Schmitz, Richard - "Werdet voll Geistes!"

Schmitz, Richard - "Werdet voll Geistes!"

(Epheser 5,18)

Der Anspruch, der an den wiedergeborenen Menschen gegenüber dem Heiligen Geist gestellt ist, findet hier seinen stärksten Ausdruck. Eigentlich heißt es: Werdet voll „im“ Geiste! Der Heilige Geist ist als das Element gedacht, das die Gedanken- und Begierdenwelt in sich aufnimmt, als die Sphäre, in der die Lebensbewegungen vor sich gehen. Gleichwie wir von Haus aus als Abkömmlinge Adams in dem Sündenverderben um und um stecken, so daß kein Dasein möglich ist, das nicht von ihm beherrscht wäre, so sind wir kraft der Wiedergeburt als Abkömmlinge des Christus in die lebendigen Kräfte seines Geistes hineingestellt, der bestimmt ist, fortan die Führung zu übernehmen und seine Alleinherrschaft zu begründen. Wo der Heilige Geist einkehrt, da will er auch was zu sagen und allein zu bestimmen haben. Das Christentum ist immer ausschließlich und kennt keine Vorbehalte; sobald Zugeständnisse gemacht werden, geht es unter. Der Heilige Geist kann nichts neben sich dulden, um seiner selbst willen und des Menschen willen. Um seiner selbst willen, denn er ist souverän, heilige Majestät; um des Menschen willen, denn dessen Belange hat er als die seinigen in die Hand genommen und damit sich anheischig gemacht, ihn seiner Bestimmung zurückzuführen, allein für Gott da zu sein.

Es sind insbesondere die paulinischen Briefe, die den starken Unterton heraushören lassen - im Epheserbrief in sechsmaliger Wiederholung -, erfüllt zu werden mit aller Gottes- und Geistesfülle. Es hängt dies damit zusammen, daß Paulus alles und jedes im Heilsstande hineinlegt in die Worte: „in Christus“. Diese neue Zuständlichkeit ist ihm Inbegriff aller Gnade. Aus diesem neuen Grundverhältnis erwachsen ihm alle Möglichkeiten christlichen Lebens. Ihm ist der Tatbestand, „in Christus“ zu sein, nicht bloße Formel und toter Begriff. In Christus zu sein, in ihm erfunden zu werden, in ihm zu leben und ihn darzustellen, war der verzehrende Drang seiner Seele. Der unerforschliche Reichtum in Christus ist ihm Inhalt des Evangeliums, - das Hinankommen „zum Vollmaß der Fülle in Christus“ das Ziel alles Dienstes in der Gemeinde (Epheser 4,13). Nichts anderes meint er, wenn er sagt: „Werdet voll Geistes“, denn der Heilige Geist ist Urgrund und Urheber alles göttlichen Lebens im Menschen.

Mit jenem Anspruch übersteigert der Apostel nicht die Gedanken Gottes in bezug auf den wiedergeborenen Menschen. Die geschöpfliche Enge des Menschen bleibt ihm bestehen. Nur Christus hat in sich die ganze Gottesfülle (Kolosser 1,19; 2,9), den Geist ohne Maß (Hebräer 1,9). Aber innerhalb der gottgesetzten Beschränkung des Menschen soll es zur völligen Durchwohnung und Herrschaft des Heiligen Geistes kommen. Das kleine Gefäß des Menschen soll „das volle Wesen des Christus“ in sich haben (Epheser 4,21), gerade so wie der Tautropfen, so klein er ist, die Sonne in sich aufnimmt und widerspiegelt.

Es ist indes eine Verkennung der Forderung: „Werdet voll im Geist“, wenn man vielfach meint, daß jemand durch ein Einzelerlebnis ein für allemal „voll Geistes“ werden könne. Damit werden die Gesetze des Lebens mißachtet. Der Tautropfen erlebt seine Verklärung nur so lange, als ihn der Strahl der Sonne berührt. Leben ist ständiger Umsatz, Verbrauch. Der Mensch hat nur abgeleitetes Leben. Allein Gott hat das Leben in ihm selber. Es gibt wohl Geistestaufe und vermehrten Geistesempfang; aber der Heilige Geist kann nicht gepachtet und als Vorrat aufgespeichert werden. Er ist eine Person, die uns ständig neu beansprucht und dessen Wirksamkeit dadurch bedingt ist, daß wir für seine Wirkungen offen bleiben.

Daher kommt es auch, daß der Heilige Geist nicht versachlicht werden kann. Das oft gebrauchte Bild eines „gefüllten Gefäßes“, sobald es „mechanisch“ aufgefaßt wird, kommt arg in die Brüche. Vermehrter Geistesbesitz führt nie zur Selbstsicherheit. Je mehr Heiliger Geist da ist, je mehr Hunger nach ihm wird vorhanden sein und heilige Furcht, gepaart mit verfeinerter Erkenntnis der Sünde. Der Heilige Geist schafft Nüchternheit und vertieftes Bewußtsein eigener Armut. Seelische Gefühlsvorgänge, die leicht zur Selbstspiegelung führen, haben mit Geisteswirkungen nichts zu tun. Der Heilige Geist schafft keine Versuchung zu eigener Ueberschätzung. Er steht immer im Gegensatz zum Fleisch und stellt es ins Licht, um es in dauerndem Selbstgericht niederzuhalten. Unter der steten Geisteszucht vergeht dem Menschen die Lust, von sich etwas zu halten. Geisterfüllte Menschen sind immer demütige Leute, die sich in der Talebene der Niedrigkeit halten. Die Freude im Herrn, ohne die wir nicht auskommen, ist so eingetaucht in eigene Armut, daß sie aus ihr erst erwächst: „Als die nichts haben und doch alles haben“ (2. Korinther 6,10). Diese „Paradoxie“ (Widersprechlichkeit) in geistlichen Dingen darf uns nie verlorengehen; denn sie ist in unserer Doppelnatur begründet.

In der Geisteswelt läßt die Wortbedeutung von „voll“ überhaupt eine mechanische Vorstellung nicht zu. Es wird vielmehr durchgängig hier darunter verstanden, daß jemand unter eine fremde Macht gebracht wird, die ihn mitreißt und die eigene Willensentscheidung mehr oder weniger ausschließt. So heißt es Esther 3,5: „Hamann ward voll Grimms“, es ist damit gesagt, daß er im Affekt sich entschloß, alle Juden im Reiche des Ahasverus zu töten. - Ferner heißt es Apostelgeschichte 5,17: „Die Hohenpriester wurden voll Eifers“; die Folge war, daß sie in hitziger Wallung die Apostel ins Gefängnis legten. - Weiter ist Kapitel 19,28 gesagt: „Da sie (nämlich die aufgewiegelte Menge der Epheser) das hörten, wurden sie voll Zornes“, und bald war ein Aufruhr im Gange, der nur durch die Besonnenheit des Stadtoberhauptes gedämpft werden konnte. - Dem Zauberer Simon in Samarien sagt Petrus Kapitel 8,23: „Du bist voll bitterer Galle“, womit er erklärt, daß jener Mensch durch die Tücke seines Herzens an Satan so aufgeliefert war, daß für andere Regungen kein Raum war. - Diese Beispiele könnten vervielfacht werden; wir sehen jedesmal, daß der Begriffsinhalt von „voll“, wo es im geistigen Sinne gebraucht wird, darauf geht, daß der Mensch von einem Gedanken oder Hang voll und ganz beherrscht wird. Es treten geistige Wirkungskräfte auf, die stärker sind als der Mensch selbst.

Die Wirkungen sind nun immer der Art, wie die der Kräfte, die sie hervorbringen. Der Heilige Geist stellt den Menschen unter eine Macht, die göttlich ist. Es ist eine Macht, vor der auch Satan kapitulieren muß. Im einzigen Sinne sehen wir dies bei Jesus. Ein neuer Auftakt in seinem Leben begann mit seiner Taufe im Jordan, wo er sich als Stellvertreter und Bürge in die Linie der Sünder einreihte und der Heilige Geist in der Gestalt einer reinen Taube sich auf ihn niederließ. Es heißt nun: „Er war voll Heiligen Geistes und wurde vom Geist in die Wüste geführt, auf daß er vom Teufel versucht werde (Matthäus 4,17; Lukas 4,1.2). Zwei ungleiche Gegner standen nun einander gegenüber. Auf der einen Seite Jesus voll Heiligen Geistes, und auf der anderen Seite Satan, der mit der überlegenen macht des ewigen Geistes in dem Menschen Jesus nicht gerechnet hatte; er mußte unterliegen; damit nahm die öffentliche Wirksamkeit Jesu ihren Anfang. - Ebenso finden wir, daß der Vorstoß der Apostel ins Reich der Finsternis begann, als sie „voll Heiligen Geistes“ wurden (Apostelgeschichte 2,4). Damit trat zu Pfingsten eine überweltliche Macht auf den Plan, die wie ein Sturmwind daherfuhr und Tausende niederwarf. So geht es nun weiter. Es standen Männer auf, von denen es immer wieder heißt: „Sie waren voll Heiligen Geistes“ (Kapitel 6,3.5; 7,55; 11,24; 13,9.52 usw.). Immer ist damit gesagt, daß sie eine Vollmacht von oben hatten. Der Heilige Geist hatte sie in die Hand bekommen. Er hatte die Führung erhalten, bemächtigte sich ihrer und hatte sie nun in seiner Gewalt.

Allein will der Heilige Geist zu bestimmen haben, dafür aber auch die Verantwortung übernehmen, daß es an keiner Ausrüstung fehlt, deren der Mensch bedarf, seinen Mann zu stehen. Es kann dies auch nicht anders sein, da es sich um Leistungen handelt, die Göttliches ins Werk setzen. Nicht wird die menschliche Eigentümlichkeit vernichtet, aber sie wird hineingestellt in den Stromkreis göttlicher Kräfte. Der Mensch ist Organ des Geistes geworden, wie er vordem Leibeigener Satans war.

Zu gleichen Ergebnissen kommen wir, wenn wir die vorliegende Stelle in ihrem Textzusammenhang ansehen. Es heißt: „Saufet euch nicht voll Weins, daraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern werdet voll Geistes“ (Epheser 5,18). Eine merkwürdige Gedankenverbindung! Der Apostel macht eigentlich einen Gedankensprung, wie wir es oft bei ihm finden. Ungereimtes fügt er zusammen, um den Vergleichungspunkt stärker hervortreten zu lassen. Er ist hier zu finden in den beiderseits ausgehenden Wirkungen. Der Wein schafft eine Berauschung, die den Menschen nicht bei Sinnen läßt und ihn außer sich bringt. Er gerät unter eine fremde Macht, die ihn mitreißt. Ein Verhalten tritt zutage, die die Selbstmacht auslöscht und ihn Dinge tun läßt, die der Apostel „unordentliches Wesen§ nennt - in der Grundsprache ein Wort, das „Heillosigkeit, Unrettbarkeit“ bedeutet. Dem Menschen sind die Zügel entglitten; er ist unrettbar Handlungen preisgegeben, die untermenschlich sind.

Der Vergleichungspunkt ist klar, wenn der Apostel fortfährt: „sondern werdet voll im Geist“. Der Trunkenheit von Wein stellt er die von Heiligem Geist gegenüber. Der Gedanke an ein bestimmtes Maß von Wein oder Heiliger Geist bleibt einstweilen außer Betracht; die hervortretenden Wirkungen sind das Entscheidende. Die Wirkungen des Heiligen Geistes sind aber nicht knechtend, sondern befreiend. Die bindende Macht des Fleisches wird eingedämmt, und die Ansprüche des Heiligen Geistes treten in ihre Rechte. Gott wußte, daß es von uns aus nicht ging; darum gab er seinen Geist. Wo er regiert, da gibt es ein Regen und Bewegen, das bisher dem Menschen fremd war und das er als eine Macht erkennt, die er deutlich von sich unterscheidet. Er setzt nun ins Werk, was göttliche Art in sich trägt. Der Mensch steht dabei auch unter einem Zwange, der aber Drang des Heiligen Geistes ist und ihn zu seiner Bestimmung zurückführt. Er befindet sich in Uebereinstimmung mit seinem Ursprung, der aus Gott ist. Es ist die Allgewalt des Heiligen Geistes, die über ihn gekommen ist. Er ist trunken vom himmlischen Wein des Heiligen Geistes, der ihn ernüchtert zu einem Tun, das Gott gefällt. Der Wille Gottes ist sein Wille geworden, der seine Segel spannt zu einer Fahrt, deren Kurs auf’s Ewige geht. Die Aufrichtung der Geistesherrschaft ist der Sinn des Anspruches: „Werdet voll im Geist!“

Diese Forderung ist nicht Willkür. Sie ist göttliches Lebensgesetz. Es gibt keine Wahl; nur ein Entweder - oder. Gott müßte die sittliche Weltordnung aufheben und mit sich selbst in Widerspruch treten, wenn er darauf verzichten wollte, daß die Geistesherrschaft im Menschen aufgerichtet werde. Entweder geht der Mensch auf sie ein oder er richtet sich zugrunde. Einen weiteren Einsatz als den des Heiligen Geistes hat Gott zur Heranbildung seines Eigentumsvolkes nicht in Anschlag gebracht und nicht zu vergeben. Der Anspruch: „Werdet voll Geistes“ ist das Ultimatum an Wiedergeborene, denen durch die Mitteilung des Geistes das Zeug beigelegt ist, Ueberwinder zu sein. Ebenso wie die Gnade, ist auch der Heilige Geist eine freie Gabe Gottes. Aber er verschwendet nichts; was er gibt, dient den heiligen Zwecken. Der Schöpfer-Geist, der Jesus von den Toten auferwecket hat und auch unsere sterblichen Leiber lebendig machen wird (Römer 8,11), ist auch imstande, seine Herrschaftsmacht in uns zu vollenden auf seinen Tag. „Werdet voll Geistes!“

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