Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - Phunon
Fünfundfünfzigste Predigt.
Fünfunddreißigste Lagerstätte: Phunon.
Text: 4. Buch Mosis 33, 42.
Von Zalmona zogen sie aus und lagerten sich in Phunon.
Die Geschichte schweigt wieder. Sie meldet uns von dieser Lagerstätte weiter nicht als den Namen: Phunon. Derselbe wird im 21. Kapitel gar nicht gedacht, also als ein Ganzes mit der vorherigen betrachtet. Die Begebenheit in der vorigen Lagerstätte ist auch so merkwürdig, dass man billig bei Betrachtung derselben eine Pause macht und nicht sofort zu neuen Betrachtungen übergeht. Die weltliche Geschichte, welche sonst dieser Lagerstätten nicht erwähnt, gedenkt dieser doch unter den Namen Phenon oder Phinon, jedoch nicht als eine Lagerstätte der Kinder Israel, sondern als eine Gegend, wo sich merkwürdige Bergwerke finden, welche in alten Zeiten fleißig betrieben, darauf unter syrischer Herrschaft vernachlässigt, sodann aber wieder fleißig in Betrieb gesetzt worden seien. Das dort gewonnene Kupfer war von vorzüglicher Güte, und es ist wohl gewiss, dass das Kupfer von der ehernen Schlange eben aus dieser Metallgrube hergenommen sei. Hatte nicht Christus einen doppelten Ursprung wenn wir auf Pilati Frage: „von wannen bist du?“ antworten wollen: den einen, aus der Höhe vom Vater, durch seine wahrhafte Gottheit, den andern, aus der Tiefe von dem Menschen, durch seine wahrhaftige Menschheit.
Aber die Weltgeschichte berichtet uns nicht bloß dieses von Phunon, dass Metallgruben da gewesen seien, sondern meldet uns sehr betrübende Nachrichten von dieser Gegend. Viele Christen wurden nämlich von den heidnischen Kaisern hierher in die Bergwerke verurteilt, wo sie eine Reihe von Jahren, oder auch lebenslänglich arbeiten, und damit die Beleidigung büßen mussten, welche sie der Welt damit getan, dass sie sich zum Christentum bekehrt hatten. Ein christlicher Kirchengeschichtsschreiber aus dem vierten Jahrhundert, Eusebius, berichtet, der Bischof Sylvanus nebst 39 Anderen seien hier enthauptet. Athanasius, sein Zeitgenosse meldet, der Bischof Eythchius nebst vielen Andern sei in die Bergwerke, und zwar nicht schlechthin in die Bergwerke, sondern in die Metallgrube zu Phunon verwiesen worden. Eiphan sowie Theodoret erzählen das Nämliche. Was hierbei aber noch besonders mitleidenswürdig erscheint, ist dieses, dass diese Grausamkeiten nicht bloß von Heiden, sondern auch von den Arianern verübt wurden, welche zwar Christen, ja ausschließlich Christen sein wollten, obschon sie die Gottheit Christi nicht glaubten, und diejenigen verfolgten, welche sie glaubten und bekannten. So hatte Ismael stets den Isaak, der, der nach dem Fleisch geboren war, den verfolgt, der nach dem Geist geboren war, und so geht es auch noch, wenn gleich in anderer Weise, und wird so bis ans Ende gehen. Was für ehrwürdige Christen waren das aber nicht, welche sich lieber in die gräulichen Metallgruben von Phunon verurteilen, als bewegen ließen, von der Wahrheit abzuweichen, und was ist das für eine mächtige Gnade, welche schwache Menschen also stärken kann. Ihr Weg nach Kanaan ging freilich auch, auf eine, für die Natur schreckliche Weise, über Phunon. Aber es war nur ein Weg, und zu welchem herrlichen Ziel! „Ich weiß, wo du wohnst,“ sagt der Herr! Er wusste auch, dass einige seiner Glieder in den Schacht von Phunon waren. Er besuchte sie da manchmal, und tröstete ihr Herz, dass sie in der Tiefe vor guten Mut jauchzten. Will jemand fragen, wie es doch möglich gewesen, dass der Herr es zugegeben habe, dass seine Kinder so unter die Erde zu den ärgsten Missetätern verstoßen wurden, so frage er den Herrn selbst, frage ihn zugleich, ob er reich genug sei, um dies Alles hundertfältig zu vergelten, frage ihn, wie es möglich gewesen, dass er sich umso uns würdiger Sünder willen, als wir sind, habe kreuzigen lassen können. Findet sich Jemand geneigt zu klagen, so denke er an Phunon. Die Bedeutung dieses Namens wird uns gleichsam ein anderes Phunon in Erinnerung bringen, wohin schon Mancher ist verwiesen und daraus erlöst worden.
Weil uns also die heilige Geschichte verlässt, so müssen wir uns damit begnügen, der Bedeutung des Namens dieser Lagerstätte nachzuspüren. Erstlich bezeichnet dieses Wort großen Zweifel und daraus entspringende Angst, und dies meinten wir mit dem Phunon, wohin schon manches Kind Gottes verwiesen und daraus erlöst worden ist. Dies mag wohl ja so ängstlich sein, als eine Verstoßung in die Bergwerke, und ist noch schwerer wie sie zu ertragen, wenn der Herr dort das Herz erquickt, was hier fehlt. In diesem Phunon des großen Zweifels zu hausen, ist ein schrecklicher Aufenthalt in finsterer Tiefe unter der Erde, wohin kein Strahl des Sonnenlichts und kein Blick zum Himmel stattfindet, wenn aber einer stattfindet, so werden nur die Sterne gesehen, diese Bilder der unwandelbaren Treue. Wenn wir eine Schilderung lesen wollen, wie es zu Phunon hergeht, so mögen wir den traurigsten aller Psalmen, den 88sten einsehen, wo der leidende Heilige im 16ten Verse namentlich das Wort „Phunon“ gebraucht, welches in unserer Übersetzung heißt: „ich verzage beinahe,“ in anderen: „ich bin voll Zweifel; ich weiß nicht, wie ich dran bin; ich weiß keinen anderen Rat mehr,“ lauter betrübte Andeutungen. Es kommt von einem Wort, das Vielleicht heißt, und bezeichnet eine Seele, welche bald dieses, bald jenes Übel besorgt bald hofft, bald zagt sich jetzt für verloren hält, dann wieder ein wenig Mut schöpft, oder gar am Rande der Verzweiflung herumwankt.
Als David in seinem Zagen sprach: alle Menschen sind Lügner, - als er in seinem Zagen sprach: ich werde noch eines Tages in Sauls Hände fallen, als er sprach: ich bin von den Augen des Herrn verstoßen war er zu Phunon, und konnte mit seinem Freunde Heman sagen: phuna. Eben das gilt von der Kirche, wenn sie sagt: „der Herr hat mich verlassen, der Herr hat mein vergessen,“ oder fragt: „hat denn Gott vergessen gnädig zu sein?“ Freilich ist eine solche Zweifelhaftigkeit eine Krankheit, von welcher man sich durch den einigen Arzt soll heilen lassen, freilich ist sie der Natur des Glaubens und dem Bunde der Gnade geradeswegs zuwider, freilich gereicht sie dem Herrn nicht zur Ehre und erschwert der Christen Pilgerweg; aber ach! wie mancher ist schon nach großer Gewissheit des Glaubens in dies Phunon gekommen, teils durch eigne Schuld, teils durch ein gnädiges Gericht und Leitung Gottes, um ihn dadurch klein, bescheiden, vorsichtig und demütig zu machen, dass wenn er sich rühmen will, er sich nur des Herrn rühme. Jedes Mal aber quillt die Zweifelmütigkeit aus dem verdammlichen Grunde des Unglaubens, der Blindheit und der Verderbnis unseres Herzens, und darf gar nicht entschuldigt werden. Vielmehr sollen wir alle einstimmen können, wenn unser Katechismus sagt: „Ich vertraue also auf meinen getreuen himmlischen Vater, dass ich nicht zweifle, er werde mich mit aller Notdurft Leibes und der Seele versorgen, auch alles Übel, so er mir in diesem Jammertal zuschickt, mir zu gut wenden, dieweil er tun kann, als ein allmächtiger Gott und tun will, als ein getreuer Vater.“
Diese Zweifelhaftigkeit betrifft alle Stücke, die auf unser Heil Bezug haben, wenn gleich den Einen, der zu Phunon ist, mehr dieser, den Andern mehr ein anderer Zweifel quält. Einige werden geängstet durch den Gedanken, ob sie auch wohl sollten erwählet sein. Christus ist ja nur gesandt zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel, was für Ansprüche hast du Kanaaniter, du Hund an ihn, ein Skrupel, der einige schon auf den Tod gemartert hat, und alle eigne Gerechtigkeit, so bei ihnen zerstörte, dass sie oft selber darüber zu Grunde zu gehen besorgten. Etliche haben sich schon durch die Besorgnis, die unvergebliche Sünde wider den heiligen Geist begangen zu haben, umso mehr an den Rand der Verzweiflung bringen lassen, da die lästerlichen Gedanken, die sie in sich spürten, und die sie niemand entdecken durften, ihnen fast mit Gewalt die Überzeugung aufdrangen, es sei wirklich an dem, sie hätten sie begangen, und seien also rettungslos verloren. - Einige ziehen die Echtheit ihrer Bekehrung stark in Zweifel, samt ihrer Aufrichtigkeit und der Echtheit ihrer empfangenen Versicherung und genossenen Trostes, und haben für ihre Zweifel viele und kräftige Gründe, wie sie dafür halten, als z.B. folgende: ihre Angst über ihre Sünden, so wie der Trost der Vergebung, derselbe ist nicht so groß und so anhaltend gewesen, wie bei Andern. Sie spüren nicht nur noch allerlei Sündliches in sich, sondern können auch nicht sagen, dass ihnen dies zu allen Zeiten so zuwider sei, wie es doch sein sollte und würde, wäre es rechter Art bei ihnen, da sie wohl des Augustinus Worte zu den ihrigen machen und mit ihm sagen möchten: „erlöse mich doch jetzt noch nicht.“ Wie ist ihre Liebe so lau, ihr Gebet so matt, ihr Kampf so erfolglos, ihr Glauben noch so unfruchtbar. Was bedarfs also weitere Zeugen, dass ihr ganzes Werk nicht echt ist.
Einige ängstigen sich mit der Furcht vor Selbstbetrug. Es macht sie krank, wenn sie daran denken, dass es fünf Jungfrauen gibt, aber törichte, denen der Herr endlich sagt: ich kenne euch nicht, Herr, Herr, sagen, denen der Herr entgegenruft: weicht von mir! dass es Leute gibt, denen alles genommen wird, was sie zu haben vermeiden, Zeitgläubige, welche zur Zeit der Anfechtung abfallen, Menschen, die gewogen und zu leicht befunden werden das sind in der Tat Zweifel, welche eine Seele auf den Tod quälen können, wie diejenigen wissen, welche je zu Phunon in den Bergwerken waren.
Etliche wissen nicht, wie sie daran sind, wegen der Art der Versuchungen, denen sie ausgesetzt sind und die sich nicht sagen lassen, und sprechen in ihrer Weise dem David nach: ich werde noch eines Tages in die Hände Sauls fallen, sie werden mich noch überwältigen. Wo der Herr nicht mit uns ist, so sage Israel, wenn der Herr nicht mit uns ist, so verschlingen sie uns noch lebendig.
Endlich geraten etliche in Phunon, wenn sie ihren Weg und Führung betrachten, wo es ihnen wie dem Gideon geht, als er sagte: ist der Herr mit uns, warum widerfährt uns solches? oder wie den Juden, als sie fragten: womit hast du uns lieb?
So kommt oft die Kehr- und Schattenseite des Christentums zum Vorschein. Uns ist bange, sagt der Apostel, wiewohl er hinzusetzt aber wir verzagen nicht, wir werden unterdrückt, kommen aber doch nicht um. Auf jeden Fall sind Zweifel noch keine Beweise. David ist nie in Sauls Hände gefallen, obschon er einst meinte, es würde geschehen. Zion sagte einst öffentlich: der Herr hat mich verstoßen! es war eben nicht an dem, und eher möglich, dass ein Weib ihres Kindes, als Gott seines Zions vergäße. Paulus meinte in Ephesus, er müsste nun sterben, Petrus und die andern Jünger schrien: wir verderben! sie lebten aber noch viele Jahre. Dagegen war jener Narr ganz sicher und meinte noch viele Jahre zu leben, starb aber in der Nacht darauf. Sicherheit gebiert Übermut, und Übermut tut nicht gut. Zweifel sind oft sehr nützlich, und veranlassen tief zu graben, wie David sagt: mein Geist muss forschen. Sie dienen dazu, den Menschen elend und trostlos zu machen, den Elenden aber hilft er herrlich.
Jedoch ist es heilsam, dieser hemmenden Zweifel los zu werden, und sehr nötig zur völligen Gewissheit des Glaubens zu gelangen. Sie sind aber zu tief gewurzelt, als dass man sie jemand durch menschliche Beweise und mit gründlichem beruhigendem Erfolg ausreden oder wegdemonstrieren könnte. Spüren wir aber der Bedeutung des Namens dieser Lagerstätte weiter nach: so weiset uns derselbe auch auf einige und zuverlässige Heilmittel dieser, so wie aller andern geistlichen Krankheiten. Betrachten wir nämlich den Namen derselben Phunon als aus eben so viel Wörtern, wie Silben zusammengesetzt: so deutet die erste Silbe auf ein Hinwenden auf ein Angesicht, auf einen Winkel; die andere aber bezeichnet Sohn und so träte der Begriff und die Bedeutung heraus: das Hinwenden zu dem Angesicht des Sohnes, welcher der Eckstein ist. Und ist es nicht wahr, ist das nicht der einzige und zugleich zuverlässige und richtige Weg, um wie allen sonstigen Krankheiten und dem Tode so auch insbesondere der beklemmenden Zweifel los zu werden? „Das Angesicht zur ehernen Schlange!“ möchte man wohl am israelitischen Lager ausrufen, damit jedem Gebissenen kund würde, wodurch er den Schlangenbiss unschädlich machen könne. Und was sollen wir denn anders ausrufen, als: glaubt an den Herrn Jesum! die ihn ansehen und anlaufen, deren Angesichter werden nicht zu Schanden werden; und was ist jedem nützlicher und notwendiger, als die Überzeugung jenes blutflüssigen Weibes, dass das Anrühren seines Saumes sie gesund machen werde.
Ich denke, manchen der von Schlangen Gebissenen wird leicht, nach der vorhin angegebenen Bedeutung des Namens dieser Lagerstätte, ein großer Zweifel angefallen sein, wie das einfältige, wenig oder nichts bedeutende Ansehen einer leblosen kupfernen Schlange, ein Heilmittel gegen den wirklichen Biss einer nur allzu lebendigen und giftigen Schlange abgeben möge. Anders nichts mehr als ansehen? wäre es noch ein Schneiden, Brennen, Schröpfen und so was, ließe sich noch eher hören. Wie mag solches zugehen? Ja durch das Ansehen von Kupfer wird ja die Wirkung des empfangenen Gifts nur gereizt und verstärkt. Aber mochten die Unverletzten Zeit haben, hierüber mit guter Weile zu skrupulieren1): so hatten die Verletzten dazu keine Zeit, die Not trieb sie schon kräftig dazu, hinzublicken, und sie taten dies umso gieriger, je mehr jene lebensgefährliche Zweifel sie davon abhalten wollten, und indem durch dies Anschauen ihr Leib vom Gift, wurde auch ihr Herz von Zweifel geheilt. Eins, sagte jener Blindgeborne, weiß ich, sonst war ich blind, nun aber sehe ich. Und wenn die Vernunftmänner fragten: wie tat er dir die Augen auf? so gab er immer die nämliche Antwort: Kot legte er mir auf die Augen, und sprach: Gehe hin zu dem Teiche Siloah, und wasche dich. Ich wusch mich und bin nun sehend. Wollten sie das Wie nun noch näher ergründen, so überließ er das ihrem Scharfsinn. Ihm wars genug, dass ihm die Augen aufgetan waren. Wie das durch Kot hatte geschehen können, überließ er dem Herrn, der ihm die Wohltat durch dies seltsame Mittel zu erteilen beliebte.
Was kann man doch herrlicheres sehen, als das Angesicht des Sohnes, des Schönsten unter den Menschenkindern! Das Angesicht des Menschen ist gleichsam der Spiegel seiner Gesinnung. Sein Wohlwollen, sein Missfallen, seine Freundlichkeit, sein Unwille, sein Stolz, seine Herablassung blicken aus den Zügen desselben hervor. Und was sieht ein bußfertiger Mensch nicht, wenn er das Angesicht Jesu Christi erblickt, wenn wie Paulus redet der Glaube lebendig wird, durch Erkenntnis all des Guten, das wir haben in Christo, dann geneset er, wie von selbst. Wendet euch zu mir, und werdet selig, ruft er, aller Welt Ende! denn ich bin euer Gott und außer mir ist kein Heiland, ich weiß ja keinen. Freilich ist manchem Eigengerechten dies Hinwenden zu wenig, und es würde ihn weit zweckmäßiger vorkommen, wenn ihm allerlei beschwerliche Übungen auferlegt würden. Diese mögen denn auch erfahren, dass es nicht liegt an jemands Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Hätten die lieben Kinder Israel sich nur dabei aufhalten wollen, ihre Wunden zu zählen und zu bejammern, sich vor den Schlangen zu entsetzen, die Flucht zu ergreifen und hin und herzulaufen, hätten sich sogar ans Schneiden und Brennen gemacht was wäre es gewesen? dennoch hätten sie sterben müssen -die Schlange, die kupferne Schlange war es nun einmal und blieb es, wodurch man geheilt, rein und vollkommen geheilt werden konnte und sollte. Wer sich dieses Mittels gar nicht oder auf eine andere Weise bedienen wollte, als es von Gott verordnet war, und nach seinem Gutdünken andere Mittel anwandte, der machte sich eines sträflichen Ungehorsames schuldig und musste sterben, und das durch eigne Schuld und von Rechtswegen.
So seht denn und seht genau! Und was siehst du? Ich sehe einen verwundeten, blutenden, mit Dornen gekrönten König, ein Lamm, das geschlachtet ist, vor Grundlegung der Welt. Wer ist dieser König? Ja, wer will seines Lebens Länge, wer will die Hoheit seiner Abkunft, wer die Größe seiner Macht, wer die Pracht seiner Herrlichkeit, wer namentlich den Eifer seiner Liebe ausreden? Niemand kennt und fasst ihn ganz, als sein Vater. Höher als der Himmel fuhr er zugleich herab, bis in die untersten Orte der Erde, und wieder hinauf bis über alle Himmel, sich setzend zur Rechten der Majestät in der Höhe, wartend bis Alles unter seine Füße getan wird nachdem er die Reinigung unserer Sünden vollbracht hat durch sich selbst. Von den Vätern stammt er ab nach dem Fleisch, der da ist Gott über Alles hochgelobt in Ewigkeit! Durch seine Macht kann er sich alle Dinge untertänig machen, seine Herrlichkeit ist so groß, dass der Liebesjünger über ihrem Anblick wie tot zu seinen Füßen sank, und die Höhe und Tiefe, Breite und Länge seiner Liebe übersteigt allen Verstand, wie der Friede, den er gibt, höher ist, als alle Vernunft. Ihn erkennen ist das ewige Leben selbst. Warum ist denn ein Solcher also verwundet und zerschlagen? Ach! um unserer Missetat und Sünde willen. Auf ihm lag die Strafe, damit wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt. Und gewiss macht das Anschauen seiner Wunden heil von jeder Krankheit, wie von jedem Kummer und Zweifel und füllt mit Friede und Liebe, mit Kraft und Freude.
Was siehst du noch mehr, wenn du ihn siehst? Ich sehe in Ihm meinen Bürgen, den Mann für mich, denjenigen, welcher an meine Stelle trat in seinem Leiden, in seinem Gehorsam und in seiner Herrlichkeit hernach. Ja, ihm und mit ihm bin ich gekreuzigt, getötet, gestorben und begraben. In seiner allerheiligsten Person ist der von mir verwirkte Fluch und das über mich gefällte Todesurteil in aller seiner Strenge und in seinem ganzen Umfange vollzogen. Also bin ich in ihm rein, schuldlos, ohne Tadel, wenn's nur mein Glaube fasst.
Was siehst du noch mehr? Ich sehe in ihm die Gabe Gottes an mich, eine Gabe Gottes, welche Alles in sich schließt, was erforderlich ist, um mich unaussprechlich reich, glückselig, heilig und herrlich zu machen, der Sonne vergleichbar, welche, nebst Licht und Wärme, so unzählig viel Andern Segnungen spendet, die sich durch nichts anderes ersetzen lassen; eine Perle, für welche ein Verständiger Alles verkaufen wird, was er hat, um ihrer teilhaftig zu werden; alles für Schaden und Kot achten wird, wenn er nur Christum gewinnt. Wer aber irgendwas, wie köstlich es auch sonst sein möchte, mehr liebt und werter achtet, wie ihn, der ist sein nicht wert. Wie gerne wird sich aber derjenige alles rauben lassen, welcher erkennt, dass er in dieser Gottesgabe alles hundertfältig ersetzt bekommt, wie bereitwillig wird er ein Narr vor der Welt und in seinen Augen werden, um in ihm weise zu werden, alle seine Gerechtigkeit für ein unflätiges Kleid achten, um ein solches Ehrenkleid, wie Christus ist, dafür wiederzubekommen, sich am liebsten seiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi in ihm wohne, sich gern für nichts, für einen Gottlosen, für eine unzeitige Geburt halten und halten lassen, damit nur die Gnade mit ihm sei. Er wird aber auch mit Freuden bekennen, dass wir vollkommen sind in Christo und außer oder neben ihm keine Kraft, noch Weisheit, keine Würdigkeit noch Gerechtigkeit gar nicht bedürfen, weil wir vollendet sind in Eins. O! erkenntest du die Gabe Gottes gewiss bätest du ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser, das in dir ein Quell des Wassers würde, der ins ewige Leben fließt.
Aber, was wirds vollends sein, wenn diejenigen, welche an ihn glaubten und ihn lieb hatten, obgleich sie ihn nicht sahen, ihn einst sehen wie er ist, und werden ihm gleich sein! Wie selig, wie getrost und heiter sind diejenigen schon hienieden, welche diese Gabe im Glauben können gelten lassen, können annehmen, welche dies Wasser trinken, dies Kleid anziehen, diese Gabe sich zueignen können.
Darauf sollen wir zusteuern. Alles, was uns zu Jesu Christo treibt, was uns zu ihm jagt, was uns unser Vertrauen auf ihn setzen macht, das ist vom größten Nutzen, mag dies durchs Gesetz oder das Evangelium, durch die Drohung oder Verheißung, durch unser Elend oder die Herrlichkeit Christi bewirkt werden. Alles aber, was uns von ihm ableitet, was uns von ihm entfernt, sei es Glück oder
Unglück, sei es Verstand oder Dummheit, sei es Sünde oder Tugend, sei es unser Herz, oder der Teufel oder andere Menschen, das ist nichts als Nachteil und Schaden, möchte es auch erscheinen, wie es will, als Vernunft, als Ernst, Eifer, Fleiß, Vorsichtigkeit oder wie sonst.
Außer Christo ist kein Heil. Also sei er unser einiger Trost - lasst uns deswegen aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens und in demselben unseres Glaubens beharren, damit wir so das Ende der Seelen Seligkeit beide im Leben und im Sterben davon tragen. Amen.