Frommel, Max - Am ersten Weihnachtstage.
„Singt dem Herrn ein neues Lied; denn Er tut Wunder“ so lautet der Ruf, der heute an die ganze Christenheit ergeht. Gott tut seine Großtaten, und wir dürfen singen; Sein sind die Wunder, und unser sind die Lieder. Auf jedes Werk Gottes ein Halleluja, auf jedes Wort Gottes ein Amen - das ist unser Feiern im Hause des Herrn. Das ist auch der Freudenton unsers Festes, weil Gott das Wunder aller Wunder getan, dass Er seinen eingebornen Sohn gesandt hat zum Erlöser der Welt. Darüber gerät der Himmel in Bewegung, und die Engelscharen singen jenes neue Lied auf Bethlehems Fluren, welches seitdem von Sonntag zu Sonntag durch die Christenheit erklingt; darüber ist Freude in den Christenherzen auf Erden, denn uns, uns ist das Kind geboren, uns ist der Sohn gegeben.
Meine Lieben, das soll die Weihe unseres Gottesdienstes sein, dass wir hier zu gemeinsamer heiliger Freude versammelt sind, dass sich in uns himmlische Freude entzünde am Wort des Evangeliums und wir unsere Freude ausströmen in Lied und Gebet. Nun hat aber alle wahre, tiefe Freude auf Erden etwas Geheimnisvolles, hat einen verborgenen unsichtbaren Quell, aus welchem sie hervorquillt, hat eine verborgene Speise, davon sie zehrt, sodass ihr Ausdruck immer weit zurückbleibt hinter dem, was das Herz so froh empfindet, hinter jenem stillen, seligen Glanz, der sich nicht beschreiben. lässt. Denk' an die Weihnachtsfreude der Kinder, an die Brautfreude der Verlobten, denk' an die Freude des ewigen Lebens in der Hoffnung der Christen immer ist Geheimnis darin, Weissagung, Borsabbat. Wollen wir nun weihnachtsfroh werden, so müssen wir das Geheimnis der Weihnacht erfassen und in unserm Herzen bergen. „Das Geheimnis des Herrn aber ist bei denen, die ihn fürchten, und seinen Bund lässt Er sie wissen.“ Vernehmt denn was geschrieben steht:
1. Joh. 4,9.
Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir durch ihn leben sollen.
Das Kind in der Krippe hat viel Sänger und Prediger, die von ihm zeugen: Die Engel vom Himmel, die Hirten auf dem Felde, Maria im Stalle, Jesaias mit der Harfe: „Uns ist ein Kind geboren, und sein Name heißt: Wunderbar,“ Johannes der Täufer mit der Heroldsstimme, die Apostel als Sänger am Reigen, einer um den andern. Aber der am schönsten von ihm gesungen und am gewaltigsten von ihm gezeugt, das ist der Sprecher unseres Textes, der Jünger, welchen der Herr lieb hatte, Johannes mit dem Adlerblick und dem Adlerflug, mit dem Jüngerherzen und der Meisterschrift. Er predigt uns heute
und zwar
das Geheimnis der Krippe
- das Geheimnis der Liebe Gottes,
- das Geheimnis unseres neuen Lebens.
Herr, öffne uns die Augen, dass wir hineinblicken in das Wunder deiner Erbarmung, und öffne unsre Lippen, dass wir anbeten vor dem Geheimnis deiner Liebe, auf dass unsre Herzen voll werden deiner göttlichen, ewigen, unaussprechlichen Freude. Amen.
I.
„Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt.“ Ja, die Liebe ist erschienen. Halleluja. Das ist die Weihnachtspredigt an alle Welt, von deren süßem Ton die ganze Schrift widerhallt. So sagt Paulus: „Es ist erschienen die Gnade Gottes allen Menschen; es ist erschienen die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unseres Heilandes,“ so sagt Johannes in unserm Text. Wie eine helle Sonne prangt die Liebe Gottes herein in das dunkle, sehnsuchtsvolle Dasein nicht über den Sternen, nicht in der Phantasie, nicht in der Menschen Träumen soll ich die Liebe, soll ich meinen Gott suchen, sondern: Es ist erschienen die Liebe Gottes, die Freude für alles Volk, die Rettung für die ganze gefallene Sünderwelt; es ist der als Mensch erschienen, welcher die Liebe Gottes in Person ist. Blick hinein in die Höhe und Tiefe unseres Textes: Gott liebt das ist die Höhe; Er liebt uns das ist die Tiefe. Tue deine Augen auf und schaue hinauf in das Herz Gottes und hinab in den Abgrund seiner Liebe. Was ist Liebe? Was ist Liebe? Das wusste ja Niemand mehr unter den Menschen, die zu Egoisten geworden durch die Sünde - nun ist's offenbar geworden wie leuchtender Sonnenschein: Gott ist die Liebe, und dieser Sonnenschein strahlt aus Bethlehems Krippe; denn daran ist erschienen die Liebe, dass Gott seinen Sohn gesandt hat.
Aber wenn wir nun miteinander uns aufmachen wollen, um die Geschichte zu sehen, die zu Bethlehem geschehen ist, wenn wir in den Stall und an die Krippe treten wollen, um vor dem Geheimnis der Liebe Gottes in dem menschgewordenen Sohne anzubeten, da sind allerlei Leute, die uns den Eingang versperren und uns die Weihnachtsfreude verderben wollen, durch die wir uns erst durchschlagen müssen. Da ist Herodes, der das Kind in der Krippe für höchst staatsgefährlich hält; da sind die Pharisäer und Schriftgelehrten, von denen der Herr sagt: „Sie kommen selbst nicht ins Himmelreich und wehren denen, die hinein wollen;“ da sind die Sadduzäer und Naturgelehrten, welche sagen: Es gibt überhaupt kein Wunder, also auch keine Menschwerdung Gottes. Da sind die Juden, welche wohl auf einen fleischlichen Messias warteten, einen neuen Moses, der sein Volk aus dem Joch der Römer ausführte, einen Brotkönig, der die Tausende speiste, einen Messias auf Davids Thron, der die Heiden unterjochte aber von einem menschgewordenen Sohn Gottes, der die Sünder erlöste, wollten sie nichts wissen. Denn wenn er sprach: „Ich und der Vater sind eins,“ so sprachen sie: „Er hat den Teufel;“ wenn er sagte: „Ehe denn Abraham ward, bin ich,“ hoben sie Steine auf, und als er vor Kaiphas schwört, dass er der Sohn Gottes ist, zerreißt der Hohepriester sein Kleid und ruft: „Er ist des Todes schuldig.“ Da sind die Griechen, welche sich die Predigt von einem Göttersohn oder Halbgott als dem Helden des Menschengeschlechts ganz gern hätten gefallen lassen, von einem Theseus oder Herkules, aber von einem Gottessohn in der Krippe und am Kreuz wollten sie nichts hören.
Wie einst, so heute. Wie das Wort vom Kreuz, so hat das Wort von der Krippe auch heutzutage im Grunde immer zweierlei Feinde, nach Pauli Wort: einerseits die Juden alt und neu, welche nach Zeichen fragen, und die Griechen alt und neu, welche nach Weisheit fragen. Aber jenen zeichenfragenden Juden antwortet der Engel vom Himmel: Das habt zum Zeichen, die Krippe. Denn sie ist das allerhöchste Zeichen der Liebe Gottes gegen uns. Und jenen weisheitfragenden Griechen antwortet Paulus: Die tiefste und höchste Weisheit Gottes ist das Kind in der Krippe und der Mann am Kreuz. „Denen, die berufen sind, predigen wir Christum, göttliche Kraft und göttliche Weisheit.“ Darum ziemt es der Kirche Christi und den Zeugen Jesu nicht, das Geheimnis der Menschwerdung Gottes vor der Vernunft erst annehmbar zu machen. Ist diese ringende, suchende, tastende, widerspruchsvolle, über göttliche Dinge zu urteilen gänzlich unfähige Vernunft des natürlichen Menschen, so lange sie nicht vom Geiste Gottes erleuchtet ist, ist sie denn der Richterstuhl, vor welchem sich die ewige Wahrheit erst rechtfertigen müsste? Sollte eine Glaubenswahrheit erst dann gelten dürfen, wenn die menschliche Vernunft ihr den Stempel der Anerkennung und das Siegel der Bestätigung aufgedrückt hätte? Das sei ferne! Dann hinge ja Gottes Tat und Wort von dem Richterspruch unseres Verstandes ab, und unsere Seligkeit wäre nicht Sache des Herzens im Glauben, sondern Sache des Kopfes im Beurteilen, wie weit das Evangelium mit unserem Verstande in Übereinstimmung zu bringen wäre.
Nein, die Kirche predigt von Jahrhundert zu Jahrhundert: „Siehe, ich verkündige euch große Freude: Euch ist heute der Heiland geboren;“ unbekümmert um all die großen Geister, denen es eine Torheit ist, zeugt sie fort und fort: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns;“ unbeirrt durch den Spott der Philosophen und das überlegene Lächeln der Philister ruft die Kirche durch die Zeiten und Lande, in die dahinlebenden Geschlechter und in die dahinsterbenden Geschlechter hinein: „Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ist offenbart im Fleisch.“ Sie bekennt es als ein Evangelium Gottes und als ein Stück unseres Glaubens, dass dies Kind in der Krippe ist wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren. Hier ist Immanuel, Gott mit uns. Die Kirche wendet sich mit ihrem Zeugnis nicht an die Vernunft und den Verstand, sondern an das Herz des Menschen, und wird nicht müde, Ihn vor Augen zu malen, so göttlich, dass ein Johannes ruft: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit,“ so menschlich, dass auch seine Brüder nicht an ihn glaubten; so verborgen, dass sie in Nazareth ihn nur für des Zimmermanns Sohn hielten, so offenbar, dass Nathanael bekennt: Du bist der König von Israel; so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg, und so erhaben und hehr, dass alles Volk von ihm hingerissen ward; so ganz Gottesgestalt, dass die Sekte der Daketen ihn für einen bloßen Gott hielt, so ganz Knechtsgestalt, dass die Sekte der Ebioniten und Rationalisten ihn für einen bloßen Menschen hält. Wir aber bekennen beides voll und ganz: Wahrhaftiger Gott und auch wahrhaftiger Mensch. Und ob es uns nicht gelingen will, die beiden Seiten ineinander zu reimen mit unserer menschlichen Vernunft, so bekennen wir dennoch beides zu wissen: Es bleibt Geheimnis, weil unser Wissen und Weissagen Stückwerk bleibt. Die Gewissheit unseres Glaubens ruht nicht auf der Einsicht unseres Verstandes, sondern auf dem Zeugnis des Geistes im Wort und auf unseres Herzens tiefstem Bedürfen. Darum der stolzen gefallenen Vernunft keinen Schritt breit Zugeständnis, als müsste die göttliche Wahrheit vor ihr erst sich ausweisen, aber dem suchenden, nach göttlicher Offenbarung und Erlösung dürstenden Herzen mit seiner Frage: warum ist der Sohn Gottes Mensch geworden? volle Antwort aus unserm Text: „Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt.“ Hier liegt der Schlüssel zu einem Verständnis innerhalb des christlichen Glaubens, hier auch der Schlüssel zur tiefsten Weihnachtsfreude. Davon will ich euch predigen, als von dem Geheimnis der Liebe Gottes in der Krippe, mit dem Liede:
Welt ging verloren,
Christ ist geboren,
Freue dich, freue dich, o Christenheit.
Es war seit dem Sündenfall eine tiefe Kluft zwischen Gottes Forderung und unserer Leistung. Gott als der Heilige fordert vom Menschen als seinem Ebenbilde: Ihr sollt heilig sein; aber der Mensch leistet die Forderung nicht: er ist unheilig, ungerecht, ein Übertreter der Gebote und der Strafe verfallen. Gott kann von seiner Forderung nicht zurück, und der Mensch kann zu der geforderten Leistung nicht hinauf. Das ist die Sachlage. Wohl versucht der arme Mensch einen erbärmlichen Ausweg: Entweder schraubt er die Forderung Gottes herunter, er macht aus dem: Du sollst heilig sein, etwa: Du sollst deine Pflichten gegen die Menschen treu erfüllen, und schraubt daran so lange herunter, bis sie mit seiner vermeintlichen Leistung stimmen; oder er schraubt die eigene Leistung durch Beschönigung seiner Fehler und Entschuldigung seiner Schwachheiten, durch Vergessen der alten Sünden so lange hinauf, bis sie mit der vermeintlichen Forderung Gottes übereinkommt. Aber meine Lieben, das ist nicht der Weg zum Frieden, denn es ist der Weg der Lüge. Wo ein Gemüt sich strafen lässt vom Geiste Gottes, wo es ans Licht kommt, da anerkennt es beschämt und bußfertig die Größe der Forderung Gottes und die ganze Erbärmlichkeit der eigenen Leistung. Da tut sich die ganze unausfüllbare Kluft auf zwischen dem heiligen Gott und dem sündigen Menschen, der zu Gott kommen muss, wenn er soll selig werden, und doch nicht vor Gott kommen kann, ohne verworfen zu werden von seinem Angesicht. Da liegt der Seufzer aller Bußfertigen, da die Tränen aller aufrichtigen Herzen; da liegt die Frage der ganzen Menschheit: wie kann der heilige Gott den sündigen Menschen selig machen? Hier liegt die Frage der Jünger: „ja, wer kann dann selig werden,“ und die Antwort des Herrn: „bei den Menschen ist's unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“
Hier seht unser Text ein und frohlockt: „Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt.“ Denn das ist das Wunder göttlicher Liebe und Erbarmung, dass Gott das Unmögliche möglich gemacht, dass Gott sich entschließt, Mensch zu werden, um als Mensch die Leistung zu vollziehen, die er als Gott fordern musste. „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ Dazu ist der Sohn Gottes Mensch geworden, dass er an unserer Statt das ganze Gesetz erfüllte und an unserer Statt die ganze Strafe trüge, „dass wir durch ihn leben sollen.“ Wir, die wir in der Nacht des Todes sitzen, können doch nicht das Licht machen; wir, die wir Kinder des Todes sind, können doch nicht das Leben machen; wir Sünder können doch keine Heiligkeit machen; es wäre aus mit uns, und unser Schade bliebe verzweifelt böse. Aber siehe, das Kind in der Krippe mit seinem Namen Wunderbar, das soll den Rat Gottes hinausführen, Er ist's, der da kommen sollte, wir dürfen keines andern warten. Das ist die Freude des Christfestes, dass „Er uns so hoch geacht't, sich mit uns befreund't gemacht“, dass Er unser Fleisch und Blut angenommen, um als Einer aus unserm Geschlecht, als unser Haupt und neuer Adam das Opfer und die Sühne seines vollkommenen Gehorsams zu bringen. Ich sage nichts Neues, aber ich sage, was an Weihnachten nicht ungesagt bleiben darf, wenn wir das Geheimnis der Krippe fassen sollen, denn hier ist das Halleluja, hier ist das Geheimnis der Liebe Gottes, hier der Schlüssel zu allen Wundern und Geheimnissen des ganzen Christentums.
Ich bete an die Macht der Liebe,
Die sich in Jesu offenbart;
Ich geb' mich hin dem reinen Triebe,
Mit dem ich Wurm geliebt ward.
Ich will, anstatt an mich zu denken,
Ins Meer der Liebe mich versenken.
II.
Halleluja! „Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir durch ihn leben sollen.“ Wohlan, ihr Freudlosen, hebt eure Häupter auf: hier ist Freude die Fülle ewiglich; ihr Liebebedürftigen, tut euer Herz auf: hier steht die Liebe in Person vor eurer Tür; ihr Hungernden und Dürstenden nach Frieden, zu euch spricht der Herr: „tue deinen Mund weit auf, lass mich ihn füllen;“ ihr Armen, tut eure Hände auf: hier ist die reichste Gabe. Denn hat Gott seines eingebornen Sohnes nicht verschont, wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken?“ Ihr Kraftlosen und Schwachen: „er gibt Kraft genug den Müden und Stärke genug den Unvermögenden;“ ihr Elenden und Betrübten: hier ist Sonnenschein tief ins Herz und Haus hinein. Denn es ist erschienen die Liebe.
Aber wo soll ich diese Liebe Gottes in Christo finden, und wie kann ich sie fassen für mich? Wir fragen, wie einst die Jünger frugen: Meister, wo bist du zur Herberge? Freilich, ein erschütternder Anblick, dieser Einzug des Hochgelobten in die Welt! Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf; das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen. „Es war da kein Raum zur Herberge.“ Aber im dunklen Stall ist's hell, weil in der Krippe der liegt, der sagen durfte: „Ich bin das Licht der Welt.“ Ein berühmter Maler, Correggio, hat in seinem Bilde „die heilige Nacht“ diesen später oft wiederholten Gedanken dargestellt, indem er auf dem ganzen Bilde alles Licht von dem in den Windeln liegenden Jesuskinde ausgehen lässt, sodass alle Personen, auch die Engel in den Lüften, von seinen Strahlen beleuchtet sind.
Wir wiederholen unsere Frage: Meister, wo bist du denn noch heute zur Herberge? und antworten: Im dunklen Stall der Kirche, an welcher viel auszusetzen, an welcher nichts zu rühmen. ist, als dass Christus in ihr wohnt mit seinem Licht und Leben, obgleich sie gar manchem aussieht wie ein dunkler Stall ohne das Licht der Aufklärung, und die dummen Leute darin erscheinen ihnen wie Ochs und Esel. Die harte Krippe ist die heilige Schrift, und die Windeln, darin Christus zu finden ist, sind seine Gnadenmittel: das Wort der Predigt, von Vielen gering geschätzt gegenüber dem Wort der Dichter und Denker der Nation, aber Jesus ist darin, und Er hat Worte des ewigen Lebens; die heilige Taufe, von Vielen misskannt als eine hohle Zeremonie, aber Jesus ist darin, und darum ein gnadenreiches Wasser des Lebens; das heilige Abendmahl, von Vielen gedeutet als ein leeres Zeichen, aber Jesus ist darin mit seinem Leib und Blut, und darum Pilgerzehrung und Manna in der Wüste. Darum willst du die Liebe finden, willst du deinen Gott finden, such' ihn in Christo, denn da ist Er erschienen. Willst du Christum finden, such' ihn in Bethlehem; willst du den Stall und die Krippe finden, such' sie im Wort und Sakrament. Da sollst du ihn fassen mit deinen Glaubenshänden und an dein Herz drücken und sagen: Ich habe die ewige Liebe, die ewige Freude gefunden. Denn wenn du ihn wieder fragst: Meister, wo bist du zur Herberge? so will er dir antworten: In dem dunklen Stalle eines geängsteten und zerbrochenen Herzens, das mit dem Sänger betet:
O, Herr Gott, mach' auch mich
Zu deines Sohnes Krippen,
So sollen meine Lippen
Mit Ruhm erheben dich.
Er will zu dir sagen: „Ich, der ich in der Höhe und im Heiligtum wohne und bei denen, die zerschlagenen Geistes und gedemütigten Herzens sind“ - „Das ist meine Ruhe ewiglich, hier will ich wohnen, denn es gefällt mir wohl.“
Meine Lieben, hier ist unser tiefstes, wahrstes Leben; denn wo Vergebung der Sünde ist, da ist Leben und Seligkeit. Was in uns dürstet und sehnt und fragt, in Christo ist es zur Antwort gekommen. Das ganze hohe Ziel, das Urbild und Vorbild der Menschheit in Christo ist es erschienen, und zwar so, dass wir alle daran teilhaben können. Einmal, ach Einmal doch in der Fülle der Zeiten ist das Urbild zur geschichtlichen Tatsache geworden, das Ideal realisiert, das Ebenbild Gottes in der Menschheit leibhaftig wiederhergestellt, Einmal auf ewig ist die Liebe in der gottmenschlichen Person Jesu Christi erschienen und wohnte unter uns und sitzt nun zur Rechten Gottes für uns und vertritt uns. Nun mögen alle Götter Griechenlands dem Einzig Einen zu Ehren von ihren Altären steigen. ,Denn daran ist erschienen die Liebe, dass Gott seinen Sohn gesandt hat, dass wir durch ihn leben sollen.“ In Ihm gewinnt der Christ das ewige Leben und trägt es schon hier im Glauben in seinem Busen; in Ihm gewinnt des Christen Leben die Verklärung im Wirken, Leiden und Sterben, weil er sagen kann: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“ Siehe, die Liebe ist da, die Freude ist da; denn Jesus Christus ist da in unserm Fleisch, ist da im Wort und Sakrament, ist da zu neuem Leben unserer Seele. Darum
Freut euch, ihr Christen alle,
Freue sich, wer immer kann,
Gott hat viel an uns getan,
Freut euch mit hohem Schalle,
Dass er uns so hoch geacht't,
Sich mit uns befreund't gemacht.
Freude, Freude über Freude,
Jesus wehrt allem Leide;
Wonne, Wonne über Wonne,
Christus ist die Gnadensonne.
Amen.