe von Jahrhunderten überblicken. Mit den prophetischen Schriften sind die historischen eng verbunden, welche doch nie von der Weissagung geschieden sind, oder doch mindestens zur Ergänzung derselben dienen. In den Lehrbüchern oder poetischen, wie man sie auch nennen könnte, sehen wir, wie der heilige Geist die Menschen Gottes in Freude und Leid des Wortes Gottes in der Weissagung erinnert hat, so dass sie Gott auf Grund Seines geschehenen Wortes anrufen, Ihn anziehen wider ihre Feinde, und Ihn im Siege loben und aller Welt anpreisen. In den Psalmen namentlich blicken wir in eine herrliche, vom Lichte der Gnade Gottes beleuchtete Gemütswelt hinein, wie sie der heilige Geist durch Sein Einwohnen wunderbar geschaffen hat. Wir sehen hier, wie kindlich und vertraulich die begnadigten Sünder mit der heiligen Gottheit umgehen und Gottes Stärkung empfangen, alle feindlichen Mächte zu überwinden. Sind auch viele Psalmen von einzelnen Dichtern nach bestimmten äußern Veranlassungen gedichtet worden, so sind sie doch alle zugleich Kundgebungen der heiligen Gottesgemeinde, wie sie unter Arbeit, Not und Tränen über diesen Erdball hin zum himmlischen Kanaan pilgert. Darum findet sich ein gläubiges Herz, wenn es diese Welt allmählig kennen lernt, in allen Psalmen wieder, und obwohl sie zunächst für ihre Zeit gedichtet und da auch öffentlich gesungen wurden, so bleibt der Psalter doch das Gesangbuch aller Zeiten und Völker. Zeugen die Psalmen aber vom Reiche Gottes und kommen sie aus der Gemeinde Gottes hervor, so geben sie auch zugleich immer Kunde von dem wunderbaren Könige, dem Gottmenschen, welcher allen Heiligen vorangeht, und dem sie alle nachgehen. Unter Ihm streiten und siegen sie, denn Er trägt ihre Sünden und hilft ihrer Schwachheit auf; von Ihm sind sie in ihren Leiden und in ihren Siegen schwache Vorbilder. Was sie klagen, hat Er noch tiefer gefühlt, und indem sie triumphieren, lebt Seine Auferstehungskraft in ihnen auf. Indem die Psalmisten so ihr tiefstes, in Gott verborgenes Leben aussprechen, werden sie uns aufs innigste bekannt, so weit wir mit ihnen aus demselben Geiste leben; sie führen uns dahin, des heiligen Geistes Walten in uns immer tiefer zu verstehen und uns Ihm ohne Rückhalt zu überlassen. So kennen wir David in seiner Traurigkeit und in seiner Freude näher als wir unsre nächsten Zeitgenossen kennen und sind über alle Zeit erhaben, wenn wir mit ihm dieselben Erfahrungen machen. Mit den Psalmen im Herzen werden uns alle Kreuzeswege gangbar.

Obwohl die Psalmen weder Reime noch bestimmte Silbenmaße haben, so sind sie doch in gebundener Rede verfasst, nämlich im sogenannten Parallelismus, wie sich derselbe auch in den alten Gottessprüchen schon findet: d. h. derselbe Gedanke wird meist doppelt, in zwei ganz ähnlichen Sätzen nebeneinander ausgesprochen. Das wallende Herz hat nicht Genüge an der kahlen, einmaligen Aussprache, es kehrt noch einmal zu seinem Worte zurück und lädt uns ein darin zu ruhen. Außerdem sind zuweilen mehre Verse zu einem Bündlein; zu einer Strophe vereinigt, und mehre Strophen bilden dann den ganzen Psalm. Nach den Überschriften der Psalmen und den Nachrichten der Geschichtsbücher sehen wir auch, dass die Psalmen mit Instrumentalbegleitung von den Sängerchören gesungen wurden.

Der ganze Psalter zerfällt in fünf Abteilungen. Die erste von Psalm 1-41 enthält eine Sammlung Davidischer Psalmen, die zweite von 42-72 und die dritte von 73-89 enthält Gesänge aus Davids Zeitalter, von ihm selbst und seinen Chorführern. Dann kommen (90-107 und 108-150) Psalmen von verschiedenen Verfassern: Moses steht an der Spitze im 90.: die andern sind aber von späteren Verfassern bis zur Vollendung des zweiten Tempels unter Nehemia. In der letzten Abteilung bilden die Psalmen von 120-134 noch eine Reihe für sich, die Stufenpsalmen oder Wallfahrtslieder, meist aus den Zeiten des zweiten Tempelbaues, welche die Pilger aus allen Landschaften unterwegs und im Angesichte Jerusalems anzustimmen pflegten, und welche wir jetzt auf unsrer Reise durch diese Welt zum himmlischen Jerusalem singen können.

Soviel sehen wir schon aus der äußerlichen Anordnung, dass Davids Lieder den Stamm bilden, an welchen alle andern sich anlehnen: in und unter ihm hat die Psalmendichtung aufs herrlichste geblüht; was ihn aber vor andern befähigt hat, sind seine Leiden gewesen, welche ihn immer tiefer in Gottes Wort hineingeführt haben. Was die Alten von Gottes Wesen und Gnadenwillen gewusst haben, das haben sie sich nach Anleitung des heiligen Geistes herrlich zu Nutze gemacht, und was sie noch nicht so wussten wie wir, die Herrlichkeit der Verklärung beim erhöhten Menschensohne, das haben sie ersehnt: so sollen wir ihre Nachfolger werden und uns dessen freuen, was uns in dem fleischgewordenen Gottessohne noch klarer geworden ist. Wo sie noch bangten und bebten, da können wir nun getrostes Fußes weiter schreiten, und wo sie Gottes Hilfe durch Zerstörung der Feinde erflehten, da können wir jetzt getrost unter dem Kreuze unsern Sieg schon rühmen, welchen wir durch Christi Tod und Auferstehen über alle Mächte der Welt und des Teufels empfangen haben. Gott gebe uns nur, dass wir in denselben Wegen weiter wallen, auf welchen uns jene alten Sänger in Geduld und mit Lobpreisung vorangeschritten sind, so werden wir auch mit ihnen zu demselben ewigen Ziele gelangen. In Christo Jesu kommen wir mit allen Heiligen aller Zeiten ewig zusammen.

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autoren/d/diedrich/psalmen/einleitung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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