Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 9.

Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 9.

1 Saulus aber schnaubete noch mit Dräuen und Morden wider die Jünger des Herrn und ging zum Hohepriester 2 und bat ihn um Briefe gen Damaskus an die Schulen, auf dass, so er etliche dieses Weges fände, Männer und Weiber, er sie gebunden führete gen Jerusalem. 3 Und da er auf dem Wege war und nahe bei Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; 4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgest du mich? 5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der Herr sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgest. Es ist dir hart, wider den Stachel auszuschlagen.

V. 1. Saulus aber usw. Hier berichtet Lukas die hervorragende und merkwürdige Geschichte von der Bekehrung des Paulus, wie der Herr diesen Mann, der wie ein ungebändigtes und wildes Tier raste, nicht bloß seiner Herrschaft unterwarf, sondern aus ihm einen ganz anderen und neuen Menschen machte. Saulus schnaubete noch mit Dräuen und Morden; denn seitdem er einmal mit unschuldigem Blut sich befleckt hatte, fuhr er in diesem grausamen Treiben fort; und seit jener ersten Einweihung, von der wir beim Tode des Stephanus hörten, war er immer ein wütender und blutiger Feind der Gemeinde. Umso unglaublicher war seine plötzliche Besänftigung. Besonders handgreiflich aber wurde Gottes wunderbares Walten, weil ein so grausamer Wolf nicht bloß in ein Schaf sich wandelte, sondern den Sinn eines Hirten bekam.
V. 2. Zugleich beschreibt Lukas, dass er mit Waffen und Macht gerüstet war, Schaden zu tun; denn er hatte vom Hohenpriester schriftliche Vollmacht bekommen, alle Bekenner Christi, die er fände, gebunden nach Jerusalem zu führen. Die Weiber werden genannt, damit deutlich werde, mit welcher Blutgier Saulus auch auf das Geschlecht keine Rücksicht nahm, welches selbst bewaffnete Feinde mitten in der Glut des Krieges zu schonen pflegen. So steht Saulus wie ein Rasender da, dem man ein Schwert in die Hand gab. Statt der in der Schrift geläufigen Redewendung „etliche dieses Weges“ könnten wir vielleicht deutlicher sagen: etliche dieser Sekte. Es war also des Paulus Absicht, alle Frommen grausam auszurotten und dadurch Christi Namen auszutilgen.
V. 3. Und da er auf dem Wege war usw. Da er sich Briefe vom Hohenpriester geben ließ, stürmte er mit freiem Willen wider Christus an; jetzt wird er wider Willen zum Gehorsam gezwungen. Sicherlich ist es eine besondere Barmherzigkeit Gottes, dass ein Mensch, den sein Fanatismus kopfüber dem Verderben entgegen trieb, wider den Vorsatz seiner Seele zum Heil zurückgerufen wird. Dass aber der Herr ihn erst die Briefe nehmen und der Stadt Damaskus nahe kommen lässt, macht deutlich, wie klar jeder Zeitpunkt vor seinen Augen steht, und wie er all sein Werk zu rechter Zeit tut. Er hätte früher Einhalt gebieten können, wenn es ihm beliebt hätte, die Frommen von Furcht und Angst zu befreien. Aber seine Wohltat rückt in umso helleres Licht, wenn er dem Wolf erst den Rachen zubindet, als er schon gierig in den Schafstall hineinstürzt. Wir wissen ja, wie die widerspenstige Frechheit der Menschen im Fortgang wunderbar wächst; darum war die Bekehrung des Saulus umso schwieriger, als er in fortgesetzter Betätigung seines Fanatismus sich schon verhärtet hatte.
Umleuchtete ihn plötzlich usw. Weil es nicht leicht war, solchen Stolz zu bändigen, solch trotzige Anläufe zu brechen, solch blinde Glut eines verkehrten Eifers zu kühlen, ja eine mehr als zügellose Bestie zu zähmen, musste Christus irgendein Zeichen seiner Majestät geben, an welchem Paulus spüren konnte, dass er es mit Gott selbst, nicht mit einem sterblichen Menschen zu tun hatte. Doch wurde auch darauf Rücksicht genommen, dass er gedemütigt werden musste; er war es nicht wert, dass Christus ihn mit dem sanften Joch seines Geistes zum Gehorsam leitete, hätte solche Lindigkeit auch nicht verstanden. Zuvor musste sein raues Wesen gewaltsam gebrochen werden. Gewiss können nun menschliche Sinne Christi Herrlichkeit nicht fassen, wie sie an sich ist; aber wie Gott oft eine Offenbarungsgestalt annimmt, so bezeugte auch jetzt Christus dem Paulus seine Gottheit und gab ihm ein Zeichen seiner Gegenwart, welches ihm Schrecken einjagen sollte. Denn wenn auch die Frommen vor Gottes Anblick zittern, musste Paulus doch noch ganz anders erschrecken, als er spürte, wie Christi göttliche Macht wider ihn stand.
V. 4. Darum sagt Lukas: Er fiel auf die Erde. Denn was anders kann einem Menschen geschehen, als dass er verwirrt und gleichsam in nichts zusammensinkt, wenn die gegenwärtige Empfindung der Herrlichkeit Gottes ihn erdrückt? Das aber war bei Saulus der Anfang der Demütigung, dass er gelehrig werden musste, Christi Stimme zu vernehmen, die er, hochtrabend auf seinem Rosse sitzend, verachtete.
Saul, Saul! Das Licht, welches von allen Seiten auf Paulus eindrang, vergleicht Lukas mit einem ihn umleuchtenden Blitz. Doch zweifle ich nicht, dass auch tatsächlich Blitze die Luft durchzuckten. Und dieses Wort, welches Christus schleuderte, um sein hochfahrendes Wesen zu zerbrechen, könnte auch ein Blitz heißen, weil dasselbe ihn nicht bloß erschütterte und gleichsam andonnerte, sondern es durchaus zustande brachte, dass der zuvor so selbstgefällige Mann, der sich das Recht anmaßte, das Evangelium niederzuschlagen, sich jetzt wie ein Nichts vorkam. Lukas nennt den hebräischen Namen „Saul“, weil er Christi Worte wiedergibt, der ihn ohne Zweifel, mit dem in seinem Volke geläufigen Namen ansprach.
V. 5. Herr, wer bist du? Jetzt erscheint Paulus schon gezähmt, aber er ist noch nicht ein Jünger Christi. Sein Stolz ist gebessert und seine Wildheit gebrochen; aber die Gesundung ist nicht so weit fortgeschritten, dass er Christus schon gehorchte. Nur ist zur Annahme von Befehlen bereit, der sonst Lästerungen ausstieß. Wir haben es also mit der Frage eines angedonnerten und vor Schrecken verwirrten Menschen zu tun. Denn warum erkennt er aus so vielen Zeichen der Gottheit nicht, dass es Gott ist, der mit ihm redet? Seine Rede kommt aus einem ungewissen und zweifelnden Herzen. Darum drängt ihn Christus noch nachdrücklicher zur Umkehr. Wir wollen uns vergegenwärtigen, dass das Wort: „Ich bin Jesus“ – vom Himmel her erscholl. Es musste also das Herz des Paulus durchbohren, wenn er bedachte, dass er bis dahin wider Gott kämpfte. Es musste ihn alsbald zu wahrer Unterwerfung niederzwingen, wenn er bedachte, dass er nicht ungestraft sich weiter gegen den erheben werde, dessen Hand er doch nicht entfliehen konnte. Übrigens enthält diese Stelle eine überaus und in mancherlei Richtung nützliche Lehre. Denn erstlich zeigt Christus, wie hoch er sein Evangelium wertet, indem er es als seine Sache erklärt. Er müsste sich selbst aufgeben, wollte er auf die Verteidigung seines Evangeliums verzichten. Zum anderen ist es ein großer Trost für die Frommen, dass, wenn sie um der Bezeugung des Evangeliums willen leiden, sie den Sohn Gottes zum Genossen ihres Kreuzes haben, der seine Schultern mit unterstellt, um einen Teil der Last zu tragen. Es ist ja kein Gerede, wenn er verkündet, dass er in unserer Person leidet. Nach dem Wort des Paulus (Kol. 1, 24) ist, was die Gläubigen an Verfolgung für das Evangelium leiden, eben das, was an den Trübsalen Christi noch fehlt. Endlich können wir aus unserer Gemeinschaft mit Christi Leiden schließen, welch schreckliches Gericht der Verfolger der Gemeinde wartet, die wie Riesen gegen den Himmel selbst anstürmen und Geschosse schleudern, die alsbald auf ihr Haupt zurückkehren müssen. Endlich empfangen wir insgesamt die allgemeine Mahnung, es möge niemand Christus angreifen, indem er seinem Bruder Unrecht und Schaden zufügt, insbesondere möge niemand vorwitzig und unter dem Schein des Eifers blindwütig die Wahrheit bekämpfen.
Es ist dir hart, wider den Stachel auszuschlagen. Diese sprichwörtliche Rede erinnert an Ochsen und Pferde, die man mit Stacheln treibt, und die, wenn sie dagegen ausschlagen, nichts anderes erreichen, als dass sie die Stacheln sich tiefer eintreiben und dadurch den Schmerz verdoppeln. So schaffen auch die Menschen, die gegen Christus streiten, sich doppelten Schmerz; denn sie müssen doch, ob sie wollen oder nicht, seiner Herrschaft sich unterwerfen. Wer dies freiwillig tut, empfindet bei Christus keinen Stachel; er wird im Gegenteil erleben, dass bei ihm das Heilmittel für alle Wunden bereitliegt. Christus ist das Fundament, auf welches die Frommen sich gründen; für die Verworfenen aber, die an ihm sich stoßen, ist er der Stein, der sie mit seiner Härte zermalmt. Daraus entnehmen auch wir die Mahnung, die im Psalm steht (32, 9): „Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die nicht verständig sind, welchen man Zaum und Gebiss muss ins Maul legen, wenn sie nicht zu dir wollen.“ Übrigens haben wir in dieser Geschichte ein allgemeingültiges Beispiel der Gnadenwirkung, welche der Herr täglich in unser aller Berufung ausübt. Gewiss erheben sich nicht alle so gewaltsam wider das Evangelium; doch ist allen von Natur Überhebung und Aufruhr wider Gott angeboren, wir alle sind von Natur verkehrt und wild. Werden wir also zu Gott bekehrt, so geschieht dies wider die Natur durch Gottes wunderbare und geheime Macht. Wenn Gott unser Fleisch tötet, zwingt er uns genau so wie den Paulus, denn unser Wille ist nicht um ein Haar geneigter zum Gehorsam, als es der seine war, bis der Herr den Stolz unseres Herzens zermalmt und uns nicht bloß nachgiebig, sondern zum Gehorsam freudig bereit macht. Unsere Bekehrung hebt also damit an, dass der Gott, den wir durchaus nicht riefen oder suchten, uns seinerseits auf unseren verschlungenen Irrwegen sucht, und dass er die widerspenstige Stimmung unseres Herzens umwandelt, um gelehrige Leute aus uns zu machen. Weiter kann diese Geschichte zur Bekräftigung der Lehre des Paulus dienen. Hätte derselbe sich immer zugänglich und nachgiebig gezeigt, so würden wir nichts als Menschliches sehen. Wenn aber ein Todfeind Christi, ein Aufrührer wider das Evangelium, ein im Vertrauen auf seine Weisheit geschwollener, im Hass gegen den wahren Glauben brennender, in Heuchelei blinder Mensch, der mehr als hartnäckig auf Vertilgung der Wahrheit ausging, plötzlich und in unerhörter Weise in einen neuen Menschen verwandelt wird, so ist es, als führte uns Christus mit eigener Hand einen Engel vor, den er aus dem Himmel schickte und durch dessen Mund er gleichsam vom Himmel redet.

6 Und er sprach mit Zittern und Zagen: Herr, was willst du, dass ich tun soll? Der Herr Jesus sprach zu ihm: Stehe auf und gehe in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. 7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen und waren erstarret; denn sie höreten die Stimme und sahen niemand. 8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde, und als er seine Augen auftat, sah er niemand. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn gen Damaskus; 9 und war drei Tage nicht sehend und aß nicht und trank nicht.

V. 6. Jetzt folgt die Frucht des harten Angriffs, der, wie wir sagten, den Paulus heftig erschüttern und seinen Widerstand brechen musste. Jetzt erklärt er sich bereit, die Befehle dessen auszuführen, den er soeben noch verachtete. Denn mit der Frage: Was willst du? überlässt er dem Herrn das Recht und die Gewalt. Freilich erschrecken auch die Verworfenen vor Gottes Drohungen und sehen sich gezwungen, ihn zu verehren und seinem Befehl sich zu unterwerfen; dabei aber hören sie nicht auf zu knirschen und innerlichen Widerstand zu hegen. Den Paulus aber hat Gott nicht bloß gedemütigt, sondern hat sich auch in seinem Herzen wirksam bewiesen; denn es geschah nicht durch die Güte der Natur, dass Paulus dem Herrn sich williger unterwarf als Pharao, der den Schlägen Gottes widerstand, wie ein Ambos seine Härte wider den eisernen Hammer setzt (2. Mos. 7, 13). Dagegen wurde das eiserne Herz des Paulus plötzlich in ein fleischernes verwandelt; der heilige Geist schaffte eine Weichheit, die von Natur nicht vorhanden war. Das gleiche erfahren wir heute täglich; der Herr schilt uns mit seinem Wort, droht, schreckt, fügt sogar Schläge hinzu und leitet uns auf mancherlei Weise zur Unterwerfung an; aber alle diese Hilfe bringt es nicht zustande, dass eine gute Frucht reift, wenn nicht Gottes Geist die Herzen inwendig weich macht.
Der Herr sprach zu ihm usw. Nachdem Paulus seinen eisernen Nacken unter Christi Joch gebeugt, erfährt er weiter die Leitung durch seine Hand. Denn der Herr, der uns auf den Weg stellte, verlässt uns nicht mitten in der Rennbahn, sondern führt uns Schritt für Schritt zum Ziel. Diese fortgehende göttliche Leitung wird uns hier beschrieben. Gott nimmt den Mann, den er gelehrig gemacht, nunmehr in seine Lehre. Dabei bedient er, dem doch das oberste Ansehen und die Kraft bleiben, sich menschlicher Hilfe. Er wollte dadurch die Bescheidenheit des Paulus auf die Probe stellen. Er weist ihm einen seiner Jünger zur weiteren Belehrung zu, gleich als würdigte er ihn keiner weiteren vertrauten Anrede; er schickt ihn zu seinen Knechten, die er soeben noch so stolz verachtete und so grausam verfolgte. Daran können auch wir Demut lernen. Wenn Christus dem Paulus einen gewöhnlichen Jünger zum Lehrer gab, dann darf niemand von uns sich zu erhaben dünken, auf irgendeinen Lehrer zu hören, wenn derselbe nur von Christus verordnet ward, d. h. sich als einen wahren Lehrer erweist. Es soll zur Ehrung des Amts in der Gemeinde dienen, wenn Paulus zu Ananias geschickt wird. Welcher Ehre würdigt doch Gott das Menschengeschlecht, indem er unsere Brüder aus unserer Mitte erwählt und sie zu Auslegern seines Willens macht, indem er aus dem Munde eines von Natur unheiligen und der Lüge und Eitelkeit ergebenen Menschen doch seine heiligen Offenbarungen erklingen lässt! Menschlicher Vorwitz möchte freilich lieber Engel reden hören und Gottes Herrlichkeit sichtbar hervorgehen sehen. Aber diese unfromme Verachtung des Wortes öffnet vielen Schwärmereien die Tür und zerreißt das Band der Gemeinschaft zwischen den Gläubigen. Seinem Wort will Christus rechte Ehrfurcht schaffen, indem er zu seinen Jüngern den ehrenden Spruch sagt (Lk. 10, 16): „Wer euch höret, der höret mich.“
Da wird man dir sagen usw. Mit diesen Worten setzt Christus den Ananias an seiner Statt als Lehrer ein, aber er tritt nicht seine Autorität an ihn ab. In den Schranken muss man sich immer halten, dass man allein Gott in Christus höre und allein Christus selbst, der freilich durch seine Diener redet. Zwei Abwege gilt es zu meiden. Die Diener dürfen nicht unter dem Vorwand ihres herrlichen Auftrags stolz werden; aber ihre dürftige Lage darf auch der himmlischen Weisheit keinen Abbruch tun.
V. 7. Die Männer aber usw. Die Begleiter des Paulus werden als Zeugen der Erscheinung nur kurz erwähnt. Dass sie die Stimme höreten, scheint aber dem späteren Bericht des Paulus selbst (22, 9) zu widersprechen: „Die Stimme des, der mit mir redete, höreten sie nicht.“ Aber Paulus wird damit nur sagen wollen, dass er allein die Rede Christi verstand. Deswegen ist es nicht ausgeschlossen, dass ein dunkler und unsicherer Klang ihr Ohr traf. Um also das Wunder glaubwürdig zu machen, lässt Gott die Begleiter des Paulus ein Licht wie einen Blitz sehen. Sie sehen auch, wie Paulus am Boden liegt, und hören undeutlich eine vom Himmel schallende Stimme. Indessen wird allein Paulus darüber belehrt, was er tun soll.
V. 8. Saulus aber usw. Nun fügt Lukas hinzu, dass die Furcht ihn derartig niederschlug, dass er sich zunächst nicht erheben konnte. Auch des Angesichts war er für drei Tage beraubt; als er die Augen auftat, sah er nichts.
V. 9. Und aß nicht und trank nicht. Auch dies ist noch ein Stück des Wunders. Wenn auch die Morgenländer leichter den Hunger ertragen als wir, so hören wir von einem dreitägigen Fasten doch nur in einem Falle, dass ihnen die Speise mangelt oder sonst eine starke Notwendigkeit sie drückt. Wenn also Paulus wie entseelt drei Tage lang keine Speise zu sich nimmt, muss er schon in wunderbarer Weise erschüttert gewesen sein.

10 Es war aber ein Jünger zu Damaskus mit Namen Ananias; zu dem sprach der Herr im Gesichte: Ananias! Und er sprach: Hie bin ich, Herr. 11 Der Herr sprach zu ihm: Stehe auf und gehe hin in die Gasse, die da heißet die gerade, und frage in dem Hause des Judas nach einem namens Saul von Tarsus; denn siehe, er betet 12 und hat gesehen im Gesichte einen Mann mit Namen Ananias zu ihm hineinkommen und die Hand auf ihn legen, dass er wieder sehend werde.

V. 10. Nicht einer von den Aposteln, sondern Ananias wurde erwählt, damit Paulus seine Anmaßung ablegen und auch auf die Allergeringsten hören lernen sollte. Dem Ananias aber musste der Herr im Gesichte erscheinen, damit er nicht aus Furcht sich weigerte, das Amt der Belehrung des Paulus auf sich zu nehmen. Denn obwohl er wusste, dass der Herr ihn rief, schreckt er noch zurück oder entschuldigt sich wenigstens. Er bedurfte also eines gewissen Zeugnisses für diesen Ruf und einer Zusage glücklichen Erfolgs seiner Bemühung, um mit frischem und tapferem Mut auf sich zu nehmen, was der Herr ihm auftrug. Wie nun Christus in diesem Gesicht den Ananias antreibt und stärkt, so bereitet er auch den Paulus auf alles vor, damit er den Ananias wie einen vom Himmel kommenden Engel ehrfürchtig aufnehme. Der Herr hätte den Paulus ohne weiteres zu Ananias schicken und ihm sein Haus anzeigen können: aber dies Verfahren stärkte ihn noch kräftiger, weil es ihn umso besser erkennen ließ, dass der Herr für ihn gesorgt hatte. Und zugleich zeigt uns der Herr seine Gnade in hellem Licht; wie er zuerst dem Paulus begegnete, so streckt er ihm nun wiederum seine entgegenkommende Hand durch seinen Diener entgegen. Dieses Beispiel mahnt auch uns, dass wir völlig bereit und sorgsam sein sollen, verlorene Schafe zu suchen.
Im Gesichte. Das „Gesicht“ ist hier irgendein Sinnbild, welches den Augen dargeboten wird, um Gottes Gegenwart zu bezeugen. Solche Gesichte haben den Zweck, die Majestät des Wortes zu bekräftigen und demselben bei den Menschen Glauben zu schaffen. Solcher Bestätigungen bediente sich Gott häufig gegenüber den Propheten, wie es denn heißt, dass er durch Gesichte oder durch Träume zu seinen Knechten rede. Gewiss hat er es zugelassen, dass Satan mit täuschenden Erscheinungen die Ungläubigen handgreiflich betrügt; aber solches Gaukelspiel hat nur in der Finsternis Kraft. Und der Herr erleuchtet die Sinne der Seinen und macht sie dessen gewiss, dass sie sich vor Trug nicht zu fürchten brauchen. Darum antwortet Ananias, indem er den Herrn erkennt: Hie bin ich, Herr.
V. 11. Denn siehe, er betet. Lukas lässt ersehen, dass Paulus während jener drei Tage dem Gebet oblag. Und eben dies wird auch ein Grund zu seinem Fasten gewesen sein. Sicherlich meint Christus nicht ein nur augenblickliches Gebet, sondern deutet vielmehr darauf hin, dass Paulus in der Gebetsübung beständig anhielt, bis ihm ein ruhiges und völlig gesammeltes Gemüt geschenkt ward. Denn neben anderen Anlässen zum Schrecken mochte ihm jenes Wort in den Ohren klingen: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Und ohne Zweifel hat das ängstliche Harren auf volle Offenbarung sein Herz merkwürdig gequält. Eben darum wird ihn auch der Herr drei Tage haben warten lassen, um größeren Gebetseifer in ihm zu entzünden.
V. 12. Und hat gesehen einen Mann usw. Man kann zweifeln, ob Lukas noch Worte Christi berichtet oder seinerseits diese Bemerkung beifügt. In ersterem Fall würde Christi Wort zur Stärkung des Ananias dienen: Du darfst nicht zweifeln, dass er dich willig aufnehmen wird; denn er hat schon nach dem Gesicht eine Vorstellung von dir. Ich habe ihm deinen Namen, und was du mit ihm vorhast, kundgetan.

13 Ananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehöret von diesem Manne, wie viel Übels er deinen Heiligen getan hat zu Jerusalem; 14 und er hat allhie Macht von den Hohenpriestern, zu binden alle, die deinen Namen anrufen. 15 Der Herr sprach zu ihm: Gehe hin; denn dieser ist mir ein auserwähltes Rüstzeug, dass er meinen Namen trage vor den Heiden und vor den Königen und vor den Kindern von Israel. 16 Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen.

V. 13. Herr, ich habe gehöret usw. Indem Ananias dem Herrn die Gefahr vorhält, verrät er, dass sein Glaube noch schwach ist. So fällt die Todesfurcht auf die Heiligen und die Knechte Christi, hemmt sie in ihrer Pflicht, ja bringt sie zuweilen zum Wanken. Sicherlich würde Ananias gern seine Schritte anderswohin lenken; aber es ist doch gut, dass er der sündhaften Furcht nicht allzu stark nachgibt und sich des Gehorsams gegen Christus nicht weigert. Seine Worte lauten ja auch nicht rundweg ablehnend, sondern bringen nur eine versteckte und zaghafte Entschuldigung vor: Was soll es, Herr, dass du mich zum Henker schickst? Also ist seiner Bereitschaft zum Gehorsam nur etwas Furcht beigemischt.
V. 14. Und er hat allhie Macht usw. Aus diesen Worten lässt sich schließen, dass das Gerücht von der durch Saulus betriebenen Verfolgung weithin erschollen war; umso eindrücklicher musste seine Bekehrung wirken. Inzwischen ließ der Herr seine Gläubigen jämmerlich ängstigen, damit nachher die Wohltat so plötzlicher Befreiung umso heller leuchtete. Bemerkenswert ist die Redeweise, dass die Frommen Christi Namen anrufen. Die Meinung ist entweder, dass sie sich damit als Christi Eigentum bekannten, sich also seiner rühmten, oder dass sie zu seinem Schutz ihre Zuflucht zu nehmen pflegten. In jedem Falle kann die Anrufung nicht ohne Zuversicht geschehen. In jedem Falle haben wir hier auch einen deutlichen Beweis für Christi Gottheit.
V. 15. Gehe hin, denn dieser usw. Indem der Befehl wiederholt und eine Zusage des Erfolges beigefügt wird, muss jeder Rest von Zweifel weichen. Weiteres Zögern wäre unentschuldbar. Freilich sehen wir viele trotz immer wiederholter Anrufe des Herrn während ihres ganzen Lebens müßig bleiben und dazu ihre Trägheit mit allem möglichen Selbstbetrug verhüllen. Umso bemerkenswerter ist des Ananias Vorbild, der nach dem zweiten Befehl sich ungesäumt aufmacht. Wollte jemand einwenden, dass der Herr heute nicht in Gesichten rede, so antworte ich, dass man ihn in der Schrift hören soll, deren Ansehen uns reichlich bekräftigt ward. Als ein auserwähltes Rüstzeug oder Werkzeug wird ein hervorragender Diener des Herrn bezeichnet. Der Ausdruck deutet darauf hin, dass Menschen nur insoweit etwas vermögen, als sich der Herr nach seinem Gefallen ihrer Hilfe bedient. Sind wir Werkzeuge, so ist er allein der Werkmeister. Er allein hat Kraft und Fähigkeit, zu wirken. Was aber Christus hier von Paulus sagt, gilt unterschiedslos allen. Mag jemand noch so ernstlich sich mühen und erfolgreich seine Pflicht tun, er hat doch keinen Grund, irgendwelches Lob zu beanspruchen. Dabei ist noch besonders bemerkenswert, dass es allein von Gottes freier Gnade abhängt, wenn jemand ein „auserwähltes“ Werkzeug wird. Sagt doch Paulus selbst (1. Kor. 4, 7): „Wer hat dich vorgezogen?“
Dass er meinen Namen trage usw. Der zuvor Christi Namen zu unterdrücken suchte, wird jetzt beauftragt, ihn vor die Menschen zu tragen, d. h. ihm seine Ehre zu verschaffen. Denn Christus wird gleichsam auf seinen königlichen Thron gesetzt, wenn durch die Predigt des Evangeliums die Welt seiner Macht unterworfen wird.
V. 16. Weil aber Paulus dies nicht tun konnte, ohne dass der Satan sich regte und die Welt sich dawider stellte, fügt Lukas hinzu, dass Christus ihn im Tragen des Kreuzes unterweisen werde: Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss. Ich will ihn daran gewöhnen, Beschwerden zu tragen, Schmähungen zu dulden, Kämpfe auszuhalten, damit nichts ihn von seiner Pflicht abschrecke oder wenigstens aufhalte. Indem aber Christus sich in diesem Stück als Lehrer anbietet, erinnert er, dass wir in demselben Maße fähig sind, das Kreuz zu tragen, als wir in seiner Schule Fortschritte machen. Denn wir ringen mit dem Kreuz und fliehen es als das widrigste Ding, wenn er nicht unser Herz zur Sanftmut bereitet. Übrigens zeigt diese Stelle, dass niemand geeignet ist, einer widerstrebenden Welt das Evangelium zu predigen, dessen Herz nicht zur Geduld erzogen ward. Wollen wir uns als treue Diener Christi beweisen, so müssen wir also nicht bloß um den Geist der Erkenntnis und Klugheit bitten, sondern auch der Beständigkeit und Tapferkeit, damit uns die jämmerlichen Mühen, die den Frommen beschieden sind, niemals brechen.

17 Und Ananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt (der dir erschienen ist auf dem Wege, da du herkamest), dass du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllet werdest. 18 Und alsobald fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er ward wieder sehend; 19 und stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich.

V. 17. Und legte die Hände auf ihn. Wie wir schon früher sagten, legten die Juden einem Menschen, den sie dem Herrn weihen wollten, in feierlicher Weise die Hände auf. Diese von den Priestern überkommene Sitte passten die Apostel ihrem Bedürfnis an, wenn sie die sichtbaren Geistesgaben übertragen, oder wenn sie jemand als Diener der Gemeinde einsetzen wollten. Zu diesem Zweck legt jetzt Ananias dem Paulus die Hände auf, teils um ihn dem Herrn zu weihen, teils um ihm die Geistesgaben zu erbitten. Obwohl nun hier der Lehre keine Erwähnung geschieht, werden wir doch später aus der Erzählung des Paulus ersehen, dass dem Ananias auch das Lehramt aufgetragen war; und aus der Taufe, die als zweites Stück in der Reihe folgte, muss geschlossen werden, dass Paulus im Glauben unterwiesen war. Inwiefern aber der Brauch den Geist geben kann, mögen die Leser aus dem vorigen Kapitel (zu 8, 17) ersehen. Wenn übrigens Paulus durch die Handauflegung des Ananias den Geist empfing, ist es mehr als lächerlich, wenn die Papisten allein die Bischöfe für befähigt zur Handauflegung erklären.
V. 18. Und alsbald fiel es von seinen Augen wie Schuppen. Wir sagten schon, dass Paulus nicht bloß durch Furcht und Schrecken geblendet, sondern durch wirkliche Erblindung an seine frühere Blindheit erinnert wurde, damit er sein geschwollenes Selbstvertrauen gänzlich ablege. Er rühmt sich, zu Gamaliels Füßen gesessen zu haben (22, 3), und hegte sich offenbar selbstgefällig in seinem Scharfsinn, der doch lauter Blindheit war. So wird er jetzt erinnert, dass man wahres Licht nur bei Christus suchen soll, und dass man es nicht anders bekommt als durch seine Gnadengabe. Dass er aber nach dreitägigem, aufreibenden Hunger erst zur Speise eilt, nachdem er die Taufe empfangen, ist das Zeichen eines überaus brennenden Eifers: erst nachdem er die Seele erquickt, stärkt er den Leib mit Speise.

Saulus aber war eine Zeitlang bei den Jüngern zu Damaskus. 20 Und alsbald predigte er Christum in den Schulen, dass derselbige Gottes Sohn sei. 21 Sie entsetzten sich aber alle, die es höreten, und sprachen: Ist das nicht, der zu Jerusalem verstörte alle, die diesen Namen anrufen, und darum hergekommen, dass er sie gebunden führe zu den Hohenpriestern? 22 Saulus aber ward immer kräftiger und trieb die Juden in die Enge, die zu Damaskus wohnten, und bewährte es, dass dieser ist der Christ. 23 Und nach vielen Tagen hielten die Juden einen Rat zusammen, dass sie ihn töteten. 24 Aber es ward Saulus kundgetan, dass sie ihm nachstelleten. Sie hüteten aber Tag und Nacht an den Toren, dass sie ihn töteten. 25 Da nahmen ihn die Jünger bei der Nacht und taten ihn durch die Mauer und ließen ihn in einem Korbe hinab.

V. 20. Nunmehr verfolgt Lukas weiter, welche Frucht die Bekehrung des Paulus brachte; der soeben noch in rasendem Angriff wider Christus anstürmte, unterwirft sich nicht nur in Sanftmut seiner Herrschaft, sondern kämpft gleichsam als Bannerträger bis zur äußersten Gefahr für die Mehrung seines Ruhmes. Gewiss konnte die Unterweisung durch Ananias ihn nicht so schnell bilden; aber sobald er nur die ersten Erkenntnisse aus Menschenmund empfangen, führte Gott selbst ihn zur Höhe empor. Der Hauptinhalt seiner Predigt wird dahin zusammengefasst: er bezeugte Christum, dass derselbe Gottes Sohn sei. Oder wie es alsbald (V. 22) heißt, dass dieser ist der Christ. Dass der Retter von Gott kommen werde, der alles in glücklichen Stand bringen sollte, war für die Juden unantastbare Wahrheit. So hat Paulus ohne Zweifel nach Gesetz und Propheten dargelegt, welches das wahre Amt des Messias sei, wobei er ihnen auch die groben Irrtümer über ein irdisches Messiasreich austreiben musste. Zugleich hat er vorgetragen, dass der verheißene Messias in Jesus erschienen sei.
V. 21. Sie entsetzten sich aber alle usw. Dieser Zusatz will uns wissen lassen, dass man Gottes kräftige Wirkung erkannte. Denn da des Paulus Wüten gegen das Evangelium allgemein bekannt war, konnte man als Ursache eines so plötzlichen Umschwungs nur ein von Gottes Hand gewirktes Wunder annehmen. Darum machte die Lehre des Paulus einen noch tieferen Eindruck auf die Herzen. Bemerkenswert ist, dass die Christen als Leute bezeichnet werden, die den Namen Christi anrufen. Die Frommen bekennen sich also zu ihm, weil sie ihre ganze Zuversicht der Rettung auf ihn setzen, - nach jenem Wort (Ps. 20, 8): „Jene verlassen sich auf Wagen und Rosse; wir aber denken an den Namen des Herrn.“ Alles, was die Schrift bezüglich der Anrufung des Namens Gottes uns anbefiehlt, muss auf Christi Person bezogen werden.
V. 22. Saulus aber ward immer kräftiger. Damit rühmt Lukas nicht bloß den wackeren Eifer des Paulus im Bekenntnis des Glaubens an Christus, sondern will auch sagen, dass er mit kräftigen und überlegenen Gründen kämpfte und die Juden besiegte. Im Wortstreit zeigte sein Bekenntnis innere Kraft und äußere Wirkung zugleich, weil er mit Schriftzeugnissen und anderen Waffen des heiligen Geistes gerüstet war und dadurch alle Gegner gleichsam erdrückte. Er trieb die Juden in die Enge. Trotz ihres heftigsten Widerstandes wurden sie besiegt und verwirrt. So beweist Paulus durch die Erfahrung die Wahrheit seiner eigenen Aussage (2. Tim. 3, 16), dass die Schrift nütze zur Strafe oder Widerlegung sei. Er leistet auch, was er an einer anderen Stelle vom Bischof und Lehrer fordert (Tit. 1, 9): denn er war mit Gottes Wort gerüstet, die Wahrheit kräftig zu verteidigen. Mochte aber Paulus mit seinem Wortstreit über die Juden siegen und sie zum Wanken bringen, so wurde ihre Hartnäckigkeit doch nicht gebrochen oder gebändigt, so dass sie der Wahrheit etwa gewichen wären. Auch insofern sind sie in die Enge getrieben, als ihr Gewissen inwendig tobt und sie sich in ihrer falschen Meinung erschüttert fühlen, ohne sich doch Christus unterwerfen zu wollen. Nur darum aber konnte Paulus siegen, weil die Schrift sein Schwert war. Aus ihr also müssen wir die Waffen entnehmen, so oft Irrlehrer sich wider den rechten Glauben erheben oder gottlose Leute die ganze Frömmigkeit umstürzen wollen. Nur darum decken sich die Papisten mit der jämmerlichen Zuflucht, dass man mit Irrlehrern nicht streiten solle und auf Grund der Schrift nichts Gewisses behaupten könne, weil sie sehen, dass die ganze Schrift wider sie steht.
V. 23. Und nach vielen Tagen. Diese Anmerkung will uns wissen lassen, dass dem Paulus ein langer Zeitraum gewährt ward, während dessen er Nutzen schaffen konnte. Leisteten auch die Juden vom ersten Tage an Widerstand, so ließ doch der Herr den so gut begonnenen Lauf nicht so schnell abbrechen. Mit seinem wunderbaren Rat hält er die Anschläge der Feinde auf, bis das Evangelium seine Wirkung getan hat. Zugleich sehen wir, was der Hass gegen die Wahrheit zustande bringt. Sobald die Gottlosen ihre Unfähigkeit zum Widerstande einsehen, geben sie sich blutgieriger Raserei hin. Das ist eine schreckliche Blindheit. Denn nur darum toben sie so unsinnig, weil die ihrem Gewissen geschlagene Wunde sie quält. So straft Gott ihre Heuchelei; denn die gesunde Religion ist ihnen nur darum verhasst, weil sie als Freunde der Finsternis das Licht fliehen. Außerdem sehen wir, in welchen schmeichelnden Selbstbetrug diese verkehrten Eiferer sich wiegen, nachdem einmal der Satan sie zur Verfolgung der Wahrheit antrieb. Ohne Bedenken fassen sie unter dem Vorwand ihres Eifers den Beschluss, einen Menschen zu morden, obwohl sie wissen, dass sie einen Frevel begehen. So halten auch heute die Papisten alles für erlaubt, wenn sie nur die Lehre des Evangeliums auslöschen. Wahrscheinlich haben nun die Juden dem Paulus zunächst heimlich nachgestellt. Als sie auf diesem Wege nichts erreichten, kamen sie zum Stadtkommandanten, und nun wurden an den Stadttoren Wachen aufgestellt, um den Paulus unter allen Umständen abzufangen. Er selbst erzählt ja (2. Kor. 11, 32), dass der Landpfleger des Königs Aretas eben das angeordnet habe, was Lukas hier den Juden zuschiebt.
V. 25. Da nahmen ihn die Jünger bei der Nacht usw. Es erhebt sich die Frage, ob die Jünger den Paulus auf diese Weise retten durften und ob es für ihn selbst recht war, auf diese Weise der Gefahr zu entfliehen. Denn die Gesetze erklären die Mauern und Tore einer Stadt für unverletzlich. Er hätte also lieber den Tod leiden müssen, als um seinetwillen die öffentliche Ordnung brechen zu lassen. Ich antworte, dass man den Zweck ins Auge fassen muss, um dessentwillen eine heilige gesetzliche Ordnung die Mauern für unverletzlich erklärt. Die Städte sollen gegen räuberische Überfälle wie gegen Verrätereien der Bürger geschützt sein. Wo es sich aber um die Rettung eines Unschuldigen handelt, kommt dieser Grund nicht in Betracht. Die Gläubigen durften den Paulus ebenso gut in einem Korbe herablassen, wie es jemand erlaubt sein wird, über die Mauer zu springen, um einen plötzlichen Anlauf des Feindes zurückzuschlagen. Man darf also den Paulus nicht tadeln, dass er heimlich entwich, da er dies ohne Volksaufruhr tun konnte. Dabei sehen wir, in welcher Weise der Herr die Seinen zu demütigen pflegt; ein Paulus sieht sich gezwungen, sein Leben den Stadtwächtern zu stehlen, wenn er gerettet entschlüpfen will. Darum zählt er dies Stück unter seinen Schwachheiten auf (2. Kor. 11, 30 ff.). So musste dieser Anfangsunterricht ihn frühe daran gewöhnen, das Kreuz zu tragen.

26 Da aber Saulus gen Jerusalem kam, versuchte er, sich zu den Jüngern zu tun; und sie fürchteten sich alle vor ihm und glaubeten nicht, dass er ein Jünger wäre. 27 Barnabas aber nahm ihn zu sich und führte ihn zu den Aposteln und erzählte ihnen, wie er auf der Straße den Herrn gesehen und er mit ihm geredet, und wie er zu Damaskus den Namen Jesu frei gepredigt hätte. 28 Und er war bei ihnen und ging aus und ein zu Jerusalem und predigte den Namen des Herrn Jesu frei. 29 Er redete auch und befragte sich mit den Griechen; aber sie stelleten ihm nach, dass sie ihn töteten. 30 Da das die Brüder erfuhren, geleiteten sie ihn gen Cäsarea und schickten ihn gen Tarsus. 31 So hatte nun die Gemeine Frieden durch ganz Judäa und Galiläa und Samarien und bauete sich und wandelte in der Furcht des Herrn und ward erfüllet mit dem Trost des heiligen Geistes.

V. 26. Noch weiter muss der Anfänger eine harte Schule durchmachen; kaum ist er den Händen der Feinde entronnen, so weisen ihn die Jünger ab. Es musste ihm wie ein Spott erscheinen, dass er so hin und her geworfen wird und nirgend festen Boden findet. Sein ganzes Volk stellt sich um des Namens Christi willen wider ihn; die Christen verschmähen ihn; hätte er nicht als ein aus der Menschen Gemeinschaft Ausgestoßener Mut und Hoffnung wegwerfen können? Und was anders bleibt übrig als Abfall von der Gemeinde, nachdem man ihn nicht aufnimmt? Aber in Erinnerung an sein früheres Leben wundert er sich nicht, dass er ein Abscheu sein muss. So trägt er es geduldig, dass die Brüder in begreiflicher Furcht sich von ihm fernhalten. Es war ein Zeichen wahrer Bekehrung, dass er nach seinem früheren, trotzigen Wüten jetzt tapfer die Stürme der Verfolgungen aufnimmt. Und wenn ihm eine Stätte bei den Frommen verweigert wird, wartet er mit sanftem Geist, bis Gott sie ihm günstig stimmt. Dabei ist sehr bemerkenswert, was er sucht und nicht erlangt; er möchte lediglich unter Christi Jünger gezählt sein. Hier herrscht kein Ehrgeiz mehr; aber er musste dazu erzogen werden, den letzten Platz unter Christi Jüngern höher zu schätzen als erhabene Lehrerstellen in den verderbten und abtrünnigen Synagogen. Und kraft dieser Herablassung gelangt er zur höchsten Ehrenstelle, indem er der vorzüglichste Lehrer der Gottesgemeinde bis zum Ende der Tage wird. Aber niemand ist zum Lehren in der Gemeinde geschickt, der nicht freiwillig sich als Mitjünger in die Reihe der übrigen stellt.
V. 27. Barnabas aber nahm ihn usw. Dass die Christen und sogar die Apostel den Paulus flohen, darf man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Bei gar zu leichter Zugänglichkeit hätten sie sich ja mutwillig in Gefahr begeben. Wo es aber ihr Beruf mit sich brachte, dass sie Rechenschaft ihres Glaubens geben mussten, würden sie nicht bloß den Paulus, sondern alle Gewalten der Unterwelt gereizt haben. Wir schließen daraus, dass nicht jede Furcht verwerflich ist, sondern nur eine solche, die uns von unserer Pflicht abdrängt.
V. 28. Und ging aus und ein usw. Dieser Ausdruck beschreibt einen vertrauten Verkehr mit den Jüngern. Auf Grund der Empfehlung durch Barnabas wurde also Paulus alsbald ein Glied der Gemeinde und bei derselben genau bekannt.
Und predigte zuversichtlich den Namen des Herrn Jesu. Buchstäblich wäre zu übersetzen: er handelte zuversichtlich im Namen des Herrn Jesus. Ohne Zweifel ist aber sein tapferes Bekennen des Evangeliums und Eintreten für Christi Sache gemeint. Wir entnehmen daraus den allgemeinen Wink, dass ein jeder nach dem Maß seines Glaubens das gleiche tun soll. Ist auch nicht jeder ein Paulus, so muss doch der Glaube an Christus so viel Zuversicht in seinem Herzen erzeugen, dass er nicht völlig stumm bleibt, wenn es zu reden gilt.
V. 29. Er befragte sich mit den Griechen. Darunter sind nicht Leute griechischer Herkunft zu verstehen, sondern Juden, wie sie damals über alle Teile der Welt verstreut waren. Diese pflegten aus ihren Provinzen nach Jerusalem zusammenzukommen, um anzubeten. Mit diesen Fremdlingen und Diasporajuden hat Paulus vermutlich lieber gestritten als mit den Eingesessenen, weil diese niemals auf ihn gehört haben würden und es auch nicht geraten war, ihnen unter die Augen zu treten. Da zwischen ihm und seinen früheren Bekannten eine Kluft befestigt war, versuchte er, ob sich etwa bei unbekannten Leuten Erfolg hoffen ließ; so tat er mit unermüdlicher Geisteskraft alles, was einem wackeren Kämpfer ziemt.
Sie stelleten ihm nach. Wiederum tritt an die Stelle des Eifers Raserei. Heuchelei und Aberglaube machen aber immer wütend und grausam. Gewiss muss auch die Frommen heiliger Zorn ergreifen, wenn sie sehen, dass man Gottes reine Wahrheit mit falschen und verwerflichen Lehren verderbt. Aber sie müssen sich in ihrem Eifer mäßigen, nichts ohne genaue Feststellung des Tatbestandes unternehmen und versuchen, die Irrenden auf den rechten Weg zurückzuführen. Wenn sie endlich auf verzweifelte Hartnäckigkeit stoßen, sollen sie doch nicht selbst das Schwert an sich reißen, weil sie wissen, dass ihnen die Rache vom Herrn nicht aufgetragen ward. Paulus nun, der noch vor kurzem hin und her die Frommen quälte, kann jetzt nirgend ruhigen Fuß fassen. Aber diese Lage war für ihn viel besser, als wenn er die Gläubigen aus ihren Wohnsitzen treiben und dabei selbst ruhig und sicher hätte herrschen können.
V. 30. Dass er sich nach Tarsus begab, geschah ohne Zweifel in der Absicht, dorthin die Lehre des Evangeliums zu tragen. Denn er durfte hoffen, in seiner Vaterstadt, wo sein Name berühmt war, einiges Wohlwollen und Ansehen zu finden. Er ward aber von den Brüdern weggeleitet, weil sie ihn den Nachstellungen entziehen wollten.
V. 31. So hatte nun die Gemeine Frieden. Lukas gibt zu verstehen, dass die Feinde des Evangeliums durch die Gegenwart des Paulus schwer gereizt wurden. Denn sobald er wegging, wurde plötzlich Ruhe. Und doch macht ihm Lukas nicht einen Vorwurf, sondern ein Lob daraus, dass er wie eine Kriegstrompete wirkte. Weil wir so weich sind und unsere Ruhe lieben, zürnen wir wohl den besten und trefflichsten Knechten Christi, weil wir meinen, dass ihre Heftigkeit die Bösen reize, Schaden zu tun. Dadurch beleidigen wir aber den Geist Gottes, dessen Kraft und Wehen es ist, welches diese ganze Flamme entzündet. Der Friede aber, von welchem Lukas spricht, währte nicht ewig, sondern der Herr schenkte seinen Knechten nur für kurze Zeit etwas Erleichterung. Er kommt unserer Schwachheit entgegen, wenn er die Stürme der Verfolgungen mildert, dass sie uns nicht ununterbrochen und maßlos drängen. Dass die Gemeinde solchen Frieden hat, ist ein großer, nicht zu verachtender Segen. Aber Lukas fügt andere noch viel wertvollere Stücke hinzu: die Gemeinde bauete sich und wandelte in der Furcht des Herrn und ward erfüllet mit Trost des heiligen Geistes. Denn da wir im Frieden üppig und zerfahren zu werden pflegen, so kann die Gemeinde mitten im Kriegstumult glücklicher sein, als wenn sie die süßeste und erwünschteste Ruhe genösse. Ohne diesen heiligen Wandel und den Trost des Geistes, der ihren Zustand schmückt, würde sie nicht bloß ihr Glück verlieren, sondern in nichts zusammenfallen. Wir wollen also lernen, den äußeren Frieden nicht zu genusssüchtiger Gleichgültigkeit zu missbrauchen, sondern, je mehr Ruhe uns die Feinde geben, desto eifriger sollen wir die Gelegenheit zu frommer Sammlung und innerem Fortschritt nützen. Wenn aber einmal der Herr den Gottlosen die Zügel lockert, dass sie uns in Unruhe bringen, so genüge uns der innere Trost des Geistes. Es sei aber Frieden oder Krieg, so wollen wir wacker und ununterbrochen dem entgegenlaufen, der unserem Wettlauf den Preis erteilt. Dass die Gemeinde sich „bauete“, kann sowohl von der äußeren Mehrung als dem inneren Fortschritt verstanden werden. Das Bild, welches uns an ein Gebäude denken lässt, passt in jedem Falle trefflich, da ja die Gemeinde der Tempel und die Behausung Gottes ist (1. Tim. 3, 15) und auch die einzelnen Gläubigen seine Wohnungen sind (1. Kor. 3, 16 f.).

32 Es geschah aber, da Petrus bei allen Heiligen umherzog, dass er auch zu denen kam, die zu Lydda wohneten. 33 Daselbst fand er einen Mann mit Namen Äneas, acht Jahre lang auf dem Bette gelegen, der war gichtbrüchig. 34 Und Petrus sprach zu ihm: Äneas, Jesus Christus macht dich gesund; stehe auf und bette dir selber! Und alsobald stand er auf. 35 Und es sahen ihn alle, die zu Lydda und in Saron wohneten; die bekehreten sich zu dem Herrn.

V. 32. Lukas erzählt, welches Wachstum die Wunder der Gemeinde brachten. Er berichtet nun von zwei Wundern: ein Mensch, der acht Jahre gichtisch gelähmt dalag, wurde plötzlich geheilt, eine Frau vom Tode erweckt. Dass Petrus bei allen Heiligen umherzog, übersetzen manche etwas abweichend, dass er „allenthalben“ durchzog. Unsere Wiedergabe entspricht dem griechischen Ausdruck am genauesten; der Unterschied des Sinnes ist gering. Da den Aposteln kein bestimmter Wohnsitz zugewiesen war, mussten sie hierhin und dorthin gehen, wie es die Gelegenheit erforderte.
Lydda, welches später Diospolis hieß, eine durch Alter und Reichtum ausgezeichnete Stadt, lag nicht weit vom Mittelländischen Meer. Ihre Nachbarstadt war (V. 36) Joppe, welches einen berühmten, wenn auch mit Felsen durchsetzten Hafen hatte. Die Stadt selbst lag auf einem hervorragenden Felsenhügel, von welchem sich ein Fernblick bis nach Jerusalem eröffnete. Jetzt sieht man dort nur die Ruinen einer alten Stadt; nur der Hafen ist geblieben, den das Volk Japhet nennt. Saron (V. 35) scheint die Ebene zu bezeichnen, die sich zwischen Cäsarea und Joppe hinstreckt.
V. 34. Jesus Christus macht dich gesund. Ohne Zweifel haben sich die Apostel nie herbeigelassen, ein Wunder zu tun, ehe sie nicht des Willens Gottes, von welchem der Erfolg abhing, gewiss waren. Sie waren nicht mit einer Geistesmacht ausgerüstet, kraft der sie alle Kranken beliebig hätten heilen können; sondern wie Christus in Wundern Maß hielt, so wollte er auch durch seine Apostel nicht mehr Wunder tun, als er für nützlich erkannte. Petrus bricht also nicht leichtfertig in jenes Wort aus; hätte er sich doch dem Spott aussetzen können, wäre ihm nicht Gottes Wille schon offenbart worden. Möglicherweise hat er in der Stille gebetet. Der Geist, der aller Wunder Urheber war und durch die Hand des Petrus wirkte, hat damals auch seine Zunge gelenkt und sein Herz mit verborgenem Antrieb geleitet. Übrigens zeigt Petrus mit diesen Worten, dass er nur der Vermittler des Wunders ist, welches Christi Kraft wirkt; so will er allein Christi Namen verherrlichen.
Bette dir selber! Die einzelnen Umstände erhöhen noch den Glanz des Wunders. Denn der Kranke bekommt nicht nur Kraft zum Aufstehen, sondern, der zuvor kein Glied rühren konnte, kann jetzt sogar sein Bett machen. Auch wird eine gichtische Lähmung, die schon acht Jahre anhielt, nicht leicht geheilt. Indem nun Äneas so bereit war, seine Glieder zu versuchen, bewies er den Gehorsam seines Glaubens. Denn wenn er auch schon die wiederkehrende Kraft spürte, so war es doch namentlich die Wirksamkeit des Wortes, die ihn zum Aufstehen erweckte.
V. 35. Und es sahen ihn alle usw. Gemeint ist nicht gerade jeder einzelne ohne Ausnahme, sondern die Mehrheit der Bewohnerschaft; das Wunder wurde in der ganzen Stadt bekannt und berühmt. Während bis dahin nur eine winzige Zahl von Frommen vorhanden war, sammelte sich nun die Gemeinde aus breiten Schichten der Bevölkerung. Denn eben damit wird die Frucht des Wunders beschrieben: sie bekehrten sich zu dem Herrn. Wer also an Menschen hängen bleibt und den Blick nicht auf das Ziel richtet, dass die Menschen Christi Macht und Gnade sehen und dadurch für ihn gewonnen werden, der missbraucht die Wunder.

36 Zu Joppe aber war eine Jüngerin mit Namen Tabea (welches verdolmetscht heißet Rehe), die war voll guter Werke und Almosen, die sie tat. 37 Es begab sich aber zu derselbigen Zeit, dass sie krank ward und starb. Da wuschen sie dieselbige und legten sie auf den Söller. 38 Nun aber Lydda nahe bei Joppe ist, da die Jünger höreten, dass Petrus daselbst war, sandten sie zwei Männer zu ihm und ermahneten ihn, dass er sich´s nicht ließe verdrießen, zu ihnen zu kommen.

V. 36. Um soviel schwieriger es ist, einem Toten das Leben als einem Kranken die Gesundheit wiederzuschenken, um soviel heller leuchtet Christi Kraft in dem Erweise, der jetzt erzählt wird. Die Person der Tabea, an welcher das Wunder geschah, rühmt Lukas mit der doppelten Aussage, dass sie Christi Jüngerin war und durch gute Werke und Almosen ihren Glauben bewährte. Der Titel „Jünger“ oder genauer „Schüler“, der nun auch einem Weibe zuteil wird, erinnert daran, dass ein Christentum ohne Lehre nicht denkbar ist; Christus soll aber allein aller Lehrer sein. Der Anfang eines heiligen Lebens und die Wurzel aller Tugenden besteht darin, dass man vom Sohne Gottes lernt, wie man sein Leben recht einrichten soll und was überhaupt wahres Leben ist. Darnach erwächst aus dem Glauben die Frucht guter Werke, worunter hier vornehmlich die liebevolle Unterstützung der Nächsten zu verstehen ist, für welche Lukas als Beispiel das Almosengeben heraushebt. Das syrische Wort „Tabea“ wird erläutert: ein Reh. Das ist ein nicht gerade ehrenvoller Name; wir sollen aber wissen, dass das heilige Leben dieser Frau alles aufwiegt, was etwa dieser Name Erniedrigendes haben könnte.
V. 37. Dass Tabea krank ward, macht es glaubhaft, dass sie alsbald starb. Zu demselben Zweck wird auch erzählt, dass man den Leichnam wusch und auf den Söller legte. Alle diese Umstände tragen also dazu bei, dem Wunder Glauben zu verschaffen. Dass man die Tabea nicht gleich zu Grabe trug, sondern noch im Obergeschoß des Hauses verwahrte, gibt Zeugnis, dass man noch irgendwie hoffte, sie werde das Leben wiedererlangen. Die Sitte, einen Leichnam zu waschen, ist wahrscheinlich sehr alt. Sie wird von den heiligen Erzvätern her überliefert sein, damit inmitten des Todes ein sichtbarer Hinweis auf die Auferstehung die Gemüter der Frommen zu guter Hoffnung aufrichte. Die täglichen Waschungen bei den Juden erinnerten daran, dass man Gott nur gefallen könne, wenn man sich von seinem Schmutz reinigt. Ein solches Zeichen sollte nun auch bei den Begräbnissitten der Menschen einprägen, dass sie wegen des Schmutzes, mit dem sie in dieser Welt in Berührung kamen, verunreinigt aus diesem Leben scheiden. Freilich hatten die Toten von der Waschung ebenso wenig einen Nutzen wie vom Begräbnis. Sie diente vielmehr zur Belehrung der Überlebenden. Der Tod schien ein Untergang zu sein; so sollte man schon vor den Zeiten der vollen Lebensoffenbarung in Christus durch ein Bild einen leisen Fingerzeig empfangen, dass das Leben im Tod nicht erlösche.
V. 38. Da die Jünger höreten usw. Dass man den Leichnam wusch, lässt ersehen, dass die Jünger über den letzten Ausgang im ungewissen waren. Sie bereiteten den Leichnam zur Bestattung; doch war es noch ein Zeichen von Hoffnung, dass sie ihn im Söller niederlegten und den Petrus holen lassen. Übrigens hadern sie nicht mit Gott, als hätte er ihnen etwas Unwürdiges angetan, sondern sie flehen demütig seine Hilfe an. Nicht als wollten sie die Tabea unsterblich machen; sie wünschen nur eine Verlängerung ihres Lebens, damit sie der Gemeinde weiter nützen könne.

39 Petrus aber stand auf und ging mit ihnen. Und als er hingekommen war, führeten sie ihn hinauf auf den Söller und traten um ihn alle Witwen, weineten und zeigten ihm die Röcke und Kleider, welche die Rehe machte, solange sie bei ihnen war. 40 Und da Petrus sie alle hinausgetrieben hatte, kniete er nieder, betete und wandte sich zu dem Leichnam und sprach: Tabea! stehe auf! Und sie tat ihre Augen auf; und da sie Petrus sah, setzte sie sich wieder. 41 Er aber gab ihr die Hand und richtete sie auf und rief den Heiligen und den Witwen und stellte sie lebendig dar. 42 Und es war kund durch ganz Joppe, und viele wurden gläubig an den Herrn. 43 Und es geschah, das er lange Zeit zu Joppe blieb bei einem Simon, der ein Gerber war.

V. 39. Petrus aber stand auf usw. Wir wissen nicht, ob man dem Petrus den Grund sagte, um dessentwillen man ihn rief, und weiter nicht, ob er schon Gottes Rat klar erkannt hatte. Keinesfalls aber war es vorwitzig, dass er sich auf den Weg machte. Er willfahrte eben der Bitte der Brüder, um sie in ihrer Trauer zu trösten und mit frommen Ermahnungen zu stärken, sie möchten sich durch das Sterben dieser einen Frau nicht brechen und mutlos machen lassen. Er musste die noch zarte, gleichsam im Kindesalter stehende Gemeinde stützen. Hätte er sein Kommen verweigert, so wäre der Schein entstanden, als verachte er hochmütig die Brüder. Ohne Zweifel leitete ihn also ein geheimer Antrieb des Geistes, auch wenn er noch nicht wusste, ob Tabea ins Leben zurückkehren werde.
Dass alle Witwen weineten, lässt auf den Grund von Tabeas Erweckung schließen; Gott erbarmte sich der Armen und schenkte um ihrer Wünsche willen der heiligen Frau das Leben wieder. Der Hauptzweck aber war, dass Christi Herrlichkeit hell erstrahlen sollte. Gott hätte ja jene Frau einfach länger am Leben erhalten können. Auch ändert er, indem er ihr alsbald das Leben wiedergibt, seinen Plan nicht, gleichsam als hätte er etwas zu bereuen; weil aber viele Jünger noch unbefestigte Neulinge waren und einer Stärkung bedurften, soll das zweite Leben, welches Tabea empfängt, öffentlich dartun, dass Gottes Sohn der Lebensspender ist. So empfängt der Glaube an das Evangelium durch dies Wunder einen starken Antrieb zum Wachstum.
V. 40. Kniete er nieder, betete. Dieses Gebet zeigt, dass Petrus noch zweifelte, was geschehen werde. Als er den Äneas heilte, erklärte er sofort und mit voller Sicherheit: „Jesus Christus macht dich gesund.“ Aber der Geist wirkt eben verschieden und führt hier erst allmählich zu der Erkenntnis, dass Gottes Kraft das Wunder tun will. Petrus sucht nun die dem Gebet angemessene Stille und entfernt wie einst Elisa in ähnlichem Falle (2. Kön. 4, 32) alle Zeugen. Indem er noch wie zögernd sich absondert, wehrt er auch dem Aberglauben; es soll niemand das göttliche Werk seiner Kraft zuschreiben, welches er doch nur als Diener vermitteln darf. Denn wer ängstlich die Zuschauer entfernt und zum Gebet seine Zuflucht nimmt, legt damit ein klares Bekenntnis ab, dass er die Sache nicht in der Hand hat. Das Niederknien beim Gebet ist ein Zeichen der Demut und hat einen doppelten Nutzen; einmal sollen alle Teile unseres Körpers der Anbetung Gottes dienen, und die äußere Körperstellung soll unseren schwachen Geist unterstützen. Wir müssen aber darauf sehen, dass solche Sitte nicht zum trügerischen Schauspiel werde, sondern dass ihr die innere Niederwerfung des Herzens entspreche.
Und wandte sich zu dem Leichnam. Es scheint nicht ganz vernünftig, dass Petrus den empfindungslosen Leichnam anredet. Es war dies aber ein heftiger Gefühlsausbruch, zu welchem Gottes Geist ihn trieb. Diese Ausdrucksweise stellt Gottes Macht in der Totenerweckung viel anschaulicher dar, als wenn in dritter Person gesagt würde: dieser Leichnam möge wieder lebendig werden. Darum spricht auch Hesekiel (37, 4), indem er die Befreiung des Volks unter dem Bilde der Auferstehung darstellt: „Ihr verdorrten Beine, höret des Herrn Wort!“ Und Christus sagt (Joh. 5, 28): „Es kommt die Stunde, in welcher die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden.“ Es war tatsächlich Christi Stimme, die durch den Mund des Petrus erging und dem Leichnam der Tabea den Lebensodem wiedergab. Die näheren Umstände werden zur Bekräftigung des Wunders mitgeteilt.
V. 41. Endlich wiederholt Lukas, dass Tabea den Witwen lebendig dargestellt ward. Wir sehen also, dass sie mehr um anderer, als um ihretwillen erweckt ward. Für ihre Seele wäre es kaum wünschenswert gewesen, - so könnte man sagen – aus der seligen Ruhe in den Kerker des Körpers und in mühseliges Kämpfen zurückgerufen zu werden. Aber es steht dem Herrn frei, sich durch das Sterben wie durch das Leben der Seinen zu verherrlichen. Denn die sich Christus geweiht haben, haben ihn zum Gewinn im Leben wie im Sterben (Phil. 1, 21). Mit der Verherrlichung Gottes ist aber immer ein Segen für die Gläubigen verbunden; es kam ihnen zugut, dass Tabea wieder lebendig wurde, um als ein besonders in die Augen fallendes Werkzeug der Güte und Macht Gottes zu dienen.
V. 42. Viele wurden gläubig. Schon erscheint die vielfältige Frucht des Wunders; Gott hat die Armen getröstet, die Gemeinde hat eine fromme Mutter, deren Tod ein schwerer Verlust war, wieder empfangen, und viele werden zum Glauben berufen. Denn wenn Petrus auch eine so gewaltige Krafttat vermitteln durfte, so hält er doch die Menschen nicht bei sich fest, sondern leitet sie zu Christus.
V. 43. Daraus, dass Petrus bei einem Gerber wohnte, lässt sich ersehen, aus welcher Menschenklasse die Gemeinde in Joppe sich zusammensetzte. Gewiss gehörte ein Mann, dem mehrere Hausknechte zur Verfügung standen (10, 7), nicht zu den geringsten Handwerkern, sondern zum Handel treibenden, behäbigen Mittelstand. Aber die Patrizier in der Stadt hatten sich nicht zu Christus bekehrt; sicherlich hätte sonst einer von ihnen den Petrus als einen Apostel Christi beherbergt. Indem also der Herr seine Gemeinde hin und her aus den gewöhnlichen Leuten sammelte, schlug er die hohen Ansprüche des Fleisches nieder. Bei Petrus ist es zugleich ein Zeichen der Leutseligkeit, dass er nicht verschmäht, bei einem Menschen dieser Klasse zu Gaste zu sein.

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