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Taube, Emil Heinrich - Psalm 6.

Taube, Emil Heinrich - Psalm 6.

Dieser Psalm zeigt, dass das rechte Leid und tiefste Leid um der Seele willen ist, aber nicht umsonst gelitten wird. Denn es leitet zur Buße (V. 2), es treibt zum Herrn (V. 3-8); es findet den Herrn (V. 9-11). Dieser Psalm ist der erste unter den sogenannten 7 Bußpsalmen. Krankheit und Verfolgung von seinen Feinden war die Folie dazu, doch der Kern dieser Leiden ist das, was David um seiner Seele willen leidet, der schwere Druck der gewaltigen Hand Gottes, die auf seinem Innern liegt, von wo aus auch das Leibesleben auf das Jämmerlichste mitbetroffen wird. Wohl zu beachten ist dabei, dass es eben Seelenzustände von Gottesmenschen sind, die hier aufgedeckt werden, und die uns die rechte Stellung zu allem Leiden der Christen offenbaren sollen im Gegensage zur Welt. Die Überschrift: „Dem Sangmeister, mit Saitenspiel auf der Octave, ein Psalm Davids“ weist höchst wahrscheinlich, dem klagenden Inhalt des Liedes gemäß, den Sangmeister an, es in der tieferen (Bass-) Octave zu begleiten.

V. 2. Ach Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn, und züchtige mich nicht in Deinem Grimm! Schon in diesem ersten Verse deckt sich uns der tiefe durchgreifende Gegensatz zwischen den Kindern Gottes und den Kindern der Welt auf; gerade das Leiden offenbart ihn als eine rechte Scheidekraft. Erstere sehen den Herrn, wie in allen Dingen, so namentlich im Leiden walten; die Welt sieht alles Andere dahinter, nur nicht den Herrn; Erstere lassen dem Schmerze in ihrem Herzen ihr volles Recht und klagen sich recht aus, die Weltinder verbeißen in ihrer gewohnten Eitelkeit den Schmerz und tun mit einer lügenhaften Seelengröße ihrer doch so elenden Natur Gewalt an; die Ersteren werden deswegen weich und gelinde unter dem Drucke der Leiden, die Letzteren nur desto stolzer und härter; die Ersteren, und das ist der Hauptpunkt, schuldigen sich selbst dabei, die Letzteren entschuldigen sich und lästern Gott. Der Grund zu solchem ungebärdigen Wesen der Welt liegt darin, dass sie den Zusammenhang zwischen Leiden und Sünde gänzlich verkennt. Dass ein solcher besteht, beweisen nicht nur genugsam die Psalmen, sondern der Herr selbst im Neuen Testament, wenn Er zu dem Gichtbrüchigen spricht: „Mensch, deine Sünden sind dir vergeben!“ (Luk. 5,20) und zu dem achtunddreißigjährigen Kranken: „Siehe zu, du bist nun gesund geworden, sündige hinfort nicht mehr“ (Joh. 5,14) und bei Gelegenheit jener Erschlagenen zu den umstehenden: „So ihr euch nicht bessert, werdet ihr auch also umkommen“ (Luk. 13,1 ff.). Die Leiden sind Folgen und Strafen der Sünde. Nur zeigt derselbe Herr an dem Blindgeborenen (Joh. 9,3) vorbeugend, dass der jedesmalige Schluss von einem speziellen Leiden auf eine spezielle Versündigung unrichtig sei. Die göttliche Gerechtigkeit weiß allein den Zusammenhang genau. Unsere Sache ist es nicht, ihn zu ergründen, nur ihn zu fühlen und zu empfinden, und in wie vollem Maße tut das ein David hier! Den Zorn Gottes sieht er über sich, vor Seinem Grimm ängstigt er sich. Gleichwie man den Zusammenhang zwischen Leiden und Sünde gern abschwächt, so will man auch nicht den Zorn Gottes, der das Leiden als Strafe der Sünde verhängt; aber die den Zorn Gottes leugnen, oder ihn wohl über die Welt, nicht aber über die Kinder Gottes in Gottes Wesen wollen gelten lassen, mögen hier das Kind Gottes David beten hören! Wenn Einer, so hat er das Herz Gottes gekannt. Ja es ist ein Zorn Gottes, so wahr als die Sünde Ihm ein Gräuel ist nach Seiner ewigen Gerechtigkeit und Heiligkeit, und wo sich noch Sünde findet, da findet und offenbart sich auch darüber der Zorn Gottes. Gerade die Gottesmenschen, weil sie erst recht wissen, was Sünde sei, erkennen und bekennen, dass in allem Leiden der bitterste Tropfen, die Marter über alle Marter die Empfindung des Zorns, der Ungnade Gottes sei. Nur so kommt eine wahrhaftige und schwere Buße und keine geträumte und leichte Buße zu Stande. Aber das ist nun der große Vorteil, wenn man ein Mensch Gottes, ein Kind Gottes ist, dass man Gott den Herrn auch noch von einer andern Seite, von einer weichen und gelinden Seite kennt, dass man im Glauben weiß, man ist in Christo, in dem geoffenbarten Heilsgotte zugleich ein Gegenstand der göttlichen Liebe; darum können Kinder Gottes mitten unter den schwersten Züchtigungen des dräuenden Zornes Gottes zu diesem Gotte beten, wie Luther so schön sie zu mahnen weiß mit den Worten: „Zum Herrn, zum Herrn und sonst nirgends hin, eben zu dem, der da zürnt und straft, und zu keinem andern!“ Sie beten eben, dass durch das finstere Gewölk des Zornes die Sonne der Gnade wieder durchbrechen und das süße Erbarmen wieder walten möge. Sie legen damit ein klares Zeichen der Kindschaft ab, wie denn auch David sein erstes Wort bei diesem Gebet „Jehovah!“ sein lässt.

V. 3. Sei mir gnädig, Herr; denn ich bin schwach geworden; heile mich, Herr, denn erschrocken sind meine Gebeine. V. 4. Und meine Seele ist erschreckt gar sehr; und Du, Herr, wie lange? V. 5. Kehre um, Herr, reiß' heraus meine Seele; hilf mir um Deiner Gnade willen. V. 6. Denn nicht ist im Tode Dein Gedenken; in der Hölle, wer will da Dir danken? V. 7. Müde bin ich von meinem Seufzen, schwemme allnächtlich mein Bette; mit meinen Tränen netz' ich mein Lager; V. 8. Verfallen ist vor Gram mein Auge, gealtert ob all meiner Dränger. Zum Zeichen, dass wahre Buße nicht an der Bitte um Abwendung der wohlverdienten Strafen Gottes sich genügen lassen kann, sondern es dem Büßenden vor allem um Zuwendung des Gnadenantlitzes Gottes zu tun ist, hören wir aus Davids Seele die Grundbitte alles Bußgebets hervorquellen: „Sei mir gnädig, Herr!“ Das ist der Zöllnerseufzer aus dem Tränenwinkel, den Gottes Ohr vornehmlich zu hören begehrt, und David tut ihn, ehe er um Heilung der erschrockenen Gebeine fleht. Ach, welch' ein Ernst ist es um die innere Genesung! Wie lebt man in solchen mitternächtlichen Stunden des Sündenelends die Ordnung des Heils, die man leider oft nur weiß, aber nicht geht, so gründlich durch! Erkenne diese Ordnung auch daran, dass David seine Bitte „Sei mir gnädig“ damit begründet, dass er schwach geworden sei! denn nach dem Maße unserer Schwäche reicht der Herr das Maß der Gnade dar, wie Er gegen Paulus bezeugt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor. 12,9). Davids Schwäche ermiss daran, dass nicht bloß seine Seele, sondern auch seine Gebeine erschrocken sind. Rechtschaffene Buße greift Leib und Seele an, gleichwie die Gnade Beides auch hebt, herzhaft und fröhlich macht. Werden auch nicht Alle mit einerlei Trübsal heimgesucht, ja werden Manche mit eben so viel Gnadenzügen im Innern und äußerlich freundlichen Führungen als mit Angstkämpfen zur Buße geleitet, so ist doch bei denen, die so gar nichts von diesem verzehrenden Feuer in ihren Gebeinen verspürt haben, das Schwerste, nämlich der den ganzen Menschen durchgreifende Ernst in der Buße wohl noch dahinten. Je mehr nun aber rechtschaffene Buße angreift, desto marternder wird die Abkehr des Herrn, desto öfter und dringender kommen die Fragen an Ihn, wie diese: „Und Du, Herr, wie lange?“ Das war auch Calvins Wahlspruch und ist aller herzbetrübten Kreuzträger Klageseufzer, und wenn nur aus dem Zagen kein Verzagen wird, so hält der Herr auch solche Klage gern zu gute. Denn Er selbst, da Er nicht über Vermögen versucht, hat sich ein Ziel der Not gesteckt, einen äußersten Punkt, bis dahin lässt Er es kommen, aber nicht einen Zoll darüber hinaus. Was uns im Kreuz ein Verzug scheint, ist bei Gott daher auch nur ein stetes Eilen dem Ende des zugemessenen Maßes entgegen. Wann ist dieses erreicht? Dann, wenn einem Menschen alles fleischliche Vermögen, alle Stärke und Weisheit, alles Gefühl von Wert, Werken und Kräften gar untergegangen ist und er in dem durchdringenden Gefühl seiner Dürftigkeit und Verlassenheit keine andere Hilfe kennt und sucht, als die, welche vom Herrn kommt durch Zuwendung Seines abgewandten Antlitzes. Soweit ist es mit David gekommen. Nicht eher weiß er seines Leidens ein Ende, als bis der Herr umkehrt und seine Seele herausreißt, und solches begehrt er wiederum lediglich um der Gnade des Herrn willen, als wollte er sagen: Um meiner Würdigkeit willen gib mir nichts, begehre ich auch nichts, aber um meiner Unwürdigkeit willen versage mir auch nichts“. Doch hat er noch einen hohen, starken Grund und mächtige Waffe, mit der er gegen das Herz seines Gottes Sturm läuft, und der ebenso sehr des Gottes in Christo warmes, weiches, an der Sünder Errettung stark beteiligtes Herz, als das wahrhaftig Gott über Alles liebende Herz Davids bekundet: „Denn nicht im Tode ist Dein Gedenken, in der Hölle (eigentlich: im Totenreich), wer will da Dir danken?“ Damit will er sagen: Bist Du mir nicht gnädig, errettest Du nicht meine Seele, reißt Du mich dahin, mein Gott, wo bleibt Deines großen Namens Ehre? Wo Deine Liebe gegen den Staub, der so gerne Dein Lob verkündigen möchte?! David will nur leben, um des Herrn Werk zu verkündigen! (Ps. 118,17). David will so gern die irdische Lebenszeit auskaufen, wo man sein Heil noch wirken kann, wo man den noch genießen kann, „der auf Erden Macht hat, die Sünde zu vergeben“; denn dann kommt die Nacht, wo Niemand wirken kann, dort ist die Zeit der Vergeltung, und in der Hölle ist keine Hoffnung, kein Trost und aus ihr keine Erlösung. Und nun legt er das ganze Elend einer Seele vor, die mit der Furcht des ewigen Todes zu Felde gelegen hat das ist ein Jammer ohne Gleichen! Wie weit stehen wir mit unserer Erfahrung vor solchen Erfahrungen der Heiligen Gottes zurück! Darum sind uns aber auch die rechten Gnadentiefen und die Herrlichkeit der Erlösungswonne noch so dürftig bekannt! Der als zarter Knabe einen Goliath erschlug, weint als Mann Nächte lang! Das ist der Weg Gottes! So geht der Stufengang - versteh'n wir das? An dies heilige Tränenbette führe man die Gottlosen, die ihre Ausschweifungen mit Davids Exempel zudecken wollen.

V. 9. Weicht von mir, alle Übeltäter! Denn gehört hat der Herr die Stimme meines Weinens. V. 10. Gehört hat der Herr mein Flehen, der Herr wird mein Gebet annehmen. V. 11. Es müssen beschämt und sehr erschreckt werden alle meine Feinde, sie müssen abziehen schamvoll plötzlich. Was für eine Veränderung ist das, wie schleunig und wie selig! Aber das ist der Herr und die Macht Seiner Gnade! Er hat gehört das Weinen Davids, und damit hat Er's erhört; Er hat Sein Angesicht leuchten lassen, da ist David genesen. Ein Abgrund von Barmherzigkeit verschlingt ein Meer von Herzeleid, „denn Du vergibst die Sünden!“ So bis in die Tiefe voll der Kraft Gottes ist dann das begnadigte Herz, dass es ebenso wenig zu ergründen ist als das unbekehrte in seiner Bosheit. Aber auch keinen so laut redenden Zeugen von der sündenvergebenden Gnade Gottes gibt's, als ein solches aus Weinen in eitel Preis und Triumph überspringendes Herz. Es redet von dem Gott, der nicht immer Hader noch ewiglich Zorn halten will. Sein Zorn währt einen Augenblick, und Er hat Lust am Leben; „den Abend währt das Weinen, aber des Morgens die Freude“ (Ps. 30,6). An den Seinen ist's sogar Seine Ehre, dass Er sie nicht ewig weinen lässt. Über Seine und ihre Feinde ist dagegen der Glaubenssieg der Seinen ein Triumph und deren Niederlage, erst innerlich, dann auch äußerlich, schon zeitlich, aber gewiss ewiglich. Lautet's bei der Niederlage der Kinder Gottes: „Herr, wie lange?“, so verfährt der Herr dann bei der Niederlage Jener plötzlich, und das ist Seine Rechtfertigung bei den Seinen. Aufs Ende aber kommt's an. Triumph auf Niederlage, das ist das Finale der Frommen; Niederlage auf Triumph, das der Gottlosen. Hier wie da muss man singen und sagen: Gloria sei Dir gesungen!

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autoren/t/taube/psalter/taube-psalmen-psalm_6.txt · Zuletzt geändert: von aj
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