Besser, Wilhelm Friedrich - Predigt am ersten Sonntag nach Epiphanias

Besser, Wilhelm Friedrich - Predigt am ersten Sonntag nach Epiphanias

1874.

(Evangelium vom 12jährigen Jesus im Tempel.)

Epistel: Römer 12,1-6.
Text: Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber begebt zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Verneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen mögt, welches da sei der gute, der wohlgefällige, und der vollkommene Gotteswille. Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedermann unter euch, dass niemand weiter von sich halte, denn sichs gebührt zu halten; sondern dass er von ihm mäßiglich halte, ein jeglicher, nachdem Gott ausgeteilt hat das Maß des Glaubens. Denn gleicher Weise, als wir in Einem Leibe viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäfte haben; also sind wir Viele Ein Leib in Christo, aber unter einander ist einer des andern Glied, und haben mancherlei Gaben, nach der Gnade, die uns gegeben ist.

Auf dass wir mit dem Leben vollbringen, was unser Glaube in der heiligen Weihnachtszeit gelernt hat, dazu will die Kirche uns auch in diesem Jahre wieder anleiten in den Evangelien und Episteln dieser Epiphanienzeit. Die Barmherzigkeit Gottes ist uns erschienen, hat über uns aufgeleuchtet in der Weihnachtszeit, und dieses ihr Aufleuchten in dem Leben des HErrn Jesu ist es, was die Evangelien an den Sonntagen der Epiphanienzeit uns bringen, und die Episteln geben zu dem hellen Schein den Wiederschein Glanz vom Licht - es soll endlich mal auch in dem Leben der Christen etwas wiederstrahlen von dem Leben des HErrn Jesu, das aus der Kirche in sie hineinscheint; darum reicht in jeder Epistel das Glaubensleben eines Christen dem Leben Jesu die Hand. Das ist der erbauliche Sinn, in welchem die Textwahl unsrer Alten Evangelium und Epistel gepaart hat; ein edles Paar, eine wohlgeratene Trauung und Gott fängt gleich heute damit an, dies uns so lieblich klar entgegen leuchten zu lassen.

Vom christlichen Leben handelt unsre Epistel; alles, was der HErr uns in der Festzeit beschert, was Er uns durch Seine Gaben unter den Christbaum gelegt hat, das soll nicht vergebens an uns sein. Paulus stellt dies christliche Leben in unserm Text in ein dreifaches Licht: 1. Unser Verhältnis zu Gott ein Opfer; doch weil wir eben auf Erden mit andern Menschen zusammen leben und leben müssen, weil wir einen Beruf, einen Stand inmitten dieser Welt noch haben, so heißt Pauli Losung: 2. Das Christenleben der Welt gegenüber Scheidung, und weil wir nicht bloß als Menschen, sondern auch als Christen nicht einzeln dastehen, weil wir vornehmlich als Christen Glieder einer Familie, einer Kirche sind, so heißt 3. unser Verhältnis den Brüdern gegenüber Gliedschaftlichkeit, „Glieder an einem Leibe“ - Glanz von dem Licht, das über uns aufgegangen ist.

„Ich ermahne euch, lieben Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes.“ Geliebte, es gibt mancherlei Ermahnungsweise, deren die heilige Schrift, deren der heilige Apostel sich bedient. Der HErr setzt bald diesen, bald jenen Hebel in Bewegung, um das träge und beschwerte Menschenherz zur Umkehr zu ermahnen und zu erwecken. Bald ermahnt Er bittend: bedenke doch auch dem Zeitlichen nach, was du mit deiner armen Seele tust, wenn du sie so ihren Lüsten auf dem breiten Wege nachgehen lässt - oder Er lässt dir die Ewigkeit der Höllenstrafen, diese Pein, die man nicht mit Unrecht einen ewigen Todeskampf genannt hat, vormalen, dass du davor erschrickst. Dass er also ermahnt, ist ja auch eine schriftgemäße Weise; aber wie Paulus hier schreibt: „Ich ermahne euch durch die Barmherzigkeit Gottes“, das ist doch die stärkste von allen Ermahnungsweisen. Im Lichte dieses Spruches gehört es zu unsrer Schmach und Schande, dass das, was uns an Ermahnung Eindruck zu machen pflegt, was uns wohl schließlich mal packt, das Erschrecken davor ist, unselig zu werden, und uns unselig zu machen durch einen ungöttlichen Wandel. Und doch, was sollte uns stärker zur Buße locken, als dass wir solchen Gott der Barmherzigkeit, solchen Heiland haben; dass wir diesen nicht mehr lieben, dass wir ihn nicht vollkommener, nicht einziger lieb haben, das sollte uns am stärksten zur Buße ziehen. Durch die Barmherzigkeit Gottes werde ich ermahnt in der Zeit, da ich von Seiner Krippe herkomme! Durch die mir widerfahrene Barmherzigkeit durch den Gott, der da spricht: „Ich habe dich lieb!“ der Gott, der dich liebt, dieser große Liebhaber deiner Seele lässt dich heut ermahnen zu christlichem Leben, dazu, dass wir mit dem Leben vollbringen sollen, was Er uns durch den Glauben zu erkennen und zu schmecken gegeben! O was soll denn Gott noch mehr an dich wenden, welche Posaune soll Er denn noch erschallen lassen, was soll Er denn noch für einen andern Ton anschlagen, dass Er dich zu Seinen Füßen zwinge, dass du's merktest, dass du dich Ihm schuldig bist mit deinem Leben, dass dieses Leben Ihm ein Dankopfer sein soll? Was sollen wir Gott opfern? Der Apostel hätte sagen können: Alles für Alles, Leben um Leben aber damit er recht deutlich rede, damit wir's recht deutlich wüssten, wenn wir's wissen wollen und recht inne werden, wie's eigentlich um unser christliches Leben stehe, darum spricht der Apostel: „ich ermahne euch, dass ihr eure Leiber begebt zum Opfer“. Im alten Testament wurden Tiere geopfert und der Opfernde legte seine Hand auf das Haupt des Tieres, um anzuzeigen, dass er seine Sünde damit auf das zu opfernde Tier übertrage, doch dieser Dienst gefällt Gott nicht mehr; der ist Seiner nicht mehr würdig, damit kann Er Sich nicht zufrieden geben, und eine Ahnung davon zieht auch durch die frommen Seelen des Alten Testamentes, wie uns des viele Psalmstellen Zeugnis geben. Der ganze Ebräerbrief bezeugt uns wiederholentlich, dass Gott mit einem Opfer in Ewigkeit vollendet hat, die geheiligt werden, dass also auch ein Opfern unsers Leibes in dem Sinne, wie in den ersten christlichen Jahrhunderten fromme Seelen diese Stelle meist verstanden hier nicht gemeint sei. Ein Sünd-, ein Schuld-Opfer haben wir nicht mehr zu bringen, seit das eine für uns am Kreuz gebracht wurde - aber ein Dankopfer das ganze christliche Leben sei durchglänzt davon. Jeder auch nur in den Anfängen stehende Christ weiß und fühlt es ich bin Gott ewigen Dank schuldig aber was soll ich Ihm nun bringen, was soll ich Ihm geben, was Ihm opfern? oder, wie es genauer am Text heißt: Ihm schlachten? Mit diesem Wort will Paulus - was ich besonders hervorhebe - uns behüten vor dem Irrtum, als dankten wir Gott schon recht ohne dies nein - dies „Schlachten“ heißt alles daran geben, was in unsrer leibhaftigen Wirklichkeit uns an diesem Dank hindert. Was uns hindert, muss weg, muss geschlachtet werden d. h. es muss durch den Tod gehen. In unsern Gliedern, wodurch sich doch unser inwendiger Mensch betätigt, sind es vornehmlich drei Dinge, die unsern Dank hindern: die Reizungen zur Fleischeslust; jene Trägheit und Schwere in geistlichen Dingen, die wir wohl auch mit „flügellahm“ bezeichnen, wo wir so matt, so schläfrig uns finden und drittens alle Unmäßigkeit auch in erlaubten Dingen, auch im Warten des Leibes - was wir ja nicht versäumen sollen; - alles, was uns hindert im Umgang mit Gott - alles, worüber wir im Genuss Gott nicht danken können das muss geschlachtet werden, nicht um irgend etwas zu sühnen, das kriegen wir nicht zurecht, das kriegen wir nicht zu Stande, denn du schlachtest dich niemals so, dass du dich vollkommen schlachtest. Selbst in dem Stück der Buße bleibt immer noch etwas übrig, wie Augustinus es uns ausdrückt: „Gib mir Buße über meine Buße!“ Du sollst deinen Leib zum Opfer geben dadurch, dass du deine böse Lust nicht sollst hegen und pflegen, nicht zum Verräter werden an deinem „Blutbräutigam“, und es muss in dir geschehen, zur That werden, dass du deine Lust an Ihm habest. Wer das nicht will, bei wem sein innerstes Glaubensleben nicht so zur That wird, der ist ein Heuchler, dessen Glaube ist eitel! Willst du es aber, liebe Seele nun so fasse Mut denn Paulus ermahnt seine Brüder dazu und zwar die zu Rom, und die hatten es auch noch nötig, dazu ermahnt zu werden. Auch uns ermahnt nun Paulus dazu, dass wir doch unsrer Unvernunft im christlichen Leben los werden möchten, dass wir uns doch beschneiden lassen an allem, was unser Dankopfer hindert, beschneiden lassen an allem Sichgehenlassen, wodurch wir uns gefangen geben.

Das wäre nun das erste und das Hauptstück in dem, wie Paulus uns unterrichtet, was da sei unser vernünftiger Gottesdienst. Die andern beiden daran geknüpften Verhältnisse sind zwar schon mit darin enthalten, doch in Kürze lasst uns noch Folgendes zu Herzen nehmen: Viele Christen haben sich damit geplagt, zu ergründen, wie weit man als Christ mit der Welt gehen - mitmachen dürfe. Diese Mühe hätten sie sich sparen können. Paulus spricht gar nicht von dem „wie weit“, sondern er sagt ganz klar: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich“, also er verlangt völlige Geschiedenheit. Und Paulus war kein Pietist, kein Puritaner, keiner von dem man sagen könnte, er habe es nicht verstanden, den rechten Ton zu treffen und durch Liebe die Menschen heranzuziehen habe für die wirkliche Welt nicht gepasst - geht dem Apostel nach, wie er überall allen alles zu werden versteht, weitherzig und tatkräftig sich erweist in allen Beziehungen. Was heißt es nun „stellt euch nicht dieser Welt gleich“? Die Welt fragt nicht in ihrem Tun und Lassen, ihrem Handel und Wandel: was gefällt Gott? sondern was gefällt mir. Ein Weltmensch wandelt nicht in der Furcht Gottes, er besitzt vielleicht viel Lebensklugheit, aber keine Furcht Gottes, hat auch gar kein Verlangen danach, und darin bestehe unsre Geschiedenheit von der Welt, in unserm Wandel in der Furcht Gottes. „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Verneuerung eures Sinnes.“ Was nicht verändert ist, ist nicht recht vor Gott - auch hier geht's durch den Tod, durch Schlachten; denn was nicht „verändert“ ist in dir, das ist noch fleischlich, ist noch weltlich. Doch wiederum können wir es uns sehr tröstlich sein lassen, dass Paulus auch dies „verändert euch“ an seine Brüder schreibt. Das Epiphanienlicht soll uns scheiden von der Welt: „Ganz geschieden von dem Wesen der in sich verliebten Welt lass zur Einsicht mich genesen in das, was dir wohlgefällt“. - Ganz entgegengesetzt heißt die Mahnung in Bezug auf das Verhältnis zu den Brüdern: wenn dort Scheidung, Geschiedenheit hier Gliedschaftlichkeit, nicht geschieden, sondern verbunden, verbunden als Glieder eines heiligen Leibes. Aber das ist nur der brüderlichen Liebe verständlich ein Mensch ohne diese Liebe kümmert sich nicht um die Gemeinde, glaubt wohl gar, seinem Gott allein für sich dienen zu können - aber das ist gottlos. Du kannst deines Bruders nicht entbehren zum Seligwerden, lieber Mensch - denn nur im Gemeinschaftsleben handelt nicht jeder nach seiner eignen Eingebung. Jede Gabe, die Gott mir gibt, macht mich zum Schuldner meiner Brüder. Was hast du für Gaben? Frage nach der vornehmsten und gebrauche sie im Dienst deiner Brüder, Gott fragt dich heut danach. Paulus warnt vor Überhebung, aber er warnt auch vor der falschen Demut, in der einer glaubt, sich keiner ihm verliehenen Gabe bewusst werden zu dürfen, der Demut, die aus einer falschen Bescheidenheit, die doch im Grunde nur eine andre Art Hochmut ist, sich untüchtig glaubt, z. B. Andre ermahnen zu dürfen usw., aber sie wollen nicht, weil sie zu wenig Liebe haben! Hat dir dein HErr aber Liebe zu den Seelen gegeben und die Gabe, sie in der rechten Weise zu ermahnen, so erwecke diese Gabe, die in dir ist und dienet euch unter einander als Glieder, nicht als ob einer alle Gaben hätte, sondern jeder mit der Gabe, die grade er hat. Wir sind nach Gottes Wort und Willen einer dem andern diesen Dienst und uns selbst schuldig.

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besser_predigten/besser_predigten_1_nach_epiphanias.txt · Zuletzt geändert: von aj
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