Brenz, Johannes - Sonntag Misericordias Domini.

Brenz, Johannes - Sonntag Misericordias Domini.

Joh. 10,12-16.
Ich bin ein guter Hirte. Ein guter Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Ein Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen, und verlässt die Schafe, und flieht; und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe. Der Mietling aber flieht; denn er ist ein Mietling, und achtet der Schafe nicht. Ich bin ein guter Hirte, und erkenne die Meinen, und bin bekannt den Meinen; wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und dieselbigen muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird eine Herde und ein Hirte werden.

Obgleich Christus diese Rede vom guten Hirten, die wir aus Johannes verlesen haben, vor seinem Leiden und vor seiner Auferstehung gehalten hat, ist in derselben doch auch ein Zeugnis von Christi Auferstehung enthalten, deren öffentliches Gedächtnis wir in diesen Tagen feiern. Christus sagt nämlich: „Darum liebt mich mein Vater, dass ich mein Leben lasse, auf dass ich es wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe es Macht zu lassen, und habe es Macht wieder zu nehmen“ (Joh. 10,17.18). Denn uns wird nichts Nützlicheres und Notwendigeres zu Teil, als Christi Auferstehung, und damit sie recht bestätigt würde, ist's durch Ratschluss des Heiligen Geistes geschehen, dass Christus nicht nur nach seiner Auferstehung mit deutlichen Erscheinungen und Beweisen seine Majestät offenbarte, sondern dass sie auch vor der Auferstehung durch Weissagungen zuvor verkündigt wurde. Und zwar hat David offenbar davon geweissagt, indem er spricht (Ps. 16,10): „Du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen, und nicht zugeben, dass dein Heiliger verwese.“ Christus aber sagt hier: „Ich lasse mein Leben, auf dass ich es wieder nehme.“ Daher ist Nichts gewisser und bestätigter als Christi Auferstehung.

Doch es ist der Mühe wert, dass wir diese ganze Predigt Christi im Allgemeinen auslegen, weil er uns darin deutlich vor Augen gestellt wird: erstlich, mit welcher Sorge Christus seine Kirche erhält und schützt; zweitens, welches das Verhältnis der Kirche zu Christo ist; endlich unterweist diese Rede einen Jeglichen, er sei nun ein Prediger, oder Obrigkeit, oder ein Hausvater, an dem Beispiele Christi, dass er lernt, wie er seines Amtes warten müsse.

„Ich bin,“ spricht er, „ein guter Hirte. Ein guter Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Christus hätte mit himmlischer Zunge reden können, allein er wollte sich lieber nach unserer Fassungskraft richten, und redet von geringen Dingen, welche uns doch die göttlichsten Lehren geben. Es ist eine stete Gewohnheit Christi, dass er gern Gleichnisse, die von gewöhnlichen Verhältnissen und vorzüglich von den Beschäftigungen der Menschen hergenommen sind, anführt. Einmal sagt er, das Himmelreich sei gleich einem Menschen, der seinen Acker besät. Ein anderes Mal: Ich bin ein rechter Weinstock. Sodann: Das Himmelreich ist gleich einem Kaufmann; ferner: einem Hausvater, der eine Hochzeit feiert. Nun vergleicht er sich selbst mit einem Hirten. Das sind nämlich alltägliche Beschäftigungen der Leute auf den Äckern, in den Weinbergen, in öffentlichen Angelegenheiten, im Handel, in der Viehzucht. Er trägt aber Solches vor, nicht nur, um seine Herzensmeinung klar aus einander zu sehen, sondern auch, um uns durch diese Predigten zu erinnern, dass wir nicht geschaffen sind, damit wir hauptsächlich die Geschäfte dieser Welt betreiben. Es muss zwar ein Jeder in seinem Berufe arbeiten, und die Geschäfte sind abzutun; wir aber sind nicht vornehmlich zu dem Zwecke erschaffen, sondern dazu, dass wir Gott erkennen und den er gesandt hat, Jesum Christum; dass wir ihn verherrlichen und der Gottseligkeit nachjagen zum ewigen Leben. Das ist das Ziel, dazu wir verordnet sind. Auf dass wir also bei allen Geschichten Gott erkennen lernen, führt uns Christus dergleichen vor, damit er uns gewöhne, ohne Unterlass und mitten in weltlichen Geschäften Gott zu verherrlichen und nach der Gottseligkeit zu trachten.

Doch wir wollen nun alles Andere bei Seite lassen und von dem guten Hirten handeln. „Ich bin ein guter Hirte,“ spricht er. „Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Mörder gewesen. Ich aber allein bin jener gute Hirte.“ Alle andern verwirft und verdammt Christus, sich allein aber hebt er hervor. Was sollen wir dazu sagen? Ist er sein eigener Lobredner? Man pflegt zu sagen: Selbstlob ist eitel. So heißt es mit Recht von Allen, die von Natur Lügner sind und ohne Gott nichts Empfehlenswertes an sich haben. Deshalb ist es ganz eitel, sich selber zu loben. Bei Christo jedoch ist es Pflicht, weil er in diese Welt gekommen ist, um die Wahrheit zu lehren. Wahrheit aber ist's, dass nur Christus der gute Hirte ist, und dass die anderen Menschen Diebe und Mörder sind. Was sollen wir denn nun von den Propheten und den Aposteln sagen? Hier muss man eben Christi Predigt recht verstehen; denn sie erklärt sich selbst zu Anfang dieses Kapitels. Er sagt nämlich (Joh. 10,1): „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hinein geht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder.“ Welche also durch die Tür eingehen, die sind keine Diebe und Mörder, sondern das sind Diebe, welche nicht durch die Tür eingehen. Die Propheten und Apostel sind durch die Tür eingegangen, sind also keine Diebe noch Mörder. Und auf dass wir Solches besser verstehen, lasst uns sehen, was die Tür ist. „Ich bin die Tür,“ sagt er; „so Jemand durch mich eingeht, der wird selig werden.“ Was ist also Christus, damit wir sehen, wie er die Tür sei? Hier werden wir Christum doppelt betrachten müssen, nämlich nach seiner Person und nach seinem Amte. Was seine Person anlangt, ist er wahrer Gott, Gottes Sohn, und ist wahrer Mensch, geboren aus Maria der Jungfrau; was sein Amt betrifft, ist Christus in diese Welt gekommen, nicht um ein bürgerliches Königreich zu verwalten, und den Menschen zu äußerlicher, fleischlicher Freiheit zu verhelfen, sondern um die Sünden zu sühnen und die Menschen mit Gott zu versöhnen und ihnen Vergebung der Sünden und ewiges Leben zu erlangen. Ein Solcher ist Christus sowohl nach seiner Person, als nach seinem Amte. Nun ist hier leicht zu entscheiden, welche Diebe und Mörder sind, die nicht durch diese Tür hinein gehen: Alle, welche von der Person Christi oder seinem Amte Etwas abtun wider die Schrift, die sind Diebe und Mörder.

Wir wollen aber einige Arten derselben aufzählen, auf dass wir unsere Feinde erkennen und fliehen. Seine halbe Befreiung hat, wer seinen Feind kennt. Zuvörderst also sind die Weltweisen der Heiden Diebe und Mörder gewesen; denn haben sie auch Treffliches von den Tugenden gelehrt, was man nicht verachten darf, so sind sie dennoch, weil sie die menschlichen Tugenden für Mittel gehalten haben, dadurch wir selig werden, nicht durch die Tür hinein gegangen, die Christus ist, durch dessen Verdienste allein wir gerechtfertigt und selig werden. Sie haben also die Menschenseelen gestohlen und geraubt. Danach die Pharisäer unter den Juden; dieselben haben zwar viel Werke des Gesetzes gelehrt, aber hinzugesetzt, diese wären die wahrhaftige Gerechtigkeit; und mit solcher Lehre haben sie die Menschenseelen gestohlen und geraubt. Dazu diejenigen, welche sich wider Christum erhoben und sich gerühmt haben, sie wären Christi, und haben die Wiederherstellung des äußerlichen Reiches in Israel verheißen. Weil diese eine äußerliche Befreiung im Reiche des Messias gelehrt haben, sind sie nicht durch die Tür eingegangen und haben die Seelen ihrer Anhänger gemordet. Sodann sind in der Kirche mancherlei Arten von Ketzern aufgetreten wider die Person Christi, und die Einen von ihnen haben an Christi Person die wahre Gottheit, die Anderen die wahre Menschheit geleugnet. Das sind Krebsschäden für die Kirche. Wie aus einem obgleich noch so gesunden menschlichen Körper stets Unrat abgeht, bisweilen auch Geschwüre hervorbrechen, so sind am Leibe der Kirche die Ketzer, die Gottlosen usw. Zuletzt ist das Papsttum entstanden, das, wie jene Ketzer Christi Person entheiligt haben, so Christi Amt entheiligt hat. Denn es lehrt, dass wir die Vergebung der Sünden durch das Verdienst unserer Werke erlangen, und zu diesem Behuf sind so viel Messen und Klöster gestiftet. Das heißt Christi Amt leugnen und der Menschen Seelen stehlen und rauben. Es ist grausam, einen Menschen öffentlich mit dem Schwerte zu töten, und das wird nicht geduldet; viel grausamer jedoch ist es, Menschenseelen durch Gottlosigkeit zu stehlen und zu rauben, und deshalb ist es viel weniger zu dulden. Da haben wir die Diebe und Mörder der Schafe.

Christus aber ist der wahre Hirt, weil er alle Eigenschaften eines wahren und guten Hirten besitzt. Ein guter Hirte führt seine Schafe auf die Weide, ruft sie mit Namen und geht ihnen voran. Er lässt sich von seinem Hirtenamte nicht abschrecken durch die mannigfachen Gefahren, sondern lässt sein Leben für die Schafe. Die Gefahren der Hirten sind mancherlei; denn führen sie die Schafe zur Weide hinaus, so scheinen sie dieselben in den offenbaren Tod zu führen, weil sie wissen, dass auf den Weiden Löwen und Wölfe umherstreichen. Daher sehen sie nicht nur sich, sondern auch ihre Schafe Gefahren aus. Dazu wird, so den Schafen Gefahr naht, die Schuld auf Jene geworfen; aber durch solche Gefahren lassen sich gute Hirten von ihrer Pflicht nicht abschrecken, und lieber verlieren sie ihr Leben, als dass sie nicht ihrer Pflicht gemäß ihre Schafe auf die Weide führen sollten. So hat auch Christus seine Weide, nämlich das Evangelium; so führt er seine Schafe zur Weide hinaus, weil er den Dienst des Evangeliums eingesetzt hat; so schützt er die Schafe, weil er ihnen vorangeht mit Lehre und Leben; so kennt er sie und schirmt ein jegliches besonders. Bei diesem Amte aber gibt es mancherlei Gefahren; allein weil Christus bei der Einsetzung des Evangeliums bedacht hat, dass er nicht nur sich, sondern alle Hirten und seine Schafe Gefahren aussetzte, ist er darum dennoch von seinem Amt und Beruf nicht abgeschreckt worden. Denn es ist nicht vonnöten, dass wir in dieser Welt Ruhe haben; dass wir aber Gottes Berufung Folge leisten, und dass ein Jeglicher seine Pflicht tue, das ist durchaus notwendig. Da hast du Christum als den guten Hirten.

Nun blicke hin auf die Schafe. Diese sind gar töricht; haben sie sich verirrt, so kehren sie nicht von selbst zurück und erkennen nur die Stimme ihres Hirten; Alles aber von den Schafen ist zu brauchen. So sind auch wir Menschen von Natur töricht und gehen nicht dem Schafstalle nach, wenn wir einmal verirrt sind, sollen jedoch in allen Stücken Gott und den Menschen nützlich sein. Schließlich gibt Christus allen Andern eine Lehre, denen die Sorge für fremdes Gut anvertraut ist; er gibt sie der Obrigkeit, dem Prediger, dem Hausvater. Denn die Alten haben ihre Könige Hirten genannt. Mose und David sind aus Hirten zu Fürsten geworden; ihnen ist die Sorge für ihre Untertanen, als für ihre Schafe, anbefohlen worden. Gleicher Weise sind die Diener der Kirche Hirten; sie müssen also die Eigenschaften eines guten Hirten haben: erstlich, dass sie durch die Tür eingehen, d. i. Christi Ehre suchen; zweitens müssen sie die Schafe auf die Weide führen, d. h. sich bemühen, dass die wahre Religion und die öffentliche Ehrbarkeit bewahrt bleibe, dazu die Schafe beschützen, der Eine mit dem Schwerte, der Andere mit dem Worte und dem Gebete. Sie dürfen sich auch von ihrem Amte durch keine Furcht vor Gefahren abwendig machen lassen. Das gilt der Obrigkeit: reizt du die Untertanen auf, so wirst du dich selber und sie Gefahren aussetzen. So gilt es auch dem Diener der Kirche: wenn du fortfährst, ist Gefahr da, dass du samt der Kirche vernichtet werdest; ferner, wenn Gefahr eintritt, werden die Schafe fliehen und die Schuld auf dich werfen. Solche Gefahren aber dürfen einen guten Hirten von seiner Pflicht nicht abbringen: die Schafe müssen durchaus auf die Weide geführt werden; ein Jeder tue seine Pflicht, das ist notwendig; aber nicht ist not, dass immer die öffentliche Ruhe bestehe, sondern dass nur Jedweder nach seinem Amte recht handle. Dafür haben wir das Beispiel Davids (1. Sam. 17,28.29), Mosis und Josaphats (2. Chron. 20,10-12). Diese sind gute Hirten gewesen, da sie, obgleich ihnen Gefahren vor Augen traten, dennoch in ihrem Amte fortfuhren.

So lerne denn ein Jeglicher in seinem Amte von Christo die Eigenschaften eines guten Hirten, auf dass er Christo anhange nach seiner Berufung. So wird, wie Christus sagt, Ein Hirt und Eine Herde werden. Amen.

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