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Calvin, Jean - Psalm 82.

Calvin, Jean - Psalm 82.

Inhaltsangabe: Da Könige und sonstige Gewalthaber meistens, von Stolz geblendet, sich einer maßlosen Willkür hingeben, so verkündigt ihnen der Psalmist, dass sie dem höchsten Richter verantwortlich sind, der alle weltliche Hoheit überragt. Nachdem er sie aber an ihr Amt und ihre Bestimmung erinnert hat, sieht er ein, dass er tauben Ohren predigt, und ruft Gott als Rächer an.

V. 1. Gott steht in der Gemeinde Gottes.Es ist ein überaus empörendes Ding, dass gewisse Menschen, die nach Gottes Rat dazu bestellt sind, zum allgemeinen Frommen das Menschengeschlecht zu leiten, nicht erkennen wollen, wozu und durch wessen Güte sie auf so hohe Stufe gestellt wurden, dass sie vielmehr alle Gerechtigkeit hintansetzen und willkürlich herrschen. Durch ihren Glanz geblendet, meinen sie, die ganze Welt sei für sie da. Dazu kommt, dass sie sich einbilden, es passe nicht zu ihrer hohen Stellung, dass sie sich von besonnenen Ratschlägen leiten ließen; und während sie sich in ihrem Wahnwitz mehr als unsinnig benehmen, wünschen sie noch Augendiener zu haben; die ihnen schmeicheln und ihren Lastern Beifall spenden. Um diesen Hochmut zurechtzuweisen, stellt der Prophet zunächst fest, dass Gott doch die oberste Stelle behauptet, wenn auch Menschen auf Thronen und Richterstühlen sitzen. So hat Gott es gefügt, dass selbst durch den Mund eines heidnischen, unreinen Dichters bezeugt werden sollte1):

„Vor Königen beugt in Furcht ihre Herde sich;
Doch sie selbst folgen ihm, dem gewaltigen Zeus,
Ihm, dem Besieger der Giganten,
Ihm, dessen Wink eine Welt sich fügt.“

Damit also die Vornehmsten der Welt sich nicht mehr herausnehmen, als was recht ist, errichtet der Prophet hier dem Herrn einen Thron, von dem er über alle herrscht und sie zur Ordnung zwingt, was denn auch höchst nötig ist. Denn ob sie wohl bekennen, dass sie Könige von Gottes Gnaden seien, und Gott mit Zeremonien dienen, so lassen sie sich doch durch ihre Größe betören, dass sie aus eitler Einbildung den Herrn aus ihren Ratsversammlungen verweisen und es nicht ertragen wollen, sich unter die Vernunft und unter Gesetze zu beugen. Diese Selbstüberhebung wollte der Prophet bekämpfen, und um solche Dreistigkeit, von der die Vornehmen der Welt wie berauscht sind, noch besser abzustellen, bezeichnet er den Stand der Regierenden als „Gemeinde Gottes“; denn da leuchtet Gottes Herrlichkeit, die freilich über die ganze Welt hinstrahlt, doch in besonderer Weise, so lange nämlich unter den Menschen eine rechtmäßige Regierung besteht. Im Hebräischen ist es eine geläufige Redeweise, dass man hervorragende Dinge als göttlich bezeichnet; aber hier ist es offenbar noch besonders durch die Eigenart unserer Stelle veranlasst, dass der Sänger den Stand der Fürsten einen göttlichen nennt, da in demselben Gottes Majestät sich in einzigartiger Weise spiegelt, wie auch die Ehe bei Salomo (Spr. 2, 17) ein Bund Gottes heißt, weil sie etwas hervorragend Geheiligtes ist. – Der Sinn des zweiten Versgliedes ist der: Mögen die Vornehmen der Welt sich noch so sehr erheben, sie werden doch dem Herrn sein Recht nicht schmälern können, dass er nicht die Herrschaft über sie behaupte. Unter „Göttern“ sind hier, wie bald nachher und an anderen Stellen, die Richter zu verstehen, denen Gott einen besonders herrlichen Charakter beigelegt hat. Denn das Wort auf die Engel zu beziehen, ist eine gezwungene Auslegung.

V. 2. Wie lange wollt ihr usw. Viele halten dafür, es werde hier die Art und Weise beschrieben, wie jene Leute ihres Richteramtes walteten. Mir scheint aber eher, dass diese Worte eine Vorrede sind, durch welche sich der heilige Sänger die Bahn zu der folgenden, tadelnden Ansprache (V. 5 ff.) ebnet. Der Psalmist sagt: Wenn auch die Könige ihre Häupter bis über die Wolken erheben möchten, so stehen sie dennoch mit ihrem ganzen Dasein unter der Regel, dass sie von Gottes Hand regiert werden; so ist es umsonst, wenn sie in ihrer Unbotmäßigkeit dagegen ankämpfen und nicht Vernunft annehmen wollen. Mögen nämlich solche Tyrannen noch so schlecht sein und ihren Platz durch verbrecherische und lästerliche Mittel behaupten, dennoch, wenn ein Knecht Gottes nur das Geringste wider sie zu äußern wagt, tun sie, als ob ihnen großes Unrecht geschehe, und schützen den heiligen Namen Gottes vor. Indem sie sich einbilden, das allgemeine Gesetz gelte ihnen nicht, sie seien frei davon, weisen sie die Belehrung und die Menschen, welche sie ihnen bringen, von sich weg zum gemeinen Volke. Kurz, sie meinen, ihre Herrschergewalt bestehe nur dazu, dass man seine Lüsten die Zügel schießen lasse. Gilt aber einmal der Grundsatz, dass Gott unter ihnen herrscht, so ist für die göttliche Lehre schon etwas Boden gewonnen. Der Prophet greift also, nachdem er sich Gehör verschafft hat, die Machthaber freimütig an und straft ihr ärgstes Laster, welches darin besteht, dass sie sich den Ungerechten, welche die Armen quälen, geneigt zeigen und sich durch Geschenke bestechen lassen, alles Recht zu verdrehen. Dass sie die Person der „Gottlosen“ vorziehen, wird ausdrücklich und sehr passend gesagt: denn gottesfürchtige Leute werden sich nie einfallen lassen, gerichtliche Urteile in böser Weise zu beeinflussen. Außerdem verführt ein teuflisch gewalttätiger Sinn die Vornehmen in der Welt, dass sie aus freien Stücken den Gottlosen mehr zu Willen sind als den Unschuldigen und Einfältigen. Stellen wir uns selbst einmal vor, dass die Gottlosen selbst sich nicht rührten und weder durch Schmeichelei noch durch Betrügereien, weder durch Geldgeschenke noch durch sonstige Mittel sich Gunst verschafften, - die Gewalthaber werden doch meistens sich mehr auf die böse Seite neigen. Aus diesem Grunde erhebt der Prophet den Vorwurf, dass die Gottlosen mehr Gunst finden als die Guten und Unbescholtenen.

V. 3 u. 4. Schaffet Recht dem Armen usw. Der Prophet erinnert in Kürze daran, durch welche Beweise sich ein Regiment als gerecht und wohlgeordnet bewähren soll: es gilt, dass man den Elenden und Gebeugten ihr Recht zukommen lasse. Ohne Zweifel ist die Obrigkeit verpflichtet, sich zuverlässig gegen jedermann zu zeigen; aber der Psalmist hält ihr doch nicht ohne Grund vor, dass sie zur Schutzherrin der Elenden und Bedrückten gesetzt ist, weil diese fremder Hilfe entbehren und sie nur da finden, wo man von Habsucht, Geiz und andern schlimmen Dingen nichts weiß. Deshalb aber tragen die Richter das Schwert, um die Bösen darnieder zu halten, damit nicht bei der Frechheit und Unersättlichkeit der Menschen die Gewalttätigkeit gegen die Schwachen immer mehr die Oberhand gewinne. Darum nehmen ja auch die Reichen selten ihre Zuflucht zum Beistand der Amtsleute, außer wenn sie gerade mit ihresgleichen im Streit liegen. Es ist uns also klar, warum der Psalmist gerade die Armen und Bedürftigen besonders erwähnt: weil sie, den rücksichtslosen Übergriffen der Reichen ausgesetzt, des Schutzes der Beamten ähnlich bedürfen wie die Kranken des Arztes. Wenn Könige und sonstige Richter sich so recht dessen bewusst wären, dass sie zum Schutz der Armen da sind, um dem Unrecht entgegenzutreten und jede Gewalttätigkeit zu dämpfen, dann würde allerwärts die schönste Rechtschaffenheit im Schwange gehen. Denn wer den guten Willen hat, die Armen zu schützen, der wird nicht durch Trachten nach Gunst hin und her getrieben, sondern wird nur das gute Recht berücksichtigen. Auch das entnehmen wir den Psalmworten, dass die Fürsten auch dann der Pflichtversäumnis vor Gott sich schuldig machen, wenn sie nicht aus freien Stücken, unaufgefordert Hilfe leisten. Denn es ist eine falsche Ausrede, wenn sie angesichts der offenkundig überhandnehmenden Ungerechtigkeit und der Seufzer und Klagen, die überall zu hören sind, behaupten, sie könnten sich ungefragt nicht mit dem Übel befassen. Schreit doch die Bedrückung an sich laut genug zum Himmel. Und so kündigt der Prophet an, wenn ein Richter auf der Warte, auf die er gestellt ist, tut, als sähe er nichts, so werden solche Verstellung nicht ungestraft hingehen.

V. 5. Aber sie lassen sich nicht sagen. Nachdem er die Fürsten an ihre Pflicht erinnert hat, klagt der Psalmist, dass er nichts ausrichte; sie seien unempfänglich und nähmen die gesunde Lehre nicht an; ja ob auch der ganze Erdboden erbebte, - sie blieben sicher in ihrer Gleichgültigkeit. Das nämlich rügt er als stärksten Beweis ihres Stumpfsinns, dass sie kalten Herzens zusehen können, wie alles drunter und drüber geht, als ginge die Sorge für die Menschheit sie nichts an, zu deren Hütern sie doch recht eigentlich bestellt sind. Ich habe schon vorhin gesagt, was ihnen am meisten die Einsicht nimmt: sie sind von ihrem eigenen Glanze geblendet, und da sie in ihrem unbändigen Sinne jedes Joch abschütteln, lassen sie sich durch keinerlei Rücksicht zur Bescheidenheit bestimmen. Zu einem gesunden, klugen Geist gehört ja in erster Linie das, dass wir Gott die Ehre geben, so dass er uns mit dem Zügel seines Wortes regieren kann. Das letzte Versglied deuten so ziemlich alle Erklärer dahin, dass der überaus unglückliche Zustand geschildert werden soll, der infolge der Pflichtvergessenheit der Herrscher einreißt: darum müssen alle Grundfesten des Landes wanken. Das wäre an sich ein unverwerflicher Gedanke. Ich glaube aber, wie ich schon andeutete, dass der Satz vielmehr auf den verdammlichen Stumpfsinn der Richter zielt, die sich nicht aus ihrer Ruhe bringen lassen, wenn gleich alle Grundfesten des Landes wanken und die schlimmste Verwirrung herrscht.

V. 6 u. 7. Ich habe wohl gesagt usw. Das ist ein Zugeständnis, mit dem aber der Psalmist zeigt, dass übelgesinnte Richter an dem Amtsansehen, womit Gott sie bekleidet hat, keinen Schutz finden werden. Er stellt sich ihre trotzigen Gedanken vor, ohne sie auszusprechen, und erwidert darauf: „Wenn ihr gleich eure Würde vorschützt wie einen Schild, so hilft euch euer eitles Rühmen nicht; ihr werdet vielmehr mit eurem törichten Selbstvertrauen zuschanden werden. Denn Gott hat, als er euch zu seinen Stellvertretern setzte, sich seiner eigenen Herrschaft nicht entäußert. Auch wollte er, dass ihr eurer Hinfälligkeit eingedenk seiet, auf dass ihr mit Gewissenhaftigkeit und Scheu das euch aufgetragene Amt vollzieht.“

Man kann die Worte auch als von Gott gesprochen auffassen in der Bedeutung, dass er den Fürsten zugleich mit der Herrscherwürde auch seinen Namen beigelegt habe. Und das stimmt offenbar überein mit dem Ausspruch Christi (Joh. 10, 35), dass die, zu denen das Wort Gottes geschah, Götter genannt werden. Doch lässt sich auch ganz passend so übersetzen: „Ich leugne nicht, dass ihr Götter seid und Kinder des Höchsten.“ Im Grunde macht es wenig Unterschied, wie wir übersetzen. Der Prophet will ja nur, dass die Richter nicht unter dem Deckmantel ihrer Ehrenstellung sich der Strafe über ihre Vergehungen zu entziehen suchen. Denn sie sind mit der Bestimmung an die Spitze der Menschheit gestellt, dass sie dereinst selber vor dem himmlischen Richterstuhl erscheinen müssen, um Rechenschaft abzulegen. Deshalb sind sie nur mit zeitlicher Würde ausgestattet, die seinerzeit mit der jetzigen Gestalt der Welt zerfallen wird.

In diesem Sinne wird sogleich beigefügt (V. 7): Aber ihr werdet sterben wie Menschen. Mit anderes Worten: Wenn die Fürsten auch zum Zweck der Regierung mit Macht begabt sind, so haben sie doch nicht ihre Menschennatur abgestreift und nicht aufgehört, sterblich zu sein. – Der zweite Teil des 7. Verses wird von anderen, nach meinem Dafürhalten unrichtig, übersetzt: „Ihr werdet wie einer von den Tyrannen zu Grunde gehen.“ Das wäre eine Ankündigung eines gewaltsamen Todes, wie jener Dichter sagt2):

„Wenige sind der Großen, die sanften, natürlichen Todes
Steigen zu Pluto3) hinab und nicht durch blutigen Schwertstreich.“

Das ist aber eine gezwungene Auslegung. Mir ist es nicht zweifelhaft, dass hier die Fürsten den gemeinen, unberühmten Menschen gleichgestellt werden. „Wie der erste Beste aus dem Volk“, soll es heißen4). Ob sie also auch vergessen, dass sie nur Menschen sind, und ob sie im Rausch ihrer Selbstüberhebung sich für unsterblich halten, so gehen sie doch demselben Tod entgegen wie alle anderen. – Christus hat gegenüber einer falschen Anklage der Pharisäer sich auf das Zeugnis dieser Stelle berufen (Joh. 10, 35). Wenn, sagt er, die Schrift die Götter nennt, zu denen das Wort Gottes geschah, ist dann nicht der noch viel würdiger, so zu heißen, den Gott der Vater als solchen bezeichnet hat? Übrigens stellt er sich mit diesen Worten nicht selbst in die Reihe der Richter, sondern schließt nur von ihnen als den Geringeren auf sich, den Größeren. Wenn Gottes Name auf seine Amtsträger übertragen wird, so kommt er noch weit eher dem eingeborenen Sohne zu, der des Vaters Stelle vertritt, in dem seine Majestät erscheint und die ganze Fülle der Gottheit wohnt.

V. 8. Gott, mache dich auf! Warum der Psalm mit einer Bitte schließt, habe ich am Anfang gesagt. Da der Psalmist sieht, dass er mit seinem Mahnen und Strafen nichts erreicht, weil die Fürsten, von Hochmut aufgeblasen, alle Anweisung zur Gerechtigkeit verschmähen, so wendet er sich an Gott und ruft ihn an, er möge als Rächer auftreten und die Unverschämtheit jener Leute dämpfen. Auf diese Weise reicht uns der heilige Geist Trost dar, so oft die Tyrannen uns mit ihrer Willkür quälen. Wenn sich nirgends ein Mittel zeigt, ihren Übergriffen zu wehren, so dürfen wir zum Himmel aufsehen und von daher die Abhilfe erhoffen. Denn Gott hat nicht umsonst das Gericht über den Weltkreis sich vorbehalten. Und so müssen wir ihn darum bitten, dass er uns aus der Verwirrung heraus zu einem rechtmäßigen, geordneten Zustande verhelfe. – Die nachfolgenden, begründenden Worte halten manche für eine Weissagung auf das Reich Christi, in welchem Gott alle Heiden unter seine Gewalt bringen wird. Ich fasse sie in weiterem Sinne auf, nämlich dass Gott von allen Völkern Gehorsam fordern könne und dass die Tyrannen die Herrschermacht verkehrter- und unrechterweise ihm rauben, indem sie seinen Auftrag beiseitesetzen und Recht und Unrecht durcheinander werfen. Es gilt also, ihn zu bitten, dass er seine Herrschaft wiederherstelle, indem er die Welt zur gebührlichen Ordnung bringt.

1)
Horatius, römischer Dichter zur Zeit von Christi Geburt, in der ersten Ode des 3. Buches.
2)
Juvenal, römischer Dichter um 100 n. Chr., in der 10. Satire, V. 122f.
3)
Pluto war der Gott der Unterwelt.
4)
Richtig dürfte vielmehr die von Calvin abgewiesene Übersetzung sein.
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