Krummacher, Gottfried Daniel - Jakobs Kampf und Sieg - 4. Betrachtung
1. Mose 32,27
Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
In Ängsten über den Zorn seines Bruders Esau, nimmt Jakob seine Zuflucht im Gebet zum Herrn. Kaum hat er sein Gebet begonnen, so greift in der Dunkelheit der Nacht ein Man ihn an und ringt mit ihm. Er bemüht sich, ihn nicht nur dem Körper nach von der Stätte zu verdrängen durch Anwendung seiner körperlichen Kraft, sondern ihn auch vom Gnadenthron zurückzutreiben durch Vorhaltung seiner Sünden; doch beides nur in der Absicht, seinen Glauben zu üben und ihm einen neuen Segen mitzuteilen. Jakob wehrt sich mit seinen körperlichen Kräften, wehrt sich besonders (nach Hosea 12) durch Tränen und Gebet. Der Kampf wird immer heftiger, so daß sich der Erzvater die Hüfte verrenkt, indem sein Gegner sie anrührt. Aber in dem nämlichen Augenblick, da ihm das weitere Kämpfen unmöglich gemacht wird durch Beraubung seiner Kräfte, da er notwendig ganz überwunden niedersinken und dem Esau in die Hände fallen muß, wirft er sich ganz seinem Gegner um den Hals, und dieser erklärt sich nun für überwunden, erklärt, er sei in Jakobs Gewalt, er könne nicht wen, es sei denn, daß der Patriarch ihn freiwillig loslasse. Wunderbarer Gang! Solange Jakob Kräfte hat, wird er überwunden und siegt in dem Augenblick, da sie verschwinden. Wenn ich schwach bin, so bin ich stark. Den Unvermögenden wird Stärke genug gegeben, aber die Starken werden müde und fallen. Wer kann es begreifen und die Wunder des Reiches Gottes fassen? Nur die, denen es gegeben ist; den andern ist es Anstoß und Torheit. Jakob begriff sehr wohl, was in den Worten steckte: Laß mich gehen, begriff sehr wohl, daß sein Gegner in seiner Gewalt sei, sich ihm übergeben, zu ihm sage: heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Enden zum Eigentum! Und das benutzte er treulich, wenn er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Wir betrachten: 1. Was der Segen sei; 2. den Vorsatz Jakobs: Den Sohn Gottes vor Mitteilung desselben nicht loszulassen; 3. den Erfolg.
Der Herr hat uns in seinem Worte die Gnadentür zum Erstaunen weit aufgetan. Wenn wir nur Glauben hätten und wie Jakob einen gehörigen und freimütigen Gebrauch davon machten, so würden wir Wunderdinge erfahren. Es heißt überhaupt: Bittet, so wird euch gegeben. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei. Und weder im Bitten noch im Geben wird irgendeine Einschränkung gemacht. Vielmehr sagt Christus (Markus 11): Alles, was ihr bitten werdet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr es empfangen werdet, so wird es auch werden, und setzt hinzu: habt doch Glauben an Gott, denn Amen, ich beteure es euch: Wer zu diesem Berge spräche: hebe dich und wirf dich ins Meer, und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, daß es geschehen werde, was er sagt, so wird es ihm geschehen, wie er es sagt. Welche Wechsel – daß ich so kaufmännisch rede – hat der Amen hier auf sich selbst ausgestellt! Und da sein Reichtum unausforschlich ist, so wird an ihrer Zahlung kein Zweifel sein. Ja, Paulus sagt: er ist reich über alle, die ihn anrufen. Aber freilich heißt es: Habt Glauben an Gott! Und der mangelt auf Erden. Der Menschen Zeugnis nimmt man an, aber Gottes Zeugnis, das doch größer ist, nimmt – es lautet erschrecklich – niemand an (Joh. 3). Wer es aber annimmt, der versiegelt es, daß Gott wahrhaftig sei, und wer es nicht tut, der macht sich des ewigen Lebens verlustig.
Auf wie mancherlei Weise sucht unser Heiland die Freimütigkeit im Gebet zu befördern. Er fragt Eltern, ob sie ihren bittenden Kindern wohl einen Stein für Brot und Gift für Speise geben würden, und lehrt uns den Schluß machen, daß der freundliche Gott, der die Liebe ist, doch gewiß Gutes zu geben bereit sein werde, das ihm nichts kostet, da Menschen dazu fähig sind, Gutes zu tun, obschon sie arg sind und es sie etwas kostet. Ist es möglich, daß ein Freund dem andern Dienste erweist, obschon sie ihm Beschwerden verursachen, wenn er dringend darum gebeten wird, und ihr wollt Gott nicht ein Ähnliches zutrauen, der durch einen bloßen Wink die größten Wohltaten mitteilen kann, ohne die mindeste Beschwerde davon zu haben. Ihr haltet es für möglich, daß ein ungerechter, stolzer Richter, der sich vor Gott nicht fürchtet und keinen Menschen scheut, doch der anhaltenden Bitte einer nichtsbedeutenden Witwe willfährt, und könntet meinen, euer gnädiger, liebevoller Vater werde euch fühllos stehen lassen? Er, der da sagt: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten? Schämt euch doch eures Unglaubens! Seinen Sohn, das Beste, Liebste, Herrlichste, was er hatte, sollte er gegeben haben und sich bei unendlich geringeren Wohltaten besinnen? Sollte er uns vielmehr mit ihm nicht alles schenken? Daran den geringsten Zweifel hegen, sollte nicht Unvernunft, nicht Aberglauben, nicht Torheit und Sünde sein? Ach, Herr, lehre uns doch beten! Denn recht beten ist doch eine wunderbare Kunst.
Wir wissen weder was, noch wie wir beten sollen, wie sich's gebührt; aber der Geist vertritt uns aufs Beste mit unaussprechlichem Seufzen. Und gewißlich besteht das Gebet in ganz etwas anderm, als in dem Getön und der Ordnung der Worte, und es ist die Frage, ob manche je in ihrem Leben gebetet haben, wie oft sie zu beten meinen und scheinen, so wie andere sehr kräftig beten, die da glauben, sie könnten gar nicht beten. So ihr aber in mir bleibt, und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren (Joh. 15,7).
Das alles begriff Jakob. Er sah ein, er habe den Sohn Gottes in seiner Gewalt und könne so viel Segen von ihm verlangen, wie er nur wolle. Deswegen erklärt er: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Was heißt aber Segnen?
Segnen bei den Menschen heißt: ihnen von Gott durch Christus betend und gläubig allerlei Gutes, besonders geistlicher Art, wünschen. Die Segnungen, welche Isaak und nachgehends Jakob über ihre Söhne aussprachen, waren prophetische Vorherverkündigungen, also ganz eigener Art. Die erste Art von Segnen ist lieblich und heilsam.
Jakob begehrt von dem Herrn selbst gesegnet zu werden, und das Segnen des Herrn besteht nicht in Worten, sondern in wirklicher Mitteilung von Gnade und Gaben. Segnend schied der Herr von der Erde, indem er die Hände aufhob, aber wir lesen nicht, daß er etwas dabei gesagt habe. Er teilte ihnen wirkliches Leben mit, und dasselbe setzte sie in den Stand, nicht mit Trauern, sondern mit Freuden ohne die sichtbare Gegenwart Jesu nach Jerusalem zurückzukehren.
Im Reiche Gottes ist es überall auf etwas Wesentliches abgesehen. Es ist ein Reich der Wahrheit. Die Welt ist ein Reich der Lügen. Sie verspricht zwar Lust, Vergnügen, Ruhe sogar, aber sie hält nicht Wort. Was sie gibt, ist Schein, der wohl eine Zeitlang täuschen kann, so daß der betrogene Mensch selbst meint, wundervergnügt zu sein. Aber ehe er's sich versieht, wird ihm ein Strich durch die Rechnung gemacht, und am Ende läßt sie ihn ganz im Stich. Sie nimmt alle verliehenen Würden, Vergnügungen, Güter und Freuden wieder zurück, um sie andern zu leihen. Sie kehrt sich nicht daran, ob er den ferneren Besitz und Genuß derselben auch noch so heftig begehrte, ob er sich auch noch so ungern davon trennte. Der böse, unerbittliche Tod stiehlt ihm alles, macht ihn selbst zur Erde und jagt ihn nackt und bloß in eine andere Welt, wo er von allen seinen geliehenen Gegenständen nichts antrifft, wo der vornehme Mann nichts gilt, der Reiche nichts hat, weil da nichts in Anschlag kommt als eine neue Kreatur, die nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, und die er nicht besitzt, - als ein Glaube, der durch die Liebe tätig ist und den er nicht hat. Armer, betrogener Mensch! So ist die Welt ein Lügenreich, und wir selbst sind auch voller Lügen. Sie verleiten den Verstand samt den Begierden, das Heil in der Eitelkeit zu suchen. Daher muß der Mensch wiedergeboren werden, aus einem fleischlichen geistlich, aus einem irdischen himmlisch werden, aus einem ungläubig gläubig werden und so ins Reich Gottes eingehen. Das enthält lauter Wirklichkeit und Wahrheit. Was in demselben böse oder gutgenannt wird, ist es auch wirklich und wird sich so ausweisen. Die Sachen verhalten sich wirklich so, wie es sie schildert. Wenn es sagt: Suche das, so ist es wahrlich der Mühe wert. Sagt es: Trachtet darnach nicht, so lohnt sich's auch wirklich der Mühe nicht, darnach zu ringen. Kurz, es rät uns immer gut. Auch seine Versprechungen sind lauter Wahrheit. Sagt es: Christi Blut mache uns ein fröhliches Gewissen und rein von aller Sünde, es erweist sich auch so an unserm Gemüte, wie es viele Tausende zu allen Zeiten in eigner Erfahrung bestätigt gefunden haben. Sagt es: Der Herr sorgt für euch, es erweist sich so an allen, die es fassen mögen. Seine Freuden sind wirkliche Freuden in der Tat und Wahrheit, und wenn es einmal erscheinen wird, was wir sein werden, so werden alle unsere Erwartungen übertroffen sein. Kurz:
Wer Erde sucht, find't Erdenlast
Und geht auf Spreu und Wind zu Gast.
Mit Müh' und Streit, Verdruß und Leid
Erjagt, bewahrt und spät bereut;
ein Freund in Not, ein Trost im Tod,
Dir g'nug ist keiner,
Bis dir's wird einer:
Dein Gott allein!
Lieblich sind die guten Wünsche des einen über den andern, wenn sie aus einem liebevollen, durch Christus zu Gott gekehrten Herzen quellen; denn sie sind Beweise und Zeichen der Liebe, also Äußerungen des Ebenbildes Gottes und folglich etwas sehr Schönes und Heiliges, was nur wahre Christen zu üben verstehen. Sie üben es auch. Wie viele Grüße enthält das Neue Testament! Das 16. Kapital des Briefes an die Römer besteht fast aus lauter Grüßen, und grüßen heißt nichts anders, als liebend segnen, und besteht nicht in dem Schall der Worte, sondern in der Bewegung des Herzens. Es steht Christen sehr wohl an, denn sie sind Priester, denen das Segnen zukommt. Daher bestellte Paulus auch sehr gern Grüße von andern, die er keineswegs für unbedeutende Kleinigkeiten ansah. Auch der Apostel Johannes ermangelte nicht, ihm von frommen Kindern aufgetragene Grüße auszurichten, wie sein zweiter Brief beweist. Er nimmt's aber auch recht ernstlich und genau mit den Grüßen, wenn er in der nämlichen Epistel befiehlt, denjenigen, der die Lehre Christi, die Lehre vom Vater und Sohn nicht mitbringe, nicht ins Haus aufzunehmen, ihn auch nicht einmal zu grüßen. Johannes besaß ebenso viel Heiligkeit als Liebe, von welcher man sich überhaupt nicht vorstellen muß, als ob sie zu allem Ja sage, wenn sie sich gleich nicht ungebärig stellt. Gott selbst ist ein Meer von Liebe, und doch brennt sein Zorn, seine Lippen sind voll Grimm, und seine Zunge ist wie ein verzehrend Feuer. Denn wie die Liebe das Ähnliche an sich zieht, so stößt sie auch das Unähnliche mit Heftigkeit von sich. Deswegen wird Jesus auch am Tage des zukünftigen Gerichts sagen: gehet weg von mir, ihr Übeltäter, ich habe euch noch nie erkannt, wie er zum Satan sprach: Hebe dich von mir!
Das Grüßen oder Segnen wahrer Christen ist auch etwas Heilsames und Kräftiges, wenn es geschieht, wie es geschehen soll, mit gläubiger Erhebung des Herzens zu Gott durch Christus. Wir glauben eine Gemeinschaft der Heiligen. Sie besteht nicht bloß in der herzlichen und aufrichtigen Liebe, welche unter wahren Christen so unfehlbar stattfindet, daß Johannes sie als Kennzeichen angibt, man sei vom Tode ins Leben gekommen, und wer den Bruder nicht liebe, bleibe im Tode. Sie besteht nicht bloß darin, daß man die Brüder mit seiner äußeren Habe unterstützt und mit seinen geistlichen Gaben ihnen dient, sie belehrt, aufmuntert, tröstet; sondern wir haben Grund zu glauben, daß unser Werk in dem Herrn keineswegs vergeblich sei, wenn ich euch und ihr hin wiederum mich im Geiste segnet, und wir Heil und Gnade vom Herrn betend aufeinander herabwünschen. Der Herr tut, was die Gottesfürchtigen begehren. Ja, es ist gegenseitige Pflicht. „Wünschet Jerusalem Glück“, heißt es Ps. 122, „es müssen wohl gehen denen, die dich lieben.“ – „Wir segnen euch im Namen des Herrn“, so schließt der 129. Psalm, und Paulus spricht: Betet für einander, so wie er die Gemeine um ihre Fürbitte für seine Person und Amt ersucht. Lasset auch uns das gegenseitig fleißig üben, damit der Leib Christi erbauet werden! Doch ist unser Segnen an sich unkräftig und nur dann kräftig, wenn unsere Herzen vom Herrn dazu getrieben werden und mit seinem Rat übereinstimmen.
Mit aller ihrer Weisheit ist die Welt lauter Lüge, wenn sie sich anmaßt, in geistlichen Dingen mitreden zu wollen, weil sie von Christus nichts weiß. Aber wer ins Reich Gottes eintritt, dem geht das rechte, wunderbare Licht auf, und er sieht, was sonst seinen Augen verborgen war. Segnet Jesus, so teilt er wirklich allerlei seiner göttlichen Kraft mit, was zum Leben und göttlichen Wandel dient.
Was nennen wir denn Segen? Es ist das Gegenteil vom Fluch. So wie dieser alles Unheil nach Leib und Seele in Zeit und Ewigkeit, so faßt hingegen der Segen alles geistliche, leibliche, zeitliche und ewige Wohlsein in sich. Leibliches Wohlsein, das ist: vollkommene Gesundheit, die keine Krankheit, kein Schmerz, kein Überbefinden stört, wo der Körper alle mögliche Vollkommenheit besitzt, so daß keine Müdigkeit ihn drückt, keine Langsamkeit ihn beschwert und kein Tier an irgendeinem körperlichen Vorzug ihm gleich kommt. Freilich müssen wir dabei die endlose Zeit nach der Auferstehung mit in Rechnung nehmen. Allein im Reiche Gottes gelten ja auch tausend Jahre nur für einen Tag, und Jesus macht, als ein vollkommener Heiland, beides, den Leib und die Seele, endlich vollkommen gesund und selig, wofür wir ihn selbst mit Leib und Seele zum Unterpfand im Himmel haben, das uns nicht betrügen wird.
Der geistliche Segen ist ein vollkommen beruhigtes Gemüt, ein alles erkennender Verstand, ein durch und durch vergöttlichtes Herz, welches ganz mit Gott eins ist, wovon schon hienieden ein gutes Maß erfahren werden kann. Freilich lebt man hier noch im Glauben und nicht im Schauen, ist selig und heilig in der Hoffnung, noch nicht im vollkommenen Besitz und Genuß.
Jedoch der Segen, das Leben, das hier beginnt, ist ein ewiger Segen, ein ewiges Leben und wird in uns ein Quell des Wassers, welcher fließt in das ewige Leben. Genug, daß ihr aus Gottes Macht bewahrt werdet zur Seligkeit. Genug, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen. Freuet euch, daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind, daß euch die Stätte schon bereitet, daß alles in Richtigkeit ist. Der himmlische Josua wird euch schon durch die Wüste führen wissen und es euch weder an Wasser noch an Brot in derselben fehlen lassen. Und müßt ihr einmal Fleisch haben, so weiß er auch dafür Rat. Nur müßt ihr der Welt ihren Knoblauch und Zwiebel lassen.
Das Gesagte beweist schon zur Genüge, daß der Segen die ganze Zueignung des Heils in sich faßt, von dem ersten leisen, dem Menschen selbst noch verborgenen Zug der Willensneigung zu Gott bis zur vollkommenen Seligkeit vor dem Thron des Lammes; von der kräftigen Berufung an bis zur Herrlichmachung im Himmel, denn es ist ein Segen, ein Ganzes. Daher stellt’s auch Paulus, Röm. 8, als eine goldne Kette dar: „Die er versehen hat, die hat er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes. Welche, er verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er berufen, die hat er auch gerecht gesprochen, die hat er auch herrlich gemacht. Was wollen wir denn hiezu sagen? Ist Gott für uns, weg mag wider uns sein?“
Irdische Wohltaten sind auch eine Art von Segen, den man nicht übersehen soll. Dies Jahr, die gegenwärtige Erntezeit lenkt unsre Aufmerksamkeit lebhaft darauf hin. Felder und Gärten halten uns eine Predigt von der Güte Gottes, indem sie uns den Genuß derselben darreichen. Dagegen dürfen wir nicht unempfindlich sein, sondern sollen unsere Augen aufheben zu dem Segens-Gott, der seine milde Hand auftut und erfüllt alles, was lebt, mit Wohlgefallen, und von dem unsere zeitliche Wohlfahrt ebenso gut abhängt, wie unsere geistliche. Alles aber, was zu dieser zeitlichen Wohlfahrt gehört, nennen wir dennoch nur eine Art von Segen, weil auch Gottlose dessen teilhaftig werden und Gottselige nicht selten wenig davon bekommen. Gott läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Gottlosen gereicht das zeitliche Gut nur zum Fluch, und sie geraten auf die Dauer doch in die bitterste Armut, wie an dem reichen Mann zu sehen ist. Was hilft es auch dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Was hilft aller Anteil an der gegenwärtigen Welt beim Mangel des Anteils an der zukünftigen? Und wie beweinenswert ist die Torheit, über dem Trachten nach einem augenblicklichen Gut ewige Güter zu versäumen, und wie gewöhnlich ist das leider!
Die Quelle alles Segens ist der dreieinige Gott. Der Herr segne und behüte dich! Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig! Der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden! Von ihm als dem Vater des Lichts kommen alle guten und alle vollkommenen Gaben. Niemand kann etwas nehmen, es werde ihm denn vom Vater gegeben. Es liegt überall nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes freiem Erbarmen und freiem Willen.
Vergeblich steht man des Morgens früh auf und sitzt bis in die Nacht, wenn der Herr nicht sein Gedeihen dazu gibt. Umsonst ist die Wachsamkeit der Wächter, wenn der Herr nicht behütet, und der Fleiß der Bauleute, wenn er nicht mitbaut. Bei aller Schnelligkeit kann es doch dem Läufer fehlen, weil er sie zu früh oder zu spät anwendet. Bei aller Geschicklichkeit kann der Kaufmann sich doch verrechnen und kann fehlen bei aller Klugheit. Zum glücklichen Ausgang eines Streits ist Stärke allein nicht genug, und zum Wohlgeraten hilft es nicht, daß jemand ein Ding wohl könne. Das Gelingen gehört unter ein Gebiet, dem Fürsten keine Gesetze machen können, da diese ihm selbst unterworfen sind. Die Menschen nennen es Glück, wir Christen aber göttliche Vorsehung. Sorget nichts! Wisset wenigstens, daß es nichts hilft! Im Geistlichen verhält sich es auch also, und noch eigentlicher. Der Herr segne dich! Dann bist du gesegnet.
Die eigentliche Ursache des Segens ist Christus, der Gekreuzigte. Der Segen war von uns gewichen und mußte uns wieder erworben werden. Der Fluch war über uns gekommen und mußte weggeschafft werden. Beides war für uns selbst zu groß, zu schwer. Es kostete zu viel, daß wir es müßten anstehen lassen ewiglich. Da sandte Gott seinen Sohn in diese Welt. Er kam in einem Aufzuge, daß niemand ihn für das hielt, was er wirklich war als nur der, dem es der Vater offenbaren wollte. Er kam als ein schlichter Menschensohn und ward an Gebärden wie ein anderer Mensch erfunden! Nur wenige sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, als des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Er kam als ein Knecht. Wer dachte, daß er den Herrn vom Himmel vor sich habe? Was für ein Ende nahm er? Er starb in der Blüte seiner Jahre, starb, da er noch nichts zustande gebracht zu haben schien, starb auf die elendeste, schmerzlichste, schmachvollste Weise, verurteilt als ein Schänder göttlicher und menschlicher Majestät, und ward begraben. Was sollte man dazu sagen? Die Jünger wußten es nicht und weinten. Die Juden meinten es zu verstehen: Wäre er nicht ein Übeltäter, wäre etwas an der Sache, wäre es nur halb wahr, was er mit einem Eide beteuert hat, er sei Gottes Sohn, unmöglich hätte er gekreuzigt werden können. Aber es lag und es liegt in der ganzen Sache ein Geheimnis, ein Geheimnis, das von der Welt her verborgen war, das uns aber durch die Apostel geoffenbart ist, ein Geheimnis, das die Obersten dieser Welt nicht erkannt haben, eine Weisheit Gottes bei den Vollkommenen, mit einem Worte: das Geheimnis des Kreuzes Christi. Und was für ein Geheimnis ist das? Paulus erklärt es, Galater 3,13, wenn er sagt: Christus hat uns erlöst von dem Fluche des Gesetzes, und zwar dadurch, daß er ein Fluch für uns ward, welches seine Todesart beweist, denn es steht geschrieben: Verflucht ist jedermann, der am Holz hängt. Und Christus hat am Holz gehangen, auf daß wir den Segen empfingen, der schon dem Abraham verheißen war. Jesus ist demnach Kraft seines Kreuzestodes der wahre Hohepriester, der uns segnet. Bei ihm muß es gesucht werden, wie auch Jakob tat.
Welches ist aber das Mittel, den Segen zu erlangen? Nicht Werke. Geht damit um, ihr bleibt nichtsdestoweniger unter dem Fluche (Gal. 3,10). Quält euch Tag und Nacht, ihr kommt nicht weiter. Jakob hatte auch tüchtig gerungen, und das muß sein, muß solange mit allem Ernst fortgesetzt werden, als man noch etwas auszurichten vermag. Endlich kommt es zum Stillestehen. Endlich blieb Jakob nichts übrig, als mit verrenkter Hüfte sich dem Sohne Gottes an den Hals zu werfen. Und nun erst heißt es: Er segnete ihn daselbst. Durch den Glauben, sagt Paulus an andern Orten, sollen wir den verheißenen Geist empfangen, und er nennt die Galater, die es anders meinten, Unverständige, Bezauberte. Man lese doch das angeführte Kapitel, ja den ganzen Brief nach. Man tue es als ein demütiger Schüler! Man tue es mit betendem Aufschauen auf den Herrn, damit man von ihm selbst die rechte Weise lerne, seines Segens teilhaftig zu werden! Eigene Vernunft tut es hier nicht. Ich danke dir Vater, daß du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen geoffenbart.
Von der Notwendigkeit dieses Segens brauchen wir nicht viele Worte zu machen. Man sollte denken, jeder sähe sie lebhaft ein. Oder seid ihr die Leute, die, wenn sie etwas gesät und gepflanzt haben, selbst machen können, daß es aufgeht und gedeiht? Und sind irgendwo Fürsten, an welche wir uns wenden mögen, um Sonnenschein oder Regen und gesunde Zeit zu erlangen? Seid ihr selbst die Klugen, die Geschickten, die starken Leute, von denen die Richtung des Glücks und der Zeit abhängt, so wollen wir bekennen, daß ihr kleine Götter seid. Könnt ihr selbst den Trieb zu allem guten und den Haß des Bösen in euch wirken? Könnt ihr selbst die Sünde, die Eigenliebe, den Neid, den Eigennutz, den Unglauben aus euch verdrängen? Könnt ihr aus euch selbst sanft, demütig, mildtätig, geduldig, himmlisch gesinnt sein? Nun ja, so müssen wir bekennen, daß ihr wirklich die Gesunden seid, die des Arztes nicht bedürfen, und die Gerechten, die keine Buße nötig haben; müssen bekennen, daß ihr einen andern Stammvater habt, als den Sünder Adam, und daß ihr des zweiten Adams füglich entbehren könnt, daß Pauli Behauptung: es ist hier kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor Gott haben sollen, sich nicht bis auf euch erstreckt und ihr eine unerhörte Ausnahme davon macht. Wir andern glauben, daß Gott es sei, der in uns wirkt Wollen und Vollbringen, glauben, daß wir nicht tüchtig sind, von uns selber etwas Gutes zu denken als von uns selber, sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gott. Wir halten dafür, daß es Gottes Werk sei, wenn wir glauben an den Namen des Sohnes Gottes. Wir meinen, Jesus habe vollkommen recht, wenn er sagt: Ihr vermögt ja nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen.
Wenn wir uns Sünder nennen, so wissen wir auch wirklich anders nichts anzugeben, und so bleibt uns kein andrer Rat übrig, als zu dem nämlichen unsere Zuflucht zu nehmen, an dessen Halse Jakob hing, und mit ihm zu erklären: Ich lasse dich nicht, so segnest mich denn! Wisset ihr einen bessern Weg? Gott selbst sagte: ich weiß ja keinen. Endlich wollen wir noch die Möglichkeit der Erlangung dieses Segens betonen und die Gewißheit derselben für alle, die zum Samen Abrahams gehören. Suchet, so werdet ihr finden! Das kann man von irdischen Gütern so bestimmt nicht sagen, sonst hätten wir mehr reiche Leute. Was aber diesen Segen betrifft, so sind wir von der höchsten Autorität, nämlich von dem König aller Könige, befugt, zu versichern: Wer da suchet, der findet. Wem denn daran gelegen ist, der gebe sich ans Suchen, und wer am Suchen ist, der sage ihm Jakob: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!
Seht denn zu, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt! Es lautet schrecklich, wenn es von jemand heißt: er wollte den Segen nicht, er wollte den Fluch, der wird ihm auch kommen. Schrecklich lautet es, wenn es von allen Übertretern des Gesetzes heißt: Er sei verflucht! Verflucht alles Volk, das nichts vom Gesetz weiß! Hütet euch, daß ihr den irdischen Segen nicht für zu hoch, den geistlichen aber für zu gering achtet, und wisset, daß ihr schon längst unter dem Fluche lagt, so lange ihr noch nicht an Jesus Christus glaubtet. Seht euch beizeiten vor, daß das schon ausgesprochene Todes- und Verdammnisurteil nicht an euch vollzogen, sondern durch die Vermittlung Christi in ein Urteil der Rechtfertigung zum Leben umgeschaffen werde. Was will sonst aus euch werden? Ringt um den Segen wie Jakob aus aller Macht und aus allen Kräften! Sprecht: Ich will und muß es wissen, wie es mit meiner Seele Heil und Seligkeit steht; eher ruhe ich nicht. Nie wird euch die Arbeit gereuen, und sollte es euch auch etwas sauer werden, wie es auch bei Jakob nicht ohne Arbeit und Schmerz herging. Aber wie herrlich war der Ausgang, wenn es heißt: er segnete ihn daselbst! Wie glücklich werdet ihr euch preisen! Mit welchem Dank, mit welcher Freude werdet ihr die Stunde, die Gelegenheit, den Ort nennen, wo ihr in eurem eigenen Innern des Segens vergewissert, teilhaftig werdet, versetzt werdet aus dem Lügenreich ins Reich der Wahrheit und die Wunder desselben selbst erfahrt. Und dann wird der Herr über euch bleiben. Glücklich wird er euch leiten durch die Wüste, bis ihr daheim bei dem Herrn seid.