Müller, Heinrich - Vom Mangel der wahren Liebe.

Müller, Heinrich - Vom Mangel der wahren Liebe.

Wo ist ungefärbte Liebe? Was noch von der Liebe in der Welt übrig, ist nur ein Schein, Schaum und Farbe, gleich einem Bild an der Wand gemalt, das kein Leben hat; Zungenliebe, die nicht meint, was sie redet; Wortliebe, die viel zusagt, wenig hält. Du sprichst: Ich hab so manchen guten Freund. Mein, was liebt er? Dich oder das Deine? Freunde fliegen. Wenn sie den niedlichen Geruch deines Bratens riechen, oder die Süße deines köstlichen Getränks schmecken, kommen sie häufig als ein Fliegenschwarm hinzu; wenn Alles auf ist, wo bleiben sie? Den Mund gewischt, davon gegangen. Das Deine, das Deine meinen sie, nicht dich. Du rühmst deinen Freund. Thust wohl dran. Aber hast du ihn auch geprüft? Zwei Schlösser muß ein rechter Freund haben, das eine am Mund, das andere am Fuß. Sein Mund muß deine Heimlichkeit, so du ihm vertraust, nicht verrathen. Ach wie manchen Trüger gibts hier, auch unter den besten Freunden? Kaum geredet, alsbald verrathen. Drum siehe dich vor. Gleich wie du, wenn du ein Faß probiren willst, nicht Wein, sondern Wasser hinein schüttest: so vertrau deinem neuen Freund zuerst nichts Werthes, als obs von hoher Wichtigkeit wär, und siehe, ob das Faß auch fest halte. Ein treuer Freund ist kein Verräther. Brenne mich, sagt Seneca, tödte mich, machs mit mir, wie du willst, ich will doch kein Verräther sein. Je mehr mir der Schmerz zusetzt, je geheimer will ich die Sache halten. Am stinkenden Athem prüfe deinen Freund, darin manche heimliche Sache verfault ist. Der Fuß muß auch geschlossen sein, daß er bei dir fest halte in Nöthen, und sich weder Noth noch Tod von dir trennen lasse. Ein solcher Freund ist leicht zu nennen, aber schwer zu finden. Noch eins. Du hältst viel von deinem Freund, ich rühme es. Aber hast du ihn auch einmal seiner Verbrechen halber gestraft, oder er dich? Hat er dich nicht gestraft, wie kann er dich lieb haben? Die Liebe ist gleich der Biene, die zugleich Honig gibt, und scharf sticht. Ich halte den für keinen Freund, der mich nicht straft, wenn ichs versehe. So oft ich sündige, werd ich mein eigener Mörder. Wie kann der mich lieben, der vor Augen sieht, daß ich mir einen Dolch ins Herz stoße, und wehrts nicht? Wie kann der mich lieben, der meinen Tod liebt? Hat er dich aber gestraft? Sag mir, ist auch die Strafe so eingerichtet gewesen, daß du merken konntest, sie ging aus Liebe, und suchte deine Besserung? War auch der Geist der Sanftmuth, ein mitleidig Herz, und eine linde Zunge dabei? Hast du ihn gestraft? Wie hat ers aufgenommen? Hat er auch geglaubt, daß du es in Liebe thätest, und gut mit ihm meintest? Wie mag der dich lieben, der nicht glaubt, daß du ihn liebst? Ach, wer kanns leugnen, daß in der Welt wenig ungefärbter Liebe, wenig aufrichtige Freundschaft zu finden sei? Ich will mit Wenigen Freundschaft machen, weil nichts Gefährlicheres als Freundschaft. Der soll mein Freund sein, der Gottes Freund ist. Denn wie kann der mich in Gott lieben, der Gott nicht liebt? Wie kann die Linie im Mittelpünktlein ihre Nebenlinie berühren, die das Mittelpünktlein selbst nicht berührt? Um solchen Freund will ich bitten, Gott wird ihn geben.

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