Baumgarten, Michael - Die Geschichte Jesu für das Verständniß der Gegenwart dargestellt - Dreiundzwanzigster Vortrag. Anfang der Passion.

Baumgarten, Michael - Die Geschichte Jesu für das Verständniß der Gegenwart dargestellt - Dreiundzwanzigster Vortrag. Anfang der Passion.

Wenn man darauf achtet, so wird man finden, daß man sich in der Regel über den Eintritt des Leidens Jesu gar nicht genaue Rechenschaft zu geben pflegt, während man doch zu gleicher Zeit auf das Leiden Jesu solches Gewicht legt, daß alles Andere daneben fast gar nicht in Betracht kommt. Man sollte über diese sonderbare Erscheinung doch einmal scharf nachdenken, so würde man bald inne werden, daß in unseren christologischen Gedanken sehr allgemein Etwas krank sein muß. Der Grund der Unsicherheit über den Anfang des Leidens ist offenbar der, daß man sich das wirkende Leben Jesu auf einen so niederen und schwachen Ton gestimmt vorstellt, daß der Uebergang vom Wirken zum Leiden sich verwischt. Wenn aber das Leiden so wenig von dem Wirken absticht, so ist eine Selbstfolge, daß es in demselben Maße auch weniger inneren Werth haben könne, was denn freilich zu jener Schätzung des Leidens sehr wenig stimmen will. Wir unsererseits haben uns von vornherein jener schwächlichen Anschauung von dem wirkenden Leben Jesu auf alle Weise zu erwehren gesucht, oder vielmehr wir haben gefunden, daß der geschichtliche Lebensgang Jesu im Ganzen wie in einzelnen hervortretenden Zügen mit jenem Vorurtheil einer verkümmerten Anschauung von unseres Heilandes Handeln und Wirken in schneidendem Contrast steht. Wir kommen daher auch nicht in Verlegenheit bei der Frage, an welchem Punkte das. Wirken aufhört und das Leiden anhebt; wir können diesen Uebergang nach Zeit und Ort ganz genau angeben. Indem nun darin zugleich enthalten ist, daß sich uns auch die Vorstellung von dem Leiden in Vergleich mit der gewöhnlichen Betrachtung schärfer herausstellen wird, so ist für uns das Resultat ein weit stärkerer Gegensatz zwischen Wirken und Leiden in dem Leben Jesu, als man in der Regel anzunehmen pflegt. Dann aber entsteht für uns eine um so dringendere Nöthigung, bei diesem Gegensatz die Einheit des Lebens festzuhalten und aufzuweisen. Ich hoffe nun allerdings, daß sich in unserer bisherigen Darstellung die hauptsächlichsten Anhaltspunkte sowohl für die Feststellung des Gegensatzes wie auch für die Einsicht in den Zusammenhang und die Einheit des menschlich-göttlichen Lebens unseres Herrn werden von selbst ergeben haben. Indessen da wir jetzt an der Schwelle des großen Ueberganges stehen, wollen wir versuchen, Beides in einem kurzen Ueberblick zusammenzufassen, wobei das sicherste Wahrheitszeichen dieses sein wird, wenn wir uns der möglichsten Schlichtheit und Einfachheit befleißigen. Denn Nichts hat die Christologie mehr aus ihrer Bahn gebracht und Nichts ist bei diesem Heiligthum mehr gegen den ausgesprochenen Sinn Jesu selber (s. Matth. 11,25.26) als die Gedankenkünstelei. Da der Schwerpunkt alles menschlichen Wesens und Lebens in dem Willen liegt, so muß die Einheit des Lebens Jesu in seinem Willen begründet sein. Dieser Wille hat sich auch deutlich genug als eine unwandelbare Einheit bewährt, da er aus der größtmöglichsten Spannung mit sich selber sich immer in seinen einheitlichen Grund und in seine einheitliche Richtung zusammenfaßt. Dieser Wille ist die Rettung Israels und der Menschheit durch persönliche Liebe, welche Liebe die Macht der rückhaltslosen Selbstversenkung in den verlorenen Zustand Israels und der Menschheit ist. Wenn wir uns nun neben dieser Einheit den Gegensatz in dem Leben Jesu vergegenwärtigen, so müssen wir einerseits uns vorstellen, wie er auf dem Tempelberge im Anfang und am Ende seiner öffentlichen Wirksamkeit mit seinen Händen die drohende Geißel flicht und mit seinen Füßen die Wechslertische umstößt, und andererseits uns klar machen, wie er seine Hände ausstreckt, um sie binden zu lassen, wir müssen uns vorstellen, wie er einerseits Teufel, Welt und Meer mit augenblicklicher Machtwirkung bedroht und andererseits sein heiliger Mund vor den gräßlichsten Lästerungen und Mißhandlungen in tiefem Schweigen verstummt. Aber die Einheit ist nicht neben und außer dem Gegensatz, sondern Beides ist in einander und das ist eben die Wahrheit und Wirklichkeit dieser Geschichte. Die Thätigkeit seines Leibes beruht auf dem Mitgefühl seiner Seele mit der Noth der Menschheit, auf diesem verborgenen Grunde des Leidens ruhend haben wir uns die Wunderthätigkeit denken müssen und um dieses innerlichen Leidens willen nannte Johannes der Täufer den am Jordan wandelnden Jesum das Lamm Gottes. Wenn dagegen sein Leib gebunden ist und leidet, so ist dieses die Selbstbewegung seiner Seele in ihrer geraden Richtung zu Gott; versenkt in die Macht der Sünde bis zum Erleiden des Todes, ist die Thätigkeit seiner Seele die stärkste Liebesbewegung zu Gott, weshalb wir auch ganz Recht daran thun, uns in diesem Zustande seines schwersten Körperleidens seine hohenpriesterliche und versöhnende Thätigkeit in ihrer eigentlichen Kraft zu denken. Während seines freien Wirkens in der Welt ist sein Leiden ein verborgenes, dagegen während sein Leiden als ein Schauspiel vor aller Welt Augen steht, ist sein Wirken ein tief verborgenes und nur dem Glauben zugängliches; und der Gang des Lebens ist der, daß das Leiden aus der Verborgenheit in die Oeffentlichkeit hinaustritt, während zugleich sein Wirken in ein tiefes Geheimniß sich zurückzieht. Der Uebergang ist dadurch bedingt, daß sich die gänzliche Erschöpfung aller Empfänglichkeit in der Welt für Jesu Wort und Werk thatsächlich aufweist. Der Anfang des Leidens im eigentlichen Sinn fällt genau zusammen mit der thatsächlich sich aufweisenden Unmöglichkeit eines weiteren Wirkens in der Welt und wird eben durch diesen Umstand verständlich.

Jesus hatte gesagt: „ich muß wirken so lange es Tag ist, bis die Nacht kommt“ (s. Joh. 9,4), und andererseits: „so lange der Tag scheine, wandle er ohne Anstoß“ (s. Joh. 11,9.10). Es trifft auf einen Punkt zusammen, die Unmöglichkeit eines weiteren Wirkens und die Hemmung seines Schrittes, d. h. die Nacht tritt für ihn ein in dem zwiefachen Sinne, den er in jenen Worten andeutet, das ist die Stunde der Finsternis, welche den Feinden zu Gebote steht (s. Luk. 22,53). Wie er schon früher, worauf wir auch aufmerksam gemacht haben, die natürliche Nachtzeit dazu verwendete, um in tiefer Einsamkeit zu seinem himmlischen Vater zu beten, und wir darin die höchste Kraftanstrengung seiner Seele zu sehen haben, so verwendet er die nun anbrechende Zeit, welche für ihn die Nachtzeit im eigentlichen Sinne ist, dazu, um seine innerste Kraft in ihrer höchsten Steigerung auf die geistige Welt zu richten, um durch diese verborgene Thätigkeit, von der die ganze Well Nichts wahrnimmt, das zu vollenden, was er durch sein offenbares Wirken in der Welt nicht hatte erreichen können, und in diesem Zusammenhang und in diesem Sinne sagen auch wir, daß er durch sein Leiden, in welchem die höchste Spannung seiner verborgensten Kraftwirkung beschlossen ist, sein eigentliches Werk, die Versöhnung und Erlösung der Welt vollbracht hat. Jetzt wollen wir den Gang der Ereignisse bei diesem großen Wendepunkte näher ins Auge fassen.

Judas hat den letzten Befehl seines Herrn und Meisters, sein Vorhaben zu beschleunigen, pünktlich ausgerichtet. Er hat sich sofort von dem Passamahl Jesu in der Nachtzeit zu den Synedristen begeben und durch das Vorhalten der günstigen Gelegenheit, die er nun gefunden, da er herausgebracht, daß Jesus sich während derselben Nacht nach Getsemane begeben werde, ihre Bedenken wegen der Passazeit überwunden, ihm ist eine Schaar von Bewaffneten und Fackelträgern zugewiesen und an ihrer Spitze, erscheint er als ihr Führer (s. Apostelg. 1,16) an dem Eingang des Gartens, als Jesus mit seinem Jüngerkreise soeben sich aufmacht, um seinen Verräther zu erwarten. Da Jesus und Judas sich gegenseitig suchen, wird es dem Letzteren leicht, das den Feinden gegebene Wahrzeichen zu vollziehen. Dieses Wahrzeichen war der Kuß. Judas bleibt sich völlig consequent. Er weiß nun ganz unzweifelhaft, daß Jesus ihn längst und völlig durchschaut hat, er hat aber daneben erfahren, daß Jesus ihn fortwährend getragen hat, daß er ihn selbst bei dem letzten Mahl sowohl durch das Fußwaschen als durch die Darreichung des eingetauchten Bissens als Einen der Seinigen bezeichnet und behandelt hat. Er erinnert sich dabei vermuthlich an das Wort Jesu, daß er von Herzen demüthig sei und gekommen wäre, zu dienen. Aus diesen Erfahrungen und Erklärungen Jesu hat er vermittelst seiner teuflischen Klugheit den Schluß gewonnen, daß er sich auch werde das Aeußerste von ihm gefallen lassen. Das Verhältniß zwischen Jesus und den Jüngern ist häusliche Gemeinschaft und beruht auf gegenseitiger Vertraulichkeit, das sprechendste Zeichen dieses Verhältnisses war der Kuß. Da Jesus bisher das Verhältniß mit Judas nicht abgebrochen, obwohl er wußte, was er vorhatte, so baute Judas darauf, daß Jesus vermöge seiner demüthigen Hingebung auch dann das Verhältniß noch nicht brechen werde, wenn er nun zur That schreiten werde. Darauf beruht die Verabredung dieses Zeichens und Judas hat auch diesmal wie so oft ganz richtig gerechnet. Er trat auf Jesus zu, begrüßte ihn als Meister und küßte ihn und Jesus ließ sich den Kuß gefallen, indem er sagte: „Freund, wozu bist du da? Verräthst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?“ (s. Matth. 26,50. Luk. 22,48). In diesem letzten Worte Jesu an Judas ist eben das enthalten, was Judas voraussetzte, daß Jesus seinerseits das Verhältniß aufrecht hält und es vollständig dem Verräther überläßt, es abzubrechen. Und zwar muß der Verräther diese Gemeinschaft so abbrechen, daß er selber bei seiner letzten Berührung Jesu das thatsächlichste Zeugniß der beispiellosesten selbstverleugnendsten Liebe ausstellt; Judas selber beweist mit diesem Kuß, daß er von Jesu nie etwas Anderes als Liebe erfahren hat. Darum konnte auch sein Ende kein anderes werden, als es geworden ist. Als Ahitophel, der vertraute Rath und Tischgenosse des Königs David sah, daß sein gegen seinen königlichen Herrn gerichteter Plan verworfen wurde, sattelte er sein Thier, ritt in seine Stadt und erhängte sich. Als Judas sah, daß sein Verrath gelang, brachte er die dreißig Silberlinge wieder und sprach: „ich habe unschuldiges Blut verrathen,“ und da die Hohenpriester das Geld nicht annehmen wollten, warf er es in den Tempel und ging an einen unreinen Ort und erhängte sich (s. Matth. 27,3-5). Der gebotene Bissen und der gegebene Kuß waren seinem Gewissen das unauslöschlich eingeprägte Brandmal, sowohl dafür, daß Jesus unschuldig war, als auch dafür, daß er das Vollmaß einer unbegrenzten Liebe mit dämonischer Klugheit zu seinem Eigennutz gemißbraucht hatte. Darum bleibt ihm bei seinem klaren Einblick in den Abgrund seines Frevels Nichts übrig, als der Weg der Verzweiflung. In dem Verrätherkuß des Judas spiegelt sich die ganze Weltlage ab. Dieser Verräther ist der Führer derer, welche die höchste Autorität Israels in Händen haben, und andererseits gilt dieser Verräther bis zu diesem Augenblick in dem vertrauten Kreise Jesu als Einer der Treuesten. Das ist die Finsterniß der Welt, in welcher Jesus nicht mehr wirken kann.

Jesus will es aber seinen Häschern thatsächlich beweisen, daß er freiwillig sich in ihre Gewalt begibt. Er geht ihnen entgegen und fragt sie: „wen sucht ihr?“ Und als sie antworteten Jesum von Nazaret, spricht er: „ich bin s,“ und vor diesem Worte weichen sie zurück und fallen zu Boden mit ihrem Führer (s. Joh. 18,4-6) und Jesus selber muß sie durch eine weitere Anrede und die Weisung, seine Jünger frei zu lassen, wieder aufrichten und zu ihrem finsteren Werk ermuthigen (s. V. 7-9). Als sie sich darauf Jesu bemächtigen wollen, zieht Petrus das Schwert, das er bei sich führt, und verwundet des Hohenpriesters Knecht. Wir sehen daraus, daß dem Petrus derjenige Muth, welcher in höchster Gefahr sein Leben wagt, in ungewöhnlichem Grade zu Gebote stand und er so weit sein Versprechen, mit Jesu in den Tod zu gehen, vollkommen löst, so daß alle Schwächlinge und Feiglinge kein Recht haben, sich mit dem Beispiel seiner späteren Zaghaftigkeit zu decken. Petrus leistet das Höchste, was er auf seinem damaligen Standpunkt zu leisten vermag, aber hier zeigt sich nun aufs Neue, daß die Stunde der Finsterniß gekommen ist und Jesu zu wirken Nichts mehr übrig bleibt, sondern nur zu leiden. Die Tapferkeit des Petrus ist nämlich durchaus nicht nach dem Sinne Jesu. Zwar hat er vor wenigen Stunden darauf aufmerksam gemacht, daß für sie eine neue Zeit anbrechen werde, indem bisher er als ihr Herr und Hausvater für ihre Bedürfnisse gesorgt habe, von nun an aber sie auf sich selber angewiesen seien, und um dies zu veranschaulichen, hat er ihnen gesagt, man solle sich mit einem Schwert versehen, was er ohne Zweifel sinnbildlich gemeint hat (s. Luk. 22,35-38). Als nun aber Petrus von dem Schwert in äußerlicher Weise Gebrauch macht, benutzt Jesus diesen letzten Augenblick seines Verkehres dazu, um sie auf die eigentliche Bedeutung des gegenwärtigen Wendepunktes aufmerksam zumachen. Zu Petrus sagt er: „stecke dein Schwert an seinen Ort, die das Schwert nehmen, werden durch das Schwert umkommen“ (s. Matth. 26,52), Und sofort besiegelt er diese seine Meinung thatsächlich, indem er das abgehauene Ohr des Knechtes durch Berührung anheilt (s. Luk. 22,5). Die Hauptsache ist ihm aber, den Jüngern, ehe er sie entläßt, Aufschluß zu gewähren über die Freiheit und Unwiderruflichkeit seines Entschlusses, jetzt sein Leiden anzutreten. Er sagt: „soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat?“ (s. Joh. 18,11). Das ist der Kelch, von dem er den beiden Söhnen Zebedäi im Voraus sagte (s. Matth. 20,22), das ist der Kelch, dessen Vorübergehen vor wenigen Augenblicken seine ganze Natur verlangte, bis er ihn als den Willen des Vaters erkannte; und jetzt da derselbe ihm dargereicht wird, steht sein Entschluß, ihn zu nehmen, unwandelbar fest. Ferner sagt er zu Petrus und will ihn durch eure andere Wendung aufzuklären suchen: „meinst du, daß ich nicht kann sofort den Vater anrufen und er wird mir zustellen mehr denn zwölf Legionen Engel?“ (s. Matth. 26,53). So wenig bedarf es deines Schwertes, will Jesus sagen, daß wenn ich des Schutzes benöthigt wäre, ich anstatt eurer wehrlosen Zahl die himmlischen Schaaren der Gottesboten zur Seite haben würde. Eine weitere Andeutung ist die Verweisung auf die Weissagung: „wie sollten die Schriften erfüllet werden, daß es also geschehen muß?“ (s. Matth. 26,54). Aber diese ganze letzte Unterweisung Jesu, die durchaus für ihren damaligen Standpunkt angelegt ist, geht für sie verloren, augenblicklich wenigstens gewährt sie ihnen kein Licht für die gegenwärtige Finsterniß. Denn als Jesus sich binden und gefangen führen läßt, da verlassen ihn alle Jünger und fliehen (s. Matth. 26,56. Marc. 14,30), worin liegt, daß sie nicht bloß ihren Herrn und Meister in den Händen seiner Feinde sich selbst überlassen, sondern auch voll Furcht und Schrecken sich entfernen. Wir werden dies auch von Petrus und Johannes anzunehmen haben, obgleich wir von Beiden erfahren, daß sie von ferne Jesu nachgefolgt sind (s. Joh. 18.25. Matth. 26,58). Das Fliehen und Nachfolgen haben wir nämlich so auszugleichen, daß das Erste die unwillkürliche Folge des plötzlichen Schreckens ist, der Alle ergreift, als sie Jesum in den Händen seiner Todfeinde sehen, später aber ermannen sich Petrus und Johannes so weit, daß sie in einem geraumen Abstand hinter Jesu bis in den hohenpriesterlichen Palast vordringen, nur daß wir uns diese Einlenkung von der feigen Flucht nicht denken dürfen als eine Rückkehr in den Stand ihrer früheren Zuversicht. Es ist in der That so, wie der Herr nach einer alttestamentlichen Weissagung vorhergesagt hat: „der Hirte wird geschlagen und die Schafe der Heerde zerstreuen sich,“ und wir können gleich hinzunehmen, was er weiter sagt: „ich werde euch als Hirte führen nach Galiläa,“ nämlich die Sammlung in Galiläa ist erst die Ueberwindung derjenigen Erschütterung, welche mit dem Moment der Gefangennehmung über die Jünger kommt. Wenn wir kein anderes Zeichen hätten, so könnte uns diese ungeheure Verwandlung der Jünger als Beweis dienen, daß mit der Gefangennehmung Jesu das Leiden eintritt. Es ist aber nöthig, daß Wir uns über diese Verwandelung der Jünger klar werden, weil daraus wiederum das Leiden Christi neues Licht empfängt. Es ist wohl ganz offenbar, daß die Apostel sich in den Anblick des wirklichen Leidens Jesu gar nicht finden können, weil sie einen solchen Zustand mit ihren Vorstellungen von seinem Reich und seiner göttlichen Königswürde schlechterdings nicht zu vereinigen wissen. So selbstsüchtig und feige dürfen wir sie uns auf keinen Fall vorstellen, daß die bloße äußere Gefahr, hinsichtlich welcher Jesus sie zum Ueberflusse auch noch beruhigt hatte, eine solche umstimmende Wirkung auf sie ausgeübt hätte. Nein, der Anblick, daß der, welcher sie immerdar durch den Eindruck seiner schlechthin freien Selbstbestimmung und Selbstbewegung, durch die Anschauung der Wirkungen seiner Kraft begeistert hatte, von dem sie in Bälde die Aufrichtung seines Israel und Heiden, Himmel und Erde umspannenden Reiches erwarten, sich binden und führen läßt von denen, welche ihn hassen zum Tode und die offenkundigen Feinde seines Reiches sind; dieser Anblick ist es, der ihnen den festen Haltpunkt unseres bisherigen inneren und höheren Lebens mit einem Schlage umstürzt. Der Puls ihres inneren und besseren Lebens steht still und was sie nun vornehmen, steht unter dem Einfluß einer fremden Macht. Daß Petrus und Johannes, nachdem sie den ersten Eindruck des Schreckens zurückgedrängt, von ferne Jesu folgen, geschieht nicht in Kraft ihrer bisherigen Liebe und Begeisterung, sondern ist die Wirkung eines gewissen blinden Instinctes, ist eine unwillkürliche Nachwirkung ihrer früheren selbstbewußten Liebe.

Wir ersehen aus diesem Verhalten der Jünger, daß sie von dem Abstand zwischen dem Wirken und dem Leiden des Herrn ganz dieselbe Anschauung müssen gehabt haben, die wir gefunden. Diejenigen, welche sich scheuen in den inneren Ernst des Wirkens Jesu einzugehen, weil sie besorgen, damit dem Werth seines Leidens zu nahe zu treten, können sich über diese Verwandlung der Jünger gar keine Rechenschaft geben, es muß ihnen der Zustand der Jünger während des Leidens, der, wie wir sehen werden, sich in immer neuen Lügen zu erkennen gibt, ein verschlossenes Räthsel bleiben. Will man nun die Jünger in die Schule nehmen und ihnen vorhalten, daß das Reich Christi ein geistliches ist und mit den jüdischen Hoffnungen Nichts gemein hat, und daß Jesus, um der Versöhner und Erlöser der Welt zu werden, vor Allem die ewige Gerechtigkeit Gottes durch sein Opferblut sühnen mußte, so corrigiert man im Grunde die Lehrweisheit des einigen und untrüglichen Meisters, denn dieser hat sie angeleitet, sein Reich nach den Umrissen der alttestamentlichen Verheißung anzuschauen und sein Wirken als auf die Gründung dieses Reiches gerichtet zu betrachten. Wenn sie nun noch Etwas erkennen und lernen sollen, was darin nicht ohne Weiteres enthalten ist, so kann ihnen dies nicht durch eine nebenhergehende Doctrin beigebracht werden, sondern es muß ihnen auf dem Wege des geschichtlichen Erlebens an der Hand Jesu aus jenem Grunde ihrer vornehmsten Anschauung und Erfahrung entstehen. Es kam also auf nichts Weiteres an, als daß die Jünger Jesum in seinem Wirken für sein Reich verstehen lernten, dann waren sie auch im Stande, ihn in seinem Leiden für sein Reich zu verstehen. Daß er ihnen also in seinem Leiden verschwindet, daß sie ihn in seinem Leiden nicht festhalten können, ist ein sicherer Beweis dafür, daß sie ihn auch in seinem Wirken nicht verstanden und festgehalten haben. Wären die Jünger Jesu bis dahin mit voller Hingebung und Theilnahme gefolgt, so hätten sie lebensmäßig erkannt, daß alles Wirken Jesu für sein Reich erfolglos geblieben war und deshalb jetzt kein anderer Weg als der des Leidens offen stand.

Hätten sie so die innere Seele seines Wirkens verstanden, so würde ihnen das Leiden nur als eine Steigerung desselben Liebeswillens erschienen sein und sie würden ihn so wenig ob dieses neuen Anblickes verloren haben, daß sie jetzt nur noch fester und treuer ihn umfangen hätten. Fragen wir nun, worin es liegt, daß die Jünger die Vergeblichkeit des bisherigen Wirkens nicht verstanden und deshalb auch die Nothwendigkeit seines nun anhebenden Leidens nicht erkennen konnten, so ist der Grund in einem innersten Mangel ihres eigensten Selbstbewußtseins. Sie brauchten sich nicht an Kapernaum, Betsaida und Chorazin zu erinnern, sie brauchten nicht das Bild der Schriftgelehrten und Pharisäer in sich wach zu rufen, sie brauchten nur an das Wort des Herrn, das vornehmlich ihnen galt, zu denken, an jenes Wort tiefster Wehmuth: „wie lange soll ich bei euch sein? wie lange soll ich euch tragen,“ ja das eine Wort aus der Erinnerung der letzten Stunden: „Philippe, so lange bin ich bei euch und du kennst mich nicht?“ genügte für sie, um zu erkennen, daß auch an ihnen alles bisherige Wirken Jesu sein eigentliches Ziel nicht erreicht habe. Wären sie gründlich und gewissenhaft mit sich selbst umgegangen, so würden sie erkannt haben, daß das alles Wirken Jesu Hindernde und Vernichtende in ihnen selbst ganz dasselbe war, was in den Juden vorhanden war, daß es nämlich ruht in der israelitischen Natur überhaupt, welche auf Grundlage der allgemein menschlichen Corruption eine besondere und verschlimmerte Gestalt gewonnen habe; woraus sich ihnen dann weiter mit innerer Nothwendigkeit ergeben hätte, daß es der menschlichen Natur überhaupt und insbesondere auch der israelitischen dermalen an einem festen Anknüpfungspunkte fehle, in welchen selbst die Wirksamkeit des Eingeborenen vom Vater zur Heiligung einzusetzen vermöchte, daß demnach zur Versöhnung und Erlösung nicht das Wirken, wenn auch der höchsten Liebe und Kraft, sondern nur das Leiden dieser Liebesmacht ausreichend sei. Wenn es ihnen an dieser gründlichen Selbstbesinnung, an dieser erfahrungsmäßigen Erkenntniß ihres eigenen Naturgrundes noch fehlte, so konnten sie den Uebergang ihres Herrn vom Wirken zum Leiden nicht fassen und mußten deshalb ihrer eigenen Finsterniß überlassen werden, damit sie empfänglich gemacht würden, in Zukunft den Sinn und das Werk Christi besser zu verstehen, als es ihnen bis dahin gelungen war. Auf demselben Wege dieser inneren Selbsterfahrung und auf keinem anderen will immer aufs Neue wieder das Verständniß des Leidens Christi gewonnen werden. Wer das Leiden Christi verstehen will, muß erfahrungsmäßig in seinem inneren Selbstbewußtsein lernen, daß die wirkende Liebe, und wäre sie die höchste und heiligste, ihn darum nicht erlösen kann, weil es in ihm selber an jeder mitwirkenden Kraft gebricht. Diese schmerzlichste aller Selbsterfahrungen kann nicht durch eine Lehre ersetzt werden, weder durch eine Lehre von dem geistlichen Charakter des Reiches Christi, noch durch eine Lehre von der Erbsünde, vielmehr steht es noch immer so, daß diese beiden Lehren auch in uns, wie einst in den Jüngern, erst dann zur Wahrheit werden, wenn sie auf dem Grunde jener Selbsterfahrung ruhen, dagegen losgelöst von diesem Grunde, nothwendig entweder zur Verwirrung oder zur Heuchelei verführen. Der verdunkelte Zustand der Jünger, der bei ihrer jetzigen Unklarheit nothwendig erfolgen mußte, wird uns übrigens durch das bekannte Beispiel des Petrus recht anschaulich gemacht. Petrus verleugnet in dieser Nacht dreimal denjenigen, den er feierlich bekannt hat als den Sohn Gottes, zu dem er gesagt hatte: wohin sollen wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens? dem er vor wenigen Stunden gelobt hatte: wenn ich mit dir sterben müßte, so will ich dich nicht verleugnen, noch mich an dir ärgern; diesen verleugnet Petrus vor einer Magd, er verleugnet ihn mit einem Schwur und Fluch; und so betäubt ist er in diesem Zustand seiner Dumpfheit, daß er das Zeichen des ersten Hahnenschreies, auf welches ihn Jesus so nachdrücklich aufmerksam gemacht hatte, völlig überhört (s. Marc. 14,68). Erst der Blick des gemißhandelten Jesus wirft einen Lichtstrahl in seine umnachtete Seele, Jesus, vermuthlich als er über den hohenpriesterlichen Hof geführt wurde, sah ihn an und Petrus weinte bitterlich (s. Luk. 22,61.62. Matth. 26,75. Marc. 14,72). Die Sage, welche am Oelberg eine Höhle zeigte, in welcher Petrus sich ausgeweint habe, ist jedenfalls sinnig, denn durch den Blick Jesu und die Erinnerung an sein früheres Wort ist Petrus in eine so heftige und tiefe Betrübniß versenkt, daß er lange Zeit gebraucht, um sich wieder zu finden, wie wir dies auch später sehen werden. Wer diesen traurigen Fall des Felsenmannes Petrus recht erwägt und sich in seinem eigenen Gewissen klar macht, der hat ein völlig ausreichendes Licht, um die Nothwendigkeit des Leidens Christi zu begreifen.

Wir begleiten nun unseren Herrn und Heiland auf seinem Leidenswege. Johannes, der als Augenzeuge erzählt, berichtet, daß Jesus zuerst zu Hannas geführt wurde, der ein hohenpriesterliches Ansehen genoß, und demnächst zu Kaiphas, dem fungierenden Hohenpriester desselbigen Jahres (s. Joh. 18,13.14). Bei Hannas war offenbar eine Vorversammlung des Synedriums, bei der vermuthlich noch nicht alle Mitglieder anwesend waren. Kaiphas präsidiert der eigentlichen Hauptversammlung, zu welcher sich inzwischen der ganze Rath eingefunden hatte. In dieser nächtlichen und unheimlichen Eile sehen wir ganz deutlich die Wirkung des furchtbaren Hasses, welcher dieses Collegium seit lange entflammte, sowie die Folge von all den voraufgehenden Beschlüssen, welche, während sie bis dahin kein praktisches Resultat gehabt hatten, jetzt zur Wahrnehmung der nächtlichen und günstigen Stunde zusammenwirken. Hannas fragt Jesum zunächst um seine Jünger und um seine Lehre, worauf ihm Jesus freimüthig erwidert: „ich habe frei öffentlich geredet vor der Welt, ich habe immerdar gelehret in der Synagoge und in dem Tempel, wo alle Juden zusammenkommen, und im Verborgenen habe ich Nichts geredet; was fragest du mich? Frage die, welche es gehöret haben, was ich ihnen gesagt habe, siehe diese wissen, was ich gesagt habe“ (s. Joh. 18,19-21). Um so mehr als wir bald sehen werden, daß Jesus in seinem Leidensstande karg im Reden wird und endlich gänzlich verstummt, sind wir verpflichtet, auf diese ausführliche, freimüthige Antwort Jesu bei seiner ersten Befragung Acht zu geben. Allerdings weicht er der Frage des Hannas aus, aber er begründet diese Ausweichung ausführlich und zwar so, daß er die Gestellung der Frage dem Hohenpriester zum Vorwurf macht. Die Frage des Hannas lautete so, als wenn Jesus eine Secte bilden wolle und eine geheime Lehre führe, die darin liegende Insinuation weiset Jesus zurück, indem er sich auf sein offenkundiges Verhalten beruft. Stillschweigend lag darin zugleich der Vorwurf, daß der Hohepriester nicht bloß als einzelner Jude wissen mußte, was für Alle gesagt war, sondern auch in seiner amtlichen Stellung noch eine besondere Pflicht hatte, von dem, was öffentlich gelehrt worden war, genaue Kunde zu besitzen. Es ist wohl keine Frage, daß die Meisten unter uns sich von dem Leiden Christi eine Vorstellung gemacht haben, nach welcher diese schneidende Antwort aus dem Munde des Herrn, bei seinem ersten Verhör, welches er als ein Gebundener und. Gefangener zu bestehen hatte, etwas Befremdliches hat. „Er ist hingeführet wie ein Thier zur Schlachtbank und verstummet wie das Schaf vor seinem Scheerer,“ dieses Wort denken wir uns gleichmäßig über das ganze Leiden Christi verbreitet und stellen uns das Ganze vor als eine einförmige in sich versenkte Hingebung; und hier bei der ersten Frage in dem peinlichen Verhör antwortet der Herr nicht als wenn Hannas sein Richter wäre, sondern vielmehr er, der Richter und Verkläger des Hohenpriesters. Wie es die ganze Anschauung von der Passion verzerrt, wenn wir uns nicht zuvor eine richtige Vorstellung von der Action gebildet haben, welche Action durchaus eben so einzig und unvergleichlich dasteht, wie das, was man von Alters her als die Passion schlechthin zu bezeichnen pflegt, so müssen wir auch dies Leiden in sich wieder lebensmäßig und geschichtlich denken, wenn wir die rechte Wahrheit und Wirklichkeit desselben erkennen und die heilsame Frucht desselben gewinnen wollen. Aus der Freimüthigkeit und Schärfe dieser ersten Antwort des Herrn sollen wir entnehmen, daß er erst dann verstummt, als es sich ihm erfahrungsmäßig herausstellt, daß jedes Wort seines Mundes vergeblich ist. Mit dem Verstummen beginnt der Herr auch in dem Stande seiner Gebundenheit und Gefangenschaft nicht, sondern er redet auch in diesem Zustande anfänglich gerade so, wie er redete, da er frei umherwandelte. Wir erfahren auch gleich, worauf diese seine anfängliche Redefreimüthigkeit beruht. Denn nachdem er in der bezeichneten Weise dem Hohenpriester seine erste Frage beantwortet, gab ihm Einer der Diener einen Backenstreich und sprach: „solltest du dem Hohenpriester also antworten?“ worauf ihm Jesus erwiderte: „hab ich übel geredet, so beweise es, habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?“ (s. Joh. 18,22.23). Hier ist der Anfang der Mißhandlungen unseres Herrn, welche bald ihr Maß voll machen werden. Bei diesen Mißhandlungen verhält er sich nachher auch anders, wie bei dem eben erwähnten Anfang. Sein anfängliches Benehmen läßt uns aber in den Grund seiner Seele hineinschauen, welchen Blick wir auch da festzuhalten haben, wenn der Grund seiner Seele sich in tiefem Stillschweigen verdeckt. Der knechtische Sinn des Dieners hat die schneidende Schärfe des Wortes Christi an den Hohenpriester richtig gefühlt und da er kein anderes Mittel kennt, seinen hohen Gebieter zu schützen, so braucht et die rohe Gewalt. Zum ersten Mal fühlt es Jesus leiblich, daß er in den Händen der Sünder ist, und sein Mund bezeugt es, daß er ein volles Gefühl davon hat. Die Seele der Rede an den rohen Knecht ist das volle ungebrochene Rechtsbewußtsein und es muß uns billig zum Nachdenken zwingen, daß Jesus dieses Rechtsbewußtsein mitten im Erleiden des Unrechts nicht bloß festhält, sondern es auch hier beim Anfang der Mißhandlungen unverhohlen ausspricht und geltend macht. Wir begegnen nämlich auch hier einer weitverbreiteten Verirrung im Denken und Handeln: es ist nämlich eine sehr gewöhnliche Meinung, daß christliches Dulden des Unrechts das wahre und rege Rechtsbewußtsein entweder ausschließe, oder wenigstens gegen dasselbe gleichgültig sein müsse, und daraus geht dann weiter hervor, daß man der herrschenden Ungerechtigkeit der Welt gegenüber so zu sagen nicht früh genug mit dem Dulden des Unrechtes beginnen zu müssen wähnt, um nur ja sich recht fern zu halten von weltlicher Rechthaberei und nur ja des christlichen Verhaltens recht sicher zu sein, so daß man schon immer schweigend duldet, wo es die Pflicht gebietet, zu reden und zu handeln. Es ist das wiederum ein Zerrbild des Leidens Christi. Er, der große Dulder, hat das Rechtsbewußtsein, welches er hier ausspricht, in dem schweigenden Grunde seiner Seele festgehalten bis zu Ende hinaus. Denn so beschreibt Petrus sein Dulden: „er schalt nicht wieder, da er gescholten ward, und drohete nicht, da er litt, er stellte es aber dem anheim, der recht richtet“ (s. 1. Petr. 2,23). Wenn er nämlich schweigend sein Recht. Gott anheimstellt, so setzt dieses die höchste und reinste Energie des Rechtsbewußtseins voraus. Und hier macht der Heiland sein Recht noch geltend, da er schon sieht, daß die rohe Gewalt ihre Hand wider ihn erhoben hat. Es kann daher unmöglich das Christliche sein, etwas Natürliches muß es sein, was jene abweichende Gestalt und Art des Duldens begründet, und bei näherer Betrachtung ergibt sich auch unzweifelhaft, daß Stumpfsinn, der immer eine Art Herzenshärtigkeit ist, der mit dem Glauben in Widerspruch steht (s. Marc. 16, 14), Trägheit und Feigheit jedesmal einen großen Antheil an diesem schwächlichen scheinchristlichen Dulden haben. Es ist in der That eine Furcht und Flucht vor der eigentlichen Tiefe des Leidens und Duldens, welche diesem gleichgültigen und voreiligen Dulden zu Grunde liegt. Denn das rechte Leiden und Dulden fängt überall erst da an, wenn sich die letzte Kraft des Wirkens erschöpft hat, und dies ist nicht bloß die rechte Zeitverbindung, sondern auch die richtige Causalverknüpfung, denn das wahre Leiden und Dulden, welches recht eigentlich den Namen des christlichen verdient, wird eben durch die äußerste Kraftaufwendung des Wirkens herbeigeführt; wie wir es hier in unmittelbarer Nähe an dem Urbilde alles christlichen Leidens und Duldens sehen. Hier in dem Saal des Hannas, wo die ganze vom nächtlichen Fackelschein erleuchtete Umgebung es verkündigt, daß rohe Gewalt, Ungerechtigkeit und Lüge sich aufgemacht haben, ihre Beute zu erjagen, hier erhebt Jesus seine strafende Stimme gegen den Hohenpriester und eben darüber empfängt er den Backenstreich von einem gefühllosen gemeinen Schergen, und dieser Schlag ist das Signal, daß die rohe Gewalt der Sünderhände gegen den Wehrlosen losgelassen ist. Und dennoch erhebt er seine rügende Stimme noch einmal, und als diese wirkungslos verhallt und hiemit die Sprache des gemeinen Faustrechts in diesem geistlichen Gerichte die Oberhand behält, da brennt ihn aufs Neue der Backenstreich bis in den Grund der Seele hinein und Leib und Seele lösen sich auf in das Gefühl und Erleiden der trotzigen Gewalt der Ungerechtigkeit.

Von Hannas wird Jesus gebunden zu Kaiphas geführt (s. Joh. 18,24) und damit beginnt die Hauptverhandlung vor dem geistlichen Gerichte Israels. Hier kommt es nun auch zu einer förmlichen Verhandlung. Das Synedrium, welches bei Kaiphas vollständig versammelt ist (s. Matth. 26,59), sucht seinen im Voraus verdammenden Rechtspruch durch Zeugnisse zu begründen. Es treten viele Zeugen wider Jesum auf (s. V. 60). Obwohl der feindliche Anschlag wider Jesum von den Volksobersten vielfach prämeditiert war, so muß man sich doch wundern, daß man zur Nachtzeit diese Menge Zeugen bei der Hand hatte, zumal diese letzte und plötzliche Wendung wider die Verabredung und also ganz unerwartet und unvorbereitet eintraf. Es ist uns dieser Umstand ein neuer Beweis von der ungeheuren Macht der hier waltenden und alle Schwierigkeiten überwindenden Leidenschaft. Indessen ist dabei ein anderes gegenüberstehendes Moment nicht zu übersehen. Es traten zwar viele Zeugen auf und wenn wir den fleischlich jüdischen Maßstab bedenken, der hier als normierend galt, so gab es in dem Leben Jesu Unzähliges, was gegen ihn vorgebracht werden konnte. Aber alle vorgebrachten Zeugnisse ergaben kein Resultat, denn, wie Marcus sagt, die Zeugnisse waren nicht gleich; da man nämlich nach dem Gesetz (s. 4. M. 35,30. 5. M. 67,6.7) wenigstens zwei Zeugen brauchte, so mußte die Einstimmigkeit wenigstens zweier Zeugen über eine und dieselbe Thatsache constatiert werden. Das Synedrium erkennt es an, daß diese Einstimmigkeit in keinem Punkte zu erreichen ist. Endlich aber scheint sich Etwas herauszustellen: es treten zwei Zeugen auf, welche Aussage thun über das Wort, mit welchem Jesus bei seinem ersten Auftreten in Jerusalem den Juden Anstoß gab, das Wort vom Abbrechen des Tempels (s. Matth. 26,61). Jenes Wort war so angelegt, daß die Juden es mißverstehen mußten, so lange sie sich nicht von ihrem fleischlichen Sinn bekehren wollten, es schien daher ganz geeignet, Jesum in Verlegenheit zu bringen. Und in der That tritt dieses Zeugniß gravierender auf, als alles Andere, und der Hohepriester erhebt sich feierlich und fragt Jesum, was er auf diese Zeugnisse vorzubringen habe. Hier wird nun zum ersten Male bemerkt, daß Jesus verstummt sei. Nach dem, was wir bis dahin gefunden haben, möchten wir erwarten, daß Jesus hier um so mehr sich aufgefordert finden mußte, sich zu verantworten, da die Zeugen jedenfalls den Sinn seiner Worte verdrehten und deshalb auch geradezu falsche Zeugen genannt werden, da es ferner nicht leicht war. den richtigen Sinn jenes Wortes zu fassen, was die Geschichte der Exegese von Joh. 2, 19 bis auf den heutigen Tag beweist. Ja müssen wir nicht sagen, unter diesen Umständen durfte er nicht schweigen, wenn er nicht die Pflicht seiner Selbstvertheidigung vor dem zuständigen Gericht versäumen wollte? Oder sollten hier diejenigen Recht haben, welche sagen, eben weil er sterben wollte und mußte, so gab es hier wenigstens für ihn gar keine Pflicht der Selbstvertheidigung? Dieser Ansicht können wir auch hier nicht beistimmen, da wir immer auf den Grundsatz geführt worden sind, daß es nur darum für Jesum einen Willen und ein Müssen des Sterbens gibt, weil keine sittliche Möglichkeit des Lebens und Wirkens übrig blieb. Diese sittliche Möglichkeit ist aber erst dann aufgehoben, wenn jedes Mittel der Verständigung erschöpft worden ist. Gab es hier also noch eine Möglichkeit der Selbstvertheidigung, so war auch die Pflicht dazu vorhanden. Ich bin daher der Meinung, daß das Stillschweigen in diesem Falle sich nur dadurch erklärt, daß seine Antwort anderweitig, nämlich thatsächlich, als unnöthig und überflüssig aufgewiesen wurde. Marcus schreibt nämlich auch von dem Zeugniß dieser beiden zuletzt Aufgekommenen, daß es nicht einstimmig gewesen sei (s. Marc. 14,59). Es wird also zum zweiten Mal von dem Gericht constatiert, daß die Zeugnisse nicht stimmen, was um so viel mehr sagen will, da bei diesem zweiten Male die Differenz der Aussagen gewiß nur eine geringe war. Demnach liegt es vor, daß so heftig und furchtbar immer die Leidenschaft des Synedriums war, diese Leidenschaft doch nicht hinderte, daß nicht die Form des gerichtlichen Verfahrens aufrecht erhalten wurde und zwar mit einer Strenge der Selbstverleugnung, wie sie manchen Gerichten zum Muster dienen könnte. Es dient dieser Zug zum nöthigen Correctiv der gewöhnlichen Vorstellung, die man sich von dem Synedrium, welches den Sohn Gottes und König Israels zum Tode verurtheilt hat, zu machen pflegt. Man denkt sich nämlich diese Ungerechtigkeit, welche allerdings die größte ist, welche die Welt je gesehen hat, entkleidet alles dessen, was sonst für recht und billig gilt, man malt sie sich aus wie eine handgreifliche schwarze Teufelei, während man viel mehr an das Wort der Römer denken soll, daß das strengste Recht das größte Unrecht ist, oder an das Wort Luthers, daß nicht die schwarzen Teufel die gefährlichsten seien, sondern die weißen. Diese falsche Vorstellung von den Synedristen ist mit zwei schlimmen Consequenzen verknüpft. Einmal beeinträchtigt sie die richtige Anschauung von der eigentlichen Natur des Leidens Christi. Das ist nämlich ein wesentlicher Charakter dieses Leidens, daß es verfügt wird von dem höchsten geistlichen Tribunal der Welt und zwar in Gemäßheit seiner richterlichen Formen und Normen. Eben in dieser Form des Rechts, in dieser richterlichen Function kommt die Sünde der Welt in ihrer ganzen Tiefe und Macht unserem Heilande selber zum Bewußtsein und zum Gefühle; und eben in dieser Gestalt des gesetzlichen Buchstabens sollen wir immer aufs Neue die Sünde der Welt, in welche unsere eigene verflochten ist, anschauen und verabscheuen lernen. Das Zweite, was aus jenem Irrthum mit Notwendigkeit hervorgeht, ist dieses, daß wir uns dadurch das Licht verdunkeln, in welchem wir die jedesmalige Gegenwart des Reiches Christi erschauen sollen. Wenn wir die Verwerfung Christi nicht eher anerkennen wollen, als wo wir die nackte Teufelei mit Fingern aufweisen können, so begegnet es uns immerfort, daß wir uns über die feinen Grenzlinien, welche das Reich des Lichtes und das Reich der Finsterniß scheiden, täuschen und mit unserem Urtheilen und Handeln im Finstern tappen. Wir sollen es aber nimmer wieder aus den Augen setzen, daß die Verwerfung Christi in immer neuen Formen geistlichen Wesens, unter Innehaltung der anerkanntesten Normen auftreten kann und wirklich in dieser Gestalt und Umgebung auftritt, ja auftreten muß. Wir wollen deshalb, um die Thatsache der zweimaligen Verwerfung der Zeugnisse wider Jesum während des Verhöres vor dem Synedrium fester zu halten, gleich noch ein paar Züge hinzufügen, welche uns gleichfalls in dieser Richtung an den Synedristen charakteristisch sein müssen. Trotz aller leidenschaftlichen Wuth gegen Jesum, versagen es sich die jüdischen Volksobersten, das heidnische Richthaus zu betreten (s. Joh. 18,28) und durch ihre unmittelbare Gegenwart den römischen Procurator noch wirksamer zu bestimmen, und zwar aus dem Grunde, damit sie nicht verunreinigt würden und an den feierlichen Mahlzeiten des Passahfestes nicht gehindert würden. Ist das nicht eine ganz ungewöhnliche Strenge im Festhalten an einer frommen Sitte? Warum ließen sie es sich von ihrer Leidenschaft nicht einreden, daß sie bei der Verfolgung ihrer Sache gegen Jesum, die sie ja als ein heiliges Geschäft ansahen und betrieben, sich wohl eine Ausnahme in der einen oder der anderen Weise gestatten dürften? Ferner ist ihre Abweisung des Judas, der die dreißig Silberlinge wiederbringt, eine entsetzliche Herzenshärtigkeit, wenn sie sagen: „was gehet es uns an, daß du unschuldig Blut verrathen? da siehe du zu;“ aber gleich daneben finden wir auch das Andere, daß es ihnen auch gar nicht in den Sinn kommt, das Geld wieder zu sich zu nehmen, auch wollen sie es nicht als „Blutgeld“ in den Gotteskasten legen, sondern ein Begräbniß für Pilger kaufen sie dafür. Solche Züge strenger Zucht und Sitte zeigt uns die Geschichte an diesen Männern, welche Jesum gerichtet und verurtheilt haben, und zwar gehören diese Züge ihrem Bilde zu eben der Zeit an, während sie sich mit dem heiligsten Blute befleckt haben. Darnach beurtheile man Hannas und Kaiphas und alle ihre Nachfolger bis zum Tage des Antichrists.

Kaiphas ist der Meinung, daß obwohl die letzten beiden Zeugnisse nicht ganz genau übereinstimmen, doch genug Gravierendes darin enthalten sei, daß Jesus genöthigt werden könne, sich zu verantworten. Als aber Jesus aus gutem Grunde, wie wir gefunden, stilleschweigt, kürzt der Hohepriester das Verfahren ab. Kaiphas wendet sich an Jesum und spricht in seiner ganzen hohenpriesterlichen Würde: „ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du sagst, ob du bist Christus, der Sohn Gottes“ (s. Matth. 26, 63). Aehnliche directe Fragen sind uns mehrfach begegnet, doch haben wir gefunden, daß Jesus ihnen ausweicht, auch hat sich uns ergeben, daß Jesus nicht leicht von selbst seine göttliche Sohnschaft und seine Messianität in directer Rede ausspricht, und für Beides hat sich uns der Grund aus dem Sinn und Wesen unserer Geschichte selbst ergeben. Hier ist nun aber ein ganz besonderer Fall: Jesus steht vor der Obrigkeit seines Volkes und wie er die Anerkennung derselben seinen Jüngern noch in den letzten Tagen eingeschärft hat (s. Matth. 23,1-3), so unterstellt er sich ihr auch selber. Darum antwortet er hier auf die Frage des Hohenpriesters geradezu und ebenso feierlich, wie er befragt worden ist. Er antwortet: „du sagest es, doch ich sage euch, von nun an werdet ihr sehen des Menschen Sohn sitzend zur Rechten der Kraft und kommend auf den Wolken des Himmels“ (s. Matth. 26,64). In diesem großen und feierlichen Bekenntniß, welches der Herr hier ablegt, setzt er seiner Gegenwart seine Zukunft gegenüber, und beschreibt seine Zukunft, die sich sofort anbahnen werde, mit den Worten des Sehers Daniel, welcher den Menschensohn als den Sieger über die Gewalten der Weltreiche, die in den vier Thiergestalten aufgetreten sind, in den himmlischen Höhen geschaut hat. Es ist leicht zu erkennen, warum der Herr sein Selbstbekenntniß mit dieser Hinweisung auf die Zukunft ergänzt. Er hat ein klares Bewußtsein und ein tiefes Gefühl von dem Contrast seiner gegenwärtigen Erscheinung und seiner inneren Wesenheit, die er von sich aussagt. Er der gesalbte König Israels, er der Eingeborene Gottes in Banden und Schmach! Er selber fühlt den Druck dieses Contrastes und er selber bedarf der Erhebung über diesen Druck durch den Ausblick in die Zukunft, welche seine Erscheinung und seine Wesenheit ausgleichen wird. Aber ausgesprochen würde er diese seine Zukunft nicht haben, wenn er nicht auch die Anwesenden, seine Richter, hätte über diesen Contrast hinwegheben wollen. Es ist darin wiederum die Anerkennung, welche er seinen Richtern darbringt, indem ihr sonstiges persönliches Verhalten gegen ihn zurücktritt. Aber Kaiphas zerreißt seine Kleider und spricht: „er hat Gott gelästert, was bedürfen wir weiter Zeugniß? Siehe, jetzt habt ihr seine Gotteslästerung gehört“ (s. Matth. 26,65). Wir sehen hier, wie sehr Jesus Recht hatte, wenn er den Contrast seines Selbstbekenntnisses in seiner gegenwärtigen Erscheinung fühlte, zugleich aber auch, daß die Hinweisung auf seine Zukunft auf die Anwesenden nicht den mindesten Eindruck gemacht. „Er hat Gott gelästert“ urtheilte Kaiphas. Gründe für dieses Unheil führt er nicht an, weil er es für Selbstverstand hält. Das kann ja Jeder mit Augen sehen und mit Händen greifen, ist sein Gedanke, daß der, welcher gebunden dasteht, dem ein Knecht straflos einen Backenstreich geben darf, nicht unser Messias, der Sohn des höchsten Gottes sein kann. Jesus hatte den Juden einst zugerufen: „richtet nicht nach dem Augenschein, sondern richtet ein gerechtes Gericht“ (s. Joh. 7,24). Das war die Aufgabe, die hier in aller Schärfe hingestellt war; und es ist nöthig, daß wir uns die ganze Schärfe dieser Aufgabe gegenwärtig halten, um diesen Moment zu verstehen. Es ist richtig, daß der ganze fleischliche Judaismus dazu gehörte, daß Kaiphas und seine Beisitzer Alles vergaßen, was sie von Jesu gesehen und gehört hatten, alle seine Wunder und Zeichen, alle seine Worte und Reden, denen ihr Gewissen so oft hatte Zeugniß geben müssen, und deren Erinnerung ihnen sagen konnte, daß auch sein Wort über seine Zukunft unmöglich eine leere Gaukelei sein könne; es ist richtig, daß alle Vergangenheit und alle Zukunft Jesu für ihr Urtheil gar Nichts verschlägt, weil seine gegenwärtige Niedrigkeit und Schmach mit der Vorstellung und Hoffnung, welche sie sich von der Herrlichkeit und Macht des Messias ihres Volkes gebildet hatten, in keinem Stück zusammenstimmte. Aber es wäre sehr oberflächlich, und nicht halb hätten wir die Sache begriffen, wollten wir uns hier mit dieser unserer Ereiferung gegen fleischliches Judenthum begnügen. Rufen wir Johannes und Petrus in den Saal des Kaiphas herein, ja rufen wir die Meisten von denen herbei, welche für Gläubige und Bekenner gelten, und zeigen ihnen die wirkliche Gestalt Jesu in seiner gänzlichen Verlassenheit und seiner Entkleidung von Allem, was den Augen wohlgefällt, daß sie ihn sehen ganz, wie er hier erscheint, als säßen sie neben den Synedristen auf ihren Bänken, - nun in das Urtheil des Kaiphas würden sie wohl nicht gerade einstimmen, aber der Muth, Jesum in dieser Gestalt für den Sohn Gottes zu halten und zu bekennen, würde nur Wenigen bleiben, Johannes und Petrus haben diesen Muth in jener Nacht nicht gehabt. Die Sache wird also wohl noch einen tieferen Grund haben, als die jüdische Borniertheit. Das Judenthum ist hier die geschmückte Gestalt der allgemein menschlichen Natur und diese ist der unterste Grund, auf welchem das Urtheil des Kaiphas und seiner Synedristen ruht. Man muß wissen, daß die sinnliche Gegenwart über jeden Menschen eine Macht, ausübt, welcher nur der widerstehen kann, der aus dem Geist geboren ist. Nur der aus dem Geiste Geborene versteht das gewaltige Wort Jesu: „was unter den Menschen hoch ist, das ist vor Gott ein Greuel“ (s. Luk. 16,15), und nur ein Solcher kann den Heiland in seiner Schmach erschauen und neben dieser seiner niedrigen Gegenwart die göttliche Herrlichkeit seiner Vergangenheit und Zukunft festhalten, ja ein Solcher hat eben an dieser Gestalt der göttlichen Niedrigkeit und Verborgenheit eine innere unvergleichliche Lust, weil er bei allen anderen Gestalten, auch den heiligsten und besten, so oft durch falschen Schein betrogen und betrübt worden ist. Und eben darum weil das Urtheil des Kaiphas einen so tiefen und allgemein vorhandenen Grund hat, so wiederholt sich auch diese Geschichte immer aufs Neue. Wo ein Mensch in Christo, ohne Wunder zu thun, schlicht und recht seinen Weg geht, und daneben sich zuversichtlich bekennt als ein freies Kind im Hause Gottes, der nicht mehr ein Knecht ist, als lebend und wandelnd in dem Geiste der Freudigkeit und des Friedens, da gibt es auch immer Pharisäer, welche ihre Kleider zerreißen.

Kaiphas fragt sehr zuversichtlich in die Versammlung hinein: „was dünket euch?“ denn er weiß, daß das, was ihn bestimmt, alle Anderen auf gleiche Weise bewegen muß. Und er hat Recht, denn sie antworten: „er ist des Todes schuldig“ (s. Matth. 26,66), indem sie dem Urtheil des Vorsitzenden über das Verbrechen Jesu gleich die gesetzliche Strafsentenz hinzufügen (s. 3. M. 24,16). Marcus bemerkt ausdrücklich, daß alle Synedristen diese Antwort geben. Daraus erhellt, daß Joseph von Arimatia nicht zugegen gewesen ist (s. Luk. 23,5), dasselbe dürfen wir von Nikodemus annehmen (s. Joh. 19,34). Diese wußten, was vorgehen sollte, und da sie sich die Kraft nicht zutrauten, offenen Widerstand leisten zu können, blieben sie aus der Versammlung weg. Dagegen von den Vielen unter den Obersten, die Johannes als Gläubige bezeichnet, aber so, daß sie um der Pharisäer willen nicht bekannten (s. Joh. 12,42), müssen wir annehmen, daß sie von dem Sturm der Leidenschaft und Blindheit, der in den Hauptführern dieser Versammlung rasete, fortgerissen wurden und Jesum ebenso verleugneten, wie Petrus.

Als nun das Synedrium Jesum einstimmig als des Verbrechens der Gotteslästerung schuldig und dem Tode verfallen verurtheilt, bricht die ganze Rohheit und Wuth der geistlichen Dienerschaft wider ihn los. Verspeiet haben sie ihn, mit Fäusten ihn geschlagen, mit ausgesuchtem Hohn seine prophetische Gabe unter körperlicher Mißhandlung verspottet. Da Marcus übrigens ausdrücklich die Mißhandlung der Diener von der der Anderen unterscheidet (s. Marc. 14,65), so haben wir anzunehmen, daß die geistlichen Rathsherren selber in ihrer blinden Raserei sich mit ihren Händen an dem heiligen Leibe Jesu vergriffen haben. Matthäus und Marcus, welche diesen ersten Ausbruch der allgemeinen Wuth gegen den Leib Jesu berichten, sagen von dem Benehmen des Herrn bei diesem Leiden Nichts, woraus wir schließen müssen, daß er die Missethaten der Sünderhände an seinem Leibe stillschweigend hingenommen. Mit diesem Beginn thätlicher Mißhandlung schließt der erste große Act der heiligen Passion.

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