Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 9. Betrachtung

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 9. Betrachtung

Es ist viel, wenn von uns gefordert wird, dass wir Christo den Vorzug geben sollen vor allem, das im Himmel und auf Erden ist. Er soll uns alles sein, wir sollen ihn weit über alle Menschen und über alle Engel setzen! Natürlich fragen wir: worauf dieser Vorzug beruht? Paulus antwortet: er beruht auf der ihm inwohnenden Gottesfülle und auf dem Werke der Versöhnung, das er vollbracht hat mittelst dieser Gottesfülle. Lasst uns denn

das Werk der Versöhnung

näher ins Auge fassen. Grund, Mittel und Ziel der Versöhnung, diese drei Punkte sind es, auf die uns die nachstehenden Worte des Apostels hinweisen.

Kap. 1,19: Wenn es ist das Wohlgefallen gewesen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte, und alles durch ihn versöhnt würde zu ihm selbst, es sei auf Erden oder im Himmel, da mit, dass er Frieden machte durch das Blut an seinem Kreuz durch sich selbst.

Des Vaters gnädiger Wille ist der Fels, worauf das Werk unserer Versöhnung gebaut ist. Nicht um unserer Würdigkeit willen, denn wir waren Gottes Feinde, sondern um seiner Liebe willen, die auch das Verlorene suchen und selig machen wollte, gefiel es Gott, den eingebornen Sohn in die Welt zu senden, in dem die ganze Fülle wohnte, und durch ihn alles zu versöhnen. Die Fülle ist nach Kap. 2,9. die Fülle der Gottheit. In Christo wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Es ist hier nicht von Christo als dem vorweltlichen Gottessohne die Rede, denn die Gottheit Christi überhaupt ruht nicht auf einem Ratschluss Gottes. Sondern dass dieser Gottessohn Mensch ward, und dass mit dem Menschen Jesus sich die Gottheit verband um unserer Erlösung und Versöhnung willen, das war die Tat des wunderbaren Ratschlusses Gottes. Gott war in Christo, nicht wie er auch in uns und in den Engeln ist. Denn allerdings sind auch wir göttlichen Geschlechts, und wie die Sonne ihre Strahlen ausbreitet über die Erde, dass kein Punkt auf ihr ist, auf den nicht ihr wärmendes Licht fiele: so auch hat die Gottheit ihre Strahlen ausgebreitet über die Menschheit, und es ist kein Sterblicher, der nicht Unsterbliches, der nicht Göttliches in sich trüge. Aber in Christo sind alle Strahlen der Gottheit als in einem Brennpunkt vereinigt, darum es heißt, dass in ihm alle oder die ganze Fülle der Gottheit wohnt. Des Vaters Macht, Liebe, Gnade, Weisheit, Wahrheit, Gerechtigkeit, kurz, alles was im Vater ist, das ist auch in Jesu, dem Menschgewordenen Gottessohne. Daher er sprechen konnte: „Wer mich sieht, der sieht den Vater,“ was kein Mensch, ja kein Engel im Himmel sagen kann. Wohnte in Christo nicht die ganze Fülle, so wäre er nicht tüchtig gewesen, uns zu erlösen und zu versöhnen. Nun aber war Gott in ihm, und so haben wir aus seiner Fülle nehmen können Gnade um Gnade, und sind in ihm gesegnet worden mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern (Eph. 1.). Das ist die Fülle, wovon Paulus redet. Sie wohnt in Christo, das heißt, die göttliche Natur verband sich mit der menschlichen Natur unsers Herrn nicht bloß auf eine Zeitlang, etwa bis an seinen Tod, sondern diese Verbindung dauerte fort auch nach seinem Hingang zum Vater, und wird fortdauern in alle Ewigkeit. Er ist uns eine unversiegbare Quelle alles Friedens, alles Trostes, aller Seligkeit. Im Allerheiligsten der Stiftshütte und des Tempels wohnte die Herrlichkeit des Herrn nur auf gewisse Zeit, so lange der Schatten der wahrhaftigen Güter dauerte. Jene Herrlichkeit verging, aber in Christo hat die Fülle einen ewigen Tempel gefunden. Christus ist, der er war, und wird sein, der er ist, daher er auch fort und fort in allem den Vorrang hat. Wer einen Blick getan hat in die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater und in dessen unerschöpfliche Gnadenfülle, der findet nichts unter allen Schätzen der Welt, was damit verglichen werden könnte, und schätzt einen einzigen Tag des Lebens, zugebracht in der Gemeinschaft Jesu Christi, unendlich höher als ein Methusalems-Alter, darin er alle Freiheit hätte, seinen Lüsten nachzugehen. Es ist wahr, will man seiner Fülle teilhaftig werden, so muss man viel verleugnen und preisgeben. Aber für all den Plunder bekommt man einen Heiland zu eigen, worin ein solcher Schatz von himmlischen Reichtümern sich findet, dass zu dessen Austeilung eine ganze Ewigkeit erforderlich ist. Man lege beides auf die Waagschale, was man verliert und was man wiedergewinnt, so ist das Verlorene gegen das Wiedergewonnene wie ein Sandkörnchen gegen einen Berg, und Christus spricht ähnlich zu uns, wie einst Joseph zu seinem Vater sprach: „Siehe deinen Hausrat nicht an, ganz Ägypten soll dir offen stehen.“

Das ist nun der Grund, warum wir nicht nur Christo den Vorzug vor allem geben sollen, sondern auch in ihm die Versöhnung haben: des Vaters Wille, dass in ihm die ganze Fülle wohnte. Nun zeigt uns der Apostel, zweitens, das Mittel der Versöhnung. Dies Mittel war er selbst oder sein für uns am Kreuze vergossenes Blut. Es gefiel Gott, durch ihn alles zu versöhnen, indem er Frieden machte durch das Blut seines Kreuzes. Fragst du: wie kann Blut solche Wirkung tun? so geb' ich dir zweierlei zu bedenken. Fürs erste: nicht das Blut als Blut ist es, das versöhnt, sonst hätte Gott das Blut der Böcke und Kälber bleiben lassen können, und was die Heiden an Blut darbrachten, um ihre Götter zu versöhnen. Aber Gott hat alle diese Opfer abgetan, und hat an deren Stelle ein einiges, ewiges Opfer gesetzt, nämlich das Blut dessen, in dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt. So sieh nun nicht bloß auf das Blut, das vergossen ist, sondern vielmehr auf den, der es vergossen hat. Er ist es, Er, der Gotterfüllte, der uns versöhnt hat durch sein Blut, daher auch Paulus zweimal in unserm Text spricht: „durch ihn, durch ihn,“ als wollte er sagen: Wisst, dass ihr erlöst seid durch das teure Blut dessen, in dem die ganze Fülle wohnt. Das eben gibt dem Blute Christi einen so unendlichen Wert, dass es das Blut des Sohnes Gottes ist. Nun aber merke noch dies zweite: dass es das Wohlgefallen, dass es die Liebe Gottes war, die dies Blut vergoss. Wie hat man doch das teure Evangelium missverstanden, wenn man geglaubt hat, Zorn und Rache wären es in Gott gewesen, die ein solches Opfer gefordert hätten! Nein, die Liebe Gottes war es, die fürs erste die ganze Fülle ihrer Gnade und Wahrheit menschliche Gestalt annehmen ließ, und sodann in dieser menschlichen Gestalt sich für uns erniedrigte zum Tode, ja zum Tode am Kreuze. Sage mir, was kann versöhnen, wenn es nicht die Liebe kann, diese Liebe Gottes, die für uns Unwürdige durch alle Stufen der Erniedrigung geht bis zu der letzten äußersten Stufe, da sie für uns den Tod am Kreuze der Missetäter leidet? Lass diese Liebe auf dich wirken und auf dein Herz, so muss sie dich gewinnen, wenn du dich überhaupt gewinnen lassen willst, und muss dich aus einem Feinde Gottes zu einem Freunde Gottes machen. Du kannst den nicht länger hassen, der dir solchen Beweis seiner Liebe gibt, du musst sprechen: Abba! du musst ihn wiederlieben, wie auch die Schrift sagt: Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.

Dies führt uns, drittens, auf das Ziel der Versöhnung. Paulus nennt uns als dies Ziel Christum selbst und die durch ihn zu vollbringende Herstellung des allgemeinen Friedens. Es gefiel Gott, durch ihn alles zu versöhnen zu ihm. Was bedeutet das? Christus als Mittler zwischen Gott und den Menschen, ist zugleich der Mittelpunkt der Harmonie Harmonie zwischen Gott und uns. Geht die Versöhnung von ihm aus, von ihm allein, so muss auch alles zu ihm hin, das versöhnt werden soll und will. Es ist nicht möglich, dass du Gottes Kind, dass du der Engel Freund, dass du der Menschen Bruder werden kannst, wenn du deinen Weg nicht zu Christo nehmen willst. Die Versöhnten alle bilden gleichsam einen Kreis, in dessen Mitte der Heiland steht, und alle geben ihm die Ehre, alle loben und preisen ihn als den Gründer ihres Friedens. Und welch eines Friedens! Eines Friedens, der sich über Himmel und Erde erstreckt. Denn es gefiel Gott, durch ihn alles zu versöhnen, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte. So weit die Wirkung der Sünde reichte, so weit sollte auch die Wirkung der Versöhnung reichen. Die Sünde hatte Zwiespalt in alles gebracht und eine vielfache Feindschaft gestiftet. Die Menschen waren zerfallen mit sich selbst, hatten keinen Frieden in ihrem Herzen. Sie hatten keinen Frieden unter einander, Samariter und Juden, Juden und Heiden, ganze Völker, wie die einzelnen Menschen, bekämpften einander. Sie hatten auch keinen Frieden mit der Kreatur, denn auch die Kreatur seufzte unter dem Fluch der Sünde und sehnte sich nach Erlösung. So war alles auf Erden im Kampfe. Aber auch das Band zwischen Erde und Himmel war zerrissen. Die Sünde hatte uns zu Feinden Gottes gemacht, hatte die Engel uns entfremdet, hatte eine Kluft befestigt zwischen Hier und Dort, dass, die hinüber wollten, die konnten nicht. Diese allgemeine Disharmonie wieder aufzuheben und in Harmonie zu verwandeln, das ist der Friede, den uns Paulus als das Ziel der Versöhnung bezeichnet. Ist nicht wirklich dieser allgemeine Friede von Gott durch Christum geschlossen worden? Ja, Gott, der in Christo war, versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu; wir haben Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum. Die Engel sind unsere Brüder geworden, welche Gott preisen um Christi willen: Ehre sei Gott in der Höhe! und freuen sich über den Sünder, der Buße tut, und dienen uns. Die Kluft zwischen Himmel und Erde ist ausgefüllt; wir sehen den Himmel offen, und freuen uns der Stätte, die uns dort bereitet ist. Juden und Heiden sind durch Christum einander nahe gebracht; er hat aus beiden Eins gemacht, und hat abgebrochen den Zaun, der dazwischen war. Der Mensch ist mit dem Menschen versöhnt, so dass die Heidenwelt sich wundern muss und sprechen: Wie haben sie einander so lieb! Das Herz ist der Sünden los, und ist still geworden. Selbst die Kreatur ist aufgenommen in den Bund des Friedens; denn auch die Kreatur frei werden wird von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes (Röm. 8.). So hat Gott durch Christum alles versöhnen wollen, das im Himmel und auf Erden ist. Wie traurig, dass dennoch so viele Engel verloren gegangen sind, und so viele Menschen verloren gehen! Gott möchte wohl, wenn es möglich wäre, selbst die Engel in der Hölle erlösen; aber was sie gewinnen sollte, das verhärtet sie nur noch mehr. Auch alle Menschen in der ganzen Welt möchte Gott mit sich aussöhnen und zu sich zurückführen durch Christum. Denn er will, dass allen Menschen geholfen werde und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Aber die nicht die Gnade Gottes in Christo erkennen wollen, denen hilft das Blut der Versöhnung nichts, sondern sie bleiben Feinde Gottes. Hören wir daher auf den Ruf: Lasst euch versöhnen mit Gott! Uns steht der Weg offen zu seiner Freundschaft, gehen wir den Weg, ein hoher, kostbarer Friede ist es, den wir auf diesem Wege finden.

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_9_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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