Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 11.

Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 11.

(1) Ein Psalm Davids, vorzusingen. Ich trau auf den Herrn; wie sagt ihr denn zu meiner Seele, sie soll fliegen wie ein Vogel auf eure Berge? (2) Denn siehe, die Gottlosen spannen den Bogen und legen ihre Pfeile auf die Sehnen, damit heimlich zu schießen die Frommen. (3) Denn sie reißen den Grund um; was sollte der Gerechte ausrichten? (4) Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, des Herrn Stuhl ist im Himmel; seine Augen sehen darauf; seine Augenlider prüfen die Menschenkinder. (5) Der Herr prüft den Gerechten; seine Seele hasst den Gottlosen, und die gern freveln. (6) Er wird regnen lassen über die Gottlosen Blitz, Feuer und Schwefel, und wird ihnen ein Wetter zum Lohn geben. (7) Der Herr ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb; darum, dass ihre Angesichter schauen auf das da recht ist.

Wenns auch nicht so voll geklungen hat, wie wir diesen Choral sonst zu hören gewöhnt sind, ich habe keine bessere Einleitung zu unserer heutigen Betstunde und zu unserem diesmaligen Psalm finden können als das alte Schutz- und Trutzlied, Kriegs- und Siegeslied unseres Luther: „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Denn dieses Lied und unser Psalm gehen aus einem Ton, aus dem Ton eines ebenso kindlichen als heldenmütigen Gottvertrauens, und beide kommen auch aus verwandten Herzen und scheinen in ähnlichen Verhältnissen gesungen. David und Luther haben überhaupt viel miteinander gemein. Beides sind Heldennaturen; hat David mit seiner Schleuder einen Riesen erlegt, so hat Luther auch einen Riesen zu Boden geworfen, das mächtige Papsttum, auch er allein, ein armer Mönch, ohne Wehr und Waffenrüstung, mit der Schleuder des göttlichen Worts, die er so wohl zu führen verstand. Beides sind fromme Dichterseelen. Wie David geschickt war in der Kunst des Saitenspiels, so war auch Luther geschmückt mit der edlen Gabe des Gesanges und hat zwischen seine Kämpfe und Arbeiten hinein manches edle Lied gedichtet und zur Laute gesungen, Abends im Kreise der Seinen, von Weib und Kind umgeben und von ihren lieblichen Stimmen begleitet. Auch in ihrem Lebensgang haben beide Gottesmänner vieles gemein. Beide hat Gott aus niedrigem Stande zu hohem Amte berufen. Wie David aus einem Hirtenknaben, der seines Vaters Schafe weidete, zu einem König und Völkerhirten erkoren ward, so ward Luther aus einem armen Bergmannssohn zum Reformator der christlichen Kirche, der das lautere Gold des Evangeliums aus dem verschütteten Schacht wieder zu Tag gefördert und Millionen reich gemacht, Millionen zur Gerechtigkeit gewiesen hat. Beide haben auch reichlich durch die Schule der Anfechtung gehen müssen. Wie David in seiner Jugend das Joch der Trübsal trug, so hat auch Luther Verfolgung von außen und Anfechtung von innen reichlich erfahren, von seinen Seelenkämpfen im Kloster zu Erfurt und dem Bannfluch des Papstes bis in sein letztes Jahr. Aber der Gott, der Davids Schild war, der war auch Luthers feste Burg.

Und gerade dieser 11. Psalm erinnert uns durch Inhalt und Veranlassung gar sehr an Luthers: Ein feste Burg ist unser Gott. Der teure Gottesmann hat dieses Lied in derselben Glaubensfreudigkeit gedichtet, mit der er auf den Reichstag gen Worms zog, obgleich ihm ängstliche Freunde widerrieten, er sollte nicht hingehen, damit es ihm nicht gehe wie hundert Jahre vorher dem edlen Hus, der von einer ähnlichen Versammlung treubrüchig gefangen genommen und dem Scheiterhaufen übergeben worden war. Damals gab Luther bekanntlich die heldenmütige Antwort: Er wolle nach Worms gehen, und wenn so viel Teufel in der Stadt wären, als Ziegel auf den Dächern; er vertraue seinem Gott. Und diese Antwort klingt ja auch aus unserem Lied hervor: „Und wenn die Welt voll Teufel wär!“

Unter ganz ähnlichen Umständen scheint auch unser Psalm gedichtet. David war auch in großer Gefahr, wahrscheinlich vor Sauls Hass; ängstliche Freunde rieten ihm auch zu fliehen, aber in kühnem Heldenmut antwortet auch er: „Nein, ich traue auf den Herrn“. Auch im Ton und Bau haben beide Lieder Ähnlichkeit. Wie Luthers Glaubenslied kurz ist, aber voll freudiger Kraft von Anfang bis zu Ende, jeder Vers ein Posaunenstoß, so ist auch unser Psalm kurz, kühn, frisch und froh von Anfang bis zu Ende.

So wollen wir ihn denn näher betrachten. Wir können ihn nennen

Schutz- und Trutzlied einer gläubigen Seele, mitten unter drohenden Feinden und ängstlichen Freunden.

Gleich mit V. 1. tut der Sänger einen kühnen freudigen Griff in die Harfe: „Ich traue auf den Herrn.“ Wir haben bisher mehrere Psalmen gehabt, die mit Klagen anfingen und erst mit Loben schlossen, wo erst allmählich Schritt für Schritt, Vers um Vers, der klagende Psalmist aus tiefem Jammer zu frohem Gottvertrauen sich emporarbeitete und hindurchbetete. Aber hier steht er gleich von vornherein auf der Felsenhöhe freudigen Gottvertrauens: Ich traue auf den Herrn, so fängt er frisch und freudig an; ganz wie Luther auch mit dem kühnen frohen Glaubenswort beginnt: Ein feste Burg ist unser Gott. Und weil denn David so kühn vertraut auf seinen Herrn, so verwirft er auch den ängstlichen Rat seiner zaghaften Freunde: „Wie sagt ihr denn zu meiner Seele, sie soll fliehen wie ein Vogel auf eure Berge.“ Wohl ist es wahr, dass er oftmals wie ein gescheuchter Vogel auf Bergeshöhen flüchten, wie ein gehetztes Wild in Schluchten und Höhlen sich verbergen musste. Während eines großen Teils seiner Drangsalszeit hat er auf den hohen Gebirgen der Wüste Juda, unweit des toten Meeres Zuflucht gesucht; der König Israels ist nach mir ausgezogen, wie man ein Rebhuhn jagt auf den Bergen, ruft er selber seinem Verfolger Saul zu, und ein andermal heißts: bis auf die Höhen der Steinböcke, also bis auf die höchsten Gipfel, wo nur Gämsen hinklettern, sei Saul ihm nachgejagt. (1. Sam. 23,25-28; 1. Sam. 24,3; 1. Sam. 26,20.)

Auch für mutige Glaubenshelden gibt es Stunden und Zeiten, wo es geraten ist, sich der Gefahr zu entziehen, um sich fürs Reich Gottes zu erhalten und auf bessere Zeiten aufzusparen. Auch Luther hat auf den stillen waldigen Bergeshöhen der Wartburg eine Zuflucht sich gefallen lassen vor Dolch und Gift; auch unser Heiland hat sich seinen Feinden je und je einmal entzogen und ist in die Wüste entwichen, weil sein Tagewerk noch nicht vollbracht, seine Stunde noch nicht gekommen war. Aber das ist ja nicht zu verwechseln mit feiger Furcht und Kreuzesflucht; daran erkennt man dann den echten Helden Gottes, dass er, wenn es gilt, wenn es Amt und Beruf verlangt, wenn es Gottes Wille und des Gewissens Stimme fordert, auch mutig der Gefahr entgegengehen und Leib und Leben wagen kann. Da spricht dann Jesus zu dem warnenden ängstlichen Jünger auf sein flehendes: Schone dein selbst! weiche von mir, du meinest was menschlich und nicht was göttlich ist, und wendet stracks sein Angesicht nach Jerusalem zu wandeln, dem Kreuz entgegen. Da spricht dann David: Ich traue auf den Herrn, wie sagt ihr dann zu meiner Seele, sie solle fliehen? und bleibt wo der Herr ihn hinstellt. Da spricht dann Luther: Ein feste Burg ist unser Gott und geht fröhlich nach Worms, trotz Kaiser und Papst, trotz Bann und Scheiterhaufen.

Ja, ein feste Burg ist unser Gott, wer in seinen Schutz sich flüchtet, ist besser bewahrt, als wenn er flieht auf die höchsten Berge und in die verborgensten Schluchten, mag dann der Feind auch noch so gefährlich dräuen. Dass der Feind gefährlich drohe, das gesteht David ein.

V. 2. „Denn siehe die Gottlosen spannen den Bogen und legen ihre Pfeile auf die Sehnen, damit heimlich zu schießen die Frommen.“ Mit einem tückischen Wegelagerer vergleicht hier David seine Feinde, der mit gespanntem Bogen hinter dem Busch oder Felsen lauert, um den Pfeil loszuschnellen, wenn der Fromme vorüberzieht. Auch dieser Ton klingt in unserem Lutherlied:

Der alt böse Feind
Mit Ernst er's jetzt meint;
Groß macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist,
Auf Erd ist nicht seins Gleichen.

Groß Macht und viel List, das hat nicht nur ein David, ein Luther erfahren, das hat jeder Christ in seinem Teil zu erfahren. Wenn der Feind, die Anfechtung, die Versuchung immer nur offen käme, dass mans von weitem sehen könnte, dann wärs noch leichter auszukommen. Aber der Feind schießt seine Pfeile aus dem Hinterhalt. So ists mit äußerer Widerwärtigkeit. Wie oft kommt das Unglück über uns tückisch, wie ein Pfeil aus dem Busch hervor; wenn ich gesund aufstehe am Morgen, ich weiß nicht, an welcher Not ich des Abends darniederliege. Wenn ich fröhlich mein Haus verlasse, um an mein Tagewerk zu gehen, ich weiß nicht, bis ich heimkomme, ob nicht ein Unglück inzwischen eingekehrt ist. So ists auch mit innerer Anfechtung: wenn wirs uns am wenigsten oft versehen, wenn wir singend unsere Straße ziehen und meinen, wir seien weit vom Fall, so schnellt der Versucher einen Pfeil auf unser Herz und bringt uns zu Fall.

Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist,
Auf Erd ist nicht seins Gleichen.

Da muss man freilich fortfahren mit unserem Lied:

Mit unsrer Macht ist nichts getan,
Wir sind gar bald verloren,

oder mit unserem Psalm, V. 3: „Denn sie reißen den Grund um; was sollte der Gerechte ausrichten?“ Ja, auch der Gerechte kann aus eigener Macht dem Unglück nicht widerstehen, den Versucher nicht überwinden; denn „sie reißen den Grund um“, auch ein fester Glaubensgrund kann erschüttert werden, auch ein Felsenmann kann wanken, wenn einmal der alte Feind mit Ernst es meint. Darum ist der Mut des Frommen nicht jener fleischliche Übermut, der da spricht: ich werde nimmermehr darniederliegen, sondern eitel Demut, die da bekennt: Was sollte der Gerechte ausrichten?

Mit unsrer Macht ist nichts getan,
Wir sind gar bald verloren.

Aber es ist eine Demut, die dann auch im Glauben hinzusetzt:

Es streit't für uns der rechte Mann,
Den Gott hat selbst erkoren,

oder mit unserem V. 4: „Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, des Herrn Stuhl ist im Himmel.“ Himmelan richtet David seinen Blick, wenns auf Erden finster ist; dort hoch über dem Sündenwesen und Jammerleben der Erde thront im ewigen Licht in seinem oberen Heiligtum, auf seinem unerschütterlichen Königsthron der heilige, majestätische, selige Gott, bei welchem kein Wechsel ist des Lichts und der Finsternis, bei dem Schaden, Spott und Schande, lauter Lust und Himmel ist. Vergiss es nicht, Kind Gottes, wenn dir die Welt oft eine Hölle scheint, himmelan den Blick: Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, des Herrn Stuhl ist im Himmel. Und wie du zu ihm aufblickst mit Kindesaugen, so blickt er auf dich hernieder mit Vateraugen. Er schließt sich nicht ein in sein himmlisches Heiligtum, verhüllt sich nicht stolz in seiner Majestät und Seligkeit, dass er sich nicht kümmerte um der Welt Treiben, sondern seine Augen sehen darauf, „seine Augenlider prüfen die Menschenkinder.“ Mit allsehendem Auge blickt der Allwissende hernieder auf das Treiben der Menschenkinder, blickt der Herzenskündiger hinein in den Rat der Herzen, und keine Tücke der Gottlosen entgeht ihm, kein Seufzer der Frommen bleibt ihm verborgen. Ein seliger Trost beim Wirrwarr dieses Lebens: Es gibt eine göttliche Vorsehung, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Und nicht nur ein allwissender Zeuge ists, der im Himmel wacht, sondern auch ein heiliger Zeuge; nicht nur mit dem Auge, auch mit dem Herzen nimmt er Anteil am Treiben der Menschenkinder:

V. 5. „Der Herr prüft den Gerechten; seine Seele hasst den Gottlosen und die gerne freveln.“ Gott ist nicht ein solcher Gott, wie ihn gewisse Weltweise träumen, der am Guten und Bösen am Ende gleichviel Freude hat, weil ihm beides dienen muss, weil das eine das Licht, das andere den Schatten bildet in seinem Weltgemälde, das eine den Zettel, das andere den Einschlag abgibt für das Gewebe seiner Ratschlüsse; nein, Gott ist ein heiliger Gott, ein Gott der zu unterscheiden weiß zwischen redlichen Seelen und Frevlerherzen. Und darum ist er auch ein gerechter Gott.

V. 6. „Er wird regnen lassen über die Gottlosen Blitz, Feuer und Schwefel und wird ihnen ein Wetter zum Lohn geben.“ Das ist seine strafende Gerechtigkeit. Man sollte meinen, David habe, als er diese Worte sang, von der Wüste Juda aus, wo er oft auf der Flucht vor Saul sich aufhielt, hinübergeschaut auf die öden verbrannten Ufer des toten Meeres und dabei Sodoms und Gomorrhas gedacht, die einst an dieser Stelle standen und durch Gottes rächende Gerechtigkeit mit Feuer und Schwefel verbrannt worden waren. Auch an jene freche Rotte Korah kann man hier denken, die vom flammenden Rachen der Erde verschlungen worden war in der Wüste zur Zeit Mosis; aber nicht nur in jenen alten Tagen, auch heute noch sehen wir gar oft die Wetter des göttlichen Zorns ausbrechen über dem Haupt der Frevler. Und wenn sie auch nicht immer sichtbar in Blitz und Schwefel sich entladen, es gibt auch stille Wetter, verborgene Strafgerichte Gottes, und wenn sie oft auch lange verziehen, weil bei dem ewigen Gott tausend Jahre sind wie ein Tag, ewig ausbleiben werden sie nicht.

Der Fürst dieser Welt,
Wie sauer er sich stellt,
Tut er uns doch nichts,
Das macht: er ist gericht't,
Ein Wörtlein kann ihn fällen.

Und dieses Wörtlein wird der Herr sprechen zu rechter Zeit.

Aber wohl allen, die auf ihn trauen; ihnen ist die Gerechtigkeit Gottes eine schonende, schützende und segnende. Des tröstet sich David zum Schluss: V. 7. „Der Herr ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb, darum dass ihre Angesichter schauen auf das da recht ist.“ Der Herr ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb, darum das Reich muss uns doch bleiben. Das, Geliebte, wollen wir als Trost und Mahnung für uns mitnehmen aus diesem Psalm. Damit haben sich jene alten Gotteshelden, ein David, ein Luther, getröstet in ihren schweren Kämpfen, damit wollen auch wir uns trösten in unseren kleinen Kämpfen. Denn auch dazu, Geliebte, ist es gut, dass wir uns manchmal zurückversehen in die alten Lebens- und Leidensgeschichten vorangegangener Gottesmänner, damit wir an ihrem Kreuz unser Kreuz messen und erkennen, wie leicht und gnädig es uns noch zugemessen ist und wie wir noch nicht bis aufs Blut widerstanden haben. Und wenn wir dann nur in großem oder kleinem Kreuz redlich handeln und aufrichtig wandeln wie David und Luther und auf den Herrn trauen wie David und Luther, dann dürfen wir auch mit David sprechen: „Der Herr ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb“, und mit Luther singen, ob auch mit schwächerer Stimme als er:

Das Wort sie sollen lassen stahn,
Und kein Dank dazu haben.
Er ist bei uns wohl auf dem Plan
Mit seinem Geist und Gaben.
Nehm'n sie uns den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib:
Lass fahren dahin,
Sie haben's kein Gewinn:
Das Reich muss uns doch bleiben!

Amen.

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