Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Davids, des Mannes nach dem Herzen Gottes - Vierte Predigt - Lust und Last, oder Versuchung und Überwindung.

Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Davids, des Mannes nach dem Herzen Gottes - Vierte Predigt - Lust und Last, oder Versuchung und Überwindung.

1 Sam. 18. u. 19.

War die zuletzt betrachtete Geschichte, der Kampf des Hirtenjünglings mit dem stolzen Riesen, für jeden Hörer gewiss eine sehr gewaltige, so möchte vielleicht Mancher versucht sein, die heutige Erzählung eine bunte und wunderliche zu nennen. Freundschaft und Hass, Triumph und Verfolgung, Streit und Friede, Ruhm und Schmach, Heirat und Flucht wechseln in ihr so rasch miteinander ab, dass es schwer zu sein scheint, das mit Klarheit zu schauen, was zur Erbauung dient. So geht's mit manchem Kapitel des Alten Testaments. Da erinnere ich mich an ein Bild, welches ich einmal als Knabe sah. Wenn man rechts oder links stand, entdeckte man nichts, als eine bunte Verwirrung. Wenn man aber auf den rechten Standpunkt mitten davor trat, erschien Alles in schönster Ordnung. Wer auch unsre Kapitel aus dem rechten Gesichtspunkte anzusehen weiß, dem wird sich bald in den verschiedenartigen, kleineren Geschichten und Zügen derselben der leitende Finger Gottes offenbaren, der Alles in Ordnung bringt, der Alles so fügt und führt, dass es seinem Plane dienen muss. Lasst uns denn diesen Finger Gottes suchen. Ich möchte unserer heutigen Geschichte die Überschrift geben:

Lust und Last, oder Versuchung und Überwindung.

Sie zeigt uns zweierlei:

I. In der Lust liegt die Versuchung.
II. In der Last liegt die Kraft zur Überwindung.

I

In der ganzen Geschichte kommt zwar das Wort Lust nicht vor. Aber Alles, was dem Menschenherzen höchste Lust dünkt, ward David, dem Geliebten Gottes, zu Teil. Wie eine Woge der andern folgt, so strömte Lust auf Lust ihm zu, dass er kaum zu Atem kam. Der Riese, der Feind Gottes und Israels, war niedergeschmettert. Die Philister, die Feinde, waren geflohen, Israel gerettet. David war die Hand gewesen, wodurch Jacobs Gott diese Wunder getan hatte. Jonathan, Sauls Sohn, selbst, wie wir wissen, ein gläubiger, gottesfürchtiger Jüngling, früher Sieger über die Philister (1) Sam. 14.), schaute mit Lust und Staunen auf den schlichten Hirtenknaben. „Da verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids, und Jonathan gewann ihn lieb, wie sein eigenes Herz. Und Jonathan und David machten einen Bund mit einander, denn er hatte ihn lieb, wie sein eigenes Herz. Und Jonathan zog aus seinen Rock, den er an hatte, und gab ihn David, dazu seinen Mantel, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel.“ Anerkennung also und Ruhm und Ehre und, was noch mehr ist, die Freundschaft des Besten in Israel, des herrlichen Königssohnes, fiel dem unbekannten Bethlehemiten plötzlich in den Schoß. Ist das nicht eine süße Lust fürs Menschenherz?

Indessen war die Kunde von Davids Sieg rasch durch alle Städte und Dörfer des Landes geflogen. Saul kehrte mit dem Sieger in seine Hauptstadt zurück. Als sie in die erste Stadt einzogen, kamen die Weiber ihnen entgegen mit Gesang und Reigen, mit Pauken, mit Freuden und mit Geigen, und sangen gegen einander und spielten und sprachen: „Saul hat tausend geschlagen, aber David zehntausend!“ Und als dieser Gesang kaum verhallt war, und sie der zweiten Stadt sich näherten, wälzte sich ihnen wieder der Jubel des Volks entgegen, und unter Pauken und Geigen erscholl von neuem das Jubelgeschrei: „Saul hat tausend geschlagen, aber David zehntausend!“ Und solches taten die Weiber aus allen Städten Israels. Öffentliches Lob, allgemeine Anerkennung, überschwänglicher Ruhm überwogte David zum zweiten Male. Ist das nicht eine süße Lust fürs arme Menschenherz?

„Und Saul nahm ihn des Tages und ließ ihn nicht wieder zu seines Vaters Haus kommen.“ Für immer hörte das Hirtenhandwerk auf, für immer lag der niedrige Stand hinter ihm, für immer trat er ins Königshaus ein. Saul setzte ihn über die Kriegsleute. Er wurde der erste Rat Sauls im Krieg und Frieden, und er gefiel wohl allem Volk, auch den Knechten Sauls. Ganz Israel und Juda hatte David lieb. (V. 16.) Während sonst die Günstlinge der Könige nicht die der Untertanen zu sein pflegen, hatte David das seltene Glück, der Liebling des Volkes und der Liebling der Höflinge zu sein. Zum dritten Mal also Lob, Anerkennung, Erhebung. Ist das nicht eine süße Lust fürs hoffärtige Menschenherz!

Und Saul sprach zu David: „Siehe, meine größte Tochter Merob will ich dir zum Weibe geben; sei nur freudig und führe des Herrn Kriege.“ (V. 17.) Als sich diese Heirat zerschlug, sprach Saul zu David: „Du sollst heute mit der andern mein Eidam werden.“ Und als David nicht darauf hörte, ließ Saul ihm nachgehen, ihn dringend bitten, doch die Hand der Königstochter zu nehmen. (V. 22. 23.) Zum vierten und fünften Mal Lob, Ehre, Anerkennung und Erhebung! Ist das nicht eine süße Lust fürs unersättliche Menschenherz?

Und David zog gegen die Philister und schlug sie einmal über das andere, und der Herr war mit ihm in allen Unternehmungen. Was er angriff, gelang ihm. Alle jauchzten ihm zu. Sein Name war hoch gepriesen als eines Helden und Weisen, der herrlich und unaufhaltsam, wie die Sonne am Himmel, über Alle emporsteigt, so dass sein einziger Feind Saul mit heiliger Scheu vor ihm erfüllt wurde. Seht da! zum sechsten Mal: Lob, Ehre, Erhebung, Herrlichkeit, Bewunderung! Es schien fast, als wollte Gott von seinem gewöhnlichen Wege, durch Nöten und Niedrigkeit die Seinen zu vollenden, abgehen, um seinen Knecht David ohne Leidenstaufe, fast wie in siegreichem Sturmschritt, den Höhen auf Erden und ihrer Herrlichkeit zuzuführen. Ich muss noch einmal fragen: „Ist das nicht eine süße Lust fürs Menschenherz, süßer denn irgendeine?“ Gewiss! die Lust ist süß.

Doch gerade in ihr lagen die allerschwersten und tödlichsten Versuchungen verborgen. Das fühlt ihr sofort Alle, dass in jedem Lobspruch, in jeder gelungenen Tat die Gefahr der Selbstgefälligkeit und der Selbstüberhebung drohte. Auch das ist unverborgen, dass aus allen Ehren und Freuden die Lockstimme der alten Schlange reizte, von dem vorgeschriebenen Wege, durch Leiden und Niedrigkeit zur Krone zu kommen, abzuweichen, und dieselbe auf dem leichtern Wege, der durch die Herrlichkeit und Selbsthilfe führt, zu erwerben.

War diese eine große Versuchung allen jenen süßen Freuden gemein, so bot doch jede derselben noch eine neue, besondere Gefahr. Der Glanz des königlichen Rockes und Mantels, den Jonathan zugleich mit seinem Herzen dem Freunde geschenkt hatte, war zauberhaft genug, den Emporkömmling von Bethlehem seinen früheren Stand vergessen und verachten zu lassen. Und wer erst seine Herkunft vergisst, ist ein Spielball des größten Tyrannen, des Stolzes. Habt ihr das niemals erlebt?

Der Blick ferner auf Bogen, Schwert und Gürtel Jonathans konnte den Mann mit der Schleuder sehr leicht verblenden, dass er den Blick auf Gott und seine Hilfe verlernte und in Vermessenheit Fleisch für seinen Arm hielt. Aus dem Jubellied: „Saul hat tausend geschlagen, aber David zehntausend!“ konnte die Hoffart ihn heraushören lassen: „Du tatest mehr als Saul! Dir gebührt die Krone! Nimm sie dir, du Gesalbter Gottes.“ Führte Saul ihn in sein Haus ein, machte ihn zum Herrn über die Kriegsleute, wurde er Liebling der Höflinge und des Volks, welche Versuchung, auf die wandelbare Gunst der Menge, wie der Hohen zu lauschen, ihnen nach den Augen zu sehen, nach dem Munde zu reden, aus Gottesknecht ein Menschenknecht zu werden! - Als Saul seine älteste, David versprochene Tochter Merob dem unbekannten Adriel gab, hatte er im Sinne, Davids Ehre öffentlich zu kränken, seinen Zorn zu reizen, seinem Munde ein bitteres und ungebührliches Wort zu entlocken, das er als Waffe gegen den Verhassten gebrauchen könnte. Ahnt ihr nicht die Tiefe und Schwere auch dieser Versuchung? Danach ließ Saul David seine jüngste Tochter Michal anbieten. Sollte da Davids gekränkter Ehrgeiz sich nicht Luft machen? Sollte er nicht in die stolzen Worte ausbrechen: „Seht, ihr Männer, wie der König hinter mir herläuft! Wie er seine Tochter mir aufdrängt! Aber sie ist, wie er selbst, mir zu gering! Das Königreich ist doch mein!“ Wenn endlich Alles ihm gelang, und deshalb seine Person in steigendem Maße von Hohen und Niedrigen angestaunt wurde, sollte er nicht, berauscht von solcher Ehre, durchs Land rufen: „Ich bin der Gekrönte! Lasst Saul, den Verworfenen Gottes, und folgt mir nach!“ und seine frevelhafte Hand nach der Krone ausstrecken? Ihr seht es mit euren Augen: in jeder neuen Lust lauerte eine neue Schlange, um den Geliebten Gottes in die Ferse zu stechen.

Wir wollen Gott zuerst danken, dass er uns, die wir eitler Ehre so geizig sind, gnädig mit solchen Lobsprüchen und Ehrenbezeugungen verschont hat, wie er sie stromweise auf David herniederregnen ließ. Es bedarf nicht des Genusses großen Ruhmes, um uns zu verwirren. Ein Körnlein Weihrauch schon reicht hin, die Sinne zu umnebeln. Ein Tropfen aus dem süßen Taumelkelche der Anerkennung kann uns die Nüchternheit nehmen. Einer Magd braucht bloß gesagt zu werden, sie scheure die Stube gründlich, oder sie besorge das Vieh, wie sich's gebührt, ein Knecht nur zu hören, er pflüge tief und grade, er säe oder mähe gut, einem Wärter oder einer Wärterin darf der Kranke nur bemerken: Du verstehst meine Bedürfnisse und achtest auf meine Winke! und eine Lehrerin darf nur hören, dass sie ein wenig gelernt habe, und gegen uns alle braucht nur Einer einmal wie von ungefähr ein nach Lob und Anerkennung klingendes Wörtlein fallen zu lassen: sofort wird das arme, eitle Herz von diesem süßen Gifte ins Maßlose aufgebläht, fast möchte ich sagen, wie der Frosch in der Fabel..

Nun sollte einer Magd oder einem Knecht oder einem Handwerker oder einem Lehrer oder einem Wärter oder einer Wärterin oder irgend einem Andern von uns noch das widerfahren, dass er mit dem Nächsten verglichen und in diesem Vergleich über denselben gestellt wird, dass er wirklich, in Folge seines Verdienstes oder seiner Gaben höher gehoben wird, und allgemeine Anerkennung, Liebe und Achtung genießt, o meine Freunde, das wäre eine Lust, die auch manchem Starken Schwindel verursachte und Herz und Kopf verdrehte. Nichts Geringeres fürchtete der Herr für seine Jünger, als sie von ihrer ersten, wohlgelungenen Sendung mit Freuden wiederkamen und sprachen: „Herr, es sind uns auch die Teufel untertan in deinem Namen!“ Er sah die tödliche Gefahr, welche in dieser Lust über den segensreichen Erfolg der Arbeit versteckt lag. Ernst und fast kalt ihrer glühenden Freude gegenüber, sprach er: „Ich sah wohl den Satanas vom Himmel fallen, als einen Blitz!“ sah den hohen Engel des Lichts durch hochmütige Freude an seiner Größe und Herrlichkeit zum Satan sich umwandeln und aus dem Himmel gestoßen werden! „Seht, ich habe euch Macht gegeben über alle Gewalt des Feindes: Doch darinnen freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind!“ (Luk. 10, 18-20.)

Das will ich starke Beine nennen,
Die gute Tage tragen können!

sagt ein Sprichwort. Man könnte aber dazu setzen:

Die Herzen will ich stärker nennen,
Die Lob und Ehre tragen können.

Darum sagt auch die Schrift:

„Ein Mann wird durch den Mund des Lobers bewährt, wie das Silber im Tiegel und das Gold im Ofen.“ (Spr. 27, 21.)

Ein Herz, das Lust am Lobe hat, zieht ganze Nester giftiger Schlangen groß.

Dünkel, Überhebung, Selbstgefälligkeit heißt eine Familie. Eine andere: Geringschätzung des Nächsten und Hochherfahren über denselben, eine dritte Haschen nach Menschengunst und Menschengefälligkeit, das zur Menschenknechtschaft führt. Noch eine vierte nennt sich Vertrauen auf die eigene Kraft, Geschicklichkeit und Tugend, und Verachtung des einigen Helfers. Wollt ihr noch eine fünfte Familie kennen lernen, so nennt sie Anmaßung, nennt sie anspruchsvolles Wesen und geistige Verzärtelung! Wenn dann einmal dem vom Lobe und von allem Gelingen Verwöhnten die erhobenen Ansprüche nicht befriedigt werden, sondern ihm, wie David von Saul bei der Entziehung Merobs, wirkliche oder auch nur vermeintliche Ehrenkränkung entgegentritt, dann wird noch ein Basilisk ausgebrütet: die Empfindlichkeit und Übelnehmerei mit all ihren Launen und ihrem ungebärdigen, unleidlichen Wesen und widerwärtigen Murren. Aber das ist nun genug. Jeder fühlt es mit Zittern: in der Lust an der Ehre und Anerkennung, die uns widerfährt, liegt Versuchung über Versuchung. Woher, fragen wir, hat David die Kraft genommen, dieses Heer von Versuchungen zu überwinden?

II.

Gott der Herr legte seinem Geliebten zu jeder Lust eine Last. Da wurde ihm die Lust leichter zu tragen. Die Last, die ihn fast zu Boden drückte, gab ihm die Kraft, der unter der Lust lauernden Schlange den Kopf zu zertreten. Ich weiß wohl, dass das wunderlich klingt! Aber Alles was Gott tut, erscheint uns wunderlich. Schaut nur mit mir die Lasten Davids näher an. Er war zum Könige gesalbt, das Volk ehrte ihn auch als solchen, ehrte ihn mehr, als Saul. Da befahl ihm Gott: „Du sollst nicht auf den Königsstuhl steigen! Du sollst noch harren! Du sollst gehorchen, dem sogar gehorchen, den ich verworfen habe!“. Denn wie die Schrift erzählt, „David zog aus, wohin ihn Saul sandte.“ (V. 5.) Meine Freunde, harren und gehorchen ist wohl eine schwere Last! Ihr wisst das.

Als Saul den Siegesgesang der Weiber gehört hatte, ente stand in ihm furchtbar quälender Neid. Wir könnens ja auch nicht ertragen, den Nächsten rühmen zu hören. Ein Wort, was ihn gar über uns erhebt, geht uns durchs innerste Herz, wie ein giftiger Pfeil, regt den bösen Geist des Unmuts auf, vergällt uns das Süßeste, macht uns bitter und sauer und ungebärdig, und treibt uns, dass wir mit unserer Zunge, sobald die Gelegenheit sich bietet, auf unsern Nächsten losschlagen, wie mit Schwertern und Keulen, oder heimlich auf ihn schießen mit einem hämischen, giftigen Wort, wie mit einem Pfeil und Speer. Nun, wenn wir das erlebt haben, so verstehen wir's, wenn uns erzählt wird: „Saul sah David sauer an von dem Tage und fortan. Des andern Tags geriet der böse Geist von Gott über Saul. David aber spielte auf den Saiten mit seiner Hand, wie er täglich pflegte. Und Saul hatte einen Spieß in der Hand. Und schoss ihn und gedachte: Ich will David an die Wand spießen!“ Betet, ihr Knechte des Herrn, den gnädigen Gott an, der seinem Gesalbten gerade aus seiner Wonne, dem allgemeinen öffentlichen Lobe, ein so furchtbares Weh bereitete!

Wie sich Schwere auf Ehre und Bürde auf Würde reimt, so wuchs mit der steigenden Ehre und Würde auch die Schwere der Bürde, die auf Davids Schultern lag. Als nämlich Saul ihm nacheinander seine Töchter Merob und Michal zur Ehe anbot, versteckte er unter dieser scheinbar hohen Ehre die boshafte Absicht, seinen Eidam durch fortwährende Verwicklungen in Kriege mit den wütenden Philistern aus dem Wege zu räumen. (V. 19. 21. 25.)

Selbst Davids Freundschaft mit Jonathan, in dieser trüben Zeit der einzige, erquickende Lichtblick für jenen, wurde vom Könige benutzt, den Sohn Isais ins Verderben zu bringen. Denn „Saul redete mit Jonathan, dass er David töten sollte.“ (Kap. 19, 1.)

Diese Falschheit und Heimtücke seines Königs und Schwiegervaters, durch die David auf allen seinen Wegen heimliche Schlingen gelegt, und aus allen, auch den innigsten und heiligsten Verhältnissen Waffen gegen sein Leben geschmiedet sah, musste seine Seele wie auf die Folter spannen, sein Herz zermartern, musste für ihn eine so unnennbar schwere Bürde sein, dass gegen sie jene erste, einmalige Todesgefahr kaum in Anschlag zu bringen war. Und auch solche Last hielt Gott der Herr noch nicht für schwer genug, um seinen so hochgeehrten Knecht in der Niedrigkeit fest zu halten. Denn nachdem alle Anschläge Sauls gegen David sich als vergeblich erwiesen hatten, nachdem trotz alles offenen und geheimen Hasses Davids Name immer lauter und allgemeiner gepriesen wurde, erklärte der Rasende seinen Tochtermann endlich für vogelfrei, und schickte Boten in das Heiligtum seines Hauses, die ihn morden sollten. David musste in der Nacht durchs Fenster fliehen, wie ein Vogel auf die Berge, wie ein gejagter Hund in die Wildnis, wiewohl an seiner Hand kein Unrecht klebte, und seine Seele dem Volke und dem Könige nur Gutes getan hatte. Zum Könige gesalbt, und wie ein Missetäter durchs Fenster gelassen! Wie musste solcher Gegensatz dem Geliebten Gottes durch die Seele schneiden!

Und doch gerade diese Lasten und Mühsale, die ihn zu zermalmen drohten, haben ihn gelehrt, die gefährlichen Lobsprüche, die Ehrenbezeugungen und die Erhebung auf den Gipfel des Ruhmes ohne Schaden für seine Seele zu tragen und ihn durch alle Weihrauchwolken zu jener stillen, unerschütterlichen Demut zu führen, die sich so lieblich und herrlich und unter allen Verhältnissen in unserer Geschichte offenbart.

Nirgends sehen wir an ihm auch nur einen Zug von Ruhmredigkeit, nirgends ein stolzes Hervordrängen, nirgends ein Pochen auf seine Verdienste, die doch unbestritten waren, nirgends auch nur die leiseste Empfindlichkeit, wozu er nach den Umständen so viel Veranlassung gehabt hätte. Überall stiller Mund. Wenn sein Mund ja sich austut, geschieht's, um in Demut zu bekennen: „Wer bin ich? Und was ist mein Leben und Ge schlecht meines Vaters in Israel, dass ich des Königs Eidam werden soll?“ (V. 16) und abermals: „Dünkt euch das ein Geringes, des Königs Eidam zu sein. Ich aber bin ein armer, geringer Mann.“ (V. 23.) Solche Demut lehrte den Geliebten Gottes jene heilige Klugheit, jenen weisen Gehorsam, wodurch er in all den vielen verwickelten Lagen in die er geriet, das rechte Wort redete, das rechte Werk tat, alle Klippen vermied, alle Netze umging. Ausdrücklich und ein über das andere Mal wird erzählt: David hielt sich klüglich in allem seinem Thun (V. 5.14. 15.), und zum Schlusse noch einmal: „David handelte klüglicher, denn alle Knechte Sauls, dass sein Name hochgepriesen ward.“ Und wenn nun solche, alle Bosheit zunichtemachende und den Todfeind selbst mit heiliger Scheu erfüllende Demut und Einfalt euer Herz mit Freude füllt, meint ihr, dass dieselbe in Davids Herzen so feste Wurzel würde geschlagen haben, wenn ihm Gott durch alle Nöten und Trübsale nicht ein so schweres, so furchtbares Gegengewicht bereitet hätte! Wer weiß es, ob ohne dasselbe nicht auch über David das Klagelied hätte gesungen werden müssen: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!“ Er selbst wenigstens hat sich sehr vor der Versuchung durch Hochmut gefürchtet, hat niemals seine Nöten und Lasten fortgewünscht, sondern immerdar dem Herrn gedankt, der ihn durch dieselben so treulich demütigte. Selbst der 59. Ps., den David betete, als Saul ihn in seinem Hause töten wollte, schließt mit dem Lobliede: „Ich will von deiner Macht singen und des Morgens rühmen deine Güte; denn du bist mein Schutz und Zuflucht in meiner Not. Ich will dir, mein Hort, lobsingen; denn du, Gott, bist mein Schutz und mein gnädiger Gott.“ (Ps. 59, 17. 18.)

Er wurde also, - und das ist ein zweiter, überreicher Segen der bürdereichen Tage, er wurde, da sie überall auf seine Seele lauerten, (Ps. 59, 4.) ganz in die Arme seines Gottes getrieben, wie ein Kind in den Schoß der Mutter, oder wie eine Taube in die Steinritzen, so dass er selbst auf der angstreichen Flucht rühmen musste: „Gott erzeigt mir reichlich seine Güte.“ (Ps. 59, 11.)

In unserer Textgeschichte selbst wird erzählt, dass der wilde Hass Sauls David zu Samuel, dem Seher Gottes, trieb. Ihm sagte und klagte er alle Not. Bei ihm fand er die Quelle aller Hilfe, die Offenbarung Gottes, und in ihr Rat und Ruhe. Bei ihm erfuhr er auch das augenscheinliche Dreingreifen Gottes. Denn dreimal sandte Saul Boten zu Samuel, dass sie David griffen; aber dreimal ging es ihnen, wie es Bileam vor ihnen ergangen war. Sie mussten weissagen statt fluchen und morden. Saul selbst stürzte in Raserei nach Najoth in Rama, um mit eigener Hand David zu würgen. Aber auch Saul ging es wie demselben Bileam. „Er weissagte auch vor Samuel und fiel bloß nieder den ganzen Tag, und die ganze Nacht.“ David wurde von seinem Gott behütet wie ein Augapfel im Auge. Sein Gott war eine feurige Mauer: um ihn her, und bereitete ihm buchstäblich einen Tisch angesichts seiner Feinde, und salbte sein Haupt mit Öl und schenkte ihm voll ein!

Meine Lieben, wollen wir nun noch murren, wenn Gott uns eine Last auflegt, wenn er aus jeder Würde uns eine Bürde schafft? Haben wir die Last weniger nötig, als David? Oder haben wir ganz vergessen, was selbst der Apostel Paulus, des Name schon der Niedrige bedeutet, von sich bekennt: „Auf dass ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf dass ich mich nicht überhebe. Dafür ich dreimal dem Herrn gefleht habe, dass er von mir wiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2 Kor. 12, 7-9.)

Ist denn in uns keine Versuchung zur Überhebung, zur Hoffart, Ruhmredigkeit, Vermessenheit, Verachtung des Andern, Empfindlichkeit? Wir Armen! Sie ist so groß, dass sie nicht anders überwunden werden kann, als wenn Gott uns treulich und gründlich demütigt. Und wie soll er uns demütigen? Er muss, wie er es ja auch gnädig tut, jedes Lob, jede Anerkennung, jeden Erfolg unserer Arbeit, jede Erhebung auf einen höheren Posten uns sofort in eine Last umwandeln, die den alten Menschen so unter Wasser hält, dass er nicht, wie Pharao, wieder Lust kriegt, und das freche Haupt aufs neue erhebt! Er muss uns seine gewaltige Hand fort und fort auf dem Haupt und an unserm Herzen, und wenn es nicht anders sein kann, auch in unserm Fleisch fühlen lassen. So erst lernt man Demut, und Demut lehrt Gehorsam, und Demut und Gehorsam im festen Verein lehren klüglich handeln, klüglich reden, denn sie töten die Selbstgefälligkeit, die Verachtung des Nächsten und die Empfindlichkeit, die drei Stücke, die den Menschen zum Narren machen, dass er töricht redet und töricht handelt.

Die Demut, die mit geängstetem Geiste unter die Last sich beugt, wird auch uns zur rechten, einigen Quelle aller Hilfe, zur Offenbarung Gottes, führen, wo Schutz ist, ewiger Schutz gegen alle Gefahr von außen und innen. Aber ehe man gründlich aller Hoffnung auf Selbstrettung absagt und wie David und Paulus, Gott und seiner Gnade sich unbedingt in die Arme wirst, muss man auch geängstet sein, wie David, muss fliehen, wie ein Rebhuhn auf der Haide, wie ein gejagtes Netz auf den Bergen, muss den Pfahl im Fleische fühlen, muss von des Satans Engel mit Fäusten geschlagen werden, auf dass die alte Natur bis zur Ohnmacht, ja bis zum Tode schwach werde. Dann lernt man in das Triumphlied Pauli einstimmen: „Ich bin gutes Muts in Schwachheiten, in Schmachen, in Nöten, in Verfolgungen, in Ängsten um Christi willen. Denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark!“ (2 Kor. 12, 10.)

Die Schwäche die Wurzel der Stärke! Die Last die Ursache der Überwindung! Dass ist ein wundervolles, aber seliges Geheimnis! Wer es durchschaut hat, und wessen Leben selbst eine Offenbarung dieses Geheimnisses ist: der ist der Mann nach dem Herzen des Herrn!

„Bist Du ein Mann nach dem Herzen des Herrn?“ Amen.

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autoren/d/disselhoff/david/disselhoff_-_david_-_predigt_4.txt · Zuletzt geändert: von aj
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