Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 26. Predigt.

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 26. Predigt.

Text: Matth. VII:, V. 6.

Ihr sollt das Heiligthum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen, und sich wenden und euch zerreißen.

Der dritte Theil der Bergpredigt, oder das siebente Kapitel Matthäi, beschäftigt sich mit Warnungen vor gewissen Fehlern und Sünden, die im Stande der Gnade die Jünger des Herrn leicht zu beschleichen pflegen, und um so nachtheiliger wirken, je größer ihr Einfluß ist auf die Welt. Der erste Fehler war das Richten Anderer: wir haben ihn vor acht Tagen erwogen. Der zweite ist die Bekehrungssucht: von diesem redet der Herr im heutigen Texte. Es ist demnach an uns, auf das, was Er uns sagt, aufmerksam zu hören, und das Gehörte dann zu beherzigen und zu befolgen. Laßt uns, um die Bekehrungssucht von allen Seiten zu beleuchten, 1) ihre gute, und 2) ihre verwerfliche Seite kennen lernen.

I.

Wie an jedem Bösen sich etwas Gutes findet und jedes Böse irgend ein Gutes voraussetzt, so ist es auch bei der Bekehrungssucht; denn sie ist ein Fehler der gläubigen Kinder Gottes und findet sich in der Welt nicht. Das Gute nämlich an ihr ist das Bekennen.

Kein wahres Christenthum ist denkbar, meine Lieben, ohne Bekenntniß. Letzteres ist schlechterdings nothwendig und unerläßlich. Der Herr verlangt es ausdrücklich. Er erklärt: „Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich wieder bekennen vor meinem himmlischen Vater!“ (Matth. 10,33.) und der Apostel Paulus schreibt an die Römer: „So man von Herzen gläubet, so wird man gerecht, und so man mit dem Munde bekennet, so wird man selig.“ (Röm. 10,17.) Deßhalb fragte Jesus auch oft die Jünger: „Wer sagen denn die Leute, daß des Menschen Sohn sei?“ und als einmal Petrus im Namen Aller Ihm antwortete: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ entgegnete Er: „Selig bist du, Simon, Jonas Sohn, denn das hat dir nicht Fleisch und Blut geoffenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ Deßhalb beorderte Er sie am Himmelfahrtstage, Seine Zeugen zu sein in Judäa, Samaria, und bis an das Ende der Erden. Es ist Ihm also keineswegs genug, daß wir Ihn kennen lernen, daß wir an Ihn glauben, daß wir Ihn lieben, daß wir Ihm folgen, daß wir das Herz an Ihn hängen, daß wir Ihn unser Eins und Alles, die Wonne unseres Lebens und die Sonne unseres Sterbens sein lassen, - Er will auch von uns bekannt sein, die Welt soll es auch wissen, daß wir Seine Jünger sind und Ihm angehören, versteckte Schüler und stumme Bekenner mag Er nicht haben, das Zeugniß von Ihm soll die Hauptoffenbarungsweise unseres Glaubens ausmachen. Wenn Er auch mit dem bloßen Lippenbekenntniß nicht zufrieden ist (Matth. 7,21.), so verschmäht Er doch keineswegs das rechte, lebendige und seelenvolle Herr Herr Sagen. – Aber nicht nur nothwendig ist das Bekenntniß Jesu Christi im Christenthume, es ist auch natürlich, es ist ein wahres Bedürfniß unserer Herzen, sobald sie den Herrn der Herrlichkeit einmal kennen gelernt und an sich selbst erfahren haben. Denn weß das Herz voll ist, davon muß der Mund übergehen; es würde uns die Brust zersprengen, wenn wir schweigen müßten. Als man den Aposteln gebot, sie sollten allerdinge nicht mehr reden von dem Namen Jesu Christi, antworteten sie fest und bestimmt: „Wir können’s ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört haben.“ Angeboren ist jedem Menschen das Bedürfniß, sich mitzutheilen und seine Gedanken und Erfahrungen gegen die Gedanken und Erfahrungen Anderer auszutauschen; aber namentlich ist der Glaube ein Licht, das da leuchten, ein Feuer, das da wärmen, eine Kraft, die da wirken, ein Saame, der da aufgehen und Früchte tragen muß. Der Glaube spricht: „Ich glaube; darum rede ich.“ Das Leben des Glaubens ist ein Ganzes; Inneres und Aeußeres, Ueberzeugung und Wort, Gesinnung und That müssen miteinander übereinstimmen, und es läßt sich ein Widerspruch Beider, so daß man mit dem Munde bekennt und mit dem Herzen verläugnet, oder so, daß man mit dem Herzen bekennt und mit dem Munde verläugnet, nur denken im Falle der schnödesten Heuchelei. – Endlich ist ein solch’ Bekenntniß jederzeit heilbringend für uns, wie für ‚Andere. Oder, sagt selbst, war es nicht der seligste Tag eurer Kindheit, als ihr am Tage eurer Confirmation, mitten in der Gemeinde des Herrn, vor dem Altare Jesu Christi und in Gegenwart der Eurigen euer Glaubensbekenntniß öffentlich ablegtet und es Allen bezeugtet, daß ihr es für das größte Glück eures Lebens hieltet, Christen zu sein? Und sind es nicht immer noch die seligsten Stunden, wenn es euch vergönnt wird, mit einer Seele, die euch versteht, die innersten Geheimnisse eures Glaubens zu besprechen? Fließen da nicht noch immer eure Herzen ineinander über, und fühlt ihr in solchen Stunden nicht den Vorschmack der Ewigkeit? sind das nicht Stunden für die Ewigkeit gelebt? Und wäre je die Kirche wohl auf Erden gegründet worden ohne das Bekenntniß der Apostel? wäre die Kirche verbreitet worden ohne das zeugende Blut der Märtyrer? wäre die Kirche gereinigt worden ohne das laute und kräftige Wort der Reformatoren? Ja, würde heute noch die Kirche wachsen und blühen, wenn die Glieder derselbigen schweigen, das heißt verläugnen wollten, wenn kein Gottesdienst, kein Gebet, kein Sacrament, keine Predigt mehr gehalten, wenn der Name und der Geist Christi nicht mehr den Familien und Staaten auf- und eingeprägt würde? Und wie wirksam wird erst einst in der Ewigkeit solch’ Bekenntniß werden! Wer hier Jesum bekennt, den will Er ja einst wieder bekennen vor Seinem himmlischen Vater. Dort vor jenem Throne, auf welchem die entscheidenden Loose fallen, wo über das Leben und Thun der Menschen wird Gericht gehalten werden, wo der Donnerruf zur Linken ertönen wird: „Gehet hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist den Teufeln und seinen Engeln!“ werden die gläubigen Bekenner stehen in froher Ueberraschung, wenn nun Christus, ihr Leben, offenbar werden wird und sie mit Ihm offenbar werden in der Herrlichkeit, und ihre Namen aus dem Buche des Lebens werden verlesen und vor der ganzen Welt genannt werden, und alle Anklagen verstummen, weil nichts Verdammliches ist in denen, die in Christo Jesu sind. Dann wird es heißen: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt. Ihr seid über Wenigem getreu gewesen, ich will euch über Viel setzen, gehet ein zu eures Herrn Freude.“ Selig daher Jeder, der seinen Herzensglauben krönt und zieret durch Bekenntniß seines Mundes, und in solchem Bekenntniß sich nicht irre machen läßt durch die Abneigung und den Spott der Welt! – Es ist doch jedenfalls besser, bekennen, als schweigen; Bekennen ist Leben, Schweigen ist der Tod. Es ist doch keineswegs edel und ehrenwerth, wenn ein Christ aus Menschenfurcht und Menschengefälligkeit den Name Jesu Christi und Seine himmlische Wahrheit zu umgehen, zu verhüllen und den Vorstellungen der Welt anzubequemen sucht; oder wenn er, sobald es ihm Nachtheil bringen könnte, seinen Glauben zu bekenne, sich lieber Jesu Christi schämt, schüchtern und blöde vom Evangelio redet, sich fürchtet, das Gespräch auf Gottes Wort zu leiten, bei den Frommen fromm, bei den Gottlosen gottlos ist. Das heißt, dem Wohlgefallen Christi die Gunst der Welt vorziehen, und die Ehre bei Menschen lieber haben, als die Ehre bei Gott. Wer wahrhaft den Herrn Jesum Christum lieb hat und wünscht, daß Er ihn einst für den Seinen anerkennen soll, der wird und muß die Tugenden Dessen verkündigen, welcher ihn berufen hat von der Finsterniß zu Seinem wunderbaren Lichte. Und das ist eben das Gute, ja das Herrliche an der Bekehrungssucht, daß sie es keinen Hehl hat, jedermann unumwunden und geradezu zu gestehen, zu welcher Fahne sie geschworen hat und unter welchem Panier sie lebenslang kämpfen will.

Doch nicht nur treue Liebe zum Herrn setzt die Bekehrungssucht voraus, sie verknüpft sich auch jederzeit mit reger Liebe zu den Brüdern. Was ist es denn, meine Geliebten, das sie beabsichtigt mit ihrem Reden und Zeugen? Sie will bekehren, sie will unsterbliche Seelen retten, sie will einen Brand aus dem Feuer reißen, der sonst rettungslos verloren ist, sie will den Himmel wo möglich reicher machen an Heiligen und Seligen. Gelesen hat sie in der Schrift: „So Jemand unter euch irren würde von der Wahrheit, und Jemand bekehrete ihn, der soll wissen, daß wer den Sünder bekehret hat von dem Irrthum seines Weges, der hat einer Seele vom Tode geholfen, und wird bedecken die Menge der Sünden.“ (Jac. 5,19.20.) Das ist ihr genug, und nun scheut sie keine Mühen, keine Verkennungen und Verläumdungen, keine Zeit und keine Opfer, um das Heiligthum, in das sie eingetreten ist, und die Perle, die sie gewonnen hat, auch Andern zugänglich zu machen. Gesundheit, Schlaf, Hab’ und Gut, Ruf und Ehre, selbst das Leben setzt sie ein, daß nur jener hocherhabene Zweck erreicht werde. Sehet, wie ihr Auge funkelt, wie ihr Angesicht glüht, wie ihr Blut wallt, wie ihr Mund überfließt, und ihr ganzes Bestreben darauf gerichtet ist, Glück und Seligkeit um sich her zu verbreiten. Wahrlich, wie groß die Verkehrtheit der Bekehrungssucht sein mag, das Gute muß auch der Feind ihr zugestehen: sie geht aus einer guten Triebfeder hervor, sie setzt Beides: Liebe zum Herrn und Liebe zu den Brüdern, voraus; das Wesentliche, die Sache, ist etwas Gutes, und sie ist nur möglich bei einem gläubigen, wiedergeborenen Jünger des Herrn.

II.

Nichtsdestoweniger ist die Bekehrungssucht, wie jede Sucht, etwas Verwerfliches, ja höchst Gefährliches. Sowohl die Art und Weise, wie sie auftritt, als der Herzenszustand, aus dem sie entspringt, als die Folgen, die sie nach sich zieht, machen ihr Erscheinen im höchsten Grade bedenklich.

Die Art und Weise ihres Erscheinens. Denn, m. Br., welchen Personen theilt sie die innersten Erfahrungen der göttlichen Gnade, das Heiligthum des Evangeliums und die köstliche Perle des Reiches Gottes mit? Der Herr sagt: “Ihr sollt das Heiligthum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen!“ das heißt also: ihr sollt das Heilige nicht denen geben, die dessen nicht werth sind und deren innere Beschaffenheit eine gesegnete Aufnahme nicht zuläßt, die vielmehr den dargereichten Schatz verachten und vernichten durch Leichtsinn und durch Spott. Was sollte solchen Menschen das Kleinod des Evangeliums? Weit entfernt, daß es Eingang fände in ihr Herz, würde es nur von ihnen verlästert und mit Füßen getreten werden. „Aber woher können wir denn immer wissen,“ möchtet ihr einwenden, „wer zu solchen unwürdigen Personen gehört? hat doch der Herr die Zöllner und die Sünder gesucht, und ihnen gepredigt! und wäre es nicht doch möglich, daß ein ernstes Wort ihr eiskaltes Herz ergriffe und ihnen der Anfangspunkt würde eines neuen, frischen Lebens in Gott?“ Wenn die Besorgniß, daß unser gutgemeintes Wort schlecht aufgenommen und verspottet werden könnte, uns abhalten sollte, den Gefallenen nachzugehen und die Verirrten zurückzurufen: dann dürfte ja eigentlich kein Prediger mehr Buße predigen, kein Lehrer und Vater mehr seine abtrünnigen Schüler und Kinder warnen und ermahnen; und wo bliebe dann das Wort des Herrn: „Wenn ich dem Gottlosen sage: Du mußt des Todes sterben, und du warnest ihn nicht und sagst es ihm nicht, damit sich der Gottlose vor seinem gottlosen Wesen hüte, auf daß er lebendig bleibe: so wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben; aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern?“ (Ezech. 3,18.) wo bliebe das Wort des Herrn: „Wo ihr in ein Haus gehet, so prüfet dasselbige; und so es dasselbige Haus werth ist, wird euer Friede auf sie kommen; ist es aber nicht werth, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden!“ (Matth. 10,12.13.) Allerdings, wo wir nicht wissen, daß unsere Perle vor die Säue fällt und das Heiligthum vor die Hunde, da sollen wir auch nicht gleich das Schlimmste voraussetzen. Auch ein verlorener Sohn kann ja noch gerettet, auch ein Schächer am Kreuze kann noch aufgerüttelt und erweicht werden, und der Liebe Grundeigenschaft ist’s ja eben, Alles zu glauben und Alles zu hoffen. Aber wohl giebt es Menschen, von denen wir es wissen, in deren Nähe wir es fühlen, über die der Geist Gottes unserm Geiste Zeugniß giebt, daß sie nicht werth sind des ewigen Lebens, und daß das Wort Gottes an ihrem Herzen wie an einer Felsenwand zurückprallt. Das sind die Leichtsinnigen, die selbst dem Allerernstesten nur scherzhafte Seiten abgewinnen wollen; das sind die Spötter, welche jede Erinnerung an Gott, Tugend, Tod, Ewigkeit und Gericht zum Gegenstande des Gelächters machen; das sind die Verhärteten und Verstockten, die, obgleich sie die Erkenntniß der Wahrheit empfangen haben, dennoch in ihren Lüsten fortleben und lästern und die aufrichtigen Bekenner des Evangeliums verfolgen. Sehet, dergleichen waren die Juden zu Antiochien in Pisidien, welche widersprachen und lästerten, als Paulus ihnen das Evangelium verkündete; daher er sich von ihnen wegwandte und den Staub von seinen Füßen schüttelte. (Apost. Gesch. 13,45.46.) Dergleichen waren die Pharisäer, Schriftgelehrten und Obersten, welche, trotz aller Eindrücke der göttlichen Wahrheit und aller Wunder des Herrn Ihn dennoch kreuzigten und tödteten; daher Jesus auch ihnen nicht wieder erschien nach seiner Auferstehung, um sie nicht zu neuen Sünden zu verleiten. Die Bekehrungssucht ist also darum schon verwerflich, weil sie diesen Unterschied nicht macht, sondern unweise Jedermann, er mag sein, in welcher Stimmung und Verfassung er wolle, das Heiligthum des Himmels und die Perle der Gnade preisgiebt. – Ferner: Wann theilt sie den Menschen Heiligthum und Perle mit? Ach, wieder unweise genug: dann, wenn die verkehrteste Stunde schlägt zu den wichtigsten Gesprächen, wenn gar keine Spur von Empfänglichkeit sich vorfindet. Es giebt, meine Lieben, eine Zeit für die Wahrheit, wo auch der verstockteste und gefühlloseste Mensch sie gern und dankbar annimmt. Das ist die Zeit, wo der Herr dem Menschen das Herz öffnet und das Ohr aufthut; wo Er durch schwere Leiden, harte Demüthigungen, bittere Verluste, herbe Todesfälle, langwierige Krankheiten, den stolzen Sinn bricht und ihm die Ungenüge der ganzen Welt und das Elend aller Menschen aufdeckt. Das ist die Zeit, wo die ewige Gnade vorarbeitet und den Weg bahnt. Der Augenblick ist heilig, er umfaßt eine ganze Ewigkeit. Da gilt es, zuzugreifen, Ahnungen zu wecken, an das Werk des Herrn anzuknüpfen, die himmlischen Stimmen und Schickungen zu deuten; da steht Leben und Tod, Himmel und Hölle auf dem Spiele. Diesen überaus günstigen Zeitpunkt wartet indeß die Bekehrungssucht nicht ab. Viel zu früh, ehe noch die mindeste Vorbereitung geschehen ist, will sie eingreifen und handeln. Ob es die rechte oder unrechte Zeit ist, danach fragt sie nicht. Ob es unter vier Augen oder in öffentlichen Gelagen geschieht, ist ihr gleichgültig. Ob durch das vorliegende Mittel der Zweck erreicht werden könne oder nicht, liegt ihrer Erwägung viel zu ferne. Ihr ist nur darum zu thun, zu schwatzen, zu lehren, zu ermahnen, wo sie kann. – Und wie geht sie dabei zu Werke? Der Herr sagt: „Eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen!“ Bezeichnender Ausdruck! So ist es. Sie wirft die Perle weg, wirft sie an den Weg, wo Hunde und Säue sie zertreten. Mit einer maß- und rücksichtslosen Geschäftigkeit nöthigt sie den Menschen die ewige Wahrheit auf; mit einer lästigen Zudringlichkeit fängt sie immer wieder an zu reden und zu disputiren, auch wo ihr alle Welt den Rücken kehrt; mit einer wahrhaft blinden Wuth bestürmt sie ihre Umgebungen unaufhörlich durch ihre gesalbten Worte, ihre frommen Bücher und ihre widerwärtigen Zumuthungen. O Thorheit ohne Gleichen“ Wenn sie es könnte, sie nähme Feuer und Schwerdt, sie nähme Folter und Mord, sie nähme Arglist und Gewaltthat zu Hülfe, um ihren Zweck zu erreichen; wie sie denn oft genug diese Mittel aufgeboten und angewandt hat in der Geschichte zum Verderben des Himmelreichs auf Erden, und wie ihre Losung denn allezeit gewesen ist: Der Zweck heiligt die Mittel.

Nicht minder verwerflich als das unweise Benehmen der Bekehrungssucht ist der Herzenszustand, aus welchem sie entsprießt. Scheinbar ist es die Liebe zum Herrn und zu den Brüdern; aber in der That und eigentlich ist es Mangel an Demuth, es ist unerträglicher Stolz. Das schwerste Werk, m. Br., das es unstreitig auf Erden giebt, ist, Menschenherzen zu bekehren, das Böse in ihnen zu tödten und das Gute zu schaffen. Es ist leichter, die widerstrebendsten Elemente der Natur sich zu unterwerfen, Feuer und Wasser zu vereinigen, Thiere gelehrig und gehorsam zu machen, als das steinerne Herz in ein fleischernes und den alten Sinn in einen neuen zu verwandeln. Bei Manchem hat es Jahre, Jahrzehnte, ja ein ganzes Leben gekostet, bis die Bekehrung zu Stande kam; erst auf dem Todtenbette ist sie eingetreten. Bei Andern haben die schwersten Schicksale, die beugendsten Erfahrungen, die dringendsten Ermahnungen des Ernstes und der Liebe, selbst Strafen und Züchtigungen ohne Beispiel, die Bekehrung auf dem Krankenlager und Sterbebette nicht zu Stande gebracht; sie sind gestorben, wie sie gelebt haben, in ihren Sünden. Und die Bekehrungssucht maßt es sich an, dies Riesenwerk zu unternehmen? sie will bekehren? ist das nicht Stolz, Einbildung auf eigene Kraft und unbegrenzter Hochmuth? - Noch mehr! Die Bekehrung einer unsterblichen Menschenseele ist nie eines Menschen Werk gewesen; sie ist allezeit nur Gottes Werk. Der Allmächtige, der Allliebende, der Allweise, der der Menschen Herz lenkt wie Wasserbäche, allein hat es in Seiner Gewalt, eine Menschenseele herumzuholen aus dem Verderben und sie zu erleuchten mit dem Lichte der Lebendigen; der Schöpfer allein kann auch erlösen; der das Leben hat in sich selber, kann es ausströmen und mittheilen. Er kann den Menschen zwingen, daß er sich ändere und bessere, denn Mittel stehen Ihm dazu tausendfach zu Gebote; aber Er thut es nicht, Er läßt dem Menschen seine Freiheit, sich selbst zu entscheiden und sein eigenes Loos zu ziehen: - und der Bekehrungssüchtige bildet sich ein, er vermöge, was Gott nicht vermag? Gott hat so viel Liebe zu jedem Sünder, wie kein Mensch sie hat; Ihm bricht das Herz vor Liebe gegen uns, und Er will, daß allen Menschen geholfen werde und Alle zur Erkenntniß der Wahrheit kommen; doch nöthigt Er dem Menschen Seine Gnade nicht auf, sondern läßt ihn seine Wege gehen – und der Bekehrungssüchtige meint, er könne das nicht über sein Herz bringen, er will liebevoller sein, als Gott? er will bekehren? Ist das nicht ein Stolz und eine Vermessenheit, die außer Rand und Band, die ohne Maß und Ziel ist? - Noch mehr! Jedermann hat täglich Veranlassung genug, an sich selbst zur Besserung zu arbeiten; Keiner unter uns ist ganz bekehrt. O wie viel Rückfälle, wie viel Sünden mahnen uns täglich an unsere Schuld! Jeden Abend müssen wir mit dem Zöllner an unsere Brust schlagen und seufzen: Gott, sei mir Sünder gnädig! Und kaum selbst bekehrt, kaum halb bekehrt, wollen wir schon Andere bekehren? wollen ihnen zusetzen bis auf's Blut, daß sie sich ändern, und wir haben uns nicht geändert? wollen Andere lehren und selbst verwerflich werden? Ist das dein Amt und dein Beruf, Vater, Mutter, Lehrer, Prediger, Obrigkeit: dann thue es, dann bekenne, um zu bekehren, du stehst in Gottes Namen da, und Gott wird dein Wort segnen. Im eigenen Namen aber thue es nie; sonst ist es Stolz und Hochmuth. Greif lieber in den eigenen Busen öfter hinein, ziehe lieber die Balken aus dem eigenen Augen gründlicher heraus, ehe du um die Splitter der Andern dich bekümmerst. Keine Sünde ist dem Herrn mißfälliger, als der Stolz; er ist ein Gräuel vor Gott. Siehe, darum ist die Bekehrungssucht Ihm auch so mißfällig, weil ihre Grundlage immer mehr oder weniger der Stolz ist.

Und wie schädlich ist endlich die Bekehrungssucht! Sirach sagt: „Wer einen Narren lehret, der flicket Scherben zusammen;“ (22,7.) der Herr aber warnt noch kräftiger: „Ihr sollt das Heiligthum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen, und sich wenden, und euch zerreißen.“ Groß ist der Schaden, der für die Sache des Evangeliums aus solchem Verfahren erwächst; denn das Reich Gottes kommt nicht mit äußern Geberden, mit Sturm, Erdbeben, Feuer, sondern im stillen, sanften Sausen. Groß ist der Nachtheil, der dem Nächsten daraus entsteht; denn Niemand hat gern mit aufdringlichen Menschen zu thun, man läßt, statt ihnen Gehör zu geben und Folge zu leisten, nur zu leicht zu Erbitterung, Entrüstung und Widerspruch sich fortreißen. Groß ist der Schade für den Bekehrungssüchtigen selbst! Die leichtsinnigen Spötter, die nicht empfänglich waren für die Aufnahme des Evangeliums, zertreten nicht nur die Perlen mit ihren Füßen, und machen das Gehörte zum Gegenstande ihrer Verachtung und ihres Spottes, - sie wenden sich auch und zerreißen diejenigen, welche unbefugterweise, ohne Klugheit und ohne Demuth, das innerste Heiligthum ihres Glaubens verrathen. „Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein,“ sagt Jacobus (3,1.), „und wisset, daß ihr desto mehr Urtheil empfahen werdet.“ Dies Urtheil ergeht schon hienieden über sie: der Herr selbst entzieht ihnen das Bewußtsein Seines Wohlgefallens und straft sie mit innerer Dürre und Trockenheit. Auf Ueberspannung folgt Abspannung, und auf übertriebenen Eifer Lauheit und Kälte. Laßt uns in's Leben schauen; das lehrt uns am besten die entsetzlichen Folgen der Bekehrungssucht kennen. Ein Jüngling, voll feuriger Liebe zu Christo, durch den er sich selig gemacht fühlte von seinen Sünden, predigte auf allen Märkten und Gassen das ihm widerfahrene Heil, und gab Jedem, den er antraf, ein Erbauungsblatt in die Hand. Er wurde verlacht, sein Blatt auf das Pflaster geworfen und mit Füßen getreten; und als er nicht abließ, Buße und Bekehrung zu predigen, so ward er mit Steinen geworfen und am Kopfe tödtlich verletzt. Was unendlich trauriger aber war, er fühlte auf seinem Krankenlager seine Seele leer und dürr, einer entsafteten welken Pflanze ähnlich. Da erkannte er, daß er, selbst kaum von seiner Todeskrankheit geheilt, zu früh seine noch zarten Kräfte überangestrengt und entkräftet hatte. Das Schmerzgefühl zerriß sein Herz und versenkte ihn in Trostlosigkeit, gegen welche kein menschlicher Trostzustand etwas vermochte. Ein neuer Gnadenblick allein konnte die verzagende Seele wieder aufrichten. Durch diese Erfahrung weiser gemacht, verwahrte er von da an sorgfältiger seiner Perle. - Ein anderer feuriger Liebhaber des Herrn achtete es für seinen Beruf, in jeder Gesellschaft, welcher Art sie sein mochte, die ihm widerfahrene Barmherzigkeit des großen Sünderfreundes zu erzählen, und widerstand allen treugemeinten Abrathungen älterer erfahrener Christen, fest in seiner Meinung, daß der Heiland das auf den Dächern Predigen buchstäblich gemeint habe. Was geschah? Unempfindlich gegen Spott und Hohnlachen, von Mißhandlungen selbst unüberwunden, unterlag er der List. Einige belesene und scharfsinnige Freunde benutzten seine Disputirlust. Mit schlauer Sorgfalt feuerten sie ihn durch scheinbar beistimmende Aufmerksamkeit an, bis zur Erschöpfung sein volles Herz auszuleeren. Dann legten sie ihm in bescheidenem, liebreichen Tone Fragen vor, welche ihn durch ihre Neuheit überraschten und durch ihre Schärfe ihn in der Beantwortung aus Widerspruch in Widerspruch führten. Er bemerkte es selbst, erschrak darüber, fiel in Verwirrung, aus Verwirrung in Zweifelsucht, aus Zweifelsucht in Unglauben, aus dem Unglauben an den Rand der Verzweiflung. Jahrelang ging er in düsterer Schwermuth hin mit verfinstertem Blicke, an Gemüth und Körper langsam abzehrend, bis die überhand nehmende Kraftlosigkeit ihn auf das Krankenlager warf, auf welchem er endlich, getröstet und erheitert, in das ewige Leben einging. - (Vergl. Hillmer, christliche Zeitschrift VII. 3. p. 24-28.) Das sind Thatsachen aus dem Leben, Geliebte, und ihr müßt gestehen, furchtbare Belege zu der Wahrheit des Textes: Ihr sollt das Heiligthum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen, und sich wenden und euch zerreißen.

Und was sollen wir nun erst sagen, wenn es besondere Gnadenerfahrungen, Gebetserhörungen, Belehrungen über göttliche Geheimnisse, Blicke in ewige Wahrheitstiefen sind, mit denen der Bekehrungssüchtige sich breit macht? Wehe, wehe! Von Stund' an hört das Gefühl und die Versicherung der Gnade an seinem Herzen auf; das verrathene Geheimniß rächt sich an seinem Innern, und Kämpfe entstehen für ihn, die nicht selten ihn um allen Glauben, um alle Gebetsfreudigkeit, um allen Seelenfrieden bringen. Darum, gläubige Kinder Gottes, laßt euch warnen durch den Herrn! Zügelt euren gutgemeinten, aber blinden Eifer, daß ihr nicht Schaden nehmet an eurer Seele und dem Reiche Gottes kein Aergerniß bereitet.

Ihr aber, die ihr leichtsinnig gegen die Wahrheit euch verstockt, oft gerufen, nicht höret, die Botschaft des Heils verachtet und das Blut des Sohnes Gottes mit Füßen tretet: zittert vor euch selbst! Denn wenn der Heilige Gottes im Texte euch mit Hunden und Säuen vergleicht: wie tief gesunken, wie verabscheuenswerth müßt ihr in dieser eurer Gesinnung erscheinen vor Seinem Angesicht!

Du aber, o Herr, gieb uns Eifer und Treue, nach der Einen kostbaren Perle lebenslang zu trachten; gieb uns Weisheit und Demuth, sie sorgsam zu pflegen und zu bewahren. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/arndt_f/arnd-sechsundwanzigste_predigt.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain