Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXIV. Davids Buße.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXIV. Davids Buße.

Man ist gewohnt, mit dem in unserer Bibelübersetzung so häufig wiederkehrenden Worte „Buße“ ausschließlich den Begriff des Leidtragens über begangene Sünde zu verbinden. Es werden dadurch Manche zu einer vorschnellen und unbefugten Aneignung der den Bußfertigen verheißenen Vergebung, Andere dagegen, weil sie über ihre Verschuldungen nicht Thränen finden, zu einem unnöthigen Verzagen an der göttlichen Gnade verleitet. Ersteren möge es zur Warnung, Letzteren dagegen zur Ermuthigung gereichen, daß unser Wort „Buße“, wie es gewöhnlich verstanden wird, den Inhalt des grundtextlichen Wortes nicht vollständig wiedergibt. Seiner Grundbedeutung nach bezeichnet der griechische Ausdruck weniger eine Sache des Gefühls, als einen Akt des sittlichen Willens. Genau verdolmetscht würde es „Sinneswandlung“ heißen müssen. Unter Anderem erhellt dies unzweideutig aus dem Apostelspruche 2 Corinth. 7, 10. Hier redet Paulus allerdings von der Traurigkeit über die Sünde als eine unerläßliche Bedingung zur Seligkeit. Er stellt die Trauer, die er meint, als die „göttliche“ einer „weltlichen“ entgegen, welche letztere statt der Liebe zu Gott nur ein selbstsüchtiges Bemessen der Folgen der Sünde zum Grunde hat. Er bezeichnet aber die Trauer, von der er redet, nicht mit demselben Worte, das Luther „Buße“ zu übersetzen pflegt. Buchstäblich besagt die apostolische Stelle: „Die göttliche Traurigkeit wirket zur Seligkeit“ - wie weiter dann? Etwa: „Eine Reue, die Niemanden gereuet?“ So übersetzt Luther. Aber die göttliche Traurigkeit ist ja selbst die Reue; wie mag sie denn das erst wirken, was sie ist? Nach dem Grundtext wirkt vielmehr die Traurigkeit nach Gott, „eine Sinnesänderung, die Niemanden gereuet,“ während die Traurigkeit nach der Welt den Tod wirket. Johannes der Täufer beginnt seine bahnbereitende Wirksamkeit mit dem Zuruf: „Wandelt euern Sinn!“ Es versteht sich von selbst, daß es zu dieser Sinnesänderung ohne Bekümmerniß und Beugung vor Gott über den schuldbeladenen Zustand, in dem man sich gefunden, nicht kommen kann. In sofern läßt sich die Uebersetzung: „Thuet Buße“ immerhin rechtfertigen. Doch thut sie dem Vollsinn des grundtextlichen Ausdrucks Abbruch, nach welchem auf dem entschlossenen Bruch mit der Sünde ein stärkerer Nachdruck liegt, als auf dem Leidwesen über diese. Der Grad der Stärke, den letzteres erreichen müsse, wird nirgends in der Schrift bestimmt. Ob das Schuldgefühl in Thränen sich ergieße, oder lautlos in stummer Beugung der zerknirschten Seele vor Gott sich offenbare, ist gleich, vorausgesetzt, daß dasselbe stark genug ist, uns unwiderstehlich dem Herrn Jesu als unserm einigen Mittler und Nothhelfer in die Arme zu treiben. Heute wird uns Gelegenheit, den heilvollen Wendepunkt, den das Wort Buße bezeichnet, in seiner gesundesten Erscheinung anzuschauen.

2. Sam. 12, 13. Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündiget wider den Herrn. Nathan sprach zu David: So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.

Ein wie viel erfreulicheres Schauspiel stellt sich uns diesmal dar, als dasjenige, bei dem wir gepreßten Herzens zuletzt verweilten. Gott tritt in's Mittel. Wir schöpfen wieder Luft. Der Bann löst sich, der auf David lag. Näheren wir uns betrachtend dem heil- und bedeutungsvollen Hergang. Auf den Bußprediger, den der Herr sendet, und auf die Wirkung seiner Predigt sei unser Blick gerichtet!

Seit unserer letzten Anwesenheit in der königlichen Hofburg zu Jerusalem hat sich die Aufregung daselbst nur noch gesteigert. Es ward mittlerweile auch noch das Weitere ruchbar, welches an die erste Frevelthat des Königes erschwerend sich angereiht hatte. Der Feldhauptmann Joab fand kein Interesse dabei, aus dem unglückseligen Uriasbriefe ein Geheimniß zu machen. Man wußte bereits in weiteren Kreisen, wer den Tod des gefallenen edeln Helden verschuldet habe. Nicht minder war, was zwischen David und dem aus dem Lager an ihn abgefertigten Eilboten vorgegangen war, sowie des Königes heuchlerisches Gebahren gegenüber dem Boten in weiteren Kreisen bekannt geworden. Was Wunder, daß unter dem Eindruck solcher Kunden in der Hofdienerschaft die Bande ehrfurchtsvoller Zurückhaltung sich vollends lockerten. Ihr hoher Herr war ihnen ja jetzt sogar zu Dank verpflichtet, wenn sie, was ihnen über ihn in's Ohr gesagt war, nicht von den Dächern herab verkündeten. Der König selbst schien übrigens beruhigter. Er wähnte mindestens vor den Augen des Volks seine Schande bedeckt. In diesem Wahne aber glich er einem Manne, der, während sein Haus über ihm in Flammen sieht, den Feuerschein, der in sein Gemach fällt, mit dem morgenröthlichen Anbruch eines freundlichen Tages verwechselt. Das Bild seiner himmelschreienden Verkündigungen trat vor seinem Bewußtsein mehr und mehr erblassend in den Hintergrund der Vergangenheit zurück; und so wäre er allmälig dem Stande der heillosesten Sicherheit anheimgefallen, hätte seine Seele sich nicht, so oft sie es wagen wollte, in früherer Weise wieder Gott dem Herrn zu nahen, den Zugang zu dessen Throne versperrt gefunden. Nahm sie einen Anlauf zum Gebete, so fühlte sie sich wie abgewiesen und zurückgestoßen. Der Himmel hatte sich für David geschlossen, und seine Harfe stand stumm und bestäubt im Winkel. Wir zittern für ihn. Doch über ihm wacht der, den Moses vom Himmel her als einen Gott preisen hörte, der „barmherzig, gnädig, geduldig, und von großer Güte und Treue“ sei. Der läßt diejenigen nicht mehr, die einmal in Aufrichtigkeit ihm Herz und Hand gegeben. „Er kennet“, wie David selbst gesungen, „was für Gebilde wir sind, und gedenket daran, daß wir Staub sind.“ Ob die Seinen bis an den Rand der Hölle sich verlören, dennoch geht er ihnen nach, um sie aus des Satans Stricken zu erlösen. Belauschen wir die Tritte dieses Gottes in Davids Leben. Der ewig Getreue hat bereits, wie Hiob sagt, „die Gänge seines verirrten Knechts gezahlt, und gewacht über seiner Sünde.“

Lange hörten wir nicht mehr von Nathan, dem Freunde und Rathgeber des Königes. Es befremde uns dies nicht. Auch ihm war es längst kein Geheimniß mehr, was überaus Trauriges sich ereignet hatte. Was auch Nathans Seele darunter gelitten, läßt sich ermessen. Dennoch hatte er Bedenken getragen, seinem königlichen Herrn ungerufen und ohne göttliche Weisung persönlich zu nahen. Er machte in der Stille seines Kämmerleins seinem gepreßten Herzen in inbrünstigen Fürbitten für den tief Gefallenen Luft. Plötzlich ward ihm im Wege unmittelbarer Offenbarung höherer Auftrag. Demselben gemäß begibt er sich in die Hofburg, läßt sich beim Könige melden, und es wird ihm der Zutritt gewährt. Wie aber geschieht ihm bei der Erscheinung seines erhabenen Gebieters? Gewalt muß er sich anthun, um den niederbeugenden Eindruck zu verbergen, den das gänzlich veränderte Wesen desselben in ihm hervorruft. Nach der üblichen ehrfurchtsvollen Begrüßung öffnet er den Mund, und legt ihm mit mühsam erzwungenem Gleichmut!) einen Rechtshandel vor, den er als oberster Richter im Lande endgültig entscheiden möge. „ Zween Männer“, berichtet er, „waren in einer Stadt. Der Eine war reich, der Andere arm. Der Reiche besaß sehr viele Rinder und Schafe; der Arme nichts, als ein einiges Schäflein, das er aus seinen Ersparnissen gekauft hatte. Dasselbe nährte er, und zog es in seinem Hause mit seinen Kindern groß. Es aß von seinen Bissen, und trank von seinem Becher, und schlief in seinem Schooß, und er hielt es wie eine Tochter. Da nun dem reichen Manne ein Gast kam, schonete derselbe zu nehmen von den eigenen Schafen und Rindern, daß er dem Gaste, der zu ihm gekommen war, etwas zurichtete; sondern nahm des armen Mannes Schaf, schlachtete es, und richtete es dem Gaste zum Mahle zu.“

So Nathan. Es war ein Gleichniß. Die Einfachheit desselben, so wie das sachte schonungsvolle Auftreten des Propheten könnte uns befremden. Kaum von ferne deutet er auf die Schwere des Doppelverbrechens hin, das der König auf sich geladen. Aber lassen wir ihn. Nathan spinnt seine Fäden fein, und denkt, was später Salomo aussprach: „Es ist umsonst, daß man das Netz auswerfe vor den Augen der Vögel.“ Zunächst beabsichtigte er nur, dem David unvermerkt die Quelle seiner argen Versündigung in seinem schnöden Undank gegen den Gott, der ihn je und je mit Wohlthat überschüttete, sowie in der Unersättlichkeit seiner Begierden nach elendem Erdentande aufzudecken; und dann wollte er ihm Anlaß geben, in dem Verdict, das er über ein ungleich geringeres Vergehen, als sein eigenes war, aussprechen würde, unbewußt ein zehnfach verstärktes Verdammungsurtheil über sich selbst zu fällen. Die Absicht wurde erreicht. David ging arglos in die ihm gelegte Schlinge ein. Kaum nemlich hat er dem Vortrage Nathans sein Ohr geliehen, als er, vielleicht um auch durch diese strenge Gerechtigkeitsübung sein Gewissen zu bestechen, mit flammender Entrüstung in die Worte ausbrach: „So wahr der Herr lebt, der Mann ist ein Kind des Todes!“ Sterben also sollte seinem Richterspruche nach der Reiche, nachdem er vorab für das unter dem strafbarsten Mißbrauch seines Ansehns und seiner Macht geraubte Schaf einen vierfachen Ersatz geleistet haben würde. Was sagen wir zu der Verblendung, in der hier der König David vor uns steht? - Gehört es aber nicht zu den alltäglichen Erscheinungen, daß ein Sünder sei es in dem verlorenen Sohne der bekannten Parabel, oder in dem Priester, der, an dem unter die Raubmörder Gefallenen erbarmungslos vorübereilte, oder in dem herzlosen Egoisten mit seinem: „So iß und trink nun liebe Seele, denn du hast einen Vorrath auf viele Jahre,“ oder in welchem Nichtswürdigen sonst seinem eignen Spiegelbilde prall in's Angesicht schaut, ohne auch nur zu ahnen, daß er, indem er über jene Erbärmlichen verdammend herfährt, nur sich selbst „den Stab breche, und den apostolischen Ausspruch wahr mache: „In welchem du einen Andern richtest, darin verdammst du dich selbst.“ Wie manchmal hört man Geizige heftigst gegen den Greuel des Mammonsdienstes, Afterredner gegen die herrschende Verleumdungssucht, und selbst Wüstlinge gegen die Ueberhandnahme der Sünden wider das sechste Gebot deklamiren, als ständen sie engelrein den Missethätern, die sie so kühn vor ihre Schranken ziehen, gegenüber. Das ist der „Betrug der Sünde.“ Man verwechselt die Phantasieheiligkeit, in der man einherstolzirt, mit der wirklichen. Ja man hält sich schon darum für tugendhaft, weil man die Untugenden Anderer erkennt und schonungslos verurtheilt. Und erhebt das erwachende Gewissen Einspruch dawider, daß man sich erkühne, von dem, dessen man jene beschuldigt, sich selber freizusprechen, so redet man sich ein, daß schon der sittliche Eifer, in dem man gegen die fremden Vergehen entbrannte, Alles gut mache und sühne, dessen, man sich selbst beschuldigen muß. Keins der Gleichnisse des Herrn bewahrheitet sich in der täglichen Erfahrung häufiger, als das von dem verblendeten Menschen, der im eigenen Auge den Balken nicht wahrnahm, während er über den Splitter im Auge des Nachbarn die Nase rümpfte. Der Pharisäergeist, der nicht ermüdet, Andern Lasten aufzubürden, die er selbst auch nicht mit einem Finger anrührt, ist leider! auch inmitten der Christenheit nicht ausgestorben. Die strengen Herrn auf Mosis Stuhle sind es wahrlich nicht, die vor Andern für ihren eignen Zustand ein günstiges Vorurtheil erwecken. Wer zu einer gründlichen Selbsterkenntniß hindurchdrang, der wird jederzeit die Nachsicht und die Milde zu seinen Begleiterinnen haben, und überall viel eher geneigt sein, das Endurtheil dem anheimzugeben, der „Augen hat wie Feuerflammen,“ als über gefallene Brüder mit vornehmer Richtermiene in eigner angemaßter Autorität den Stab zu brechen.

Der König hat gesprochen. Laut seiner Sentenz soll also der Frevler, der dem armen Mann sein einziges Schäflein raubte, diese Unthat mit dem Leben büßen. Rechnete der König sich seine sittliche Entrüstung wirklich als eine die eigne Missethat in etwa sühnende Tugend an, so vergaß er, daß, wie die Schrift sagt, „das Gesetz nicht des Glaubens ist“ (d. i. nicht gegeben ward, daß man es gut heiße, und dafür eifere,) sondern „daß man es thue“. Nathan aber glaubte jetzt den Augenblick gekommen, in welchem er seinem königlichen Herrn ohne Schonung die Zauberbinde des Lügenvaters vom Auge zu lösen habe. Mit feierlichem Ernste sieht er ihn an, und spricht zwar mit aller gebührenden Ehrerbietung, aber nicht minder fest und furchtlos: „Du bist der Mann!“ Wenn je ein Wort von menschlicher Lippe mit der zerschmetternden Wucht und der erhellenden Wirkung eines Wetterstrahles eingeschlagen hat, dann dieses. Einem Posaunenhall des jüngsten Gerichts vergleichbar durchschütterte es dem Könige Mark und Bein. Ein Prophet sprach es ja, und des Sehers Mund ist der Mund Jehovas. Aller seiner Hüllen entkleidet, sieht David sich im Nu vor den Richterstuhl dessen hingerückt, der „an das Licht bringt, was im Finstern verborgen ist, und den Rath der Herzen offenbart,“ und David selbst ist, nur noch in ungleich höherm Grade der Verwerflichkeit, der fluchwürdige Frevler, den er eben des Todes schuldig erklärte. Der Bann, der so lange auf seiner Seele gelegen, brach, und ihm geschieht nach dem Worte Jesaiä, da er spricht: „Die Sünder zu Zion sind erschrocken, Zittern ist die Heuchler angekommen.“ Nathan hat Mühe, beim Anblick des vor Bestürzung erblassenden Königes der Empfindungen der Reue, die über sein kühnes Wort sich in ihm regen wollen, Herr zu werden. Aber ihm, dem Knechte Jehovas, geziemt es, was immer es auch kosten möchte, sich Gewalt anzuthun, und dem ihm gewordenen göttlichen Auftrage bis aufs Jota zu entsprechen. So fährt er denn fort: „Der Herr, der Gott Israels, sagt zu dir: Ich habe dich zum Könige gesalbet über Israel, und habe dich errettet aus der Hand Sauls, und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Weiber, (die der Thronfolger zu erben pflegte). Ja, das Haus Israels und Judas gab ich dir, und war dies noch zu wenig, so fügte ich noch dies und das hinzu. Warum verachtetest du denn das Wort des Herrn, daß du solches Uebel vor seinen Augen thätest? Uria, den Hethiter, erschlugest du mit dem Schwert, sein Weib nahmst du dir selbst zum Weibe, nachdem du ihn erwürget durch das Schwert der Kinder Ammon,“ (wider welche er dir so treulich beigestanden hatte). „Hinfort soll von deinem Hause das Schwert nicht mehr lassen, darum, daß du mich verachtet, und das Weib des Hethiters genommen hast, daß sie dein Weib sei. So spricht der Herr: Siehe, ich will Unglück über dich erwecken aus deinem eignen Hause. Ich will deine Weiber nehmen vor deinen Augen, und sie deinem Nächsten geben. Was du heimlich gethan, will ich thun vor dem ganzen Israel und an der Sonnen!“ So Nathan. Mit den letzten Worten deutete er weissagend auf entsetzliche Dinge hin, die David an seiner eignen Söhne einem und durch denselben erleben werde. In ergreifender Weise gemahnt uns Nathans Strafankündigung an das mosaische: „Auge um Auge, Zahn um Zahn,“ so wie an das Apostelwort: „Wer auf sein Fleisch säet, der wird vom Fleische das Verderben ernten.“ Wie reich ist die Geschichte, und nicht die heilige nur, an Beispielen, die das Wort des Buches der Weisheit bestätigen: „Womit Einer sündigte, damit wird er auch geplaget.“ Doch darf dies nicht als eine unwiderrufliche Satzung angesehen werden. Freuen wir uns, daß Gott der Herr in Christo den Weg zu finden gewußt, auf dem es ihm möglich ward, unbeschadet seiner Heiligkeit und Wahrheit an Stelle des Vergeltungsrechtes dasjenige einer freien Begnadigung treten zu lassen.

Der König ist wie vernichtet. Der Boden wankt unter seinen Füßen. Er erlebte ein Vorspiel des großen Gerichtstags. Alle Schleier sind gehoben und Alles, was im Finstern verborgen war, an's Licht gebracht. Er sieht im Geiste den blutigen Schatten Urias verklagend wider ihn am Throne des Weltenrichters stehen, sieht den heillosen Brief, zu dem der Arge ihm die Hand geführt, entsiegelt vor dem Allmächtigen ausgebreitet, und möchte mit Hiob rufen: „Deine Augen, o Gott, sehen mich an, darüber vergehe ich,“ ja er würde verzweifeln, entdeckte er nicht in all' dem Schaurigen, was Nathan aus göttlichem Auftrag ihm angesagt, doch ein Etwas noch, das ihn aufrecht hält. Es ist dies die Erinnerung an die Gnade, mit der ihn der Herr bis dahin geleitet habe, und die Mitleid athmende Frage: „Warum thatest du solches Uebel vor meinen Augen?“ Traf ihn das niederschmetternde: „Du bist der Mann!“ wie ein kalter Blitzstrahl; dieses „Warum“ durchdrang seine Seele wie ein zündender: auflösend und zerschmelzend. Ihm deucht, es spreche sich darin statt Zornes nur die Wehmuth der Liebe aus, und so gereichte es dazu, sein Herz, statt es erstarren zu machen, nur zu Thränen tiefster Beugung und Beschämung zu erweichen, und ihn zu einem offenen Geständniß zu ermuthigen. Das schon lange in ihm wühlende und nur gewaltsam niedergehaltene Feuer der Reue schlug jetzt in lichter Flamme in ihm auf, und mit unaussprechlicher Bewegung seines zerknirschten Gemüthes brach er, befreit von den Truggebilden, in die er sich so lange eingesponnen hatte, und die klüglich berechneten Lügenkünste verdammend, womit er die Anklagen seines Gewissens zu entkräften gesucht, in das laute unumwundene Bekenntniß aus: „Ich habe gesündigt wider den Herrn!“ Kaum aber ist dieses Bekenntniß verlautet, mit welchem er sich unbedingt auf Gnade und Ungnade der Gerechtigkeit des Gottes, an dem er gefrevelt, überlieferte, als ihm auch schon aus dem Munde des Sehers wie ein beseligendes Echo das absolvirende Wort entgegentönt: „So hat auch der Herr deine Sünde von dir genommen; du wirst nicht sterben!“ Wie geschieht dem Könige bei dieser Botschaft? Darf er seinen Ohren trauen? Wie einem Träumenden ist ihm bei solchem jähen Wechsel der Schrecken des Gerichts und der Wonne der Begnadigung. In dem Momente, da er sich schon dem Schauerreiche der Verdammten überantwortet glaubt, schließt sich der grausige Abgrund vor seinen Füßen, und statt des erwarteten Blitzes, der ihn zerschmettern werde, umleuchtet ihn das Morgenroth eines neuen himmlischen Friedenstages. O, Segen der Buße zu Gott, sofern sie in einem entschiedenen Bruche mit der Sünde sich vollendet! Sie ist die goldene ob auch thränenbefeuchtete Brücke, die in die Arme der ewigen Erbarmung, in das Paradies der Gottversöhnung führt. Ein aufrichtiges, in göttliche Traurigkeit getauchtes „Ich habe gesündiget,“ wie entlastet schon das die gepreßte Brust! Die unausbleibliche Frucht und Folge aber solcher lautern Herzensbeugung vor dem Herrn ist das begehrenswertheste aller Lebensgüter: die Vergebung der Sünden.

Nathans tröstlicher Eröffnung folgte freilich ein dämpfender Nachsatz. Weil der König durch seine Missethat die Feinde Jehova's - und solcher gab es seit der Mißregierung Sauls nicht wenige - in Israel lästern gemacht hatte, gestattete es die Ehre Gottes nicht, daß ihm die wohlverdiente Strafe gänzlich erlassen wurde. Im Namen des Herrn kündet der Prophet ihm Züchtigungen an, deren erschütternder Wirkung der König erlegen wäre, wäre der Ankündigung nicht das Gnadenwort Nathans vorhergegangen. Doch reichte jene Gnadenkunde zu des Sünders voller Beruhigung noch nicht hin. Vielmehr dürstete ihn nach einer noch unzweideutigeren Versicherung seiner Wiederannahme bei Gott. Nachdem er dem Propheten für die Unerschrockenheit und Treue, womit derselbe, als ein leuchtendes Vorbild aller Beichtiger der Großen der Erde, seines Seelsorgeramtes an ihm gewartet hatte, aufrichtig Dank gesagt, entließ er ihn, und zog sich in die Einsamkeit und feierliche Stille der heiligen Hütte zurück. Was aber Angesichts der Bundeslade, dieses Symbols der Gegenwart Jehova's, hier in Davids Innern, vorgegangen, und wie er sich da vor dem Herrn ergossen, das sagt uns der 51. Psalm, den er als ein Zeugniß seiner aufrichtigen Bekehrung, als ein Muster aller Bußgebete der Gemeine Gottes hinterlassen hat. Treten wir diesem köstlichen Vermächtniß näher, und schaffe der Herr seinem Inhalt einen hellen und nachhaltigen Widerklang in unsern Herzen!

„Gott“ - beginnt der Sänger. Zu einem „Mein Gott“ fand er die volle Zuversicht noch nicht. Doch kennt er den Gott seiner Väter, und zagt er, so bleibt ihm doch das Verzagen fern. Er betet: „Gott, sei mir gnädig nach Deiner Güte, und tilge meine Sünden nach Deiner großen Barmherzigkeit. Wasche mich wohl von meiner Missethat, und reinige mich von meiner Sünde.“ - Der Beter begründet seine Bitte zuvörderst durch Berufung auf den Ernst seiner Neue: „Ich erkenne meine Missethat, und meine Sünde ist immerdar vor mir. An Dir allein habe ich gesündiget, und übel vor Dir gethan, so daß Du Recht behältst in Deinem Urtheil wider mich, und rein bleibst bei Deinem Gerichte.“ - Gottes Mitleid für sich in Anspruch nehmend, unterstützt er seine Bitte ferner durch Hindeutung auf die, freilich die Verschuldung des Einzelnen nicht mindernde Allgemeinheit des menschlichen Verderbens: „Siehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden geboren. Du aber,“ fährt er fort, „hast Lust an der Wahrheit im Innern,“ d. i. an der wahrhaftigen Gerechtigkeit der innersten Gesinnung und Richtung. Woher aber diese nehmen? Der Beter spricht: „Lehre Du mich Weisheit im Verborgenen,“ d. h. in der Tiefe meiner Seele. Wie aber soll dies geschehen? Durch Sündenvergebung und Mittheilung des Heiligen Geistes. Mit gründlichem Verständniß für die das Versöhnungswerk des zukünftigen großen Mittlers und Hohenpriesters abschattende Bilder- und Zeichenschrift der heiligen Hütte und der levitischen Gottesdienste fleht der Sänger: „Entsündige mich mit Ysop,“ h. h. thue in Wirklichkeit an mir, was sinnbildlich an den levitisch Verunreinigten durch den Priester geschieht, indem er vermittelst des Ysopbüschels das Wasser auf sie sprengt, welches mit der Asche der rothen Kuh vermischt ward, „auf daß ich rein werde. Wasche mich, auf daß ich schneeweiß werde. Laß mich hören Freude und Wonne, daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. Verbirg dein Antlitz vor meiner Sünde, und tilge alle meine Missethat. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gieb mir einen neuen gewissen Geist. Verwirf mich nicht vor deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Tröste mich wieder mit deiner Hülfe, und der freudige Geist erhalte mich. Dann will ich die Uebertreter deine Wege lehren“ - (dies that er u. A. im 32. Psalme,) „daß sich die Sünder zu dir bekehren. Errette mich von Blutschuld, o Gott, der du mein Heiland bist, daß meine Zunge jubelnd deine Gerechtigkeit rühme,“ (d. i. die Treue preise, mit der du deine den Bußfertigen zugesprochenen Verheißungsworte wahr machst.) „Herr, thue“ (durch deinen Gnadenspruch,) „meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige. Denn du hast nicht Lust zum Schlachtopfer, sonst wollte ich dir's wohl bringen, und Brandopfer gefallen dir nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz, wirst du, Gott, nicht verachten.“ Schließlich verheißt der Sänger dem Herrn, falls derselbe für ihn Gnade vor Recht ergehen lassen werde, den Dank der ganzen Gemeine, welche ja von dem wider ihren König gezuckten Schwerte mitbetroffen würde. „Thue wohl an Zion,“ spricht er, nach deiner Gnade. Baue die Mauern Jerusalems,“ (statt sie umzustürzen.) „Dann sollst du Lust haben an Schlachtopfern der Gerechtigkeit, an Brandopfern und ganzen Opfern,“ (an solchen, die man dir im rechten Geiste darbringen wird.) „Dann wird man (rechte) Farren,“ (d. i. Opfer; die zugleich geistliche sind,) „auf deinem Altare opfern.“

So David aus unaussprechlich tief bewegtem Herzen. Daß dieses erleuchtete und inbrunstvolle Bußgebet durch die Wolken gedrungen sei und Erhörung gefunden habe, bezeugt der König selbst im 32. Psalm. „Ich sprach,“ berichtet er daselbst, „ich will dem Herrn meine Sünden bekennen; da vergabst du mir die Missethat meiner Sünde.“ So wurde ihm denn in der heiligen Hütte die Gnadenankündigung Nathans auch in unmittelbarer Weise von Gott versiegelt, und erst jetzt vermochte er mit voller Freudigkeit den 103. Psalm anzustimmen: „Lobe den Herrn meine Seele, und Alles was in mir ist seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat: Der dir alle deine Sünden vergiebt, und heilet alle deine Gebrechen; der dein Leben vom Verderben erlöset, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit“ - und wie der unvergleichliche Lob- und Preisgesang weiter lautet.

Wie selig ist jetzt der König! Mit welchem Wonnegefühl spricht er sein: „Wohl dem, dem die Uebertretungen vergeben sind, und die Sünde bedecket ist! Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missethat nicht zurechnet, in dessen Geist kein Falsch ist!“ Frei und unbeklommen steht er nun wieder vor seinem Gott. Wohl weiß er, daß er ein Heiliger vor ihm nicht sei, und auch von ihm mag gelten, was eine alte Sage von dem Apostel Petrus meldet, daß man, so lange er auf Erden gewandelt, eine Thräne an seiner Wimper habe zittern sehen. Demüthiglich bekennt David mit dem Apostel Jakobus: „Wir fehlen alle mannigfach.“ Er fährt fort zu beten: „Vergieb mir auch die verborgenen Fehler.“ Aber Eines ist er sich fortan mit voller Klarheit bewußt, nemlich dessen, daß es ihm ein rechter heiliger Ernst sei, nur zu wollen, was sein Gott will. So tröstet er sich denn der Geduld und Langmut des barmherzigen Herrn, der nachmals durch den Mund eines seiner Propheten zu den Seinen sagte: „Höret mir zu, die ihr mir aufgeladen seid von Mutterleibe an, und von mir getragen werdet von Kindheit auf. Ich bin derselbe bis in's Alter, und will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es gethan, und will heben, und tragen, und erretten.“ David ist nun wieder ganz der „Mann nach dem Herzen Gottes,“ der er weiland war. 'Ja, er ist es jetzt, nachdem er aller Schlacken der Selbstheit und Eigenliebe ledig und siebenfach geläutert wie Gold aus dem Feuertiegel gründlichsten Selbstgerichts hervorgegangen ist, mehr, denn je zuvor. Der ganzen Sünderwelt aber steht er da als ein hoher Leuchter, von welchem mit unaussprechlich ermuthigendem Glanze als heilige Flamme die freie Gottesgnade weit in die Welt hinausstrahlt, die Gnade, deren alle diejenigen sich zu getrösten haben, die wie er, der König von Israel, „eines gedemüthigten und zerbrochenen Geistes sind, und die sich fürchten vor Gottes Wort.“ Doch was bedürfen wir, die Kinder des neuen Testamentes, erst noch der Ermuthigungen aus dem alten Bunde? Gründlicher, als die Frommen in der Haushaltung des Gesetzes, kennen wir den Gott, „bei welchem viel Vergebung ist.“ Zwar gilt bis an unser Ende auch uns des Apostels Johannes Ausspruch: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Aber auf Schritt und Tritt tönt uns nicht minder der andere bis zum Himmel entzückende Zuruf desselben Zeugen nach: „So wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, daß er uns die Sünde vergabt und reiniget uns von aller Untugend.“

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/krummacher_f.w/david/krummacher_david_24.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain