Lukas, Kapitel 22
22:1 Es war aber nahe das Fest der süßen Brote, das da Ostern heißt.
22:2 Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten trachteten, wie sie ihn töteten; und fürchteten sich vor dem Volk.
22:3 Es war aber der Satanas gefahren in den Judas, genannt Ischariot, der da war aus der Zahl der Zwölf.
22:4 Und er ging hin und redete mit den Hohenpriestern und Hauptleuten, wie er ihn wollte ihnen überantworten.
22:5 Und sie wurden froh und gelobten ihm Geld zu geben.
22:6 Und er versprach es und suchte Gelegenheit, daß er ihn überantwortete ohne Lärmen.
22:7 Es kam nun der Tag der süßen Brote, an welchem man mußte opfern das Osterlamm.
22:8 Und er sandte Petrus und Johannes und sprach: Gehet hin, bereitet uns das Osterlamm, auf daß wir's essen.
22:9 Sie aber sprachen zu ihm: Wo willst du, daß wir's bereiten?
22:10 Er sprach zu ihnen: Siehe, wenn ihr hineinkommt in die Stadt, wird euch ein Mensch begegnen, der trägt einen Wasserkrug; folget ihm nach in das Haus, da er hineingeht,
22:11 und saget zu dem Hausherrn: Der Meister läßt dir sagen: Wo ist die Herberge, darin ich das Osterlamm essen möge mit meinen Jüngern?
22:12 Und er wird euch einen großen Saal zeigen, der mit Polstern versehen ist; daselbst bereitet es.
22:13 Sie gingen hin und fanden, wie er ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Osterlamm.
22:14 Und da die Stunde kam, setzte er sich nieder und die zwölf Apostel mit ihm.
22:15 Und er sprach zu ihnen: Mich hat herzlich verlangt, dies Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide.
22:16 Denn ich sage euch, daß ich hinfort nicht mehr davon essen werde, bis daß es erfüllet werde im Reich Gottes.
22:17 Und er nahm den Kelch, dankte und sprach: Nehmet ihn und teilet ihn unter euch;
22:18 denn ich sage euch: Ich werde nicht trinken von dem Gewächs des Weinstocks, bis das Reich Gottes komme.
O Du rechtes und wahres Osterlamm, Herr Jesu, Du Gegenbild aller Vorbilder, welch ein zartes Verlangen brannte in Deinem Herzen nach mir und meinem ewigen Wohl! O dass doch meine Hauptvorbereitung, wenn ich Dich in Deinem heiligen Abendmahle genießen will, in einem solchen reinen und brünstigen Verlangen nach Dir bestände! Das könnte mit Recht ein Hunger und Durst genannt werden. Ach, schenke mir die Gnade, dass ich mich täglich in der Abendstunde an dieses Dein herzliches Verlangen erinnere: ja, erinnere Du mich selbst durch Deinen Geist daran, und lass dadurch in meinem gegen Dich und Deine große Liebe leider so kalten Herzen ein so brünstiges Verlangen nach Dir und meiner völligen Erlösung entzündet werden. Lass mich stündlich mein böses, träges Herz zu Deinem Guten, brünstigen Herzen bringen, damit Dein Herz das meinige erwärme, belebe und Dir gleichgesinnt mache. Entzünde mein Herz mit seligen Flammen, und schmelze das meine mit Deinem zusammen. Sollte ich aber, mein Heiland, den Tag über durch allerlei Vorfälle mit meinem ohnedies sich so leicht zerstreuenden Herzen von Deinem treuen Herzen wegkommen, o so lass doch diese Deine so herzlich verlangte Abendstunde die selige Zeit sein, da ich Deinem holden Herzen wieder recht nahe komme, ja, dass Du und ich wieder ein Herz und eine Seele werden. Lass mich das für mein größtes Unglück halten, wenn mein Herz von Deinem Herzen so abkommt, dass ich fremd mit Dir werde und Du Dich mir nicht mehr so vertrauen kannst. O dass ich mich so herzlich gern mit allem, was ich bin und habe, Dir aufopferte, als herzlich gern Du Dich für mich geopfert hast; und dass ich so willig in Schmach und Leiden, ja in den Tod ginge, als Du willig um meinetwillen in den Tod gegangen bist! Die Betrachtung Deines herzlichen Verlangens müsse dieses Alles in mir wirken. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
22:19 Und er nahm das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis.1)
22:20 Desgleichen auch den Kelch, nach dem Abendmahl, und sprach: Das ist der Kelch, das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird.2)
22:21 Doch siehe, die Hand meines Verräters ist mit mir über Tische.
22:22 Denn des Menschen Sohn geht zwar hin, wie es beschlossen ist; doch weh dem Menschen, durch welchen er verraten wird!
22:23 Und sie fingen an, zu fragen unter sich selbst, welcher es doch wäre unter ihnen, der das tun würde.
22:24 Es erhob sich auch ein Zank unter ihnen, welcher unter ihnen sollte für den Größten gehalten werden.
22:25 Er aber sprach zu ihnen: Die weltlichen Könige herrschen, und die Gewaltigen heißt man gnädige Herren.
22:26 Ihr aber nicht also! Sondern der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste, und der Vornehmste wie ein Diener.
22:27 Denn welcher ist größer: Der zu Tische sitzt oder der da dient? Ist's nicht also, daß der zu Tische sitzt! Ich aber bin unter euch wie ein Diener.
22:28 Ihr aber seid's, die ihr beharrt habt bei mir in meinen Anfechtungen.
Obschon die Jünger nicht allzuviel von diesen Anfechtungen Jesu verstanden und noch weniger dazu beigetragen hatten, sie ihm zu erleichtern - schufen sie ihm doch erst durch ihren Unverstand manche -, so ist der Heiland auch für das Wenige an treuer Hingabe schon so beschämend dankbar. Und diesen letzten Zug möchte ich heute abend nur als einen Andachtsklang anschlagen und ausklingen lassen. Wie hebt er das kleinste Stück unserer Treue und Hingabe gegen seine Person und Werk so sorgfältig auf und erkennt es an und lohnt es hienieden schon mit einem Aufleuchten seiner Augen und einem hellen Strahl seines Wohlwollens. Nachher, wenn uns so etwas von seiner großartigen Anerkennung der kleinsten Aufopferung klar geworden ist, schämen wir uns, daß wir einem solchen Herrn nicht mehr geopfert und uns um seinetwillen nicht noch ganz anders selbst verleugnet haben. Wie wird uns erst einst zumute sein, wenn er an seinem herrlichen Ehrentage sich vor seinem Vater und aller Welt zu uns kehren wird und unsere bescheidenen Leiden oder Nöte ins Licht ziehen wird, die wir um seinetwillen trugen, mit dem Worte:„Ihr aber seid's“
Herr Jesu, laß uns heute abend an jenen letzten Abend der Weltgeschichte denken und ziehe uns durch deine Liebe so völlig hinein in deine Interessen, in deine Reichsarbeit und dein Kreuz, daß wir an jenem Abend nicht so beschämt dastehen müssen wie heute. Amen. (Samuel Keller)
Es mag den Jüngern im Leben Jesu manches unverständlich gewesen sein; aber sie harrten bei Ihm aus, wurden nicht wankend, nicht wetterwendisch, nicht argwöhnisch. Treu hielten sie sich zu ihrem Herrn. Das tat Ihm wohl. Und uns tut es auch wohl, zu sehen, welchen Wert Er darauf setzt, dass wir schwachen Jünger bei Ihm ausharren. Ist unsere Kraft auch klein, sind wir auch ganz unscheinbare Jünger, so können wir eben doch eine wichtige Stellung ausfüllen, mitarbeiten, Jesu Sache fördern, nicht durch auffallendes Wirken, aber durch Beharrlichkeit und Treue! Lassen Christi Jünger alles über sich ergehen um seinetwillen, so kann noch alles gut werden. In den Stürmen erlangen sie Festigkeit, Tragkraft und jenen Sinn und Charakter, der befähigt, eine wichtige Stellung im Reiche der Himmel einzunehmen. Das also, was verderblich schien, was lange schwer auf ihnen lastete, war gerade das beste Mittel, männliche Christen aus ihnen zu machen. Als Gebiete, aus denen für den Sohn Gottes Versuchungen kamen, nenne ich den Satan mit seinem Anhang und diejenigen Menschen, welche die Finsternis mehr lieben als das Licht, weil ihre Werke böse sind. Ferner hatte auch Jesus einen sterblichen irdischen Leib, Er trug unsere Krankheiten und war ein Mann der Schmerzen. Und mit diesem zerbrechlichen Leibe wohnte auch Er auf der fluchbeladenen, verderbten Erde. - In unseren Tagen ist das Ausharren beim Heiland und bei Seinem Wort gar keine so leichte Sache. Dennoch hat der Herr zu jeder Zeit Jünger gehabt, deren Hoffnung Er war und nur Er. (Markus Hauser)
22:29 Und ich will euch das Reich bescheiden, wie mir's mein Vater beschieden hat,
22:30 daß ihr essen und trinken sollt an meinem Tische in meinem Reich und sitzen auf Stühlen und richten die zwölf Geschlechter Israels.
22:31 Der HERR aber sprach: Simon, Simon, siehe, der Satanas hat euer begehrt, daß er euch möchte sichten wie den Weizen;
22:32 ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.
0 Petrus, wann bist du denn bekehrt? Der sollte doch schon lange bekehrt sein!
Und jetzt heißt es noch:„ Wenn du dermaleinst dich bekehrst“, d. h. wenn die Zeit kommt, daß du dich bekehrst, „so stärke deine Brüder“. Da sollten wir uns nicht so bald „Bekehrte“ heißen!
Der HErr aber redet mit Bezug auf des Petrus nahe bevorstehende Verleugnung. Demnach würde seine Bekehrung darin bestehen, daß er anders wäre, um nicht mehr zu verleugnen, nicht mehr sich zurückzuziehen, sondern frei zu bekennen. Es ist, wie wenn der HErr zu ihm sagen würde: „Bist du einmal soweit, daß dir das Bekennen näher steht als das Verleugnen, dann stärke deine Brüder.“ Denn gleich darauf sagt Er ihm sein Verleugnen voraus. Ein Verleugnender nämlich kann niemand stärken, kann nur andern schaden, andere zurückhalten, ärgern und fernhalten vom Reich Gottes. Deswegen ist überhaupt das Verleugnen, je nachdem es ist, von so ernster Bedeutung und eine so schwere Sünde, weil nämlich andere, oft auch Brüder, durch dasselbige herunterkommen von ihrem Glauben- keineswegs gestärkt werden. Alle, die es hören, stutzen und treten zurück; und so wird ein Verleugner Urheber von großem Schaden, den andere nehmen. Das ist die Frucht des Verleugnens. Ein solches war's vielleicht weniger bei der Verleugnung Petri. Indessen könnten immerhin manche von jenen Leuten hintennach gesagt haben: »Saubere Jünger Jesu, die so feige Memmen sind und so Den verleugnen mögen, mit dem sie doch täglich im Umgang gestanden sind! Und was für einer wird ihr Meister sein?„ Man kann wirklich nicht wissen, wie für die eine oder andere Seele die Verleugnung Petri zum Schaden oder zum Abhalten geworden ist. Jener Magd, der Petrus so frech ins Gesicht hinein sagte: »Ich kenne den Menschen nicht!“ ist es später sicher schwerer geworden, an den HErrn Jesus zu glauben. Und wenn auch die andern Knechte den Petrus später wieder haben zeugen hören, so werden sie immer noch den Kopf geschüttelt und gesagt haben: „So, das ist der!“ Mit seinem Verleugnen hat also Petrus niemand gestärkt. Und deswegen soll er sich bekehren und bekennen lernen, damit er fortan die Brüder stärke. Sein Bekennen konnte ja bewirken, daß andere auch bekannten und Mut bekamen, dasselbe zu glauben und anzunehmen. Und diese wurden dann also »gestärkt„.
Steht aber einmal einer so, daß er bekennen kann, so soll er frisch dran, um Seelen zu stärken, die ins Reich Gottes kommen sollen. Das aber werden wir sagen können, daß einer nicht bekehrt ist, solange er verleugnen mag, namentlich verleugnen, wenn er ausdrücklich gefragt wird.
Der HErr bewahre uns vor allem Selbstbetrug! (Christoph Blumhardt)
Wie ermutigend ist der Gedanke an des Heilandes unaufhörliche Fürbitte für uns. Wenn wir beten, so bittet Er für uns, und wenn wir nicht beten, dann vertritt Er unsre Sache gleichwohl und schützt uns durch sein Flehen vor allen ungesehenen Gefahren. Achtet wohl auf das Trostwort, das Er an Petrus richtet: „Simon, Simon, siehe, der Satan hat euer begehret, dass er euch möchte sichten wie den Weizen; aber“ - was denn? „Gehet hin und betet für euch selber?“ Das wäre wohl ein guter Rat, aber so heißt‘s nicht. Auch spricht Er nicht: „Aber ich will euch wachsam erhalten, damit ihr erhalten bleibt.“ Das wäre eine große Gnade. Nein, es heißt: „Aber ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Wir wissen gar wenig davon, wie viel wir den Gebeten unsers Heilandes verdanken. Wenn wir einst die Höhen des Himmels erreichen und zurückschauen auf alle die Wege, auf welchen uns der Herr, unser Gott, geleitet hat, wie werden wir Ihn preisen, der vor dem ewigen Gnadenthron all das Unheil gut machte, das der Satan auf Erden verübte. Wie werden wir Ihm danken, dass Er sich nie Ruhe gönnte, sondern Tag und Nacht auf die Nägelmale in seinen Händen hinwies und unsre Namen auf seinem Brustschildlein trug! Schon ehe der Satan seine Versuchung begonnen hatte, war ihm der Herr Jesus zuvorgekommen und hatte seine Bittschrift vor dem Gnadenthrone eingereicht. Die Gnade überflügelt die Bosheit. Siehe, Er spricht nicht: „Satan hat dich gesichtet, und darum will ich für dich beten,“ sondern: „Satan hat euer begehret.“ Er schlägt den Satan schon in seinen Wünschen und erstickt seine Absicht schon im Keim. Er sagt nicht: „Aber ich habe begehret, für dich zu bitten.“ Nein, sondern: „Ich habe für dich gebeten; ich habe es schon getan, ich bin vor den Gerichtsstuhl getreten und habe eine Verteidigungsschrift eingelegt, schon bevor nur die Anklage ausgesprochen wurde.“ O Jesu, welch ein süßer Trost ist‘s doch, dass Du für unsre Schuld eingetreten bist gegen unsre unsichtbaren Feinde; Du hast ihre Gruben untergraben und ihre ränkevollen Anschläge aufgedeckt. Ja wahrlich, da ist Grund zur Freude, zum Dank, zur Hoffnung, zur Zuversicht! Lobe den Herrn, meine Seele! (Charles Haddon Spurgeon)
22:33 Er sprach aber zu ihm: HERR, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.
22:34 Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe denn du dreimal verleugnet hast, daß du mich kennest.
22:35 Und er sprach zu ihnen: So oft ich euch ausgesandt habe ohne Beutel, ohne Tasche und ohne Schuhe, habt ihr auch je Mangel gehabt? Sie sprachen: Niemals.
Als die Jünger Jesu in Seine beständige Nachfolge eintraten, mußten sie ihre Handthierungen und ihr Hauswesen verlassen, und da Er sie einmal zum Predigen ausschickte, durften sie zur Uebung ihres Vertrauens auf Gottes Vorsorge keinen Beutel mitnehmen, worin Geld gewesen wäre, keine Tasche, worin Lebensmittel verwahrt gewesen wären, und keine Schuhe, wodurch sie Füße vor der Verletzung bewahrt hätten. Und doch konnten sie, als der HErr Jesus sie zuletzt fragte: habt ihr auch jemals Mangel gehabt? antworten: nie keinen; denn Gott lenkte immer andern Leuten die Herzen, daß sie Jesu und Seinen Jüngern beisteuerten, was nöthig war. Armuth erfuhren die Jünger Jesu in der Nachfolge Jesu, aber Mangel erfuhren sie nicht: freilich auch keinen Vollauf. Gerstenbrod und Wasser mag oft ihre und ihres Meisters Speise und Trank gewesen sein, außer daß zuweilen in der Nähe des fischreichen galiläischen Meeres gebratene Fische mögen dazu gekommen sein. Sie ließen sich aber nach dem Vorbild Jesu an demjenigen begnügen, das da war, und so hatten sie keinen Mangel. Die Furcht vor einem Mangel bewog den Judas Ischarioth, den Beutel zu bestehlen, in welchem das dem HErrn Jesu und Seinen Jüngern geschenkte Geld gelegt war, und Ihn hernach um 30 Silberlinge, oder 15 Conventionsthaler, um die er einen Acker kaufen wollte, zu verrathen. Damit nun nicht eine gleiche Furcht in den Herzen der übrigen Jünger entstehen möchte, hieß Er sie auf ihre bisherige Erfahrung zurücksehen, und lockte das Bekenntniß aus ihnen heraus, daß sie nie keinen Mangel gehabt haben. Indem sie dieses freiwillig bekannten, ehrten sie den HErrn Jesum wegen Seiner treuen Fürsorge, bekamen aber auch einen starken Antrieb, sich derselben auf’s Künftige zuversichtlich zu überlassen; wobei ihnen doch der Heiland zu verstehen gab, daß nun eine neue Zeit bei ihnen angehen werde, in welcher sie sich ihrer eigenen Beutel und Schwerter werden bedienen, das ist durch die gewöhnlichen Mittel für ihre Nahrung und Sicherheit sorgen müssen, welches auch von den Aposteln bis zum nächsten Pfingsttag geschahe, wie wir denn Joh. 21. finden, daß sie sich wieder mit dem Fischfang beschäftigt haben.
Was Gott Seine Kinder in dem gewöhnlichen Lauf des menschlichen Lebens erfahren läßt, ist dieses, daß sie bei einer heitern Vergnügsamkeit sagen können: wir haben nie keinen Mangel. Paulus rechnet freilich unter die Dinge, die den Gerechten aufstoßen können, Röm. 8,35. auch Hunger und Blöße, und sagt von sich selbst, Phil. 4,12.: ich bin geschickt, beide satt sein und hungern, beide übrig haben und Mangel leiden. Dieser Hunger, diese Blöße, dieser Mangel sind alsdann als Ausnahmen anzusehen, die gemeiniglich nicht lange währen. Wenn aber nur diese Begegnisse nicht von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, scheiden, und wenn man nur geschickt ist, sie zu ertragen, so ist man doch selig und vergnügt. Aber das unglaubige Herz quält sich oft mit Sorgen, wo kein gegenwärtiger Hunger und Mangel erscheint. Es quält sich, weil es den Ueberfluß nicht hat, den Andere haben, oder weil es mit seiner Vernunft auf den morgenden Tag oder auch auf eine längere Zeit keine deutliche Aussicht der Versorgung hat. Haben wir bisher keinen Mangel gehabt, und haben wir heute keinen, so wollen wir auch auf’s Künftige Gott vertrauen. Seine Augen sehen nach dem Glauben.(Magnus Friedrich Roos)
22:36 Da sprach er zu ihnen: Aber nun, wer einen Beutel hat, der nehme ihn, desgleichen auch die Tasche; wer aber nichts hat, verkaufe sein Kleid und kaufe ein Schwert.
22:37 Denn ich sage euch: Es muß noch das auch vollendet werden an mir, was geschrieben steht: „Er ist unter die Übeltäter gerechnet.“ Denn was von mir geschrieben ist, das hat ein Ende.
22:38 Sie sprachen aber: HERR, siehe, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug.
22:39 Und er ging hinaus nach seiner Gewohnheit an den Ölberg. Es folgten ihm aber seine Jünger nach an den Ort.
22:40 Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet!3)
22:41 Und er riß sich von ihnen einen Steinwurf weit und kniete nieder, betete 4)
22:42 und sprach: Vater, willst du, so nehme diesen Kelch von mir, doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!5)
Der HErr Jesus hatte oft mit einem heitern Gemüth an Sein bevorstehendes Leiden gedacht, und davon geredet, da Er aber am Abend vor Seiner Kreuzigung mit Seinen Jüngern in den Garten Gethsemane gegangen war, fing Er an zu trauern, zu zittern und zu zagen, und sagte: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod. Damals zog sich nämlich der göttliche Trost von Seiner menschlichen Seele zurück, und das Leiden und der Tod stellte sich derselben in der schrecklichsten Gestalt dar, so daß Er das größte Grauen davor empfand, und seine ganze menschliche Natur auf’s Heftigste dadurch erschüttert wurde. So sollte es aber gehen. Er als Mittler, an dem sich die Gerechtigkeit Gottes offenbaren wollte, durfte Sich nicht unter dem Gefühl der göttlichen Tröstungen zum Leiden und Sterben ergeben, wie es von den Märtyrern zu geschehen pflegte, sondern sollte den Tod und Alles, was voranging, in der schrecklichsten Gestalt ansehen, und alsdann Seinen Willen dazu ergeben, damit diese kostbare Aufopferung Seines Willens oder dieser Sein heiliger Gehorsam ein Ersatz alles Widerstrebens und Ungehorsams der Menschen sein könnte. Er selbst widerstrebte bei dem Grauen, das Er vor dem Leiden und Tod empfand, Seinem himmlischen Vater keinen Augenblick. Als Mensch bat er Sich den Leidenskelch ab, aber nur in dem Fall, wenn es möglich sei, daß er an Ihm vorüber gehen könnte. Er sagte: Vater willst Du, so nimm diesen Kelch von Mir; folglich begehrte Er solches nicht auf eine ungestüme Weise, und setzte ausdrücklich hinzu: nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe. Der Wille des HErrn Jesu, welcher nicht geschehen sollte, war der Wille Seiner menschlichen Natur. Er fühlte denselben, und es war ein gerechter Wille; denn Gott hat selber die menschliche Natur gebildet, das Leiden und den Tod nicht zu wollen, weil beides etwas Widernatürliches ist, und nur der göttliche Wille verursacht, daß man ich in beides willig ergeben kann. Der HErr Jesus erkannte die schuldige Unterwürfigkeit des schwachen menschlichen Willens unter den göttlichen auf’s Deutlichste, und sagte deßwegen zu Seinem himmlischen Vater: nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe. Es wurde durch Sein dreimaliges heftiges Gebet, wozu Ihn ein Engel stärkte, erhört, und Er wurde von dem Grauen befreit, wie Hebr. 5,7. gesagt wird: Sein menschlicher Wille wurde an den göttlichen so fest gleichsam angeheftet, daß Er hernach bei einem Versuch, den Petrus machte, Ihn von der Gefangennehmung zu befreien, sagte: meinest du, daß Ich nicht könnte Meinen Vater bitten, daß Er Mir zuschickte mehr denn zwölf Legionen Engel, (aber ich will’s nicht thun) wie würde sonst die Schrift erfüllet? Es muß also gehen, Matth. 26,53.54., ja daß Er hernach gar keinen Versuch mehr machte, Sich das Geringste von Seinem Leiden abzubitten. Also war denn das Leiden und der Tod Jesu der lauterste Gehorsam. Er war gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz, Phil. 2,8. Gleichwie nun durch Eines Menschen (Adams) Ungehorsam viele Sünder worden sind, also auch durch Eines Gehorsam werden viele Gerechte, weil ihnen der Gehorsam Jesu durch den Glauben zugerechnet wird. Bei diesem Glauben stärke Er mich auch durch den Heiligen Geist, die dritte Bitte des Vater Unser immer von Herzen zu beten, und meinen menschlichen und oft widerstrebenden Willen dem göttlichen aufzuopfern.(Magnus Friedrich Roos)
22:43 Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.
22:44 Und es kam, daß er mit dem Tode rang und betete heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde.6)
Die Bangigkeit, welche das heftige Ringen mit der Versuchung unserem Heiland verursachte, brachte seinen Körper in eine solche unnatürliche Aufregung, dass große Blutstropfen aus der Haut hervordrangen und auf die Erde fielen. Das zeigt, wie furchtbar das ganze Gewicht der Sünde auf Ihm lastete, wenn sie Ihn so zermalmen konnte, dass Er Blut schwitzte! O, welch eine Macht der Liebe offenbart sich uns hier! Es ist eine schöne Beobachtung eines älteren Naturforschers, dass das Federharz, das aus dem Kautschukbaum ohne Einschneiden in die Rinde herausfließt, das vorzüglichere ist. Jener köstliche Kopherbaum gab liebliche Würze, als Er mit Geißelhieben verwundet und am Kreuz von den Nägeln durchgraben wurde; aber siehe, seine beste Würze entquillt Ihm, wenn weder Geißeln, noch Nägel, noch Lanzenstiche Ihn verwunden. Dies macht uns die Freiwilligkeit der Leiden Christi recht eindrücklich, weil hier das Blut von selber floss. Hier braucht‘s kein Stechen und kein Schneiden, das Blut fließt freiwillig. Hier ist kein Befehl nötig: „Steig‘ herauf, Brunnen!“ Er strömt von selber in rosinfarbenen Wellen. Wenn Menschen große Seelenangst ausstehen, so drängt sich das Blut sichtlich zum Herzen. Die Wangen werden bleich; eine Ohnmacht ist nahe; das Blut hat sich nach innen zurückgedrängt, gleichsam als müsste es den innern Menschen stärken, wenn er durch die Trübsal hindurch muss. Aber schaue den Heiland in seinem Seelenleiden an; Er hat sich so ganz seiner selbst entäußert, dass sein tödliches Ringen nicht etwa sein Blut zum Herzen treibt, um seinen eigenen inwendigen Menschen zu stärken, sondern dass es sich nach außen drängt und die Erde besprengt. Der Leidenskampf Christi hat Ihn ausgegossen auf die Erde, und enthüllt uns die Fülle der Opfergabe, die Er in sich selber für die Menschen dargebracht hat. Begreifen wir nun nicht, wie heftig der Kampf gewesen sein muss, durch den Er hindurch ging, und hören wir nicht, wie seine Stimme uns zuruft: „Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden ob dem Kämpfen wider die Sünde?“ Schauet auf den großen Apostel und Hohenpriester unsers Bekenntnisses, und schwitzet lieber Blut, als dass ihr dem starken Versucher eurer Seelen nachgebt. (Charles Haddon Spurgeon)
So weit ist es mit unserm Erlöser Jesu Christo am Oelberg gekommen. Die Ursache war unsichtbar, denn in Seinem heiligen Leib war kein Same einer Krankheit: der Kelch aber, den Er trinken, oder das Leiden und der Kreuzestod, den Er ausstehen sollte, erfüllte Seine Seele mit einem sehr empfindlichen Grauen; und weil Er mit dem reinsten Gehorsam gegen Seinen Vater gegen dieses Grauen kämpfte, so rang Er zuletzt mit dem Tod, oder Er kam in eine Todesangst hinein, und war einem Menschen gleich, in welchem alle noch übrigen Lebenskräfte in einem Kampfe mit dem Tode stehen. Unmittelbar vorher war Ihm ein Engel vom Himmel erschienen und hatte Ihn gestärkt. Die Kräfte nun, die Er durch diese Stärkung in Seiner menschlichen Natur bekommen hatte, wandte Er zu dem heftigsten Ringen an, welches darauf anging, wie auch zu dem heftigern Gebet, welches Er zugleich zu Seinem Vater schickte. Er betete heftiger, indem Er Seine Stimme bis zu einem starken Geschrei erhob, und Seine Begierde, von dem Trinken des Kelches frei zu bleiben, aber auch den Willen Seines himmlischen Vaters zu tun, auf den höchsten Grad stieg. Wunderbar ist’s, daß Er nach dieser Todesangst und nach diesem heftigen Gebet, unter welchem Sein Schweiß wie Blutstropfen wurde, die auf die Erde fielen, alsbald wieder aufstehen, zu Seinen Jüngern hingehen, mit ihnen reden, und hernach bis zu Seiner Kreuzigung ungefähr fünfzehn Stunden lang ohne eine leibliche Ruhe und Erquickung und unter vielen Gewaltthätigkeiten stehen und gehen können.
Hat der Heiland das Aeußerste der Angst empfunden, dessen die menschliche Natur fähig ist, so erinnern wir uns billig, daß Trübsal und Angst der verdiente Lohn aller derjenigen sei, die Böses thun, Röm. 2,9., und daß, weil kein Glaube und keine Liebe in ihnen sind, diese Angst in das verzweifelnde Geschrei: o ihr Berge fallet über uns u.s.w. und in Heulen und Zähneknirschen ausbreche. Vor dieser zweifelnden Angst bewahre uns, lieber HErr Jesu, durch Deinen Todeskampf, durch Dein heftiges Gebet, und durch Deinen blutigen Schweiß. Soll ich aber in meinem Leben und bei meinem Sterben etwas Weiteres von Angst und Bangigkeit erfahren, folglich etwas von dem Kelch trinken, den Du am Oelberg getrunken hast, so wollest Du als ein mitleidiger Hohepriester mir nahe sein, meine Schwachheit stärken, und die Versuchung bei mir so ein Ende nehmen lassen, daß ich sie ertragen könne. Ja gleichwie Dich Dein himmlischer Vater zur angenehmen Zeit erhöret, und Dir am Tage des Heils geholfen hat, daß Du hernach dem Tod ohne weiteres Grauen hast entgegen gehen können, also wollest Du mich auch zur rechten Zeit erhören, mich von dem Grauen vor dem Tod befreien, und mich in Deiner Gnade williglich und sanft von hinnen scheiden, und mich alsdann die Erfüllung Deiner Worte erfahren lassen: Vater, Ich will, daß, wo Ich bin, auch die bei Mir seien, die Du Mir gegeben hast, daß sie Meine Herrlichkeit sehen, die Du Mir gegeben hast. (Magnus Friedrich Roos)
22:45 Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafen vor Traurigkeit
22:46 und sprach zu ihnen: Was schlafet ihr? Stehet auf und betet, auf das ihr nicht in Anfechtung fallet!
22:47 Da er aber noch redete, siehe, da kam die Schar; und einer von den Zwölfen, genannt Judas, ging vor ihnen her und nahte sich zu Jesu, ihn zu küssen.
22:48 Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?
Das Küssen des Hasses ist ein Gewäsche, spricht Salomo. Nimm dich in acht, wenn dir die Welt ein freundliches Gesicht macht, denn womöglich betrügt und verrät sie dich ebenso mit einem Kuss, wie deinen Meister. Wenn ein Mensch dem Christentum unversehens einen Hieb versetzen will, heuchelt er gewöhnlich große Achtung vor demselben. O, ich will auf der Hut sein vor der gleißenden Heuchelei, dieser Waffenträgerin der Feindschaft und Gottlosigkeit. Weil ich das falsche Wesen der Ungerechtigkeit erkenne, so will ich klug sein wie die Schlangen, um die Absichten des Feindes zu erraten und zu vereiteln. Der „närrische Jüngling“ wurde verführt vom „Weib im Hurenschmuck“ mit einem Kuss, „bis sie ihm mit dem Pfeil die Leber spaltete“: möchte doch meine Seele heute durch Gottes Gnade so viel Weisheit lernen, dass „die vielen Worte“ und der „glatte Mund“ der Welt keinen Einfluss über mich gewinnen. Heiliger Geist! gib nicht zu, dass ich armer gebrechlicher Menschensohn mit einem Kuss verraten werde. Aber wie, wenn ich mich derselben verfluchten Sünde des Judas, dieses verlornen Kindes, schuldig gemacht hätte? Ich bin getauft worden im Namen des Herrn Jesu; ich bin ein Glied seiner sichtbaren Gemeinde auf Erden; ich komme zu seinem Abendmahlstisch: alles das sind ebenso viele Küsse meines Mundes. Bin ich aufrichtig in dem allen? Wenn nicht, so bin ich ein niederträchtiger Verräter. Lebe ich ebenso sorglos in der Welt wie andre, und erfreche mich dennoch zu sagen, ich sei ein Jünger Jesu? Dann mache ich ja die Gottesfurcht zum Spott und reize die Menschen zur Lästerung des heiligen Namens, den ich trage. Gewiss, wenn ich so unredlich handle, so bin ich ein Judas, und es wäre mir besser, dass ich nie geboren wäre. Darf ich hoffen, dass ich hierin unschuldig sei? Dann, o Herr, bewahre mich. O Herr, mache Du mich aufrichtig und treu. Behüte mich vor allen Wegen der Falschheit. Lass nie zu, dass ich Dich, meinen Heiland, verrate. Ich habe Dich lieb, o Herr Jesu, und wenn ich Dich gleich oft betrübe, so möchte ich Dir doch von Herzen gern treu bleiben bis in den Tod. O Gott, bewahre mich, dass ich nicht in meinem Bekenntnis ein mächtig emporrauschender Adler sei und zuletzt doch in den Feuerpfuhl hinabstürze, weil ich meinen Herrn und Meister sollte verraten haben mit einem Kuss. (Charles Haddon Spurgeon)
22:49 Da aber sahen, die um ihn waren, was da werden wollte, sprachen sie zu ihm: HERR, sollen wir mit dem Schwert drein schlagen?
22:50 Und einer aus ihnen schlug des Hohenpriesters Knecht und hieb ihm sein rechtes Ohr ab.
22:51 Jesus aber antwortete und sprach: Lasset sie doch so machen! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.
22:52 Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die über ihn gekommen waren: Ihr seid, wie zu einem Mörder, mit Schwertern und mit Stangen ausgegangen.
22:53 Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt keine Hand an mich gelegt; aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.
22:54 Sie griffen ihn aber und führten ihn hin und brachten ihn in des Hohenpriesters Haus. Petrus aber folgte von ferne.
22:55 Da zündeten sie ein Feuer an mitten im Hof und setzten sich zusammen; und Petrus setzte sich unter sie.
22:56 Da sah ihn eine Magd sitzen bei dem Licht und sah genau auf ihn und sprach: Dieser war auch mit ihm.
22:57 Er aber verleugnete ihn und sprach: Weib, ich kenne ihn nicht.
22:58 Und über eine kleine Weile sah ihn ein anderer und sprach: Du bist auch deren einer. Petrus aber sprach: Mensch ich bin's nicht.
22:59 Und über eine Weile, bei einer Stunde, bekräftigte es ein anderer und sprach: Wahrlich dieser war auch mit ihm; denn er ist ein Galiläer.
22:60 Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was du sagst. Und alsbald, als er noch redete, krähte der Hahn.
22:61 Und der HERR wandte sich um und sah Petrus an. Und Petrus gedachte an des HERRN Wort, wie er zu ihm gesagt hatte: Ehe denn der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.
Jesus unser HErr stand damals vor ungerechten Richtern, und wurde fälschlich angeklagt. Er blieb aber bei Sich selbst, da hingegen Petrus indessen im Hof des hohenpriesterlichen Palastes wie außer sich selber war, und Ihn dreimal verleugnete. Der HErr erkannte solches in Seinem Geist, und wandte Sich, und sahe Petrum durch ein offenes Fenster oder durch eine offene Thüre an. Ach was muß Petrus auf einmal in dem Angesicht Jesu als in einem Buch gelesen haben! Ohne Zweifel dieses: Er ist’s, den ich verleugnet habe, Er weiß, daß ich’s gethan habe. Ach, Er ist der Wahrhaftige! Er hat mir’s vorausgesagt; nun ist’s leider geschehen. Nun gibt Er mir mit Seinem ernsthaften Blick einen scharfen Verweis, den ich Untreuer wohl verdient habe. Es ist aber noch Hoffnung für mich vorhanden. Sein Angesicht hat noch Gnade von sich ausstrahlen lassen: und warum hätte Er mich angeblickt, wenn Er mich nicht retten wollte? Dieses Alles war der Eindruck, den Petrus von dem Anblick Jesu bekam, und wenn er dieses Alles nicht so deutlich gedacht hat, so wurden doch alle diese Empfindungen in ihm erweckt. Der Erfolg war, daß er hinaus ging, und bitterlich weinte, aber auch Gnade und Vergebung erlangte, seine Brüder hernach stärken, und auf die Frage: Simon Johanna, hast du mich lieb? antworten konnte: HErr, Du weißt alle Dinge, Du weißt, daß ich Dich lieb habe.
Jetzt sehen wir das Angesicht Jesu nicht mehr, aber Er siehet uns. Wenn Er uns nun ein Licht in unsere Seele kommen läßt, das unsere Verderbniß und Vergehungen uns aufdeckt, und zugleich Hoffnung zur Vergebung erweckt, unsere Härtigkeit schmelzt, uns von einem gefährlichen Zustand zurückzieht, und zum Flehen mit oder ohne Thränen bewegt, so hat Er uns, ob Er uns schon unsichtbar ist, wie den Petrus angesehen. Es gibt auch noch andere Blicke Jesu, welche lauter Erquickung sind; aber bei dem Anblick, dergleichen Petrus bekam, ist Schärfe mit der Barmherzigkeit vermengt. Ach, Er wolle uns oft ansehen, wie wir’s nöthig haben; unsere Geistes-Augen sollen Ihn aber auch ansehen, wie Er uns durch das Evangelium vor Augen gemalt ist; und dieses soll fortgehen, bis wir Ihn unmittelbar und in Seinem eigenen Licht sehen werden, wie Er ist, nämlich von Angesicht zu Angesicht.
Das Beispiel Petri zeigt an, daß nicht immer Worte nöthig sind, um eine sonst redliche Seele, die sich vergangen hat, zur Erkenntniß ihrer Vergehung und zur Reue zu bringen. Ein einziger Anblick Jesu kann die ganze Seele rege machen und zu sich selber bringen. So wurde Assaph, da er im Heiligthum betete, von seinen gefährlichen Gedanken, wozu ihn seine tägliche Plage und das Glück der Gottlosen verleitet hatten, ohne Jemands Beihilfe zurückgeführt Ps. 73,17. So schlug auch den David sein Herz Sam. 24,10., ohne daß ihm damals Jemand etwas gesagt hätte. Doch wird die Seele auch in solchen Fällen an die vorher gehörten Worte erinnert. Es gehe aber bei einem Jeden, wie es wolle, so ist’s immer große Barmherzigkeit, wenn der HErr einen Gefallenen erhält, und einen Niedergeschlagenen aufrichtet.(Magnus Friedrich Roos)
Als Petrus den Herrn verleugnet hatte, wandte sich Jesus und sah ihn an. Luc. 22, 61. Der Blick ging ihm zu Herzen. Wisse, daß der Herr, welcher bei uns ist alle Tage, auch dich in allem deinen Thun und Lassen ansieht. Das ist sehr tröstlich, aber auch sehr beugend. Welche unangenehme Ueberraschung, welche tiefe Beschämung, welche peinliche Verlegenheit hat schon mancher empfunden, wenn er allein zu sein glaubte und plötzlich inne ward, daß ein Anderer ihn gesehen? Und wenn du nun immer denkst: „Der Herr sieht mich an!“ welch einen Einfluß muß das auf dein Thun und Lassen haben! Darum hast du deinen Herrn verläugnet, wie Petrus, so bedenke, daß seine Augen dich ansehen, wie ihn, daß er mußte hinausgehen und bitterlich weinen. Und willst du nicht mitweinen? Hat er das um dich verdient, daß du aus Menschenfurcht dich stelltest, als kenntest du ihn nicht, als ginge er dich nichts an? - Es mangelt dir auch oft die Liebe. Aber wo du Herz und Mund und Hand vor dem Bruder verschließest, und kalt und fremd gegen ihn bist: bedenke, der sieht dich an, der gesagt hat: „Daran wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habet.“ Und du solltest deine Lieblosigkeit vor ihm dich nicht schämen? Auch hast du deine Stunden, wo du mit deinen Gedanken hoch hinaus fährst, wo du nach Huldigungen und Ehrenbezeugungen der Welt lüstern bist. Aber wenn dich die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit aufblähet, bedenke, die Augen dessen sehen auf dich, der, ob er wohl wußte, daß er vom Vater gekommen war und zum Vater ginge, aufstand und seinen Jüngern die Füße wusch; ja, der aller Ehrenkronen werth, sich mit Dornen krönen ließ. Und du solltest vor seinen Augen deiner Eitelkeit dich nicht schämen? - Du möchtest auch wohl für die Sache des Herrn etwas Großes thun oder leiden, aber die Treue, die Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit in kleinen Dingen, in den täglichen Verkommenheiten deines Standes und Berufes, die unscheinbaren Uebungen der Gottseligkeit im häuslichen und bürgerlichen Leben, scheinen dir nicht der Mühe und Sorgfalt werth. Aber wo du in solchen Dingen gleichgültig und nachlässig, oder unmuthig und verdrossen bist; bedenke, die Augen dessen sehen auf dich, der gesagt hat: „Wer nicht im Kleinen treu ist, der ist auch nicht im Großen treu!“ Und du solltest deiner Untreue dich nicht schämen? - Du weißt, an wen du glaubst, und liebst deinen Heiland; aber wo du die Ungläubigen und Verächter (die vielleicht nur sind, was du zuvor warst) verachten, verwerfen, spotten und lästern hörst, da beginnt in dir ein Zornfeuer aufzulodern, während der dich ansieht, der einst über Jerusalem seufzte und weinte. Schäme dich und bitte ihn: „Herr Jesu, gieb mir auch gegen deine Feinde ein Herz nach deinem Herzen!“ - Siehe, so stelle dich in allen Fällen vor die Augen des Herrn, halte es dir gegenwärtig: „Er sieht mich an, wie ich bin, wie ich denke, rede, handle, leide;“ das wird dich beschämen und dein Herz erweichen, daß es sich umbilden läßt in sein Bild, bis du dereinst sein Ansehn dort wirst ohne Beschämung ertragen können, weil du sein Bild trägst. Amen. (Carl Johann Philipp Spitta)
22:62 Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.
22:63 Die Männer aber, die Jesum hielten, verspotteten ihn und schlugen ihn,
22:64 verdeckten ihn und schlugen ihn ins Angesicht und fragten ihn und sprachen: Weissage, wer ist's, der dich schlug?
22:65 Und viele andere Lästerungen sagten sie wider ihn.
22:66 Und als es Tag ward, sammelten sich die Ältesten des Volks, die Hohenpriester und Schriftgelehrten und führten ihn hinauf vor ihren Rat
22:67 und sprachen: Bist du Christus, sage es uns! Er aber sprach zu ihnen: Sage ich's euch, so glaubt ihr's nicht;
22:68 frage ich aber, so antwortet ihr nicht und laßt mich doch nicht los.
22:69 Darum von nun an wird des Menschen Sohn sitzen zur rechten Hand der Kraft Gottes.
22:70 Da sprachen sie alle: Bist du denn Gottes Sohn? Er aber sprach zu ihnen: Ihr sagt es, denn ich bin's.
22:71 Sie aber sprachen: Was bedürfen wir weiteres Zeugnis? Wir haben's selbst gehört aus seinem Munde.