Major, Charles Forsyth - Das Gesetz Gottes, erklärt in der evangelischen Kapelle zu Straßburg - Der Ehebruch.
2. Mos. 20,14.
Du sollst nicht ehebrechen.
Wir leben in einer so fein gebildeten Zeit, dass es ohne Anstoß für anstößig erklärt werden könnte, dieses siebente Gebot ausführlich auf der Kanzel zu behandeln; denn es gefällt den Menschen unserer Zeit besser, die Sünde auf allen Gassen vor Augen zu haben, als an heiliger Stätte ein ernstes, warnendes Wort über ihr Verderben zu hören. Ja, der Zeitgeist ist so tolerant geworden, dass er das gröbste Verbrechen aus vorgeblicher Liebe zum Nebenmenschen mit entschuldigendem und verheimlichendem Namen bezeichnet, dagegen die Benennung desselben mit dem rechten, biblisch gebräuchlichen Namen für Mangel an Lebensart, für bäurische Grobheit erklärt, und von der Bestrafung des Lasters mit dem Ernst des Wortes Gottes behauptet: das sei die größte Lieblosigkeit, die sich ein Mensch könne zu Schulden kommen lassen.
Inzwischen wandelt die Hurerei mit frecher Stirne auf unseren Gaffen, und der Ehebruch setzt sich obenan in den Rathäusern, und führt das große Wort beim vornehmen Pöbel, während unsere Jünglinge und Jungfrauen, um nur den guten Ton, die feine Lebensart zu treffen, gern mit einander buhlen; während unsere Kinder in den Schulen schon dem Fleische die Blüte des Lebens opfern und hinwelken wie früh entblätterte Rosen. O Sodom! O Gomorra!
Und du nennst dich eine Kirche Christi? Du rühmest dich deiner Tugend und prangest mit dem Namen des dreieinigen Gottes an deiner Stirne? Ja, eine Hurenstirne hat die Kirche des Herrn bekommen und ihre Schläfe ist umwickelt mit verwelktem Lorbeer, und in ihren frechen Blicken liest man mit feurigen Zügen: Geheimnis, die große Babylon, die Mutter der Hurerei und der Gräuel auf Erden (Offenb. 17, 5.).
Weil dieses nun der wirkliche Zustand der Dinge ist, so können wir unmöglich dem Zeitgeist huldigen, sondern müssen mit dürren, deutlichen Worten die Sünde bei ihrem rechten Namen nennen, und werden dazu auch, die Gelegenheit benutzen, um zweierlei Euch vorzulegen:
1) Wir werden zeigen, was Ehebruch heißt im Sinne der Schrift.
2) Werden wir andeuten, auf welche Weise der Christ sich aus den Banden des Fleisches vollkommen loswinden könne.
I.
Fragen wir: was wird im siebten Gebot verboten? so antwortet uns die schon angeführte Entwickelung der zehn Gebote, ihrer Ordnung nach: die Verletzung des Nächsten an seinem teuersten Eigentum, sofern er Ehegatte ist.
Das teuerste und beste Gut, welches ein Mann, außer seinem eigenen Leben, auf Erden hat, ist sein Weib, mit dem er nach Gottes Anordnung Ein Fleisch ist. Er kann daher nicht empfindlicher verletzt werden, als wenn ihm sein Weib geschändet wird von einem anderen Mann, als wenn die Einheit des Fleisches aufgelöst, und das Herz, das bestimmt war, ihn allein zu verstehen, zu lieben, zu trösten, ihm geraubt und einem anderen Manne zugewendet wird. Darum sind die in Frankreich so gebräuchlichen Konvenienz-Ehen, da die Leute in den Stand der Ehe treten, um eine irdische Versorgung zu haben, und sich nun gegenseitig stillschweigend gestatten, ihren Lüsten mit anderen Männern und Weibern nach Belieben zu leben, keine Ehen, sondern sie sind an und für sich schon der gröbste Teufelsdienst, den die Menschen treiben können, denn sie sind ein öffentliches Bekenntnis zum Geiz und zur Lust der Welt. Von solchen notorischen, in der öffentlichen Meinung leider schon unanstößig gewordenen, Verhältnissen können wir hier nicht reden, denn sie gehören nicht unter die Rubrik des Ehebruchs, sondern vielmehr betrachtet die Kirche Christi alle Häuser, in denen solche Verbrechen begangen werden, als öffentliche Häuser, welche von Polizei wegen aus dem Lande sollten ausgefegt werden, damit der Staat nicht zuletzt im Sumpf der Sünde und des Verbrechens ersticke.
Wenn das Wort Gottes zu einem Menschen spricht: Du sollst nicht ehebrechen, so setzt es wenigstens einen ehrliebenden, natürlichen Menschen voraus, der sich redlich bemüht, in einem kirchlich gesegneten und durch das Wort Gottes geheiligten Verhältnis zu seinem Weibe zu leben, und es für heilige Pflicht hält, der Ermahnung des Apostels nachzukommen: „Die Ehe soll in Ehren gehalten werden bei Allen, und das Ehebett unbefleckt; die Hurer aber und Ehebrecher wird Gott richten“ (Hebr. 13, 4.). Was in diesem ersten, gemein fasslichen Sinn Ehebruch heißt, bedarf weiter keiner Erklärung, und Jeder, der den Ehestand' in Ehren hält, wird fühlen, dass eine Übertretung dieses Gebots die notwendige Grundlage vieler inneren Gewissensbisse, vieler häuslichen Leiden und mancherlei Gerichte Gottes ist, die den Menschen schon im Zeitlichen treffen.
Dieses ist die rechte, kirchliche und bürgerliche, die buchstäbliche Auffassung dieses Gebots; ihr liegt aber eine andere zu Grunde, wir möchten sie, um das Spezielle darin zu bezeichnen, die persönliche nennen; sie ist die geistige Auslegung dieses Buchstabens heiliger Schrift. Wir finden sie in den Worten Jesu Matth. 5, 27. 28.: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.'
Aus diesen Worten Jesu lernen wir, dass der Anblick mit böser Begierde das Zeichen ist eines schon im Herzen begangenen Ehebruchs. Wir müssen daher, von diesem Worte gedrungen, nach dem fragen, was die Schrift den Ehebruch im Herzen nennt. Diese Frage führt uns aber zu einer tieferen Auffassung der Ehe selbst, denn wir schließen ganz einfach: Wenn die Ehe im Herzen gebrochen werden kann, so muss sie auch im Herzen geschlossen werden können; und demnach können wir eigentlich allein diejenigen Ehen als die schriftmäßigen erkennen, die im Herzen, d. h. im Geiste des Gemüts, in der Furcht Gottes geschlossen worden. Dass eine solche Ehe nun ganz etwas anderes sein muss, als ein auf Grundlage fleischlicher Triebe oder irdischer Rücksichten und zeitlicher Absichten eingegangenes, äußerliches Verhältnis, wird jedem denkenden Menschen einleuchten. Verfolgen wir diesen Gedanken einen Augenblick und fragen: was ist nun eine solche im Geiste des Gemüts geschlossene Ehe? so müssen wir nach der Schrift antworten: Sie ist nichts weniger, als das Sich-Erkennen zweier menschlichen Wesen, die von Anfang der Schöpfung für einander bestimmt waren, aber durch die Zerspaltung, welche die Sünde in die menschliche Natur eingeführt hat, so weit auseinander geraten waren, dass ein schmerzliches Suchen und ein tiefes Sehnen diesem Erkennen notwendig voraus gehen musste.
Solche nach vielem Kreuz und Wehe glücklich gewordene Menschen werden in der Ehe Ein Fleisch, nachdem sie in Gott Ein Geist und Eine Seele geworden. Dass eine solche Ehe nie wieder gebrochen werden kann, bedarf wohl weiter keiner Erinnerung. Aber wie viele Ehen dieser Art gibt es auf Erden? Ach, meine Freunde, lasst uns sie nicht zählen wollen, ich fürchte, die kleine Zahl würde uns so sehr betrüben, dass alle edleren Gemüter mit den Jüngern Jesu auch in dieser Beziehung sagen würden: Steht die Sache eines Mannes mit seinem Weibe also, so ist nicht gut ehelich werden (Matth. 19, 10.).
Aber eben weil dieses glückliche, in Gott geschlossene eheliche Verhältnis so selten ist, so liegt es am Tage, dass die meisten Ehen dieser Art nicht sind, sondern nur eine nach göttlicher Zulassung auf Grund des Wortes Gottes geschlossene irdische Verbindung zwischen Mann und Weib, zur Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts. Eine solche Ehe nun kann gebrochen werden, und darum gilt solchen Eheleuten vorzüglich das siebente Gebot, mit der vom Herrn selbst gegebenen ernsten Warnung vor dem Bruch im Herzen. Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht trennen. Eine Trennung aber ist schon das eigenwillige Verlangen nach andrem Verhältnis, nachdem man einmal in dieses Verhältnis eingegangen ist; noch mehr aber tritt dieses Zerreißen göttlicher Anordnungen hervor, wenn das Herz nach fleischlicher Verbindung außer diesem Verhältnis sich umsieht; endlich zerreißt das nach Gottes Wort geknüpfte neue Lebensband vollkommen, wenn in der Ehe Lebende Ein Fleisch werden mit solchen, die ihnen von Gott nicht zugewiesen sind. Und in diesem Fall erlaubt der Herr selbst auch förmliche äußere. Scheidung, denn das Band, welches durch Gottes heiliges Wort geknüpft war, ist ja lange schon gelöst, was hilft es, dasselbe dem äußern Scheine nach noch erhalten wollen?
Aber solche Unordnungen würden nicht einreißen können, wenn die Menschen überhaupt, auch außer der Ehe, ihren Leib unbefleckt zu erhalten wüssten; darum müssen wir mit in diesem Verbot einbegriffen verstehen jede fleischliche Sünde feiner oder gröberer Art.
Indem ich von diesen Lastern spreche, wende ich mich vorzüglich an die Jüngern meiner lieben Zuhörer, und fordere sie auf im Namen des Heiligen Gottes, ihren Leib unbefleckt zu erhalten von der Sünde, und mit ernstlichem Gebet über jede böse Lust des Herzens zu wachen, denn es ist unberechenbar und unbeschreiblich, zu welchem Elend im ganzen künftigen Leben, ja für ganze nachfolgende Generationen, der Leichtsinn der Jugend den Grund legt. Gern möchte ich aus Zartgefühl hier einen Schleier ziehen vor ein Gebiet, in das ich nicht ohne Schaudern und Entsetzen hineinblicken kann; aber was hilft es, dem Zartgefühl Gehör geben, während die Welt um mich her in Lüsten sich verdirbt? Was hilft es, die Augen verschließen und die Ohren verstopfen, während der Fürst dieser Welt eben die Blinden und Tauben zu Tausenden dahinrafft? Nein, ich will nicht schweigen, sondern reden und laut und öffentlich strafen, was im Verborgenen geschieht. Eltern, Lehrer, Erzieher und Alle, ihr, die ihr irgendwie in Berührung mit der Jugend steht, ihr müsst es wissen, es kann euch nicht verborgen bleiben, dass die schönste, reinste Blüte eures Lebens, eure armen, zarten Kinder, oft von einer Seuche angesteckt sind, die mehr Schaden tut und mehr Leben dahinrafft, als die Cholera oder die Pest. In den Schulen, auf den Gaffen, auf den Spaziergängen, überall teilt sich diese gefährliche Seuche mit, und oft sind gerade diejenigen, welchen die Aufsicht über die zarte Jugend leichtsinnig genug anvertraut wird, die ersten Verführer der Kinder.
Man darf, um sich hiervon zu überzeugen, nur zu einer ungewöhnlichen Stunde, da jeder ehrliche Mensch beim Geschäft oder bei der Mahlzeit ist, einen raschen Gang über unsere Wälle oder durch unsere öffentlichen Promenaden - tun, so findet man nur zu viele Kinder, teils auf dem Arm, teils zwischen drei und sechs Jahren unter Aufsicht von Mägden. Was diese armen Lämmer ansehen und anhören müssen, ist schändlich auch nur zu nennen, aber wie sie so frühe schon in die Sünde eingeweiht werden, ist schauderhaft zu denken. Solche Kinder gehören gewöhnlich den wohlhabenderen Familien an, die sich, während ihre Blüten zertreten werden, vielleicht der sorglosen Ruhe oder dem geräuschvollen Vergnügen hingeben, im Wahne, ihre Kinder seien gut aufgehoben. Wenn solches auf öffentlicher Straße geschehen kann, was muss erst in den Häusern vorgehen, während leichtsinnige Eltern im Theater und auf Bällen dem Vergnügen auf ihre Weise nachgehen. In den mittleren und niederen Klassen ist es noch ärger, denn hier tritt die Schamlosigkeit der Jugend und die Verführung durch böses Beispiel und unzüchtiges Wort ohne Schminke hervor, und Lots Erfahrungen in Sodom wiederholen sich täglich vor den Augen der ganzen Stadt. Ja, die Missetat der Tochter meines Volks ist größer, denn die Sünde Sodoms, die plötzlich umgekehrt ward, und kam keine Hand dazu. Ihre Nasire1) waren reiner denn der Schnee und klarer denn Milch; ihre Gestalt war rötlicher denn Korallen, ihr Ansehen war wie Saphir. Nun aber ist ihre Gestalt so dunkel vor Schwärze, dass man sie auf den Gassen nicht kennt; ihre Haut hängt an den Beinen, und sind so dürre als ein Scheit (Klagel. 4, 6-8.). Das, meine Freunde, ist die einzig passende Klage über die einst so blühende Kirche Christi zu Straßburg, denn es gibt noch eine andere Sünde, welche die Schrift Ehebruch nennt, der alle eben bestraften Sünden der Unzucht ebenso notwendig nachfolgen, als eine Hungersnot auf eine allgemeine Dürre; ich meine den Abfall vom Wort des lebendigen Gottes in Lehre und Übung. Dieser großen allgemeinen Sünde unserer Zeit hat sich mit vielen anderen Städten und Ländern auch die Kirche zu Straßburg schuldig gemacht, und von diesem Übel müssen wir hauptsächlich die große Verwilderung in allen Ständen herleiten. Denn es ist historisch erwiesen und mit unzähligen Beispielen erprobt, dass der entschiedene und mutig bekannte Glaube an das Wort des heiligen Gottes und die Übung seiner Vorschriften im Leben das einzige Mittel ist, der Immoralisation des Volkes zu steuern. Dieses erkannte zur Zeit der Reformation der weise Rat der Stadt Straßburg wohl und tat, was unter damaligen Verhältnissen ihm leichter wurde, aber unter jetzigen unmöglich wäre. Es ließen Meister und Rat, wie es die Verordnung vom Jahr 1529 ausdrückt, „nicht allein zur Erhaltung gemeinen Friedens, ehrbar Polizei und Wesens, sondern auch um dem heiligen Wort Gottes, dieweil dasselbige täglich wider dergleichen gepredigt wird, gehorsam zu sein,“ eine Konstitution und Satzung durch den Druck bekannt machen, wie das Fluchen, Spielen, Zu- und Volltrinken; Ehebruch usw. in ihrer Stadt und Obrigkeit bestraft werden soll. Des Ehebruchs Schuldige werden zuerst mit vier Wochen Turm, auf Wasser und Brot, bestraft und zahlen der Stadt fünf Pfund Pfenning; zum zweiten Mal ist diese Strafe doppelt und kann ein Solcher nicht mehr zu ehrlichen Ämtern gebraucht werden, wenn er eines hatte, so wird er entsetzt. Das Weib aber soll zu keiner Hochzeit, offenen Tänzen, ehrlichen Gesellschaften auf den Zunftstuben mehr gerufen werden, dazu kein Gold, noch seidene Ware, noch Kleider mit Seiden belegt mehr tragen dürfen. Geschiehts zum dritten Mal, so sollen beide gefänglich eingezogen und auf dem nächsten Ratstag, an einem besonderen Ort, durch die Turmhüter jedermann zu einer Scheue gestellt werden, daselbst so lange, bis der Rat aufsteht, stehen bleiben und danach dieser Stadt und Bistum ihr Leben lang verwiesen werden mit geschworener Urfehde und dahin ohne besondere Erlaubnis des Rats nicht zurückkommen, bei Strafe des Ertränkens. Wird ihnen die Rückkehr erlaubt und sie sündigen wieder, so wird der Mann enthauptet, die Frau ertränkt.
Was damals die sittlich strenge Obrigkeit im Verein mit der ernst gläubigen Geistlichkeit tat, soll jetzt, da die Verhältnisse anders geworden, der fromme Sinn des Bürgers, der seine Stadt und seine Kirche liebt, durch eigene strenge Sittlichkeit und ernstes Bewachen der ihm von Gott anvertrauten Familie tun. So wird ein mächtigerer Damm der Unsittlichkeit entgegengesetzt, als alle Verordnungen sind, welche die weiseste Regierung erlassen kann. Um dieses aber hervorzurufen, müssen wir noch hören, auf welche Weise der Christ sich aus allen Banden des Fleisches vollkommen loswinden kann.
II.
Der Abfall vom Worte des heiligen Gottes wird, nach vielen Stellen der Schrift, ein Ehebruch der Seele genannt, weil sie den Gnadenbund, welchen Gott mit ihr geschlossen, gebrochen, und einem Andern, dem Fürsten dieser Welt, nachgeeilt ist. Nur an den Heiligen, so auf Erden sind, und an den Herrlichen hat Gott sein Gefallen (Ps. 16, 3. 4.). Will einer daher zu Kraft kommen, um der Sünde in allen ihren Gestalten zu widerstehen, so bedarf es einer reuevollen Rückkehr zu dem Gott der Väter, der unsere Sünde geopfert hat am Holz des Fluches. Eine der bedeutendsten Einladungen Gottes zu solcher Rückkehr möge uns dazu Mut machen.
„So kommt denn, und lasst uns mit einander rechten, spricht der Herr. Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, so soll sie doch schneeweiß werden; und wenn sie gleich rot ist wie Rosinfarbe, so soll sie doch wie Wolle werden“ (Jed. 1, 18.). Und wenden wir uns nun zu einer Verheißung, die denen angeboten wird, die sich zur Rückkehr entschließen: „Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit; ich will mich mit dir vertrauen in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit; ja im Glauben will ich mich mit dir verloben, und du wirst den Herrn erkennen. Zur selbigen Zeit, spricht der Herr, will ich erhören: ich will den Himmel erhören, und der Himmel soll die Erde erhören, und die Erde soll Korn, Most und Öl erhören, und dieselbigen sollen Jesreel erhören. Und ich will sie mir auf Erden aussäen, und mich erbarmen über die, so in Ungnaden war; und sagen zu dem, das nicht mein Volk war: Du bist mein Volk; und es wird sagen: Du bist mein Gott“ (Hos. 2, 19 - 23.). Die Zeit, von der hier der Prophet redet, ist für uns alle angebrochen, meine Freunde. Die Kirche Christi hat lange genug ihren Bundesgott verleugnet, lange genug ist sie ohne selige Gemeinschaft aller der Verheißungen hingegangen, welche Gott den reumütig Rückkehrenden vorhält. Wir leben in einer Zeit des Erhörens. Die Gebete der Stillen im Lande sind aufgestiegen zu dem Gnadenthron Gottes, und ein neuer Geist fängt an sich über die Totengebeine zu ergießen; es kommt nun nur darauf an, dass wir dieses Geistes Wehen verstehen, und uns innerlich einführen lassen in die Gemeinschaft der Gerechtigkeit und des Gerichts, der Gnade und der Barmherzigkeit.
Wenn der Mensch umkehrt vom Dienst der Sünde und aufblicket zu dem Gott der Gnade, so öffnet sich seinem gläubigen Auge des Himmels Bogen, und von oben strömen ewige Kräfte nieder in seine ermattete Seele. Diese Kräfte zu sammeln, sie auf den rechten Punkt hinzuleiten, und ihre Macht anzuwenden im Kampf gegen die Sünde, das ist das Geschäft des Christen, das das einzige Mittel, welches zum vollkommenen Siege führt.
Geliebte, spricht Petrus (1 Petr. 2, 11.), ich ermahne euch, als die Fremdlinge und Pilgrime: Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten. Und Paulus dringet ernst darauf, wenn er spricht: Wisset ihr nicht, dass eure Leiber Christi Glieder sind? Sollte ich nun die Glieder Christi nehmen, und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne! Oder wisst ihr nicht, dass, wer an der Hure hängt, der ist Ein Leib mit ihr? Denn es werden, spricht er, die Zwei Ein Fleisch sein. Wer aber dem Herrn anhängt, der ist Ein Geist mit ihm. Flieht die Hurerei. Alle Sunden, die der Mensch tut, sind außer seinem Leibe; wer aber hurt, der sündigt wider seinen eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des in euch wohnenden Heiligen Geistes ist, welchen ihr habt von Gott, und seid nicht euer selbst? denn ihr seid teuer erkauft. Darum so preist Gott an eurem Leibe und an eurem Geiste, welche sind Gottes (1 Kor. 6, 15-20.).
Wir erkennen aus allen diesen apostolischen Ermahnungen, auf welche Höhe das rechte christliche Bewusstsein die Glieder der Gemeine Christi erhebet. Es ist die Höhe der Demut, da der Mensch sich nicht mehr als sein Eigentum, sondern seinen Geist und seine Seele als ein durch das Blut Christi teuer erkauftes Eigentum Gottes ansieht, und darum seinen vernünftigen Gottesdienst darin bestehen lässt, dass er seinen Leib begibt zum lebendigen, heiligen, Gott wohlgefälligen Opfer; sich nicht mehr dieser Welt gleich stellt, sondern sich verwandelt durch die Erneuerung seines Sinnes und also, durch den Geist der Gnade, der ihm zu Teil geworden, prüfen lernt, welches da sei der gute, der wohlgefällige und vollkommene Gotteswille (Röm. 12, 1. 2.).
So, meine Freunde, verschmilzt der erneuerte Wille des Menschen mit dem auf ihn wirkenden allmächtigen Gotteswillen, und durch diese Vermählung der Allmacht mit der Ohnmacht entsteht eine neue Kreatur, die frei herrschet über die niederen Lüfte des Fleisches und über alles, was von unten her kommt.
Es ist dieser neue Mensch, der in uns Allen eine Gestalt gewinnt, das Ebenbild Gottes und das Nachbild des heiligen Gottmenschen, der unter uns in Knechtsgestalt gewandelt hat, und den Niemand einer Sünde zeihen konnte, der zwar allenthalben versucht ward gleich wie wir, doch ohne Sünde; und dem ähnlich zu werden die höchste, die einzige Aufgabe des Christen ist. Darum wird eine immer innigere Bekanntschaft mit ihm, wie er uns in der Schrift vor Augen gemalt ist, das tiefste Bedürfnis unserer Seelen werden müssen. Je näher man ihm aber durch Verwandlung in seine Natur kommt, desto weiter fliehen alle irdischen Lüste von uns, desto stiller wird es im Grund der Seele, desto kräftiger atmet der Mensch auf in der neuen, heiligen Lust, die ihn Tag und Nacht umweht. Es ist diese innige Vermählung mit dem himmlischen Seelenbräutigam die seligste Liebe, deren ein Mensch fähig ist, und sie allein sichert, nicht nur gegen alle niederen Anfechtungen des Fleisches, sondern auch gegen alle ungeregelte Anhänglichkeit an irgendein irdisches Geschöpf. Ach, dass wir diese Ehe Alle aus Erfahrung kennen lernten! Wie würde uns das Leben im Glauben des Sohnes Gottes als ein seliges Privilegium der Auserwählten erscheinen! Wie würden wir hungern und dursten danach, die ganze Welt, die um uns her im Dienst des Fleisches verdirbt, aus diesen Abgründen zu ziehen!
Diese zweckmäßige Beschäftigung aller unserer Seelen- und Leibeskräfte im Dienste des Geliebten ist eben das Aussäen auf Erden, davon der Prophet spricht, und durch dieselbige würden endlich alle Überreste unserer sündigen Erdennatur verzehrt, und also würden uns die Werke der Liebe, die wir auf Erden im Namen Jesu treiben, als kräftige Heiligungsmittel für uns selbst dienen, während sie von der anderen Seite dem Nebenmenschen die Teilnahme an unserer eigenen Seligkeit vermitteln.
Wenn so das Christentum unter uns aufgefasst, wenn es so gelehrt und geübt werden würde: müsste es nicht bald besser in uns, müsste es nicht anders um uns her werden?
Ich schließe mit dem Gebet, dass der neue Tag des Geistes, den meine Seele mit Vielen verlangt, bald den alten Tag des Fleisches verdrängen möge! Amen.