Burger, Carl Heinrich August von - Neunzehnte Predigt. Am achtzehnten Sonntag p. Trin. 1856.

Burger, Carl Heinrich August von - Neunzehnte Predigt. Am achtzehnten Sonntag p. Trin. 1856.

Text: Apost, Gesch. 23, 1-11.
Paulus aber sahe den Rath an und sprach: Ihr Männer, lieben Brüder, ich habe mit allem guten Gewissen gewandelt vor Gott bis aus diesen Tag. Der Hohepriester aber, Ananias, befahl denen, die um ihn standen, daß sie ihn aufs Maul schlügen. Da sprach Paulus zu ihm: Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand; sitzest du, und richtest mich nach dem Gesetz und heißest mich schlagen wider das Gesetz? Die aber umher standen, sprachen: Schiltst du den Hohenpriester Gottes? Und Paulus sprach: Lieben Brüder, ich wußte es nicht, daß es der Hohepriester war. Denn es stehet geschrieben: Dem Obersten deines Volkes sollst du nicht fluchen. Als aber Paulus wußte, daß ein Theil Sadducäer war, und der andre Theil Pharisäer, rief er im Rath: Ihr Männer, lieben Brüder, ich bin ein Pharisäer, und eines Pharisäers Sohn; ich werbe angeklagt um der Hoffnung und Auferstehung willen der Todten. Da er aber das sagte, ward ein Aufruhr unter den Pharisäern und Sadducäer, und die Menge zerspaltete sich. Denn die Sadducäer sagen, es sei keine Auferstehung, noch Engel, noch Geist, und die Pharisäer bekennen beides. Es ward aber ein großes Geschrei. Und die Schriftgelehrten, der Pharisäer Theil, standen auf, stritten und sprachen: Wir finden nichts Arges an diesem Menschen; hat aber ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet, so können wir mit Gott nicht streiten. Da aber der Aufruhr groß ward, besorgte sich der oberste Hauptmann, sie möchten Paulum zerreißen, und hieß das Kriegsvolk hinabgehen, und ihn von ihnen reißen und in das Lager führen. Des andern Tages aber in der Nacht stand der Herr bei ihm und sprach: Sei getrost, Paule; denn wie du von mir zu Jerusalem gezeuget hast, also mußt du auch zu Rom zeugen.

„Alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit“ (2. Tim. 3,16.), so schreibt der Apostel zunächst in Bezug auf die damals schon längst gesammelten Bücher des alten Testamentes. Sollte dies Wort nicht eben so, ja noch viel mehr von denen des neuen Testamentes gelten? So wird auch das Stück heiliger Schrift, das heute nach der Reihenfolge unsrer Texte aus den Geschichten der Apostel unserer Betrachtung vorliegt, uns den gleichen Segen bieten durch die Gnade unseres Gottes; darum weiche ich ihm nicht aus, nachdem es für diesen Tag gerade trifft; schenket ihm eure Aufmerksamkeit, und mir verleihe Gott, daß ich den rechten Gebrauch zur Lehre und zur Strafe und zur Besserung euch davon zeigen möge.

Wir finden in demselben den Apostel Paulus als Gefangnen stehend vor dem obersten Gerichte seines Volkes, Was ihm der Geist der Weissagung sowohl durch seine eigene Erleuchtung hatte wissen lassen, als durch den Mund von Propheten in den christlichen Gemeinden, über die ihn sein Weg nach Jerusalem geführt hatte, das war daselbst erfüllt worden nicht lange nach seiner Ankunft. Seine Feinde unter den Juden hatten ihn erkannt, und in dem wüthenden Auflauf des Volkes, den sie wider ihn alsbald erregten, schwebte sein Leben in der äußersten Gefahr. Es wurde nur gerettet durch das eilige Einschreiten eines Theils der römischen Besatzung, die ihn gefangen nahm, und deren Oberster ihn nun vor das Gericht des hohen Rathes stellte, damit er hier verhört und nach Recht und Gesetz ein Urtheil über ihn gesprochen werde. Denn er war nicht gemeint ihn seinem ordentlichen Richter zu entziehen; nur aus den Händen eines zügellosen Pöbels wollte er und sollte er ihn nach Vorsehung Gottes reißen. Was sich nun in dem hohen Rath mit Paulo und um ihn her begeben hat, das führt uns unser Text vor Augen. Der Eindruck aber, den die Gesammtheit des Erzählten macht, gibt die unzweifelhafte Ueberzeugung: Israels Maaß war voll.

Wie sich das zeigt in der Geschichte unsers Textes, lasset uns zuerst betrachten. Was es uns für uns selber zu bedenken gibt, das wollen wir nicht übersehen, sondern wohl zu Herzen nehmen.

Du selbst, Herr, öffne uns die Augen, daß wir nicht in gleiche Blindheit fallen. Zeige uns Deine Wahrheit und Gerechtigkeit, wie sie an Deinen Feinden und an Deinen Freunden sich bewähret, und hilf, daß wir uns selber richten, ehe wir gerichtet werden; daß wix uns weisen lassen, bevor Dein Zorn entbrennt und wir umkommen auf dem Wege. Warnung und Trost gib uns aus Deinem Wort, und leite uns den sichern Weg des Friedens unter all dem Streit und Hader, der die Welt entzweiet. Amen.

I.

Daß das Maaß der Verschuldung Israels nun voll war, das zeigt sich in den Vorgängen, welche unser Text berichtet, aus mehrfache Weise. Vor allem ist dafür bezeichnend das Verhalten des Apostels Paulus. Man hat es oft in Anspruch nehmen wollen, um ihn deßhalb anzuklagen. Daß er herausfährt gegen den Hohenpriester: „Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand,“ und dann entschuldigend sagt: „Ich wußte nicht, daß es der Hohepriester ist,“ fand man theils leidenschaftlich, theils unaufrichtig; und daß er vollends die Untersuchung seiner Sache ablenkt und verwirrt durch seinen Ausruf: „Ich bin ein Pharisäer und eines Pharisäers Sohn; ich werde angeklagt um der Hoffnung und Auferstehung willen der Todten!“ das erklärte man geradezu für einen Kunstgriff, der einer gewandten Ausflucht ähnlicher sei als einem offenen Bekenntniß. Wir wollen uns nicht darauf einlassen Aufbürdungen zu widerlegen, die des Apostels ganzes Leben und seine Treue bis zum Tode ohnehin zurückweist. Auch tadelt sein Herr ihn nicht über sein Verhalten, sondern spricht ihm vielmehr noch am Abende desselben Tages Trost zu. Wer gibt uns das Recht, Seinen Knecht zu richten, dem wir die Schuhriemen nicht lösen mögen? Aber etwas anderes entnehmen wir aus der Art, wie Paulus dem hohen Rathe Antwort gibt und Rede stehet. Er hat mit aller Offenheit und Freudigkeit begonnen das Zeugniß seiner Unschuld ihnen darzulegen, da er anhub: „Ihr Männer, lieben Brüder, ich habe mit allem guten Gewissen gewandelt vor Gott bis diesen Tag.“ Da wird er unterbrochen durch den Befehl des Vorsitzenden im hohen Rathe, ihn aus das Maul zu schlagen. So übt das höchste geistliche Gericht in Israel sein Richteramt; so verhört man dort die Verklagten. Und wenn nun Paulus ausbricht in die Worte: „Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Sitzest du und richtest mich nach dem Gesetz, und heißest mich schlagen wider das Gesetz?“ so ist das allerdings im Eifer und im Zorn gesprochen, aber wahrlich nicht in einem ungerechten, nicht mit der Leidenschaft, die lediglich gereizt ist durch die persönliche Kränkung und erfahrne eigne Unbill, sondern in nur zu wohl begründeter Entrüstung über die nichtswürdige Heuchelei und die entschlossene, nicht einmal verdeckte Bosheit, die hier geübt wird von dem, der Anspruch darauf macht zu sitzen auf dem Stuhle Mosis. Allerdings trägt die Antwort Pauli einen anderen Charakter, als die der Herr selbst einst bei ähnlichem, immerhin nicht gleichem Anlaß vor Caiphas gegeben hatte (Joh. 18, 22. 23). Aber dafür war Jesus auch das Eine heilige unschuldige Lamm Gottes, das zur Schlachtbank eben hingeführt ward, und dessen Werk und Beruf im Stillesein und Leiden damals aufging. Dagegen Paulum sehen wir ergriffen von dem Eifer des Propheten, der in Pinehas und Elias und Elisa und so vielen andern Zeugen Gottes flammte, die zu ihren Zeiten Könige und Priester straften, wenn sie der Geist des Herrn dazu antrieb. Sein Wort blieb auch in Kraft, die Schläge Gottes säumten nicht es zu vollziehen. Aber daß er den Mann, den er strafte, nicht persönlich kannte, und bei der eingerissenen Unordnung jener Tage auch aus seinem Vorsitz nicht sofort auf den Rang, den er bekleide, schließen konnte, das dürfen wir ihm glauben. An dem wenigstens, was er gehört hatte und was ihm widerfahren war, konnte er den Hohenpriester Gottes wahrlich nicht erkennen. Aber das stand nun klar vor seinem Geiste, welch eine Stunde für Israel geschlagen hatte, und daß mit diesem Volk und Geschlecht die Langmuth Gottes zu Ende ging. Darum gedachte er der Worte seines Herrn: „Ihr sollt das Heiligthum nicht den Hunden geben und eure Perlen nicht vor die Säue werfen, auf daß sie nicht dieselbigen zertreten mit ihren Füßen“ (Matth. 7, 6). Zu einem Zeugniß des Evangeliums vor solchen Ohren war nicht mehr Raum. Es ist keine Ausflucht, kein furchtsames Zurückweichen vor dem offenen freimütigen Bekenntnisse der ganzen Wahrheit, wenn er nur das heraushebt, was in solcher Umgebung noch allein am Platz war, und mit der Berufung auf die Schule und Partei, der er selbst durch Geburt und Ueberzeugung angehört hatte, und deren richtige Behauptungen noch heute auch die seinen waren, den Zankapfel in die Mitte seiner unwürdigen Richter wirft, den sie aufgreifen und im Hader darum ihre Blindheit selber offenbaren. Aus diesem Gesichtspunkt will das Verhalten des Apostels betrachtet sein. Es ist ein Zeichen des Gerichtes für dieses Volk. Sie sind des Segens nicht mehr werth, so sollen sie den Fluch anziehen wie ein Hemd und selbst sich damit überkleiden (Ps. 109, 17. 18). Gott hat sie bereits preis gegeben, das sieht der Apostel; so mögen sie nun ernten, was sie ausgesäet haben. Für sie ist das Wort von der Gnade und Erbarmung Gottes in Christo Jesu nicht mehr vorhanden. Die Ehrfurcht selbst vor diesem theuern ihm vertrauten Kleinod verbietet dem Apostel, es hier bloß zu legen. Der Entweihung des Evangeliums vor solchen Ohren geht er aus dem Wege, nicht dem Bekenntniß dazu, und darum hören sie aus seinem Munde nur, was Verwirrung bringt in ihren Rath und ihren eigenen Zwiespalt offen darlegt.

Denn die Wirkung, welche der Ausruf des Apostels hat, ist ein weiteres Zeichen, daß seine Richter und Verkläger reif sind zum Gerichte. Kaum hat er das Wort gesagt: „Ich bin ein Pharisäer, eines Pharisäers Sohn; um der Hoffnung und Auferstehung der Todten willen werde ich verklaget!“ so ist der Chor der Richter selbst zertrennet. So tief sitzt Haß und Zwiespalt zwischen ihnen selber, daß er für einen Augenblick die Feindschaft überwiegt und zurückdrängt, die sie alle gegen den Apostel Christi haben. In heftigem Zank erheben sich die Pharisäer im hohen Rathe gegen die Partei der Sadducäer, die mit ihnen Sitz und Stimme darin theilen. Ihr Streit nimmt überhand; in tobendem Lärm wird der Satz verfochten, ob eine Auferstehung sei, ob ein vom Tod Erstandener mit Paulus geredet haben könne. Der Gerichtssaal wird zur Stätte wilden Aufruhrs, die Richter zu einem losgelassenen Haufen, wo einer mit wahnsinnigem Geschrei den andern überbietet; so daß der Hauptmann besorgt um Pauli Leben die Kriegsknechte in den Saal schickt und ihn greifen läßt und zurück in's Lager führen. - Das waren die Obersten in Israel; so pflegten sie des Rechtes; so mußte der Heide seinen Arm dazwischen legen, um das äußerste des Frevels zu verhüten, daß sie als Opfer ihres Streites Pallium unter sich zerreißen. „Wo aber ein Aas ist, da sammeln sich die Adler“ (Matth. 24, 28). Zum Aase war Volk und Staat in Israel geworden, und der Adler schwebt schon über seinen. Fraße. Das läßt uns die Geschichte unsers Textes schauen, und darum ist sie uns aufbehalten worden; dieß ist der Zweck, weßhalb der h. Geist das Gedächtniß dieses Vorgangs nicht hat verlöschen, sondern es in Schrift verfassen lassen, damit es zum Denkmal und zum Warnungszeichen stehen bleibe für alle spätern Zeiten und Geschlechter.

Aber auch die Bestätigung des Herrn selbst fehlt nicht unserer Deutung. Denn in der folgenden Nacht stand der Herr bei dem Apostel und sprach: „Sei getrost, Paule, denn wie du von mir zu Jerusalem gezeugt hast, so mußt du auch zu Rom zeugen.“ Er gibt damit Seinem Knechte die Stärkung, deren er bedurfte nach den Auftritten, wie er sie erlebt hat, und für die Proben, die er noch bestehen sollte. Aber zugleich ist darin ausgesprochen, daß nun die Zeit Jerusalems vorbei sei. Von Zion sollte das Gesetz aufgehen und des Herren Wort von Jerusalem. So stand geschrieben (Jes. 2,3.), und so ist's geschehen; nun aber war die Zeit gekommen, daß das Reich Gottes von Israel genommen und den Heiden gegeben werden sollte. Deß zum Wahrzeichen sollte Paulus in Rom selber, in der Hauptstadt der Heidenwelt von damals, das Panier des Kreuzes pflanzen, und bis ihm das gelungen sein werde, sollte er sich gedeckt erachten wider alle Macht und List und allen Uebermuth der Feinde. Das war ihm hiemit zugesagt, und die Erfüllung, ob auch aus wundersamem Wege, hat doch nicht gefehlt. Wie der Prophet Ezechiel einst im Gesicht (11,23) die Herrlichkeit des Herrn sich erheben und wegziehen sah von der Stätte des entweihten Tempels, bevor er in die Hand der Babylonier gegeben wurde, so wendet sich das Zeugnis; Christi, mit dem der Herr ist und Sein Geist, jetzt ab von dem verstockten Ueberrest des alten Bundesvolkes, und baut dem Gotte Abrahams, Isaaks und Jakobs einen neuen Tempel aus den Schaaren der Völker, welche in dem Namen Jesu ihre Kniee beugen, und deren Mittelpunkt die Weltstadt Rom war, das Ziel der Wünsche Pauli und die letzte Stätte seiner Wirksamkeit in der Zeit seines Laufs auf Erden. So stellt uns unser Text in ernsten Zügen die nahende Erfüllung des Gerichtes vor die Augen, das der Herr in Gleichnissen und ohne Bild oft Seinem Volke vorgehalten hatte; sie ließen sich nicht warnen; so ist's denn geschehen nach Seinem Wort. Was noch von Lebenskräften sich bei ihnen regte, das ist vergleichbar dem Nagen der Würmer, die in dem erstorbenen Leib noch einen Rest von Thätigkeit bewahren; aber sie dient nur dazu, die Hülle vollends zu zerstören, aus der der Geist entflohen ist. In wildem Hader, in maaßlosem Grimme, in verstockter Blindheit arbeiten sie an ihrem eignen Untergange; aber über den Schrecken des Gerichtes, welches sie verzehret, triumphiert das Werk der Gnade, und ziehet seine sichern Bahnen fort von Land zu Land und Volk zu Volk entgegen der Verheißung des Propheten, daß noch die Erde bedeckt werden soll von Erkenntniß des Herrn wie von Meerestiefen (Habak. 2,14).

II.

Dieß die Geschichte unseres Textes und ihre Deutung. Nun laßt uns aber weiter hören, was sie uns zu bedenken gibt zu unserm Trost und unsrer Warnung.

Vor allem zieht wieder der Apostel Paulus unsre Aufmerksamkeit auf sich. Es ist kein Kleines, unter solchen Stürmen von Wuthgeschrei und körperlichem Angriff und in augenblicklicher Gefahr des Todes, wie sie Paulus am Tage vorher und abermals vor dem Gericht des hohen Rathes zu bestehen hatte, den unerschütterten gefaßten Muth und die furchtlose Besonnenheit und Sicherheit der Haltung zu behaupten, die wir bei ihm nur durch die Aufwallung des Eifers unterbrochen sehen, da ihn der heilige Unwille fortriß auszusprechen, was scharf war, aber höchst gerecht. Allerdings genoß er zu dieser Aufgabe den Segen der Verheißung: „Wenn sie euch überantworten werden, so sorget nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zur Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt“ (Matth. 10,19). Aber daß er vermochte der Aufforderung des Herrn nachzukommen und in Wahrheit nicht zu sorgen, sondern des verheißenen Beistandes sich mit ungehemmter Freudigkeit und Freiheit zu bedienen, das verdankt er der Gewißheit von seinem göttlichen Berufe und der ununterbrochenen Gemeinschaft des Geistes mit dem Herrn, die ihn auch in den Stunden äußerster Verwirrung und Bedrängniß nicht einen Augenblick verließ. Dies aber weiset uns hin zu der Quelle, aus der auch für uns Kraft und Friede, Besonnenheit und Gleichmuth in den schwersten Lagen, Hoffnung und Zuversicht fließt, wo kein irdischer Schutz oder Anhalt, wie er heißen mag, mehr fest steht. Es ist nicht so leicht, sich des göttlichen Schutzes auf dunkeln Wegen wahrhaft zu getrösten, als es leicht ist, die Forderung zu stellen und darüber schön und gut zu sprechen; wenigstens zeigt die Erfahrung, daß sehr oft es die nicht können, die in ruhiger Zeit und guten Tagen häufig davon reden. Denn es gehört dazu vor allem ein in Gottes Frieden gefaßtes und getrostes Herz, das man nicht in den Tagen des Ungemachs erst gewinnt, wo Furcht und Sorge schon den schwachen Geist bestürmen; sondern das erlangt wird und bewahrt durch tägliche Herzensbuße und gläubige Hingabe an den Herrn, durch rechtschaffne Selbstzucht und durch Uebung des Gebets zu allen Zeiten. Man muß den Herren Jesum kennen; dann sieht man Ihn auch sich zur Seite stehen und vermag sich Seiner lichten Herrlichkeit zu trösten ohne Zagen im Sturm und Drang der Welt, in Noth und in Gefahr des Todes. Aber ob wir Ihn kennen, ob wir Ihm durch den Glauben in Sein priesterliches Herz geschaut, ob wir zu Seinen Füßen Frieden und in Seinem Namen Heil gefunden haben, das laßt uns alle wohl bedenken. Die trügerische Zuversicht auf Fleisch und Blut, auf menschliche Einrichtungen und Stützen, auf das Beispiel der Menge, auf die Billigung der Großen, auf die Zusagen vielleicht gleich uns bethörter Führer, seien es Priester oder Laien, ist eitel und verfliegt im Feuer ernster Proben. Nur Jesus Christus hält uns Stand, Er selbst allein, und bleibet treu in Zeit und Ewigkeit dem, welcher Sein gewiß geworden ist aus Seinem Wort und Sakramente, und hat nicht abgelassen mit Gebet und Forschen und mit Demuth des Gehorsams und des Hoffens, bis er im Acker diesen Schatz gefunden, bis er die Perle überkommen hat, die Alles aufwiegt, die trostvolle Sicherheit: der Herr ist mein und ich bin Sein; uns kann nicht Tod noch Leben scheiden. Mit ihr gerüstet sehen wir den Apostel allen Feinden überlegen; sie ist das sichre Unterpfand des Sieges auch im Unterliegen; sie ist des Christen eigentliches Theil, was ihn zum Christen macht. Dem trachtet nach, und gebt euch nicht zur Ruhe, bis ihr es erreichet.

Vergleichet mit dieser Sicherheit und Festigkeit der Haltung, wie sie ein Paulus hat in seinem Gott und Herrn, die blinde Wuth und den ohnmächtigen Zorn, welcher um ihn her tobt. Sie können kein Haar ihm krümmen ohne seines Gottes Willen; aber an ihnen offenbart sich durch sie selber Sein Gericht. Ihr Zorn ist Zeuge wider sie, und ihre Verstocktheit steigert sich zum Wahnsinn, der Freund und Feind nicht mehr vermag zu unterscheiden. Aber nehmet darauf eine Warnung an. Der Herr hat Seiner Kirche nicht bloß Friede verheißen; Er hat ihr auch Kampf und Streit vorausgesagt, und Kampf und Streit ist um sie her gewesen, seitdem sie bestehet. Aber sie führet ihn im Frieden; denn ihres Theils ist sie gewiß. Darum hat sie nicht erst zu streiten, daß sie es gewinne, nur abzuwehren, was ihren Frieden anficht oder untergräbt. So lange sie das thut von der festen Burg des eignen wohl verwahrten Besitzes aus, so lange sie kämpft Christum im Herzen, in der Furcht Gottes und in der Kraft Seines Geistes: so lauge wird auch ihr Streit geführt mit Maaß und Frucht. Er ist kein Zanken um das Rechte, sondern ein Bezeugen der Wahrheit und des Rechtes, welches über allem Zweifel fest steht. Durch solches Zeugniß haben die Apostel und Märtyrer die Welt besiegt; durch solches Zeugniß haben die Reformatoren einen neuen Tag heraufgeführt über die Kirche, deren Lichtlein nur noch düster brannte und dem Verlöschen nahe war. Aber wenn sich die Gemüther erhitzen und nicht mehr die Ehre Christi sondern unter Seinem Namen ihre eigne suchen; wenn der Streit zur Hauptsache wird und das Bekenntniß Christi nur der Aushängeschild, die eigne Leidenschaftlichkeit zu decken; ja wenn die Kämpfer endlich Christum selbst nicht mehr im Herzen tragen, sondern fechten nur noch darum, ob sie Recht haben oder ihre Gegner: dann tritt der Zustand ein, den unser Text uns vormalt in dem Streit der Pharisäer und der Sadducäer. Der Herr ist beiden fremd und erkennt die einen so wenig an als die andern; ob Worte der Wahrheit noch in ihrem Munde sind oder nicht, macht keinen Unterschied mehr zwischen ihnen; sie zanken um die leere Schale und zerreißen unter sich die Hülfen; das Kleinod, das darin lag, ist hinweg, und ob sie das letzte Wort behalten oder im Streit unterliegen, ist für sie gleichviel; denn der Preis des Sieges, das ewige Leben und der Seele Seligkeit, ist doch für sie verloren. Lasset uns das wohl zu Herzen nehmen in einer Zeit, wo wieder viel gestritten und geeifert wird, in einer Zeit, wo ernste Heimsuchungen Gottes Seinem Weinberg drohen und der Herr Seine Tenne fegen will. „Die Frucht der Gerechtigkeit wird gesäet in Frieden denen, die den Frieden halten“ (Jac. 3,18), ich meine vor Allem den Frieden, den das Herz in seinem Gott hat, und der nicht aus dem Zank und Streit kommt, sondern aus der Buße des Herzens und der Demuth des Vertrauens zu Seiner Gnade, der aus den Sündern Gottes Kinder macht und Sich in ihnen kund gibt im sanftmüthigen und stillen Geiste. Schaffet, daß ihr das Zeugniß dieses Geistes nicht verlieret; damit werdet ihr die Welt besiegen und vor ihrem Angriff wohl bestehen.

„Denn es müssen doch alle Reiche der Well des Herrn und Seines Christus werden“ (Offenb. Joh. 11, 15). Mit diesem Zeugniß lasset uns die heutige Betrachtung schließen. Israels Abfall hat den Siegesgang des Herrn nicht ausgehalten; der Abfall großer Schaaren der heutigen Christenheit wird es auch nicht vermögen. Aus ihrem Gerichte wird der Herr Sich Stufen neuer größerer Herrlichkeit erbauen, und der Abend nach dem oft umwölkten Tage der Arbeit und der Kampfesmühe wird licht sein (Sachar. 14, 7). Es darf uns nicht schrecken, wenn der Glaube und das Gebet und die Selbstverläugnung ächter Liebe aus dem öffentlichen Treiben und der äußeren Gestalt des Lebens mehr und mehr zurückweicht; wenn der Gott dieser Well mit Seinen Lockungen des Mammons und der Habgier, der fleischlichen Genußsucht, Hoffarth und Ausgelassenheit die Massen immer mehr umstrickt, sie trunken macht und in sein Netz zieht. Es muß also geschehen, wie würde sonst die Schrift erfüllt! Erst kommt der Abfall, darnach das Gericht, und im Gericht die Herrlichkeit des Herrn, der uns verheißen hat den neuen Himmel und die neue Erde, darin Gerechtigkeit wohnt (2. Petr. 3, 13). Aber unsre Sache ist es, Seiner Gerechtigkeit zu harren unverrückt, in gefaßter Hoffnung, in gewissem Glauben, in unermüdlicher und unverzagter Liebe mit Geduld. Mit so viel Siegen hat der Herr uns Seine Macht bereits bestätigt, daß nicht erlaubt ist an den ferneren zu zweifeln bis zum letzten; und wer in Christo seinem Herren lebt, der hat bereits gesiegt; ihm thut nur noch das leichtre noth, zu halten, was er hat, daß Niemand seine Krone nehme. Amen.

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