Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Hazerot).

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Hazerot).

Fünf und zwanzigste Predigt.

Dreizehnte Lagerstätte: Hazerot.

4 Buch Mosis 33,17.

So brechen wir denn endlich von den Lustgräbern auf, und lagern uns zu Hazerot, und das ist die dreizehnte Lagerstätte. Dort haben wir uns schlecht betragen, und es ist uns dafür übel gegangen. Der Haufen ist kleiner geworden, denn der Herr hat viele getötet. Das ist uns zum Vorbilde geschehen, dass wir uns des Bösen nicht gelüsten lassen, gleichwie jene gelüstet hat. 1 Kor. 10,6.

Diese scharfe Kur wird denn hoffentlich helfen. Die Übriggebliebenen werden sich wohl besinnen und bessern und wir werden wohl keine ähnliche betrübende und gottlose Auftritte mehr vernehmen! Dafür kann nicht stehen. Es gibt unartige Kinder, denen die Rute nicht helfen will, und wenn man alle Bäume im Walde zu Ruten machte, es wäre vergeblich. Sind die Kinder Israel nicht ein in die Augen fallender Beweis von der Wahrheit des Ausspruchs des Apostels, wo er sagt: das Gesetz sei neben eingekommen, auf dass die Sünde desto mächtiger werde? wo er sagt: die sündlichen Lüste würden durch das Gesetz erreget; es sei kein Gebot gegeben, das lebendig mache, es sei nur ein tötender Buchstabe u. dgl. – Moses, das ist das Gesetz, ist nicht im Stande, auch nur einen Einzigen in Kanaan einzuführen, vielmehr sterben sie unter ihm alle, bis zuletzt er selber auch. Sein Amt ist fürchterlich. Es tötet; es predigt die Verdammnis; es tut Forderung auf Forderung, und reizt dadurch, so zu reden, zum Gegenteil. Eins der größten Vorrechte des Evangeliums besteht darin, dass man unter demselben durch den Glauben vom Gesetze los und demselben abgestorben ist, also dass wir dienen sollen dem neuen Wesen des Geistes, nach Röm. 7.

Die Fortsetzung unserer bisherigen Betrachtungen der Wanderungen Israels durch die Wüste bietet wenig Erfreuliches, aber viel Demütigendes und Niederschlagendes dar, so dass man sie lieber einstellen und beschließen, als darin fortfahren sollte. Wie ermüdend wird doch die langwierige Betrachtung des menschlichen Elends und Verderbnisses; die sich immer erneuernde, wenn gleich anders und anders sich gestaltende Offenlegung dessen, was in uns ist! Wer sollte nicht einen starken Widerwillen dagegen empfinden, die Menschen, ja wohl gar die besten unter ihnen, in ihren manchfaltigen Unarten zu betrachten! sie zu entkleiden, um ihre Ungestalt und Missgeburt recht eigentlich zu sehen, ihre Eiterbeulen und Aussatz recht eigentlich zu beschauen! Wäre es nicht weit lieblicher, Betrachtungen anzustellen, wie die Worte Petri sie veranlassen, wo er sagt: ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk – nicht lieblicher, die Gläubigen nach demjenigen zu betrachten, was sie in ihrer Verbindung mit ihrem Haupte Christo sind, wissen, können, haben? Doch ist es ja auch nötig und nützlich, einzusehen, was selbst die Besten außer ihm sind.

Lasst uns denn – wofern ihr es nicht überdrüssig seid – in unserer gewöhnlichen Betrachtung fortfahren, da es uns zum Vorbilde und Nachachtung geschrieben ist, jedoch so hurtig voran machen, als es sich tun lässt.

Die dreizehnte Lagerstätte hat den Namen Hazerot, d.h. auf Deutsch: Vorhöfe. Ohne Zweifel bekam diese Lagerstätte deswegen diesen Namen, weil von da bis nach Kanaan, und zwar demjenigen Teil dieses verheißenen Landes, welcher dem Stamme Juda zugeteilt wurde, gar nicht weit war, so, dass sie nur wenige Meilen abzumachen hatten, um an der Grenze zu sein. Erwünschter Umstand, endlich so nahe am Ziel zu sein! Beinahe zwei Jahre hatten sie nun die dürrste, abscheulichste Wüste durchzogen, aber nun lag sie mit ihren Mühen hinter, und das liebe Land mit seinen Hoffnungen ganz nahe vor ihnen. Ich weiß es nicht, aber sollten nicht aller Herzen höher geschlagen, aller Angesichter heiter ausgesehen haben, aller Gemüter vergnügt gewesen sein? Mich dünkt, sie haben ordentlich, wenn der Wind danach war, etwas von der erquicklichen Landluft und von den duftenden Wohlgerüchen Kanaans empfunden oder zu empfinden gemeint, und sind dadurch belebt und erfrischt worden. Es war Herbst, und die köstlichen Früchte zur Reife gediehen, nun konnten sie denn bald ans genießen von Melonen, Pomeranzen, Weintrauben, Feigen und Granaten kommen, wonach sie kürzlich noch so lüstern geworden waren. Wie beschwerlich musste ihnen das Warten werden, und wie sehr mögen sie gewünscht haben, dass sie bald aufbrechen dürften. Ich denke, man wird überall sich glückwünschend begegnet sein, man wird von allen Seiten fröhliche Lieder gehört, und selbst Reigen gesehen haben. Wie werden sie sich ihres Murrens, ihrer Ungeduld geschämt, und sich der Barmherzigkeit und Treue Gottes gefreut haben, wie wird diese Freude ihre Stärke gewesen sein, und die Liebe sie gedrungen haben, alles zu meiden, was dem Herrn etwa missfällig sein dürfte. Mit einem Wort – nie hatten sich ihre Verhältnisse so glücklich gestaltet, wie hier, daher der Name Hazerot: Vorhöfe.

David macht im 84. Psalm auch viel Werks von den Hazerot, von den Vorhöfen. Meine Seele verlanget und sehnet sich nach den Vorhöfen des Herrn, sagt er V. 3, und V. 11. heißt es – wenn wir ein Wort nicht übersetzen: Ein Tag zu Hazerot ist besser, denn sonst tausend. Der fromme König fand also ein ausnehmendes Vergnügen und Wohlsein in des Herrn Vorhöfen, und zwar nicht ein sinnliches, was daselbst auch nicht anzutreffen war, sondern ein geistliches. Wir wissen, dass die Stiftshütte, besonders aber der Tempel verschiedene Vorhöfe hatte, wovon der eine immer höher lag, wie der andere, zu dem man auf Stufen emporstieg. Der letzte Vorhof, unmittelbar vor dem Tempel, war für die Priester bestimmt, die daselbst die Opfer opferten auf dem Brandopfer-Altar, und die Sänger und Tonkünstlicher aus den Leviten, welche die Psalmen und Lieder absangen. Die übrigen Vorhöfe waren für die gemeinen Israeliten, auch einer für gottesfürchtige Heiden. Von ihnen aus sah man das Opfern, sah in die stets offene Tür des Tempels hinein, und vernahm die Tempel-Musik, welche in dieselbe hinabschwebte, und den Psalmgesang.

Wenn nun David sich gern an diesem Orte aufhielte, wenn dies überhaupt bei den frommen Israeliten der Fall war, die gern dahin gingen, um zu beten, wie wir auch in den Schriften des Alten Testamentes so häufig sehen, so war dies nicht zu verwundern. Schon die feierliche Stille, welche an diesem heiligen Orte herrschte, war der Andacht sehr willkommen, dazu kam die göttliche Verheißung, dass der Herr Israel da, wo er seines Namens Gedächtnis stiftete, segnen wolle, so dass gläubige Israeliten die Nähe des Herrn nie mehr spürten, als eben in diesen Vorhöfen. Die Opferhandlung gab ihrer Betrachtung eine sehr wichtige Nahrung, besonders Personen, die David gleich standen, denen Gott die heimliche Weisheit wissen ließ, dass er dies Opfer nicht wolle, sondern Jemand die Ohren durchbohrt und den Leib bereitet habe, seinen Willen zu tun. Welche teure Eindrücke konnte es auf das Gemüt der Anbetenden machen, wenn sie bedachten, dass dies das Haus und der Palast ihres eigentlichen, zwar unsichtbar, aber doch kräftig gegenwärtigen Königs sei, welcher sich daselbst von dem goldenen – nicht Richter- sondern Gnadenstuhl offenbare! Was für ein liebliche Getöne musste es ihnen sein, wenn sie den Klang der Glöcklein an dem Gewande des im Tempel wandelnden Hohepriesters vernahmen, und wussten, dass ihrer nun vor dem Herrn gedacht werde, und sollten wir, wenn wir das Kirchengeläute vernehmen, nicht betend begehren, dass unserer in Gnaden vor dem Herrn gedacht werde? Kein Wunder, wenn David gern an solchem Orte war. Ein Tag zu Hazerot war ihm besser, als sonst tausend. Der gottselige König und Dichter des Psalms, worin er dies sagt, und die frommen Kinder Korah, die ihn sangen, bezeugen hiermit ihren geistlichen Sinn. Die Zeit, die sie da zubrachten, war ihnen wegen des geistlichen Genusses, der ihnen da verliehen wurde, so unvergleichbar köstlich, desselben einen Tag teilhaftig zu sein, war ihnen erwünschter, als tausend Tage in sinnlichen, wenn auch unsündlichen Genüssen. Sie zogen dies allem anderen vor, wie köstlich es sein mochte. Wie jammert David, wenn er dies entbehren muss! Welch’ ein heißer Durst bemeistert sich dann seiner Seele!

Die Vorhöfe an sich taten es freilich nicht, wenn sie gleich dazu beitragen konnten und beitrugen, sondern das, was ihnen der Herr daselbst zufließen ließ, was sie da innerlich genossen. Von diesen innerlichen Genüssen weiß der gottselige Monarch viel zu rühmen, weil er sie aus Erfahrung kannte. Sagt er nicht z.B. – um nur einiges anzuführen – dein Wort schmeckt mir süßer als Honig, und ist mir köstlicher als viel tausend Goldstücke; du erquickest meine Seele, und wenn du mich tröstest, so laufe ich den Weg deiner Gebote. Obschon jene viel Wein und Korn haben, erfreuest du doch mein Herz auf eine viel herrlichere Weise. Herr, der König freut sich in deiner Kraft, und wie sehr fröhlich ist er über deiner Hilfe. Du gibst ihm seines Herzens Wunsch, und weigerst ihm nicht, was sein Mund bittet. Du erfreuest ihn mit Freuden deines Antlitzes, und überschüttest ihn mit Gutem. So ruft ja auch die Gemeine des Herrn beim Jesajas, so ruft Maria: ich bin fröhlich in dem Herrn, und mein Geist freut sich in Gott meinem Heiland; und Paulus: ich bin überschwänglich in Freuden.

Zwar haben wir die Hazerot nicht, wovon David im buchstäblichen Sinne redet. Die allerdings schönen Gottesdienste des Alten Testamentes sind nicht mehr, aber nur deswegen nicht mehr, weil der Schatten dem Körper gewichen ist, und das Bild dem Wesen. Es ist gewiss, dass Christen ihr Kreuz auf sich nehmen müssen täglich, und dass jeder Tag seine eigene Plage hat; es ist wahr, dass wir durch viele Trübsale ins Reich Gottes gehen müssen, und im Ganzen eine Wüste durchziehen. Aber wie es in jener natürlichen Wüste ein liebliches Elim gab, und sie auch nach Hazerot kommen, wo ein Tag besser ist als sonst tausend, so finden sich auch beim wahren Christentum Freudentage und Erquickungen, die mehr wert sind, als alle weltliche und sinnliche Ergötzungen. Es gibt Erstlinge des Geistes, die den Gläubigen von Zeit zu Zeit zu ihrem Trost und Anmutigung mitgeteilt werden. Es gibt Zeiten, wo gleichsam Himmelsluft die Seele anweht, die alle Nebel verscheucht, die sie in vollen Zügen einatmet, und sich in allen ihren Geisteskräften gehoben und belebt fühlt, wieder jung wird wie ein Adler, dem sein Gefieder wieder gewachsen ist, dass er sich hoch emporschwingt. Es gibt Stunden, wo etwas von dem himmlischen Lobgetöne das Herz durchbebt, und es zu einer erhabenen Andacht und Anbetung hinreißt, wie sie nicht gewöhnlich ist. Es gibt Zeiten, deren Herrlichkeit sich nicht besser andeuten lässt, als es im Hohenlied geschieht. Die Jünger wurden auch, wenn gleich nicht alle, auf den Berg der Verklärung geführt, wo sie selbst sagten: Hie ist gut sein. Paulus wurde gar entzückt, bis in den dritten Himmel, bis in das Paradies, wo er unaussprechliche Worte hörte. Und David rühmt: Du schenkest mir voll ein! Dies sind außerordentliche und seltene Dinge, die sich dennoch bei einigen Seelen ereignen, und wie sie durch außerordentlich tiefe Wasser der Anfechtung und Trübsal müssen, wo sie mit Jeremias ausrufen: nun bin ich gar dahin: so werden sie auch auf eine außerordentliche Weise erfreut. Sie sind wohl dermaßen überschüttet worden, dass sie ohnmächtig hinsanken, und der Braut im Hohenlied nachsagten: ich bin krank vor Liebe. Den Bischof Palafor überwältigte der Gedanke: mein Gott in der Krippe! so, dass er in eine tiefe und lange Ohnmacht fiel, und die nämliche Wirkung brachte ein Eindruck von der Liebenswürdigkeit des Gekreuzigten bei einem Prediger in Amsterdam hervor, der mit der Austeilung des h. Abendmahls beschäftigt, über dem Gedanken: mein Gott am Kreuze! beinahe seinen Geist aufgegeben hätte, wie man wirklich Exempel hat, dass Christen über der lebendigen Erkenntnis Christi gestorben, und also von Hazerot nach Kanaan gekommen sind. Fiel nicht Johannes wie tot zu den Füßen des verherrlichten Jesu nieder, und Maria mit dem Ausruf: Rabbuni! ohne ein Wort mehr sagen zu können?

Wir führen dies Außerordentliche nicht als etwas Notwendiges an, sondern als Andeutung des Großen, was das Christentum schon in diesem Leben gewährt, oder doch gewähren kann, wie es sich an einigen Personen wirklich ausweiset. Gewiss ist es, dass nur wahre Christen wissen, was eigentlich Freude sei, welches keine als sie in Zeit und Ewigkeit erfahren. O! dass denn viele wahrhafte Christen würden, um des Wassers zu trinken, was Christus gibt, und was in uns ein Quell des Wassers wird, der ins ewige Leben quillt. Seht! welche große und herrliche Dinge kann man erlangen! Und die verschmähet und versäumet ihr, und jagt einem Schatten nach und einem Irrlicht, das euch nur ins Verderben stürzt? Tut das doch nicht länger, sondern tretet auf die Wege, und schaut und fraget, welches der rechte Weg sei, und wandelt drinnen: so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Nicht Verleugnung bloß erwartet der Herr Jesus, sondern schenkt auch Freuden; er legt nicht bloß Pflichten auf, sondern schenkt auch Kraft, sie zu erfüllen; nicht bloß Lasten auf, sondern hilft sie auch tragen. Betrübet er, er tröstet auch wieder; tötet er, er macht auch lebendig; führt er in die Hölle, er führt auch wieder heraus. Werdet deswegen so klug, dass ihr am ersten nach dem Reich und der Gerechtigkeit Gottes trachtet, das Andere wird euch zufallen.

Lasst uns aber von den außerordentlichen Mitteilungen, die zu Hazerot geschenkt, und die nur selten und wenigen mitgeteilt werden, absehen, um noch einiges von denjenigen zu erwähnen, die bei einem wahren Christentum nichts ungewöhnliches sind.

Es ist nicht selten, dass wahre Christen mitten in allerlei inneren und äußeren drückenden Umständen so seelenvergnügt gemacht werden, als hätten sie keinerlei Mangel an irgendeinem Guten, wo sie auch rühmen können: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. David lag und schlief nach Ps. 3. ganz ruhig, und erwachte ebenso getrost, obschon sich viel Tausend rings umher wider ihn lagerten. Mancher Gläubige war seelenvergnügt und ohne Sorgen, obschon so arm, dass er nicht wusste, wo er irgendeins seiner Bedürfnisse hernehmen sollte, er konnte unbekümmert den Herrn sorgen lassen, und der sorgte denn auch. Er konnte sagen:

Hab’ ich keinen Heller,
Weder Brot noch Teller,
Weder Fach noch Dach.
Reißen meine Kleider,
Sagen Andre: leider,
Schreien weh’ und ach!
Sing’ ich doch, und glaube noch.
Ich will ruhen, trinken, speisen,
Und den Vater preisen.

Wie mancher Fromme ist heftig krank, und voll Beschwerde und Schmerz, aber auch dabei innerlich so wohl, dass es ihm, so zu reden, eine Lust ist, sich von den Schmerzen durchwühlen zu lassen, die er gerne so lange fortwühlen lässt, wie es dem Herrn gefällt. Er kann die größten und empfindlichsten Verluste, und selbst die schnödesten und unbilligsten Misshandlungen aller Art erleiden, und doch einer Lerche gleichen, die mitten im Gewitter singt. Ebenso kann der Herr die Seele mitten unter innerlicher Entbehrung gänzlich zufrieden stellen. Ohne Unmut und ohne Zaghaftigkeit sagte Josaphat: in uns ist keine Kraft; wir wissen nicht, was wir tun sollen, aber unsere Augen sehen auf dich. Mit großer Gelassenheit steht der Apostel, von seinem heftigen Gebet um Erhebung von dem, auf eine unerklärbare Art misshandelnden Satansengel ab, und sagt: er sei gutes Mutes in Schwachheit, in Nöten, in Verfolgung, in Ängsten. Es kann der gläubigen Seele ungemein recht werden, so arm am Geist zu sein, dass sie ganz und gar vom Geben leben muss, dass sie aus sich selbst keinen guten Gedanken nehmen, keinen Seufzer hervorbringen, kein rechtes Wort reden kann, und ganz und gar vom Heilande und seiner Gnade abhängen und im Glauben leben muss. Unter diesen lieblichen Umständen würde es derselben leid sein, wenn sie noch das geringste aus sich selbst verrichten, und auch nur ein Haar schwarz oder weiß machen könnte. Ungemein wohlgefällig kann’s ihr werden, je mehr und mehr gänzlich überzeugt zu werden, wie unmöglich sie im Ganzen wie in einzelnen Stücken außer Christo vor Gott bestehen mag, und es ihr eine wahre Lust sein, das Unzulängliche in ihren besten Werken zu entdecken, um sich lediglich der Gerechtigkeit Christi zu rühmen und seiner Kraft. In solcher Gemütsfassung ist man gewiss in Hazerot.

In dies Hazerot, diese Vorhöfe, werden die Christen auch oftmals eingeführt im Gebrauch der Gnadenmittel. Es ist wahr, sie sind in dieser Beziehung auch wohl in Mara, wo Wasser genug, aber dasselbe nicht genießbar ist. Jedoch, was ist ihnen zuweilen eine Predigt? Lauter Geist und Leben, dass sie mit jenen sagen müssen: wie hören wir in unserer Sprache die Großtaten Gottes? Es ist alles lauter Genuss und Speise, und die Seele lauter Andacht. Die Predigt selbst ist es nicht, sondern sie sitzt wie Maria zu Jesu Füßen, und hört ihm zu, dass sie mit dem Hohenlied sagt: das ist die Stimme meines Bräutigams, der anklopft. O! wie ist ihr da mit den Galatern die Predigt des Evangeliums eine solche Seligkeit, dass sie auch ihre Augen dafür ausreißen und hingeben könnte. Und wie lange tönt’s wohl in der Seele nach, gleich den stark gerührten Saiten der Harfe. Da ist sie recht zu Hazerot, und ruft aus: wie lieblich sind deine Wohnungen, o Gott! – Mag der Seele auch je zuweilen das Wort Gottes wie ein toter Buchstabe sein, und sie einem Kranken gleichen, dem das Brot widerlich ist – was ist es ihr aber manchmal! Sie spürt den rechten innerlichen Ausleger, den h. Geist, und so ist die Zeit da, von welcher Jesus sagt, dass er alsdann nicht mehr durch Sprichworte mit den Seinen reden, sondern ihnen frei heraus verkündigen wolle von seinem Vater. Welche köstliche Aufschlüsse werden ihnen zu Teil! welche große und herrliche Sachen enthält oft Ein Spruch, ja ein einzelnes Wort, welche Glaubensgründe, welche Höhen und Tiefen. Ja, das Herz wird zusammengefasst in der Liebe zu allem Reichtum des gewissen Verstandes des Geheimnisses Gottes und des Vaters und Christi, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Kein Wunder, wenn sie alsdann das Wort süßer finden als Honig, köstlicher als feines Gold. Sie haben die Salbung, und wissen alles. Und ein solcher Tag zu Hazerot ist wirklich besser, als sonst tausend. – Was geht nicht manchmal beim Genuss des h. Abendmahls vor, wenn sich die, in der einfachen Handlung desselben enthaltenen großen Geheimnisse vor den staunenden Gemütsaugen der anbetenden Seele entfalten, die nun mit Neander singt:

Ich habe nun vom Himmelsmanna gessen,
Bin an des guten Hirten Tisch gesessen:
Der alte Feind zu meinen Füßen liegt.

Und mit Lampe: Dein Liebesaltar brennt in mir. – Was sind das für Worte: Gemeinschaft des Leibes, Gemeinschaft des Blutes Christi, was ist das für ein Kelch des Neuen Testamentes was für ein Essen und Trinken? O! wie manches Pniel würde an dem Kelch der Danksagung, womit wir danksagen, zu lesen sein, wenn jeder, der bei der Austeilung desselben, den Herrn im Geiste sah, und schmeckte, wie freundlich er ist, es daran bemerkt hätte. „Hier öffnen sich der Ewigkeit Gardinen.“ Wahrlich, der Herr ist oft an diesem Ort. Hier sind die Pforten des Himmels. Und ein solcher Tag zu Hazerot ist besser, denn sonst tausend. Da sagt wohl jemand mit Jakob: ich habe alles genug.

Es ist freilich nicht zu leugnen, dass das Gebet, dieses geistliche Atemholen der Seele, nicht immer so recht von statten will – es ist aber auch wahr, dass die Seele mit David wohl ihr Herz findet, um ein Gebet vor dem Herrn zu tun, welches sie selbst in Verwunderung setzt, und wovon sie sagen mag: mein Beten ist Genießen. Ergießt es sich in Worten, so sind sie die allerzärtlichsten und kindlichsten, wie sie dem Abba- und Vater-Namen entsprechen; sind’s Seufzer, so sind’s die allerinnigsten; sind’s Tränen, sie entquillen dem tiefsten Seelengrunde. Ist’s Fürbitte für andere, wie sehnsuchtsvoll; ist’s Bitte, wie zutraulich; ist’s Dank, wie gerührt; ist’s Lob, wie herzlich. Da sieht das Glaubensauge durch Christum die offene Tempeltür bis ins Heiligtum, und an den über die Standen des Gnadenthrons zurückgeschobenen Vorhang, einen Vorschmack des Himmels, dessen Luft anweht und stärkt.

Einen Tag zu Hazerot, der besser ist wie sonst tausend, feiert der Christ, wenn der h. Geist vorzugsweise über den Wassern schwebt, dann hat er den Bräutigam bei sich, wie könnte er traurig sein? Er verscheucht die finsteren Wolken der Zweifelung, und kommt wie Noahs Taube, mit dem Ölblatt des Friedens in das Herz. Da hat man Ruhe, da wird man stille, da erquickt man die Müden. Er ist ein Geist der Heiligung, und o! wie gedeiht unter seinem lebendig machenden Odem die Frucht des Geistes, und entsproßt von selbst dem vorher gedemütigten und zerschlagenen Herzen, in welchem der Hohe und Erhabene wohnt. Er leitet in alle Wahrheit, er verkläret Christum, und was erblickt die Seele alsdann nicht für Herrlichkeit. Jetzt wird ihr Wunsch erfüllt:

Ach! dass ich dich, mein Heiland, recht erblickte,
Wie du am Kreuz mich ausgesöhnet hast.
Ach! dass dein Blut mich immerdar erquickte;
Ach! säh’ ich stets auf dir die Sünden-Last,
Und mich in dir von allem los,
Als ein recht liebes Kind auf deines Vaters Schoß.

Jetzt ist’s ihr keineswegs zu bedenklich, um zu fragen: wer will beschuldigen? wer verdammen? Es ist ihr nicht zu gewagt, zu sagen: so ist nun nichts Verdammliches mehr an denen, die in Christo Jesu sind; zu rühmen: wir sind samt ihm auferwecket und ins himmlische Wesen versetzt. Sie sieht das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Und welch’ ein Gesicht ist das für einen armen Sünder! Sie sieht Gott als einen solchen, der Gottlose gerecht spricht. Welch ein Anblick! – Sie versteht die Vollkommenheit der Versöhnung, und welch ein Verstand ist das! Gott war in Christo, und versöhnte die Welt mit ihm selber, und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu, und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. O gewiss, wer das zu verstehen bekommt im Licht des h. Geistes, der mag nichts anders wissen, als Jesum Christum den Gekreuzigten, durch welchen ihm die Welt gekreuzigt ist und er ihr; der wird mit David ausrufen: Der Vogel hat sein Nest funden, die Schwalbe ihr Haus. – Er ist ein Geist, der Zeugnis gibt, dass man ein Kind Gottes sei, dass er uns zu Gnaden auf- und angenommen habe, und dies versiegelt er mit einer solchen, alles überwindenden Festigkeit, dass alle Menschen und alle Engel sie nicht ans Wanken zu bringen vermöchten. – Er ist ein Geist des Trostes, und überschüttet die Seele also mit seinem süßen Troste, dass sie allerdings wie in den Vorhöfen des Himmels schwebt, und mit Paulo ausruft: ich bin überschwänglich in Freuden.

Sehet da, eine matte Beschreibung Eines Tages zu Hazerot. Ist’s schon in den Vorhöfen so herrlich, was muss es im Tempel selber sein! Freilich sind dies geistliche Freuden, für die nur der geistliche Mensch Sinn hat. Es sind aber heilige, wahrhafte, ewige Freuden. Sie sind euch unbekannt, so lange ihr fleischlich seid. Hört denn auf, fleischlich gesinnt sein, ist Leben und Friede, aber fleischlich gesinnt sein, ist der Tod. Wollt ihr denn als verlorene Söhne bloß mit Träbern vorlieb nehmen, die nur Säuen genügen können? Ach nein! Fliehet solches! Ergreifet das ewige Leben, wozu ihr berufen seid, und geht ein durch die enge Pforte ins Reich Gottes, welche besteht in Gerechtigkeit, Friede und Freude im heil. Geist. Amen.

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