Hansen, Hans Nicolai - Predigt zur Wahl an der St. Nikolaikirche in Flensburg am 5. Juli 1865.

Hansen, Hans Nicolai - Predigt zur Wahl an der St. Nikolaikirche in Flensburg am 5. Juli 1865.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Heilande Jesu Christo in der Kraft des heiligen Geistes! Amen.

Mit innigem Dank gegen den Herrn und mit tiefer Bewegung meines Herzens trete ich heute zum ersten Mal nach langer Zeit wieder auf vor einer evangelischen Gemeinde meines geliebten Vaterlandes. Fünfzehn Jahre sind im Strome der Zeiten vorübergeeilt, seit ich durch Gottes Gnade eine Gemeinde dieses Landes meine Gemeinde nennen, seit ich ihr und sonst den Gemeinden hin und wieder die lebensvolle Predigt des gnadenreichen Evangeliums verkündigen durfte. O wie freute sich damals meine ganze Seele, berufen worden zu sein in den Dienst des Herrn, auf den mein Auge und Herz gerichtet gewesen war von den Tagen meiner Kindheit an, ihm, dem erkannten Herrn und Heilande, dem Freunde und Führer meiner Jugend, dem Lenker und Beschützer meines Lebens, zu dienen an seiner teuer erkauften Gemeinde! Wie brannte dazumal mein Herz in tiefem, heiligem Verlangen, mit zu bauen an dem geistlichen Zion Jesu Christi in diesen Landen, an der Behausung Gottes im Geist, meinen miterlösten Brüdern und Schwestern zu verkündigen die Liebe Gottes in seinem Sohne und die Gnadenströme seines Segens über sie auszuschütten in seinem lebendigen, seligmachenden Wort! Mehrere Jahre hat der Herr mir diese große Gnade gewährt; mit innigem Dank, mit tiefer Anbetung bekenne ich, er hat mein heißes Verlangen erfüllt, er hat den Dienst seines geringen, unwürdigen Knechtes nicht verschmäht.

Bald aber zeigte sich auch an unserem Leben und Wirken die Wahrheit dessen, was geschrieben steht bei dem Propheten: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr.“ (Jes. 55,8.) Anstatt Jahre der Ruhe, des Friedens und stiller Erbauung sandte uns der Herr Zeiten der Drangsal und ernster Prüfung. Eine raue Hand griff plötzlich störend und zerstörend hinein in die Geschicke unseres Lebens. Die innigen Bande zwischen Hirten und Herden wurden gewaltsam zerrissen. Das Vaterland hatte bald keinen Raum mehr für seine treuesten Söhne, die es in Liebe und Gebet auf ihrem Herzen getragen; die Gemeinden durften ihre treuen Pfleger und Seelsorger nicht behalten, sondern wurden der Pflege von Fremden hingegeben. Viele, viele mussten eine neue Heimat und Wirksamkeit suchen auf fremder Erde. Es kamen Zeiten, da es schien, als hätte der Herr unser vergessen, als hätte er uns verlassen in seinem Zorn.

Doch, Geliebte, der Herr hat uns nicht vergessen; er vergisst keinen, der seiner nicht vergisst. Er züchtigt uns wohl, aber er nimmt uns wieder mit Ehren an.

Der Herr ist noch und nimmer nicht
Von seinem Volk geschieden;
Er bleibt ihre Zuversicht,
Ihr Segen, Heil und Frieden.

Heute stehe ich wieder nach fünfzehn Jahren vor einer Gemeinde meines geliebten Geburts- und Heimatlandes, vor einer Gemeinde meines Herrn, die er geliebt hat bis in den Tod, die er erkauft hat mit seinem Blut; sollte da nicht meine ganze Seele in innigem Dank gegen Gott und in heiliger Freude tief ergriffen und bewegt sein? Von all dem Schweren und der Trübsal, welche für euch und für mich diese Jahre einschließen, lasst mich schweigen und nur rühmen die Gnade des Herrn, die sich auch in der Trübsal und gerade da oft am kräftigsten verherrlicht. Freilich haben wir es erfahren, dass des Herrn Gedanken nicht unsere Gedanken und unsere Wege nicht seine Wege sind; aber er hat es uns auch zu erleben gegeben, was er weiter hinzufügt: „So viel der Himmel höher ist, denn die Erde, so sind auch meine Wege höher, denn eure Wege, und meine Gedanken denn eure Gedanken.“

Geliebte! der Herr hat mit uns Allen auch in der Trübsal Gedanken des Heils und des Friedens. Ich wenigstens bekenne es von mir und meiner Lebensführung offen und freudig: Der Herr hat Alles wohl gemacht! Er hat mir wohl manchen Becher der Trübsal eingeschenkt, aber er hat mir auch immer Kraft gegeben, ihn auszutrinken. Er hat mir wohl manches Leid zugesandt nach seiner Vatergüte, aber doch viel, viel mehr Freude. Und unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige Herrlichkeit. Ihr werdet's auch bekennen, wenn ihr anders die Führungen Gottes zu erkennen sucht im Lichte seines Wortes. Sind auch die Lebenswege, die Gott uns geführt hat, oft dunkel und trübe gewesen und sind sie es zum Teil noch heute; der Herr ist auch im Dunkel unser Licht und in der Trübsal unsere Kraft. „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?“

Im Namen und in der Kraft dieses Herrn komme ich zu euch als ein Bote der Liebe und des Friedens. Obwohl ein Bote aus der Ferne, bin ich doch kein Fremdling in eurer Mitte, sondern heimisch in diesem Lande, in dieser Kirche, in dieser evangelischen Gemeinschaft. Eure Heimat ist auch meine Heimat, euer Vaterland, mein Vaterland, eure Gottesstadt hienieden und dort droben auch die meinige; wir haben mit einander Einen Gott und Vater, Einen Herrn Jesum Christum, Einen Glauben und Hoffnung des Heils, wir wandern mit einander denselben Weg zur himmlischen Heimat. So nehmt denn, Geliebte, mein Wort mit Liebe und Vertrauen auf, wie ich es euch bringe!

Du aber, o Jesu, richte mein Auge fest und unverwandt auf das Eine, was Not ist; alles Andere sei mir nichts, es verschwinde vor der Herrlichkeit deiner lebendigen Liebe. Mit diesem Einen erfülle meine Seele in dieser ernsten Stunde, dass ich mutig und getrost, demütig und freudig ein gut Bekenntnis ablegen könne vor vielen Zeugen. Dies Eine präge mir tief ins Herz und lege es auf meine Lippen, dass deine Liebe und Gottes-Gnade durch mein schwaches Wort nicht zu Schanden werde, dass mein Gebet dieser versammelten Gemeinde Gebet sei und bleibe von nun an bis zum Grabe:

Eines wünsch ich mir hienieden,
Deinen Geist und deinen Frieden
Und den Ruhm an meinem Grabe:
Dass ich dich geliebet habe. Amen.

Das Gotteswort, welches ich euch zu bringen habe, findet sich aufgezeichnet bei dem Evangelisten Johannes, wo es Kap. 12,44-50 vor eurer Andacht also lautet:

Jesus aber rief und sprach: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat. Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat. Ich bin gekommen in die Welt ein Licht, auf dass, wer an mich glaubt, nicht in Finsternis bleibe. Und wer meine Worte hört und glaubt nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern, dass ich die Welt selig mache. Wer mich verachtet, und nimmt meine Worte nicht auf, der hat schon, der ihn richtet; das Wort, welches ich geredet habe, das wird ihn richten am jüngsten Tage. Denn ich habe nicht von mir selber geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll. Und ich weiß, dass sein Gebot ist das ewige Leben. Darum, das ich rede, das rede ich also, wie mir der Vater gesagt hat.

Es ist eine Predigt aus dem Munde unsers Herrn und Heilandes selbst, ein lautes Zeugnis und Bekenntnis über seine eigene Person, über seine Wirksamkeit in der Welt und über die Kraft und Wirkungen derselben bis in die fernsten Zeiten. Johannes hat diese Predigt Jesu uns aufbewahrt, zusammengedrängt in die wenigen vielsagenden Worte. Dies Selbstzeugnis unsers Herrn, dies offene, laute Bekenntnis ist der Grund aller echten, lebensvollen evangelischen Predigt aller Boten und Diener Jesu Christi. Lasset uns danach betrachten:

Die lebensvolle Predigt des gradenreichen Evangeliums, und zwar:

  1. ihren festen Grund,
  2. ihre freudenreiche Verkündigung,
  3. ihre weltüberwindende, seligmachende Kraft.

I.

Der Grund aller evangelischen Predigt ist immer und alle Zeit das lebendige Wort Gottes, wie wir evangelischen Prediger es ja auch immer unsern Betrachtungen zu Grunde legen. Dies Wort aber, wo es rein und lauter, gläubig und lebensvoll verkündigt wird, hat selbst zum Grund und Fundament, zum Inhalt und Mittelpunkt Jesum Christum, den Sohn des lebendigen Gottes. Jesus Christus gestern und heute und derselbige in Ewigkeit ist Kern und Stern der ganzen heiligen Schrift, des alten und neuen Testaments. Er selber, der lebendige Herr, wohnt in dem Worte, denn von Ihm zeugt es; er kommt zu uns Menschen durch das Wort, um einzuziehen und Wohnung zu machen in unsern Herzen. So war es schon mit der evangelischen Predigt, die er selbst gehalten hat in den Tagen seines irdischen Wandels. „Jesus rief und sprach: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat; und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat. Ich habe nicht von mir selber geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll. Und ich weiß, dass sein Gebot ist das ewige Leben. Darum das ich rede, das rede ich also, wie mir der Vater gesagt hat.“ Es ist die Person Jesu Christi, des Gottgesandten und Eingebornen vom Vater, es ist die Gewissheit des Glaubens an Ihn als den Sohn des lebendigen Gottes selbst, es ist das Wort und die Lehre unsers Herrn und Heilandes als Wort und Lehre seines himmlischen Vaters, welches uns evangelischen Predigern erst den festen Grund unter unsere Füße legt zu einer fröhlichen und gesegneten Verkündigung des Evangeliums.

Wer an Jesum von Herzen glaubt, der glaubt nicht an einen menschlichen Lehrer, und sei er der weiseste und begabteste unter allen, der glaubt nicht an eine wandelbare, vorübergehende Erscheinung der Zeit, sondern er glaubt an Den, dessen Ausgang vom Vater und von Ewigkeit her ist, an den, welcher in Gemeinschaft mit dem Vater die Zeiten und Ewigkeiten trägt in seiner allmächtigen Hand; „welcher, sintemal er ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens, und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort, und hat gemacht die Reinigung unsrer Sünden durch sich selbst, hat er sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe.“ (Hebr. 1,2.) Und wer ihn sieht und erkennt mit den Augen des Glaubens, der sieht und erkennt mit Johannes und allen Gläubigen die Herrlichkeit und Gnade Gottes, der spricht mit Johannes: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Es ist die Vaterliebe Gottes, die den Sohn uns gesendet und welche uns in Christo lebendig und lebensvoll entgegentritt. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

Wer aber an Jesum nicht glaubt, der glaubt auch nicht an den, der ihn gesandt hat und von dem er ausgegangen; und wer den Sohn nicht sieht, der sieht auch den Vater nicht. Johannes sagt: „Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht.“ (1 Joh. 2,23.) „Wer übertritt und bleibt nicht in der Lehre Christi, der hat keinen Gott; wer in der Lehre Christi bleibt, der hat beide den Vater und den Sohn.“ (2 Joh. V. 9.) So wir sagen: wir glauben wohl an den himmlischen Vater, die Vaterliebe Gottes gegen uns Menschen, aber an den Sohn, den er uns gesandt haben soll, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden an den können wir nicht glauben: dann stehen wir mit unserm Glaubensleben in einem unauflöslichen Widerspruch. Denn wer an den Sohn nicht glaubt, durch den wir allein Gott unsern Vater nennen können, dem ist Gott und muss Gott sein entweder ein toter Gott oder ein zürnender Richter. Er steht nicht auf dem Standpunkte des neuen Bundes, ja nicht einmal auf dem der Gläubigen des alten Testaments; er wandelt mit dem Sehnen und Bedürfen seines Herzens und Lebens nicht auf dem festen Grunde des Evangeliums, sondern auf dem des tötenden Gesetzes. Er mag immerhin in Unwissenheit und Unklarheit über den Grund seines ewigen Heils dahinleben, aber ein Solcher leugnet im Grunde die Wahrheit des ganzen Wortes Gottes. Denn von den Trostesworten an, die Gott unsern Voreltern an den Pforten des verschlossenen Paradieses gab, war das der trostreiche Inhalt aller Verkündigung der Gläubigen und Propheten des alten Bundes. Nur im Glauben an einen kommenden Erlöser und an die Erlösung von der Sünde konnten sie den heiligen Gott ihren Vater nennen.

Und er ist gekommen, Geliebte; er ist erschienen in dieser Welt, in unsrer Menschheit als unser Bruder, gesandt von seinem himmlischen Vater. Wer ihn sieht, der sieht den Vater, und wir haben ihn gesehen und erkannt als den Sohn des lebendigen Gottes. (1 Joh. 4,14.) Selbst in dieser liebeleeren, glaubenslosen Welt hat er Glauben gefunden, und Alle, die an seinen Namen glaubten, denen gab er Macht Gottes Kinder zu werden. Sein heiliges, sündenreines Leben, sein versöhnendes Leiden und Sterben, sein herrlicher wunderbarer Sieg über die Sünde, den Tod und das Grab wurde der Glaubens- und Lebensgrund aller derer, die ihn aufnahmen und bekannten. Schon in den Tagen seines Erdenwandels sammelte er um sich eine kleine Schar treuer und gläubiger Jünger; die sandte er aus mit der Predigt seines gnadenreichen Evangeliums, die rüstete er aus und machte sie dazu tüchtig durch die Gabe und Kraft seines heiligen Geistes. Und sie gingen hinaus im Namen und in der Kraft des auferstandenen Jesus, sie gingen hin und predigten das Evangelium aller Kreatur, in mancherlei Weise, in Mannigfaltigkeit der ihnen verliehenen Gaben und Kräfte, aber zusammenstehend auf dem Einen Grunde, zusammenklingend in dem Einen Grundton ihres Bekenntnisses: „Es ist in keinem Andern Heil und ist uns kein andrer Name gegeben, darinnen wir sollen selig werden.“ Der Grund der lebensvollen Predigt des Evangeliums ist von Anbeginn an und immer und immer der lebendige Heiland, ins Herz aufgenommen, im Leben bewiesen. Auch der apostolischen Predigt Glaubensgrund ist kein anderer, als den schon die heiligen Propheten und Gläubigen des alten Bundes gehabt haben; nur dass die Apostel unsers Herrn nicht mehr eines Kommenden im Glauben zu warten haben, sondern des bereits Gekommenen sich trösten und erfreuen können; nur dass sie im Hinblick auf den, welchen der Vater gesandt hat, mit Johannes bekennen können: „Wir haben gesehen und zeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat zum Heiland der Welt.“ Und als der, welcher alle Predigt erst zu einer lebensvollen macht, welcher selber Inhalt und Mittelpunkt des ganzen Evangeliums ist, im Laufe der Zeiten vergessen und hinter den Erfindungen menschlicher Weisheit zurückgestellt worden war, da wurde dieser gute alte Grund der Apostel und Propheten der evangelischen Predigt und mit ihr dem Christenvolke durch Gottes Gnade wiedergeschenkt in der deutschen Reformation. Es ist der Glaubensgrund unserer evangelischen Kirche, es ist das Zentrum unsers lutherischen Bekenntnisses. Dies ist der Grund, auf welchem alle treuen Diener des Evangeliums stehen und ohne welchen es eine evangelische Predigt nicht gibt und nicht geben kann. Einen andern Grund kann Niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.

Das ist aber auch, meine Geliebten, ein guter, fester Grund, auf den wir mit unserem Glauben und Lieben, mit all unserm Wünschen und Hoffen uns getrost stellen können in dieser Welt, wo Alles wandelbar und veränderlich ist. Alles andere in dieser Welt ist mangelhaft und unvollkommen, dem Gesetze des Wechsels und der Vergänglichkeit unterworfen; Christus aber bleibt. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. Die Menschen verlassen uns, auch die Liebsten und Treuesten, die Frömmsten und Gläubigsten; Christus aber bleibt. Selbst die Boten und Träger des gnadenreichen Evangeliums kommen und gehen, leben und sterben; aber Christus stirbt nicht, er lebt in Ewigkeit. Er ist derselbe gegen uns, heute wie gestern, morgen wie heute und derselbe in Ewigkeit!

II.

Auf diesem Glaubensgrunde stehe auch ich, Geliebte, durch Gottes Gnade, und dies allein gibt mir Freudigkeit zu euch zu kommen mit der Verkündigung des gnadenreichen Evangeliums meines Herrn. Hätte ich diesen Grund nicht unter meinen Füßen, ich würde es nimmer wagen vor euch aufzutreten in dieser Stunde, aufzutreten vor einer Gemeinde, in welcher Viele weit über mir stehen an natürlichen Gaben und Fähigkeiten, an Stand und Stellung in dieser Welt. Aber der Herr, der mich berufen und gesendet hat in seinen heiligen Dienst, der mich meines Glaubens an den Gottgesandten und Eingebornen vom Vater durch seine Gnade gewiss gemacht hat, der Herr, der zu mir gesprochen: Sei getrost, gehe hin, ich will mit dir sein; ich will meinen Geist in deinen Sinn und meine Worte auf deine Lippen legen und du sollst mein Bote sein zu diesem Christenvolk. Er hat mir ein getrostes Herz und einen freudigen Mut gegeben, euch Allen die lebensvolle Predigt seines gnadenreichen Evangeliums zu bringen, ohne Ansehen der Person, ohne Rücksicht auf Gaben und Fähigkeiten, auf Stand und Stellung der Menschen. Ist es doch eine freudenvolle Verkündigung, ein Wort seliger Freude für uns Alle, das ich euch bringe als ein Diener und Bote des Herrn.

Denn das Evangelium ist an sich und allezeit eine freudenreiche Botschaft; wohin es kommt, da macht es fröhliche Herzen, sowohl derer, die es predigen, als derer, die es hören. Es ist der eigentliche Trostes- und Freudenruf Gottes an die Menschheit durch die Jahrhunderte, um sie zu trösten in ihrer Mühe und Arbeit, in ihren Sorgen und Sünden, in ihrem Jammer und Elend, zuerst leise hoffnungsvoll tönend durch die Weissagungen der heiligen Propheten, dann laut aufjubelnd in der Zeit herrlicher Erfüllung. Bei dem Eintritt des Gottgesandten in diese Welt ist der erste Laut, der über die begnadigte Erde hinschallt, eine Freudenbotschaft aus Engelsmunde, die uns alle mit Wonne und Entzücken erfüllen soll: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk wiederfahren wird.“ Und diese Freude wächst und vertieft sich immer mehr in dem und an dem, welcher der rechte Freudenmeister der Menschheit ist und an seinem herrlichen, gnadenbringenden Werk. Schon der Apostel konnte die Christen auffordern, „sich in dem Herrn zu freuen allewege.“ Doch nicht bloß eine Aufforderung zur Freude enthält das gnadenreiche Evangelium von Christo, sondern es eröffnet uns selbst den tiefen Grund und die selige Quelle aller Freude für die erlöste Menschheit in dem Wirken und Walten, in dem Tun und Leben des Herrn.

Denn was predigt uns das gnadenreiche Evangelium von Christo? was ist der Inhalt dieser lebensvollen evangelischen Predigt? Hört es, Geliebte, aus dem Munde des Herrn selbst, der wohl am besten wissen wird, wozu er in die Welt gekommen und was er in der Welt ausgerichtet hat. „Ich bin gekommen, sagt er, in die Welt ein Licht, auf dass, wer an mich glaubt, nicht in Finsternis bleibe.“ Die Welt ohne Jesum ist Finsternis. Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker Finsternis der Sündenschuld, der Sündenknechtschaft, des Sündenjammers. Jesus aber ist das Licht! „Ich, sagt er, bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh. 8,12.) - Die Welt außer Christo ist Hass und Entfremdung von Gott; Jesus aber ist die Liebe und weckt dieselbe in unseren Herzen. Die Welt außer Christo ist Tod, Christus aber ist das Leben. „Ich, sagt er, bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ (Joh. 11,25.) Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben für uns Alle, Niemand kommt zum Vater, denn durch ihn. Licht, Liebe, Leben, das ist das göttliche Dreigestirn, das von der Versöhnung in Christo hineinleuchtet in die dunkle Nacht unseres Menschenlebens und schon unser kurzes irdisches Dasein hienieden weiht und heiligt zur Gemeinschaft der Liebe und des Friedens Gottes. Erlösung aus der Finsternis der Sünde und des Todes, Aufnahme in die versöhnende Gemeinschaft des Lichts und des Lebens: das haben wir dem Kommen des Herrn in diese Welt zu verdanken, dessen können wir Alle teilhaftig werden im Glauben an ihn. Dieses macht die Verkündigung des gnadenreichen Evangeliums so freudenreich für die, welche sie uns mitteilen und für Alle, die sie aufnehmen.

Und wir sollten uns nicht freuen, Geliebte, dass wir ein so herrliches Evangelium haben, dass uns vermittelst desselben solche unvergängliche Gnadenschätze angeboten werden, schon in diesem Leben der Sünde und des Todes? Wir sollten uns nicht freuen, dass ein solcher göttlicher Same der Erneuerung und Wiedergeburt aus Gott hineingelegt wird in unser armes Erdenleben, dass wir die fröhliche Aussicht, die gewisse Hoffnung haben, von der eigentlichen Wurzel alles Verderbens frei und erneuert zu werden zum Ebenbilde Gottes in der Gemeinschaft des Herrn? Johannes sagt: „Wer aus Gott geboren ist, der tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt bei ihm und kann nicht sündigen, denn er ist von Gott geboren.“ (1. Joh. 3,9.) Das ist der unversiegliche Quell unserer Freude an dem gnadenreichen Evangelium, das der Inhalt unserer fröhlichen Christenhoffnung im Lande unserer irdischen Wallfahrt, dass wir auch von der Sünde, dem eigentlichen Grund und der Wurzel alles Übels völlig sollen frei werden. Denn Christus ist uns von Gott gemacht zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. „Herz, freue dich, du sollst werden vom Elend dieser Erden und von der Sündenarbeit frei!“

III.

Doch, wer glaubt unserer Predigt? und wem wird der Arm des Herrn offenbart? So musste schon der Prophet des alten Bundes klagen. Was nützt die evangelische Predigt, auch wenn sie lebensvoll und überzeugungskräftig ist? so fragt man noch heute. Darum richte ich endlich euere Aufmerksamkeit auf der evangelischen Predigt weltüberwindende, selig machende Kraft. Es ist dies keine neue Frage, Geliebte, die Frage nach der Kraft und Wirkung des gnadenreichen Evangeliums und der evangelischen Predigt in der Welt, sondern eine alte, so alt als das Evangelium selbst. Auch wird sie nicht erst heute zum ersten Male beantwortet; ihre Antwort ist in dem Evangelium gegeben. Tönt doch jene Frage unserm Herrn und Heiland entgegen aus einer glaubenslosen Zeit, aus einem ungläubigen Geschlecht, in dem was unserem Texte unmittelbar vorhergeht. Und was antwortete der Herr? „Wer meine Worte hört, sagt er, und glaubt nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt selig mache. Wer mich verachtet, und nimmt meine Worte nicht auf, der hat schon, der ihn richtet: das Wort, welches ich geredet habe, das wird ihn richten am jüngsten Tage.“

Die Kraft und Wirkung der evangelischen Predigt ist heute zum Teil klar und in die Augen fallend. Wir sehen in unserer Zeit mit unseren Augen, was die heiligen Evangelisten und Apostel in ihrer Zeit haben glauben müssen, ohne es zu sehen. Die lebensvolle Predigt des Evangeliums hat im Äußern die Welt umgestaltet. Als jene zwölf Männer im Gehorsam gegen den Befehl ihres Herrn ohne Gold und Silber, ohne Tasche und Stab, ohne Hoffnung auf menschlichen Beistand und Förderung ihres Werkes, allein im Namen und in der Kraft des auferstandenen Jesus, hinaus gingen in die Welt mit der evangelischen Predigt, da traten sie in den heftigsten Kampf mit den gewaltigen Mächten, welche die damalige Welt beherrschten. Heidentum und Judentum überboten sich in Hass und Feindschaft gegen das gnadenreiche Evangelium und die schlichten Evangelischen Boten. Aber sie gingen fort und ließen nicht ab. Der Welt Hass vergalten sie mit heißer, inbrünstiger Liebe; wo man ihnen fluchte, da segneten sie; wo man sie verfolgte, da beteten sie für ihre Verfolger; wo man sie in Kerker und Bande warf, da sangen sie ihrem verherrlichten Herrn Lob- und Danklieder, und freuten sich, um seinetwillen der Welt Schmach zu tragen. Sie wanderten unter Mühe und Arbeit durch Leiden und Trübsal, in Not und Tod, aber sie hielten treu an mit der Predigt des Evangeliums und zeugten allenthalben: „Er hat uns geboten, zu predigen dem Volk und zu zeugen, dass er ist verordnet von Gott, ein Richter der Lebendigen und der Toten!“ Und wie sie taten, so taten auch ihre Nachfolger. Und Gott war mit ihnen. Mit dem einfachen, aber lebensvollen Wort der evangelischen Predigt haben sie die Altäre der Götzen niedergestürzt, die widerstrebenden Herzen ihrer Widersacher überwunden und unsterbliche Menschenseelen, besiegt durch die Gotteskraft des Evangeliums, niedergelegt zu den Füßen ihres gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Drei Jahrhunderte waren unter Verfolgungen und Leiden, unter Strömen vergossenen Blutes der heiligen Märtyrer über diese Erde dahingegangen; und die heidnische Welt hatte den Christenglauben angenommen. Das ist von dem Herrn geschehen und ein Wunder vor unsern Augen. Dieser glorreiche Sieg des gnadenvollen Evangeliums ist das lauteste Zeugnis für die Göttlichkeit des Christenglaubens, für die Wahrheit des Christentums. Und diese fortwirkende Kraft, diese weltüberwindende Wirkung des Evangeliums von Jesu, sie schreitet fort bis auf den heutigen Tag. Gibt es doch kein Gebiet des öffentlichen und persönlichen Lebens in der jetzigen gebildeten Menschheit, in welches nicht das Evangelium seine heiligenden und segnenden Wirkungen hinein erstreckte. Wahrlich, die lebensvolle Predigt hat die Welt umgestaltet, hat die Menschheit neu geboren!

Aber wenn auch diese Wirkung im Äußeren offenbar und unbestreitbar ist, so ist sie doch ihrem eigentlichen Grunde nach eine innerliche und verborgene. Wir, Geliebte, sehen es nicht, wer unter den Menschen das lebensvolle Wort auch lebensvoll aufnimmt und ihm Glauben schenkt, oder wer es in Unglauben verschmäht und von sich weist. Und es ist leider der Sünde und des Unglaubens, des Widerstrebens gegen das Wort der Wahrheit noch immer viel in dieser Welt. Doch wir sollen glauben und vertrauen der weltüberwindenden Kraft des Evangeliums. „Ich bin nicht gekommen, sagt unser Heiland, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt selig mache.“ Kann er, unser Meister und Herr, das Widerstreben der Menschen ertragen, wie sollten nicht wir, seine geringen Diener und Boten, es können? Ist doch unsere Predigt ein Zeugnis von dem Lebendigen. Und, meine Brüder, ich glaube an diese lebendige Liebe Gottes in der Welt, und dieser Glaube gibt mir Vertrauen, Mut und Zuversicht zu einem treuen Dienst in der Nachfolge meines Herrn; ich glaube, dass eine rettende Liebeshand nach uns Allen sich ausstreckt, und wer diese ergreift, diese Hand der rettenden Liebe, der kann nicht versinken, sondern muss selbst vom Tode hindurchdringen zum Leben! - Einst werden wir es ja sehen, und ich bin dessen gewiss, in fröhlicher Zuversicht: Viel, viel mehr, als wir in unserem Kleinglauben denken, werden überwunden werden von der seligmachenden Kraft des Evangeliums.

Was wir davon denken, was wir sagen können,
Ist ein Schatten nur zu nennen:
Tag für Tag zu leiden, Tag für Tag zu dulden
So viel Millionen Schulden,
Und dazu
ohne Ruh
Lieben für das Hassen,
Herr, wer kann das fassen!

Und die dennoch nicht überwunden werden? die sich nicht wollen überwinden lassen? Nun, auch die wird nicht der Herr Jesus richten, sondern das lebensvolle Wort derjenigen Predigt, die sie verachtet haben. Denn der Herr sagt: „Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht auf, der hat schon, der ihn richtet: das Wort, welches ich geredet habe, das wird ihn richten am jüngsten Tage.“ Die Predigt des Evangeliums ist niemals umsonst, sie hat immer ihre Kraft und Wirkung an den Menschen. Wo sie nicht aufgenommen wird zur Seligkeit, da gereicht sie unfehlbar zum Gericht; sie ist entweder ein Geruch des Lebens zum Leben, oder ein Geruch des Todes zum Tode. Auch an denen, die nicht wollen, offenbart sich die Herrlichkeit Jesu Christi, freilich zu ihrem eigenen Verderben.

Teure Versammelte! Mein Wort ist ausgegangen, ein Zeugnis von der lebensvollen Predigt des gnadenreichen Evangeliums. Soll ich denn schließen mit diesem Wort, das wie ein Misston durch die freudenreiche Verkündigung des Evangeliums hindurchtönt? Geliebte! Es kommt ja auf euch, es kommt auf uns Alle an, dass es für uns Alle ein Wort der Freude, des Lebens und der Seligkeit werde. Erkennt doch in dem heiligen Ernst die heiße erbarmende Gottesliebe, die uns Alle sucht und selig machen will. Nicht ich, der lebendige Christus hat euch gerufen; wollt ihr nicht folgen? Er hat die Hand nach euch ausgestreckt, wollt ihr nicht einschlagen? Er will euch wohltun, er will euch glücklich machen und selig, er will euch segnen! Möchte das Wort nicht verhallen in den weiten Räumen dieses Gotteshauses, sondern eine gute Stätte finden in euern Herzen. Dann haben wir uns in Ihm gefunden, und dann werden wir uns einst wiederfinden in seiner seligen Gemeinschaft, und können schon hier auf dem Wege unserer Wallfahrt freudenvoll miteinander bekennen:

Dich fand ich, Herr, als ich mich selbst verloren,
Du nahmst mich auf, als Alles von mir wich:
D'rum hab' ich Treu und Glauben dir geschworen,
Dich will ich nur, o Jesu, nichts als dich,
Will alles And're wagen und verachten,
Was jemals scheiden könnte dich und mich
Und ob mir Leib und Seele drob verschmachten,
Dich halt ich fest, ich will ja nichts als dich. Amen.

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