Luthardt, Christoph Ernst - Am ersten Sonntag nach Trinitatis.

Luthardt, Christoph Ernst - Am ersten Sonntag nach Trinitatis.

Geliebte in dem Herrn! So sind sie nun vorüber die Festtage der Kirche Jesu Christi. „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“: so hatte der Zuruf gelautet, der mit Advent zu uns gelangte. Wir sahen Ihn dann selbst; die Feste führten ihn an uns vorüber, den König und Herrn des Himmelreichs. Wie er geboren ward, der Himmelskönig in Niedrigkeit, erzählte uns Weihnachten; seinen Gehorsam bis zum Tode am Kreuz lehrten uns die Tage der Passion; wie er verklärt worden in das himmlische Leben, offenbarte der Ostermorgen; aufgenommen in die Herrlichkeit sahn wir ihn an Himmelfahrt; wie er Macht erhielt seinen Geist des neuen Lebens auszugießen über alles Fleisch: das hat Pfingsten uns gepredigt. Daran schloss sich dann im dreistimmigen Akkord der Lobgesang, den wir am Trinitatisfeste dem dreimal Heiligen und Gnädigen sangen. Nun aber kommt die Gemeinde des Himmelreichs, nun kommen wir, kommt unsere Zeit. Darum habe ich ein Wort der Schrift zum Texte der heutigen Predigt als am ersten Sonntag nach Trinitatis gewählt, welches wie ein Wort der Eröffnung für die Zeit ist, welche wir nun beginnen, und ihre Tertabschnitte.

Matth. 5, 1-12.
Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg, und setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf und lehrte sie und sprach: Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen, und reden allerlei Übels wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolget die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Herr, wer wird wohnen auf deinem heiligen Berge? So lautet die Frage von Alters her. Mit doppelter Antwort hat Gott geantwortet, mit Gesetz und Evangelium. Wer ohne Wandel ist und recht tut, so spricht das Gesetz. Wer meine Gerechtigkeit sich schenken lässt, so redet das Evangelium. Auf einem Berge hat jenes, auf einem Berge dieses seine Ordnungen verkündiget. Seht an den Sinai und den Berg der Seligpreisungen: Gesetz und Evangelium im Abbild. Dort wo im Süden Arabiens steil und kahl die Spitze des Sinai sich gen Himmel hebt, da kam in Donner und Blitz und Rauchwolken der Herr und verkündete mit der Stimme seiner Herrlichkeit seine Gebote, so, dass Alles zurückwich und seine Erscheinung nicht zu ertragen vermochte.. Dort wo in reicher, lieblicher Gegend an den Ufern des Sees Genezareth ein Höhenzug sanft aufsteigt, da sitzt der Herr, dort steht der Herr, dort steht er im Kreise der Seinen, der Holdseligste unter den Menschenkindern, lehrt und verkündigt in lieblichen Worten die Ordnungen des Himmelreichs. Worte der Forderung, des Schreckens, der Drohung, gingen dort aus dem Munde des Allmächtigen; Worte voll Freundlichkeit, Milde und Lieblichkeit gehen hier über die Lippen des Menschensohns: wie nach Feuer, Blitz und Erdbeben das sanfte Wehen des Abendwindes, wenn Gott der Herr in Menschenweise unter seinen Menschenkindern wandelt. Dort heißt es: du sollst, du sollst; so trifft es zehnmal, wie gleichviel Donnerschläge, unser Ohr; und mit erschütterndem Schlusse schließt es. Aber „Er tat Seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: „Selig!““ Und selig, selig: so kommt es siebenmal zu uns herüber; und daran reiht sich ein seliger Schluss mit dreifacher Tröstung. O selige Liebe und Gottesmilde, die auf den Lippen dieses Predigers vom Berge wohnt und als ein Himmelshauch auf seinen Worten schwebt. Dass ihrer nur ein schwächer Abglanz auf meine Worte fallen möchte!

Die Seligpreisungen des Herrn betrachten wir, die von dem neuen Menschen seines Himmelreiches reden. Wie er geboren werde, sagen uns die ersten vier; und wie er sich erweise im Leben, die anderen drei. Denn in allmähliger Entwicklung wird der neue Mensch gleich wie der alte.

1.

Selig sind die Armen: so beginnt er. Mit welchem anderen Worte könnte er schöner, könnte er besser? Denn den Armen wird das Evangelium gepredigt. Ist er doch selber arm geworden, dass wir reich würden; gering geworden, dass er die Niedrigen vom Staub erhebe.

Selig: so lautet das erste Wort seines Mundes. Es ist, als ob er seine Hand uns entgegenhielte, uns zu begrüßen; als legte er sie uns aufs Haupt, um uns zu segnen; als streckte er sie über alle Zeiten aus, über sie den Segen seines Himmels auszugießen. Und solche Seligkeit ist jetzt schon, nicht bloß zukünftig. Denn selig sind die Armen. Nun sollen schweigen alle ihre Klagen, und soll sich legen aller Trotz und Stolz der Reichen; denn selig sind die Armen, d. h. die geistlich arm sind. Denn an irdischem Gute arm sein, macht dich nicht selig und hilft dir nichts, wenn du nicht fühlest inwendige geistliche Armut? Solche Armut erst hat Segensverheißung. Und bist du reich an irdischen Gütern, nicht schadets dir, wenn nur dein Herz sich frei davon erhalten hat und das Gefühl der wahren Armut an den wesentlichen, rechten Gütern in deinem Geist lebt. So arm sind wir wohl alle; aber wir fühlen‘s nicht Alle; und glauben‘s nicht Alle; wir sind es nicht. Alle inwendig in unsrem Geist und Gedanken. Wie viel fehlt uns, dass wir reich wären an den wahrhaftigen Gütern? Es fehlt uns Gottes Gerechtigkeit; es fehlt uns das Leben aus Gott; es fehlt uns Friede und Kraft, so wie wir von uns selber sind. Wir sind so leer und öd, ohnmächtig, ja erstorben in uns selber. Aber es fühlen‘s nicht Alle; es gestehen sich‘s nicht Alle; es glauben‘s nicht Alle im Herzen. Es ist ja freilich beugend und demütigend, sich reich zu dünken und dann arm zu finden, sich selbst und Gott die Armut des inwendigen Menschen bekennen zu sollen. Und doch hilft nur dies Eine, nur diese Erkenntnis und dies Geständnis. So lasst euch raten, die ihr arm seid und euch reich dünkt; und lasst euch warnen, die ihr reich seid und nicht. arm fühlt. Von wem das „geistlich arm“ nicht gilt, gilt auch das „selig“ nicht. Doch wer ein solcher Arme ist und weiß und sagt es: selig ist er; denn sein „ist das Himmelreich“. Erkenntnis und Bekenntnis eigner innerer Armut ist wie der Schlüssel, der seine Tür uns aufschließt; ist wie der Zweig demütiger Bitte in des Flehenden Hand, die Gnade und Erhörung findet und mit reichem Himmelsgut gefüllt wird. Das Himmelreich ist sein und seine Fülle; das Himmelreich, wenn Christus kommen wird es aufzurichten; das Himmelreich, das jetzt schon Christus schenkt und gründet inwendig im Geist; das macht ihn reich, ja überreich und himmlisch reich; denn sein ist nun das Himmelreich. Was will er mehr begehren und größeren Reichtum wünschen?

2.

„Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ Dass man arm sei an geistlichen Gütern, ist nicht genug; dass man sich arm fühle und wisse im Geist, ist auch nicht genug, wenn nicht Leidtragen dabei ist. Doch wird, wo jenes rechter Weise ist, auch dies nicht fehlen. Denn wer hat lebendiges Gefühl der Armut und trauert nicht? Wer sieht und bekennt ernstlich seinen Mangel, und tut es nicht mit Schmerz und Klage? Die traurig sind, weil sie arm sind; die geistlich trauern, weil sie geistlich arm sind: die sind gemeint; das sind Leidtragende, welche selig heißen, die ruft Christi freundlich lockendes Wort: Kommt her zu mir alle die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken; ihr Traurigen alle und Schmerzgebeugten kommt her! Wie lockt er so lieblich, wie ruft er so tröstlich!

Die meint er nicht, die keines Trostes bedürfen, weil sie sich selber trösten; die etwa zu sich selber sprechen, sie seien eben auch nicht besser wie viele andere, und achten sich damit entschuldigt. Sie haben ihren Trost dahin. Auch diese meint er nicht, die aus dem Leid der Seele ein äußeres Wesen machen. oder einen Götzen, dem sie dienen; und wissen sich was damit, dass sie den Schmerz der Seele vor Anderen fühlen; reden wohl auch gern davon, und brüsten sich damit vor Gott. Der rechte Schmerz der inneren Armut ist still und heimlich, und sagt auch dem eigenen Antlitz nichts von sich, viel weniger den anderen Menschen; nur Gott bekennt er sich voll Scham und Trauer im Grund der Seele. Da kommt nun das Wort des Gottes alles Trostes an sein Ohr: tröstet, tröstet, mein Volk. Der Prediger des Trostes tritt vor ihn hin: sei getrost mein Sohn; meine Tochter. Der Geist der Tröster kehrt ein in ihn: ich will dich trösten, wie eine Mutter tröstet. Was aber noch mangelt in allem dem, das wird reichlich erfüllt werden, wenn unser Herr und Heiland sich offenbaren wird, um alle Tränen von der Seinen Augen abzuwischen und all' ihr Leid zu wandeln in selige Freude. Darum „selig sind die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“

3.

„Und selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Wer recht Leid trägt, weiß nichts von Stolz und Hochmut. Wem das tiefe Leid die Seele tief darniederbeugt in Sanftmut, der ist gemeint. Leid und Unbill trifft Jeden; aber wie man‘s aufnimmt und trägt, das macht den Unterschied. Wer über sein Haupt die Wetter aller Unbill gehen lässt und beugt sich in Geduld, das ist der Sanftmütige. Was er auch leide durch Gottes Schickung oder durch der Menschen Ungerechtigkeit; er murret nicht wider jene; er setzt nicht Gewalt und Vergeltung wider diese; er leidet Beides willig. Ich hab' es reichlich, überreichlich, ja viel mehr verschuldet, als mich nur treffen kann: das ist die Antwort seines Herzens; so duldet er in stiller Sanftmut. In aller Unbill sieht er Gottes Züchtigung; er lässt sich gern gefallen die Rute seines Gottes. Und der Geist züchtigt ihn im Geheimen; denen er macht das äußre Erlebnis zur inneren Erfahrung und Empfindung. Ist doch, so innerlich zu züchtigen, des Geistes Beruf und Amt. Aber wer recht Leid trägt, der beugt sich auch dem Geist der Züchtigung sanftmütigen Geistes; der gibt sich ganz mit Leib und Seele in Gottes Hand, und lässt sich‘s gefallen, wie es Gott gefällt. Seht da: eine zarte edle Blume, die aus dem Staub der Eigenliebe sprießt, und auf dem Grab des Hochmuts wächst! Wie scheint sie so gar nichts doch zu sein, diese gebeugte hingebende Sanftmut, die so gänzlich nichts von sich mehr hält, die völlig sich auf- und drangegeben hat und alles sich von Gott gefallen lässt, und doch wie hoch stellt sie der Prediger: „Sie werden das Erdreich besitzen.“ Das heißt: Alles ist euer; es muss euch alles untertan sein. Denn wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Darum Alles ist euer; ihr aber seid Christi. In Zukunft aber wird auch noch kommen die Zeit der Erquickung vom Angesicht des Herrn, wenn er selbst kommen wird, das Antlitz seiner Geduldigen zu erheben und sie aus dem Staub der Leiden aufzurichten und ihnen in seinem Reiche die Herrschaft zu geben auf Erden.

4.

„Selig sind die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“ Die Armut fühlen ist gut; Leid darüber tragen ist besser; schmerzlich betrübt sein ist gut; unter die Hand Gottes sich beugen ist besser; die Rute Gottes küssen im Geist ist gut; nach dem Himmelsgute verlangen ist besser. Das ist es, was hier gemeint ist in der vierten Seligkeit. Aus der stillen geduldigen Hingebung wächst in Fragen und Bitten das lebendige Verlangen nach dem ewigen Gute hervor, ein verlangender Hunger und Durst der Seele, der sie antreibt, dass sie sich aufmacht, Speise sucht und bittet. Denn seit der Mensch verschmäht hat, vom Baume des Lebens Speise zu nehmen im Gehorsam, und sich Speise erkoren vom Baum der Erkenntnis im Ungehorsam, seitdem trägt er einen Hunger und Durst in sich herum, stets ungestillt, bis er ihn stillt mit der Gabe des ewigen Lebens.

Wohl dem Menschen, der den Hunger und Durst seiner Seele recht fühlt und der ihn zu stillen begehrt mit der rechten Speise. Es fühlen ihn alle, aber Viele unbewusst, und ohne ihn zu verstehen. Die sind es, die ihre Leere mit dem zu füllen sich mühen, was selber nur eitel und nichtig in sich ist, weil bloß ein Gut der Zeit und nicht der Ewigkeit. Wind jagen sie, Luft essen sie, essen und werden nicht satt, sammeln und darben ewiglich. Aber das ist ein rechter Hunger, der ein kleiner Funke zuerst, von Gottes Geist zur hellen Flamme angefacht, über alle Gefilde der Erde sich hebend, von allen Gütern der Vergänglichkeit ungestillt, aufstrebt zu Gott, in den Himmel bittend langt und nach seinen Schätzen sich verlangend strecket. Nach Gott begehrt er und nach seiner Gerechtigkeit. Und Gott erfüllt ihm seines Herzens Wunsch mit dem Wort der Gnade, das er ihm zuspricht, und füllt seine Seele mit der Gabe des neuen Lebens und der Gerechtigkeit, die er ihm schenkt.

So nun wird der neue Mensch des Himmelreichs geboren: aus Armut und Leid, aus Sanftmut und lebendigem Verlangen heraus. Nun gilt es, die Kraft des neuen Lebens, das uns geschenkt ist, zu erweisen im Wandel des neuen Lebens. Immer strenger werden die Bedingungen, immer schwerer werden die Forderungen, als ob die Pforte immer enger würde und immer schmaler der Weg. So ist es. Fröhlich und frisch ist der Eifer des Anfangs; schon sehen wir im Geist uns am Ziele. Aber immer bescheidener wird unser Wort: nicht, dass ich‘s schon ergriffen hätte oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich‘s auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin.

In Gerechtigkeit ist der neue Mensch geboren, mit Gerechtigkeit ist der neue Mensch gesättigt, nun gilt es, die neue Christi-Jüngerschaft zu beweisen im Leben. Womit anders zunächst als durch tätige Liebe nach außen? Das ist die fünfte Seligkeit.

5.

„Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen“. Dass einer neu geboren wird im Geist, ist Gottes Tat und Wirkung. Und ist es eigenes Verdienst und Werk, um dessen willen solches ihm widerfährt, oder freie Gnade? Müssen wir im Geringsten und Irdischen bekennen, dass wir nicht wert sind der Barmherzigkeit und Treue, die Gott uns erfahren lässt, wie sollten wir im Höchsten und Geistlichen sie verdienen? Unsere Seele beugt sich beschämt und erhebt sich voll Dankes, und unser Mund preist Gottes Barmherzigkeit. Wie nun? Sollte, wer so viel von Gott geliebt worden ist, nicht wieder lieben in Barmherzigkeit, wie ihm sie widerfahren ist? Wie dürfte er anders? wie könnte er anders? Darf der Mund vom Preise der Erbarmung Gottes überfließen und die Hand ihr fern bleiben? Kann das Herz den Reichtum der Liebe Gottes erfahren und diese Erfahrung unbezeugt sich lassen im Leben? Dürfen wir zum Heiligtum des Herrn uns nahen mit Opfer nur des Mundes, ohne auch Gaben unserer Hand auf dem Altar seiner Gnade niederzulegen? Und wie großen Lohn verheißt der Herr der brüderlichen Barmherzigkeit! Denn gleichwie wir tun, soll uns wieder vergolten werden am Tage des Gerichts. Es heißt aber in der Schrift: die Barmherzigkeit rühmet sich wider das Gericht. So hoch ist tätige Liebe vor Gott geachtet. Merken wir aber, dass die Türe des Himmelreichs vor uns verschlossen bleiben wird, wenn wir zwar Glaube zu haben vermeinen, aber nicht gelernt haben, Liebe zu üben.

6.

Zum Sechsten: „Selig sind die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“ Denn werktätige Liebe führt in viel Berührung mit der Welt. Wem wäre diese nicht versuchlich? Wer möchte sich frei erhalten von jeder Trübung und Befleckung? Darum heißt dies neue Wort uns fleißig bei uns selber wieder einkehren, und täglich uns reinigen und heiligen im Herzen vor dem Herrn. Das ist das Gebet aller Heiligen, Gottes von jeher: schaff in mir Gott ein reines Herz! Denn die Sünde hat Gottes Bild in der Seele befleckt und macht die Augen unseres Geistes trübe. Zum Bilde Gott, heißt es, sei der Mensch geschaffen d. h., dass Gott sich spiegeln wolle in ihm, in seinem Herzen. Je reiner nun und klarer dieser Spiegel ist, umso heller wird Gottes Bild und Widerschein in ihm sein. Das macht dann auch das Auge seiner Seele licht und helle, dass er Gottes Bild in Christo schaut in seiner seligen Liebesgestalt; denn wer den Sohn sieht, sieht den Vater. Selige Reinigung, selige Einkehr, die uns Gott enthüllt und schauen lässt in wachsender Klarheit! Hier zwar niemals ungetrübt von Sünde, und gleich wie in einem Spiegel an einem dunkeln Ort. Dort aber einst, wann wir in Zukunft ganz gereinigt sein werden, von Angesicht zu Angesicht in seinem Sohn, dem Abglanz seiner Herrlichkeit. Davon saget der Psalmist (17, 15): ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit; ich will satt werden wenn ich erwache nach deinem Bilde.

7.

Und zum Siebenten endlich: „Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ In wild erregtem Wasser spiegelt sich die Sonne nicht; in stillem, ruhigen aber am schönsten. So Gott im Menschen, wenn reicher Friede in ihm wohnt. Das ist ein seliges Wechselspiel der Liebe. Dass doch die Erde solchen Friedens und solcher Liebe voll wäre! Dass sie herrschen möchten in unseren Grenzen und ihr Zepter führen in Aller Herzen! Wer, dem Gott Gnade widerfahren lassen und Friede geschenkt hat, wünschet das nicht? Und wer wünschet das und suchet nicht Friede zu wirken und zu stiften auf Erden in seinem Kreis? Diese sind es, die hier zum Schluss der Prediger seligpreist. Höheres aber mag dem Menschen nicht begegnen, denn, dass er friedebringend, friedestiftend wandle und walte. Denn das ist ein göttlich Werk. Denn schöneres wusste Gott selber nicht zu tun, als, dass er Friede stiftete zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch. Die ähnlich tun, die folgen seiner Art und Spur, gleichwie das Kind dem Vater folgt.

Darum sollen sie Gottes Kinder billig sein und heißen.

Das ist das Ende.

Wie aber, wenn man solchen Frieden nicht annimmt?

Wenn man die Liebe, welche Frieden bringen will, mit Hass erwidert? Deshalb fügt der Herr den sieben Seligpreisungen ein Schlusswort hinzu, welches den Christen zeigen will, was ihnen begegnen werde, und ihnen hierfür nun Trost zuspricht. Ihr werdet verfolgt werden; das ist wahr. Aber selig seid ihr, wenn euch Solches widerfährt. Seid fröhlich und getrost: es soll euch wohl vergolten werden. Denn nach dem Maß des Duldens richtet sich das Maß einst der Vergeltung. Darum wenn ihr leidet ihr seid dennoch selig, ja eben darum selig; aber wenn ihr leidet um Gerechtigkeit und um des Namens Christi willen und wider die Wahrheit.

Das ist das Siegel, welches der Prediger vom Berge den Seligpreisungen ausdrückt. Von der Gegenwart weist er auf die Zukunft, von der Erde Leid und Trübsal auf das Erbe, das im Himmel Allen aufbehalten ist. Des Heiligen Mund aber täuscht noch trügt nicht, sondern ist eitel Wahrheit und voll seliger Tröstung.

So lautet seine Predigt; aber wem gilt sie nun? Wo ist die christliche Gemeinde, die solche Seligpreisung sofort auf sich beziehen dürfte? Seid ihrs? Ihr schweigt verlegen, und ich wage nicht ein freudiges Ja zu sagen. Oder irre ich und tue euch Unrecht? Nun so sagt an: wo ist die Verfolgung oder Schmähung um des Namens Christi willen? Seid ihr nicht der Welt nur allzu gleich geworden? Wie soll sie nun hassen was ihr ähnlich oder gleich ist? Oder soll ich die anderen Stücke nach einander durchgehen und euch als Spiegel vorhalten? Ihr erlasst mir es gerne; auch wollte ich es selber nicht. Ich wollte vielmehr reden und rühmen die liebliche Predigt unseres Heilandes und seine Seligkeiten verkündigen. Soll ich nun richten, wo er seligpreist, und strafen, wo er segnet? Aber wir Alle wollen uns selbst in seinen Worten als in einem Spiegel beschauen, und uns tief zur Erde beugen. in Scham und Reue. Denn sein seliges Wort ist wohl ausgegangen von jenem Ort; aber es muss suchen gehen auf Erden nach einer Stätte, da sichs segnend niederlassen könnte. Wie wenig Raum hat es bei uns gefunden! In unseren Ohren tönt seine Rede wie Urteil des Gerichts und unser Herz ist bange, dass wir nicht vor den Türen des Himmelreiches ausgeschlossen bleiben müssen. Aber wenn wir nun wagen unsere Augen aufzuschlagen zu ihm: steht sie nicht noch immer dort auf dem heiligen Berge, seine himmlische Gestalt voll Freundlichkeit und göttlicher Milde? Breitet er nicht noch immer seine Hände bereit zum Segnen Jedem entgegen, der sich ihm nahen will? Gehen nicht noch immer die seligen Worte über die Lippen seiner Liebe? Und nun, Geliebte! wenn wir ihn so anschauen, regt es sich nicht in unseren Herzen wie Sehnsucht; ergreift es uns nicht wie liebendes Verlangen nach ihm? Was tun wir in der Fremde und im Elend? Wir wollen uns aufmachen und zu ihm gehen, zu ihm. Wir wollen ihm sagen, wie arm wir sind - wir wollen der Trauer unserer Seele freie Bahn und Raum lassen, die je und je schon sich in uns regte! Wir wollen uns beugen unter seine Hand, mag sie uns züchtigen, mag sie uns trösten. Wir wollen hin zu seinen Füßen und unsere Hände nach seinen Händen strecken: so wird er sie uns füllen mit seinem Gut und seinen Segen auf uns legen, dass wir, wir mögen bei ihm sein oder von ihm gehen zur Arbeit dieses Lebens in der Welt, Gesegnete des Herrn seien, auf unseren Häuptern den Kranz der Seligkeiten, die aus seinen Dornen sprießen, Erfahrung der Seligkeit im Herzen, die Seligkeit des Himmels in unserer Hoffnung! Amen.

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