Zeller, Johannes - Die verschiedenen Betrachtungsweisen der Leiden

Zeller, Johannes - Die verschiedenen Betrachtungsweisen der Leiden

Text: Hebr. 12,11-14.
Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind. Darum richtet wieder auf die lässigen Hände und die müden Knie und tut gewisse Tritte mit euren Füßen, dass nicht Jemand strauchele wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde. Jagt nach dem Frieden gegen Jedermann und der Heiligung, ohne welche wird Niemand den Herrn sehen.

Mein erster Zuruf an euch war das Wort: „Komm und siehe!“, und damit lud ich euch ein, zu Jesus, zu dem Mensch gewordenen Sohn Gottes, dem Herrn über alles, was im Himmel und auf Erden ist, der durch seinen Tod am Kreuz uns Menschen, uns Sünder erlöste, zu kommen und Ihn in seiner Herrlichkeit zu schauen. Ich zeigte euch den Weg, wie wir zu ihm, dem Allgegenwärtigen, gelangen, nicht durch eigene Gerechtigkeit und Vollkommenheit, nicht durch Leiden allein, auch nicht nur durch Teilnahme am Gottesdienst und durch Bibellesen, sondern vor Allem durch treues, demütiges Gebet zu Ihm, dem Herrn. Und dann, wann wir Ihn kennen, lieben, bei Ihm sind, so stößt er uns nicht weg, sondern nimmt uns liebend an sein Herz und bewahrt uns durch alle Kämpfe und Versuchungen und Sünden hindurch. Hier gibt er uns Trost und Kraft, dort Seligkeit. Heute wollen wir nun eines von dem Vielen, was der wahre Christ, d. h. der zum Erlöser Hingekommene, Ihm nun Angehörige, vor allen Andern voraus hat, näher betrachten. Unser Text redet von Leiden, von Not und Trübsal, die ertragen werden muss, und da wisst ihr, dass schon bei der Betrachtung der Leiden, die Andere treffen, besonders aber, wenn wir selbst solche erleben müssen, das Gemüt des Menschen sich in Zweifel und große Dunkelheit verliert; die ganze Weltordnung scheint uns dann zerrüttet - kurz, wir finden keinen Ausweg mit Herz und Verstand - aber eben hier unterscheidet sich nun der, welcher Jesum kennt und an Ihn glaubt, und der, welcher noch ferne von Ihm, ohne Ihn lebt. Der eine hat nur ein dunkles, unaufgelöstes Rätsel vor sich und gerät dadurch auf immer gefährlichere Abwege, der andere, der Christ aber hat Aufschluss sowohl über seine eignen, als über der Mitmenschen Leiden. Wir wollen uns daher nun noch mehr in die falsche Betrachtungsweise der Leiden mit ihren Gefahren, dann aber auch in die richtige, die christliche, mit ihrem Segen hineindenken und uns das ans Herz legen, was wir als Leidende tun müssen: dies letztere müssen wir aber auf eine folgende Zusammenkunft verschieben, da uns die beiden ersten Punkte für heute genug beschäftigen werden.

Du Gott des Friedens und der Gnade, der Du uns Menschen gewiss innig und treu liebst und zum unerschütterlichen Zeugnis davon, damit wir es glauben und Frieden haben, Deinen eingebornen Sohn für uns dahin gabst. Du gibst uns Licht in der Finsternis, Kraft in der Schwachheit, Trost in Trübsal, gib uns auch in dieser Stunde nun Weisheit, deine Führungen und Gnadenwerke zu erkennen, gib uns Verstand, durch den Schein hindurch zur Wahrheit und zum Wesen zu kommen. Gott, sei Du unser Führer in dieser Betrachtung und erfrische uns alle, besonders die Leidenden, mit deinem Segen! Amen.

I.

Da die Art und Weise, die Leiden, sei es die eignen oder die der Andern, zu betrachten, von der Gemütsbeschaffenheit und der größern oder geringern Verständigkeit des Menschen abhängt, so können wir wohl schon zum Voraus annehmen, dass eine große Mannigfaltigkeit darin statt findet: denn welch eine Verschiedenheit zu denken und zu fühlen ist unter uns! so dass ja kaum zwei Menschen sich über das Meiste und Wichtigste mit einander verständigen können; und doch, wie es in diesem bunten, ordnungslos scheinenden Gewirre von Denkungs- und Gemütsarten für den genauer Beobachtenden eine Ordnung und wohl geschiedene Klassen gibt, so auch bei den Leidenden, und selbst unter denen, die ihre Leiden irrig und ohne Gottes Licht beurteilen, lassen sich leicht mehrere Arten unterscheiden, je nachdem sie das Woher? und Wozu? - die Frage, wovon ihre Leiden herkommen, und wozu sie dienen, beantworten.

Es ist eine gar verbreitete, auch auf dem Krankenbett, in Leidenshäusern nicht seltene, ach gerade hier, wo sich ja alles menschliche Elend, darum auch das innere, in der Seele wohnende, offenbart, oft angetroffene, gehaltlose Ansicht, dass Alles vom Zufall oder, wie man sich auch nicht weniger unrichtig ausdrückt, vom Schicksal herkam. Der Kranke schreibt sein Übel diesem oder jenem äußern Umstand zu, und wäre jene Veranlassung nicht gewesen, so wäre er noch gesund; der durch Sünde ins Unglück Gestürzte schreibt die Schuld den andern Menschen, der Versuchung zu, kurz, von äußerlichen Gründen haben die Leidenden gar viel zu erzählen, und dabei bleiben sie und ahnen nichts Anderes. Nun das mag ja wahr sein, dass, wenn dieser oder jener Mensch nicht gewesen, wenn du nicht dies oder jenes getan oder erlebt hättest, du Elender noch glücklich, du Kranker noch gesund wärest, - aber ahnt ihr nicht, dass ja auch dies alles, dass solche Menschen euch in die Nähe kamen, dass ihr einen siechen Leib habt, dass ein plötzlicher Unfall euren Leib verstümmeln konnte, in der Hand eines mächtigen, unsichtbaren Wesens steht, in der Hand Gottes, dem es ein Leichtes gewesen wäre, dies alles zu ändern oder abzuwehren? - Ach es ist ein trauriger, schmerzlicher Anblick, einen solchen Menschen, einen solchen Leidenden, Kranken, Unglücklichen zu sehen, der kein Vertrauen auf Gott, keinen Glauben an den lebendigen, allmächtigen Gott, der die Liebe und die Weisheit ist, hat, und nichts als ein regelloses Spiel des blinden Schicksals oder Zufalls, der nicht fühlen, nicht denken, nicht sehen, nicht hören kann, in Allem erblickt. Auf die Frage: wozu die Leiden nütze sind, warum sie über uns kommen, haben diese ja natürlich keine Antwort, denn der Zufall, das blinde Geschick kennt keinen Zweck, den es verfolgt, es hat keine Absicht, die es am Unglücklichen durch das Unglück erreichen will, es ist ja eben Zufall, blind, wen es trifft, empfindungslos, wie es schlägt. Ach wie öde ist es in diesen Herzen. Ist Trost in ihnen, können sie aus ihrer gottesleugnerischen Glaubenslosigkeit Kraft in der Trübsal schöpfen? O nein. Kommen die Stunden des Schmerzes, da jammern sie ohne Aufhören, sie haben ja keinen Stab und keine Stütze für ihre Seele, bleibt die Hilfe lange aus, verdunkelt sich der Blick in die Zukunft, wird die Hoffnung auf Heilung, auf Erlösung aus dem, was sie drückt, abgeschnitten, droht vielleicht noch Schwereres, als das bereits Durchlebte und Durchseufzte war, wird vielleicht auf die Nähe, auch nur auf die Möglichkeit des Todes hingewiesen, dann sinkt ihr Herz mutlos zusammen, sie jammern, ohne Trost: Freilich diese Herzen ohne Gott verstehen es mit ihrer grenzenlosen Leichtfertigkeit gar sehr, sobald nur die Schmerzen nachlassen und der unmittelbare Eindruck ihres Unglücks nachlässt, sich zu zerstreuen; sie bestreben sich auch in der Not, und das halten sie für ihren Trost, die Krankheit, den Tod, alle ernsten Gedanken, Ewigkeit, Gott, Gericht, Hölle, Verdammnis zu vergessen; sie suchen sich an der Erinnerung früherer Freuden und Genüsse von neuem zu sättigen, lassen den Leidenschaften, die sich in ihnen regen, innerlich im Herzen, der Unkeuschheit, oder dem Neid, dem Geize, dem Hass, die Zügel, nur damit sie eine Beschäftigung haben in den langen Stunden, - und allmählich erlischt alles höhere Leben in ihnen: ach wehe diesen, beim lebendigen Leibe an der Seele die der Andern, zu betrachten, von der Gemütsbeschaffenheit und der größern oder geringern Verständigkeit des Menschen abhängt, so können wir wohl schon zum Voraus annehmen, dass eine große Mannigfaltigkeit darin statt findet: denn welch eine Verschiedenheit zu denken und zu fühlen ist unter uns! so dass ja kaum zwei Menschen sich über das Meiste und Wichtigste mit einander verständigen können; und doch, wie es in diesem bunten, ordnungslos scheinenden Gewirre von Denkungs- und Gemütsarten für den genauer Beobachtenden eine Ordnung und wohl geschiedene Klassen gibt, so auch bei den Leidenden, und selbst unter denen, die ihre Leiden irrig und ohne Gottes Licht beurteilen, lassen sich leicht mehrere Arten unterscheiden, je nachdem sie das Woher? und Wozu? die Frage, wovon ihre Leiden herkommen, und wozu sie dienen, beantworten.

Es ist eine gar verbreitete, auch auf dem Krankenbett, in Leidenshäusern nicht seltene, ach gerade hier, wo sich ja alles menschliche Elend, darum auch das innere, in der Seele wohnende, offenbart, oft angetroffene, gehaltlose Ansicht, dass Alles vom Zufall oder, wie man sich auch nicht weniger uns richtig ausdrückt, vom Schicksal herkam. Der Kranke schreibt sein Übel diesem oder jenem äußern Umstand zu, und wäre jene Veranlassung nicht gewesen, so wäre er noch gesund; der durch Sünde ins Unglück Gestürzte schreibt die Schuld den andern Menschen, der Versuchung zu - kurz, von äußerlichen Gründen haben die Leidenden gar viel zu erzählen, und dabei bleiben sie und ahnen nichts Anderes. Nun das mag ja wahr sein, dass, wenn dieser oder jener Mensch nicht gewesen, wenn du nicht dies oder jenes getan oder erlebt hättest, du Elender noch glücklich, du Kranker noch gesund wärest, - aber ahnt ihr nicht, dass ja auch dies alles, dass solche Menschen euch in die Nähe kamen, dass ihr einen siechen Leib habt, dass ein plötzlicher Unfall euren Leib verstümmeln konnte, in der Hand eines mächtigen, unsichtbaren Wesens steht, in der Hand Gottes, dem es ein Leichtes gewesen wäre, dies alles zu ändern oder abzuwehren? - Ach es ist ein trauriger, schmerzlicher Anblick, einen solchen Menschen, einen solchen Leidenden, Kranken, Unglücklichen zu sehen, der kein Vertrauen auf Gott, keinen Glauben an den lebendigen, allmächtigen Gott, der die Liebe und die Weisheit ist, hat, und nichts als ein regelloses Spiel des blinden Schicksals oder Zufalls, der nicht fühlen, nicht denken, nicht sehen, nicht hören kann, in Allem erblickt. Auf die Frage: wozu die Leiden nütze sind, warum sie über uns kommen, haben diese ja natürlich keine Antwort, denn der Zufall, das blinde Geschick kennt keinen Zweck, den es verfolgt, es hat keine Absicht, die es am Unglücklichen durch das Unglück erreichen will, es ist ja eben Zufall, blind, wen es trifft, empfindungslos, wie es schlägt. Ach, wie öde ist es in diesen Herzen. Ist Trost in ihnen, können sie aus ihrer gottesleugnerischen Glaubenslosigkeit Kraft in der Trübsal schöpfen? O nein. Kommen die Stunden des Schmerzes, da jammern sie ohne Aufhören, sie haben ja keinen Stab und keine Stütze für ihre Seele; bleibt die Hilfe lange aus, verdunkelt sich der Blick in die Zukunft, wird die Hoffnung auf Heilung, auf Erlösung aus dem, was sie drückt, abgeschnitten, droht vielleicht noch Schwereres, als das bereits Durchlebte und Durchseufzte war, wird vielleicht auf die Nähe, auch nur auf die Möglichkeit des Todes hingewiesen, dann sinkt ihr Herz mutlos zusammen, sie jammern, ohne Trost. Freilich diese Herzen ohne Gott verstehen es mit ihrer grenzenlosen Leichtfertigkeit gar sehr, sobald nur die Schmerzen nachlassen und der unmittelbare Eindruck ihres Unglücks nachlässt, sich zu zerstreuen; sie bestreben sich auch in der Not, und das halten sie für ihren Trost, die Krankheit, den Tod, alle ernsten Gedanken, Ewigkeit, Gott, Gericht, Hölle, Verdammnis zu vergessen, sie suchen sich an der Erinnerung früherer Freuden und Genüsse von neuem zu sättigen, lassen den Leidenschaften, die sich in ihnen regen, innerlich im Herzen, der Unkeuschheit, oder dem Neid, dem Geiz, dem Hass, die Zügel, nur damit sie eine Beschäftigung haben in den langen Stunden, und allmählich erlischt alles höhere Leben in ihnen: ach wehe diesen, beim lebendigen Leib an der Seele Sterbenden - ihr Ende ist Verderben! - Nein fürwahr, es ist nicht möglich, dass die, welche ihr Unglück nur aus äußeren Gründen herleiten, Alles in der Hand des Zufalls erblicken, ohne Vertrauen auf den vorsehenden, führenden Gott dahin leben und leiden, Friede und Trost haben; aber die Trostlosigkeit führt sie tiefer ins Verderben, denn Ungeduld bemächtigt sich ihres Herzens, und die Ungeduld führt zur Unzufriedenheit gegen Mitmenschen und gegen Gott, gegen den Gott, an den sie nicht glauben wollen; innere Bosheit, Murren, Lästern ist nicht mehr fern. - Ihr Leidenden, kehrt um, all', all' ihr Zuhörer, Gesunde und Kranke, reißt diesen Unglauben aus euerm Herzen, dass Etwas ohne Gott geschehe. Haltet, haltet fest an dem Worte Jesu, unsers Herrn: „Kein Sperling auf dem Dache ist vor Gott vergessen. Auch die Haare auf euerm Haupt sind alle gezählt!“

Doch wir müssen noch anderer Leidenden gedenken, in denen der Wurm des Schmerzes tiefer sich hineingenagt hat, in denen gerade das Gegenteil von dem lebt, was in den so eben Betrachteten ist statt Zerstreuung des Herzens in Sündliches, immer tieferes Versenken in den Schmerz selbst; statt Leichtsinn, Tiefsinn; statt Gottesvergessenheit, das düstere Sichhineindenken, dass Gott sie strafe, sie hasse, sie verworfen habe, ihnen Seine Gnade entziehe und sie nun allein und ohne Hilfe lasse. Diese fühlen wohl, dass es noch eine höhere Ursache ihres Leidens, einen göttlichen Ursprung desselben gibt, und lassen sich nicht genügen an den äußerlichen, sichtbaren, denn sie wissen, dass Alles in der Hand Gottes steht, dass nichts Zufall, sondern Alles Führung und Zulassung ist, - aber auf die Frage: wozu, warum die Leiden ihnen gegeben sind, da antworten sie wie Heiden, denen keine Verheißung, keine Offenbarung des barmherzigen Gottes, kein Trost zu Teil geworden ist, nicht wie Christen, die da wissen sollen, dass Gott nicht von Herzen betrübt und nicht den Tod des Sünders will, sondern dass er Buße tue und lebe. Ach, das sind wahrhaft unglückliche, bemitleidenswerte Menschen; es, könnte wohl kein Herz von uns unbewegt bleiben, wenn sie uns von ihren Leiden erzählten, wie sie mitten im Leibesschmerz den noch viel heißeren, zermalmenden Seelen Schmerz fühlen: und denken, Gott zürne über sie, sie seien von Gott verlassen. Ihre Seele dürstet nach Frieden; wie der Hirsch nach frischem Wasser schreit, so möchten sie zu Gott schreien, aber sie wagen es nicht, sie fürchten ihn ja; Tag und Nacht fühlen sie die Hand Gottes schwer über ihnen; in jedem Schmerz sehen sie eine Strafe und diese beständige Erquickungslosigkeit, diese Beängstigungen, dieses Zerknicken alles Trostes, der in ihnen aufsteigen will, als ob sie desselben nicht würdig seien, kann das menschliche Herz nicht lange, nicht immer ertragen. Verzweiflung und dadurch völlige Zerrüttung der Seelenkräfte und des Leibes ist die Folge, oder jedes Gefühl stumpft sich ab, der Mensch wird tot und gleichgültig, auch gegen Gott, und auch hier wird der Leidende immer mehr von dem Herrn, der die Urquelle alles Lebens ist, geschieden. Unseligkeit, Unfriede hier und dort ist die Frucht.

Wir sind bei demselben Ziel angekommen, wiewohl wir von verschiedenen Anfangspunkten ausgingen. Der die Vorsehung leugnende Ungläubige, wenn er leidet, endet beim Hass gegen den, der allein geliebt werden sollte, und ebenso der nicht mit dem rechten Glauben Gott Fürchtende - beide haben keinen Trost, keine Kraft, und wenn sich ihre Trübsal so steigert, dass ihre menschliche Kraft zermalmt ist, so ist jener Ausgang gewiss die notwendige Folge; und tritt auch diese Folge selten in so auffallendem, herzzerschneidendem Grad ein, so ist das ja nur von Gott her, der die Leiden nicht allzu mächtig werden lässt, von dem Gott, den die einen nicht kennen und nicht als Mitträger der Leiden suchen, und den die andern verkennen und nicht in seiner Barmherzigkeit schauen wollen. Geliebte, Leidende, Gesunde, rüstet euch, dass ihr als Christen leiden könnt, ohne verneinenden Unglauben, ohne ungläubiges Verzagen haltet euch mit euerm ganzen Herzen an Gott, den gütigen himmlischen Vater, der also die Welt geliebt hat, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Ich sage, haltet mit ganzem Herzen an Gott, damit ihr die rechte Einsicht gewinnt über die Leiden und dann auch den rechten Trost, und die rechte Art zu leiden gewinnt euer ganzes Herz! Ein gar ernstes Wort für uns alle, für viele, viele unter uns, besonders auch für solche Leidende, wiewohl die größte Zahl derselben ist, die weder der einen noch der andern Art der früher dargestellten gleich, sondern zwischen beiden in der Mitte sind; ach, es sind Menschen, die auch in tiefem, Verderben bringendem Irrtum sind, dessen Allgemeinheit ihm durchaus nichts zur Rechtfertigung beiträgt. Die meisten Leidenden trösten sich mit den Gedanken, Alles, auch das Unglück (Leiden), stehe in der Hand Gottes, und Gott werde es schon hinausführen. Man hört sie meistens, wenn sie auf Gott und seine Barmherzigkeit hingewiesen werden, antworten: ja, das weiß ich, das ist mein einziger Trost, an Gott allein halte ich fest, Gott prüft mich dadurch! aber während sie so sagen, fühlt man, wie wenig tief aus dem Herzen es kommt, wie sehr ohne rechtes Gefühl dessen, was sie sagen, solche wichtige Worte von ihnen ausgesprochen werden. Sie beten viele leicht, aber entweder aus Gewohnheit, oder nur von der Angst und vom Schmerze getrieben. Echtes, festes, kindliches, wahrhaft christliches Halten an Gott, Leiden mit Gott ist nicht in ihnen; davon geben sie und es sind solche unter euch schnell genug untrügliche Kennzeichen. Steigt der Schmerz, die Angst und Not, so ist auf einmal dieser Stab zerbrochen, das Vertrauen hat sich in Misstrauen gegen Gott, das Reden von Gottes Barmherzigkeit in Anklagen gegen denselben verwandelt, Trostlosigkeit, Zagen beherrscht das Gemüt. Schon vorher, ehe die Leiden sich steigern, zeigen sie hinlänglich, wie wenig aus Gott ihr Herzenszustand ist, denn sie rechnen fest darauf, dass in dem Maße, als sie jetzt leiden, einst ihnen vergolten werde mit Glück und Seligkeit, gleich als ob an sich schon Leiden ein Recht auf den Himmel gebe; o nein, das Wort des Herrn über Himmel und Erde lehrt uns anders denken! Sie werden satt, selbstgerecht, leidensstolz, und wenn man euch, die ihr so seid, zeigt, wie Leiden an sich euch wahrlich noch keine Ansprüche auf ewige Belohnung geben, wie ihr ja um eurer Sünden willen dies alles und mehr noch, ja viel mehr sei ausgesprochen, das furchtbare Wort, das uns die Bibel lehrt die ewige Verdammnis; ewige Unseligkeit verdient; wenn man euch darauf hinweist, dass euch Gott mit den Leiden heimsucht, warnt, zur Buße treiben will, deren ihr wahrlich bedürft, um einst ins Himmelreich eingehen zu können Geliebte, dann regt sich Ungeduld, Widerspruch in euch, ihr rechtfertigt euch, rühmt euch selbst und mit jedem Wort beweist ihr, wie wenig euer Herz den heiligen Gott, den Niemand ohne Heiligung schauen kann, den Gott, vor dem Keiner, auch nicht Einer, gerecht ist, und der nur den Bußfertigen Gnade gibt, mit dem aber, der der Buße widerstrebt, ins Gericht geht, wie ihr diesen Gott, den Einigen, Wahren, nicht kennt. Nein; denn hier ist kein Trost, keine Kraft, und der Ausgang kann nicht Segen, nicht Erlösung, Friede und Leben sein, sondern es muss, wenn man in dieser halben Frömmigkeit, in dieser Selbstgenügsamkeit, in diesem Leiden ohne Gott verharrt, auch ewiges Unheil bringen. Gott nimmt nur den Gnade Suchenden an. O ihr Leidenden, reißt euch aus eurem Irrtum, der euch jetzt keine Erquickung darbietet und zum künftigen Verderben hinführt; lasst euch aus demselben wegreißen durch die Kraft Gottes, die Er euch allezeit und auch jetzt in Jesu, dem Erlöser, anbietet. Es gibt Menschen, es gibt Unglückliche, Leidende, die dieselbe schon haben, und bei denen die Trübsal Frucht bringt. Auf sie soll nun unsre Aufmerksamkeit sich noch richten, und wir alle wollen das tun, damit wir gelockt werden, das auch zu suchen, was sie haben.

II.

Wenn nun die, welche über ihre und Andrer Leiden die rechte Erkenntnis und in derselben die rechte, die wahrhaft christliche Gemütsverfassung haben, wirklich leiden an Seele oder Leib, so sagt der Text, dünkt es sie allerdings nicht Freude, sondern Traurigkeit; sie fühlen den Schmerz recht wohl und wissen wohl, dass ihnen, und welch' ein Gut ihnen entrissen ist, wenn ihnen Gesundheit, oder Geisteskräfte, oder ihre Nächsten entrissen sind. Der Christ unterdrückt die menschlichen Empfindungen nicht, sondern ist gerade für dieselben zarter und inniger geworden; aber auch in der Traurigkeit weiß er, dass Alles, auch die Leiden, die schwersten, von Gott kommt, nichts ohne Ihn, den Allmächtigen, Allgegenwärtigen, Allwissenden, geschehen kann, da Er gewiss für das Haar auf unserm Haupt, für die Sperlinge sorgt, und wir doch mehr sind, als diese. Auch in der Traurigkeit weiß er, dass Gott die Liebe ist und auch ihn treu, innig liebt; dass er sein Vater ist, der mit ihm nicht ins Gericht gehe, um Jesu willen - auch mitten in der Traurigkeit kann sich der christlich Leidende an Jesum selbst, den Heiland, halten, weil er dem Dulder am Kreuz, der für unsere Sünden starb, sein ganzes Herz übergeben hat und ihm im Geist nachfolgt auch da, wo es am dunkelsten um ihn und in ihm wird, weil er wohl weiß, dass der Durchbrecher der Bande des Todes und der Sünde und des Teufels auch ihn erlösen, bewahren, durchführen könne, und dass der, der selbst den Kelch des Leidens trinken musste, gewiss getreu ist und uns nicht über unser Vermögen versuchen lässt, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende gewinne, dass wir es ertragen können. Von Gott kommen die Leiden, und auch wenn wir dieselben selbst verschuldet haben, und sie Folge unserer Sünden und Fehltritte sind, so sind sie ja doch vom Herrn, der diese Ordnung von Übel nach Bösem eingesetzt hat, über uns gebracht und stehen daher in Seiner Hand. Daher sehen wir, wie immer die Frömmsten und mit Gott Vertrautesten Alles als von Gott herkommend betrachten und es daher auch Gott wieder vortragen. Abraham, der Vater der Gläubigen, als ihm die Kinderlosigkeit zu schwer wurde, warf sich nieder und sprach: Herr, was willst du mir geben? ich gehe ohne Kinder dahin. Und David, wenn ihn die Feinde umgaben und ihm schadeten, wenn seine Sünden über ihm zusammenschlugen, und die Folgen derselben, Angst und Not, über ihn hereinbrachen, so wusste er, dass es von Gott kam, und hielt sich an Ihn und rief: Herr, Herr! wie so lange, hilf mir - erbarme dich meiner! Und Paulus, als ihn der Pfahl im Fleische, des Satans Engel, ein tiefes uns unbekanntes, wahrscheinlich Seelenleiden, quälte, da suchte er bei Gott Hilfe - und unser Heiland, als er die Sünden der Welt auf sich nahm und im Garten zu Gethsemane rang und kämpfte, hatte ja auch mitten in der tiefsten Finsternis und im heißesten Schmerze das Gebet: mein Vater! und am Kreuz noch: mein Gott, mein Gott! Auch die Leiden kommen von Gott und stehen in seiner Hand; in Jesu lernen wir das; aber lasst euch diesen Trost nicht nehmen, lasst euch nicht von Zweifeln umstricken, wenn die Leiden gar schwer werden, als ob sie dann nicht mehr mit Gottes Wissen und Willen über euch kommen; auch dann noch haltet daran fest, denn gerade dann ist es euch am nötigsten, das zu wissen.

Aber nun müssen wir einen Schritt weiter gehen und auch noch die Frage, wozu die Leiden gegeben sind, vom leidenden Christen uns beantworten lassen. Wir sahen, die übrigen können darauf entweder nichts oder nur etwas Unrichtiges antworten; aber hier finden wir nun bestimmt und klar das Richtige ausgesprochen: nicht ohne Zweck sind die Leiden uns gegeben, aber auch nicht zum Verderben, sondern zur Züchtigung, der wir allezeit wohl bedürfen. Ja wahrlich, das haben die Knechte Gottes allezeit wohl erkannt, und das Wort des Herrn lehrt es uns in allen Erzählungen und Lehren, dass, wo Leiden sind, der Herr daselbst eingezogen ist und anklopft an Herzen, um dieselben zu suchen, sich selbst, bei dem allein Friede ist, sie zu gewinnen. Wie gar wenige von uns sind so aufmerksam und treu, dass sie die Güte Gottes zur Buße treibt; wir alle fast, wenn wir glücklich sind, vergessen Gottes und unserer Seele, werden stolz und sicher, er matten im Wachen und Beten und in der Liebe, fangen an, unsere Sünden nicht mehr für Sünde zu halten, aber dann kommt der Herr, hält uns in unserm Lauf zum ewigen Verderben auf und schlägt uns, aus Liebe. Drum wo Leiden sind, da ist Gott, der treue Führer, gegenwärtig, da ist heiliger Boden - wehe darum dem Leidenden, der das nicht merken will und durch Unglauben und Zagen, durch Murren und Unbußfertigkeit den heiligen Boden, auf dem er steht, entweiht. Der Christ weiß, dass es Züchtigung ist, und er weiß auch, dass, wo der Herr züchtigt, er auch liebt. Darum geht er in sich, benutzt die stillen schlaflosen Stunden und die Schmerzensstunden dazu, in sein eignes Herz zu blicken, da nachzuforschen, wo er von den Wegen Gottes abgewichen ist, und dafür Buße zu tun; aber er verliert sich nicht in endlosem Schmerz und in Selbstqual, sondern hält sich an Gott, den treuen. Gott nur desto fester und rafft sich auf zu neuem Glauben, sucht Vergebung seiner Sünden vor Allem, und bis er diese erlangt hat, kann er nicht an Erlösung von seinem Übel denken; diese ist ihm weniger wichtig, als jene. Wohlan denn also, Geliebte, prüft euch alle, denn Leiden wird wohl jeder von euch kennen, schaut ihr das Leiden in diesem Licht, ist euch bei allem Schmerz eure Sünde und euer Abfall von Gott doch immer der größte Schmerz, und habt ihr mitten im Schmerz doch die innere, selige Freude, dass Gott barmherzig ist, euch die Seele retten will vom Verderben und euch die Sünde vergibt um Jesu, des Dulders für uns alle, willen: dann werdet ihr gewiss teilhaftig der friedsamen Frucht der Gerechtigkeit, von der der Apostel redet, es ist gestärkter Glaube an Gott, der eure Leiden euch tragen hilft, es ist vermehrte Liebe zu Ihm, der euch nicht verlässt, sondern gerade im Leiden am nächsten ist, es ist gründlicher gewordener Hass gegen die Sünde, die euch von dem Herrn sonst trennte, es ist innigerer Dank auch für das bis dahin ohne Dank von euch Empfangene und Genoffene! Freut euch, wenn ihr merkt, dass euch die Leiden zu Gott treiben, an Ihm fester anhalten machen. Der Ausgang wird Segen, Friede, Seligkeit sein. Amen.

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