Wolf, Friedrich August - Am Weihnachtsfeste.

Wolf, Friedrich August - Am Weihnachtsfeste.

Das Fest, das uns mit diesem Morgen angebrochen ist, haben unsre frommen Vorfahren für ein so hohes Freudenfest erachtet und gefeiert, daß das Licht ihrer Freude aus den Kirchen auch in ihre Häuser drang; jedes Glied der Familie sollte Theil nehmen, jedes Kind schon sollte davon wissen, jedes Auge sollte von Zufriedenheit leuchten, und bis in die dunkle Kammer der verlassenen Armen sollte sich ein heller Schein verbreiten. Daher haben wir Alle von keinem christlichen Feste so frühe Eindrücke und Erinnerungen, als von diesem, und mögen auch gern zuhören, wenn uns hochbejahrte Personen aus ihrer Jugend von einer längst vergangnen Zeit erzählen, deren letzte Strahlen unsre erste Kindheit noch berührten. Heutzutage ist nun in vielen Familien nur noch der Wiederschein von jenem ursprünglichen Glanze geblieben, der eigentliche Brennpunct fehlt: das Geheimniß des Glaubens an den eingebornen Sohn Gottes und die Freude über seine Ankunft auf Erden. Der Name des Festes hat immer noch einen erfreulichen Klang, und seine Erscheinung in der Mitte des Winters ist Vielen willkommen; allein ihre ganze Weihnachtsfeier beschränkt sich auf einen höheren Genuß des häuslichen und geselligen Glücks, und auf alle die Annehmlichkeiten, welche die wechselseitige Freigebigkeit Verwandten und Freunden darbietet, - es wäre überflüssig, dies noch näher zu bezeichnen.

Ihr aber nicht also, lieben Brüder, sondern ihr kommet am frühen Morgen, um in den Lobgesang der Erlösten einzustimmen: „Dies ist der Tag, den Gott gemacht“, und ihr wollet diesen Tag, den uns der Herr gemacht hat, seiner hohen Bestimmung gemäß feiern; und was suchet ihr zuerst, was wollet ihr von Neuem vernehmen? Das Seelen erweckende, Freude verkündende Wort: Euch ist heute der Heiland geboren! und was liegt Jedem, der es hört, näher, als der lebhafte Wunsch, wenn allem Volke Freude widerfahren soll, Freude in seinem eignen Herzen zu erleben, und nicht leer und ungesegnet aus der Gemeine des Herrn zu gehen. Denn man kann ja ein und dasselbige Wort mit sehr ungleichem Sinne aufnehmen. Als die erste Nachricht von der Geburt Christi in die Hauptstadt des jüdischen Landes kam, „da erschrak Herodes und mit ihm das ganze Jerusalem“, und auch die Hirten auf dem Felde in jener Nacht, als die Klarheit des Herrn sie umleuchtete, fürchteten sich sehr. Aber der Schreck des Herodes war ein Gefühl von ganz andrer Art, als die Furcht der Hirten, und nicht nach Jerusalem ward ein Bote vom Himmel gesendet mit dem Zurufe: erschrecket nicht, wohl aber zu den Hirten trat der Engel des Herrn in jener erleuchteten Nacht und sprach: fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude. Und mit der Stimme des Himmels, die Freude allem Volke und Friede auf Erden verkündiget, wollet ihr angeredet sein. Ihr wisset wohl, daß die fröhlichste Botschaft auch zu unsrer Zeit nicht allenthalben Eingang finde, und von den Feinden der Wahrheit mit heftigem Widerspruch zurückgewiesen werde. Aber ihr wollet an dem heutigen Tage nicht, daß wir den Unglauben der Welt bekämpfen und den Gottlosen im Lande die Gerichte Gottes ankündigen. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde. Wer an ihn glaubet, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubet, der ist schon gerichtet; denn er glaubet nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes. Den Inhalt unsers allerheiligsten Glaubens wollet ihr vernehmen und darin gestärkt und befestigt werden. Und wenn ihr, durch eine flüchtige Stimmung irregeleitet, ein Andres begehren könntet, so müßten wir, als die da über eure Seelen wachen sollen, euch gerade das geben, dessen ihr am allermeisten bedürfet. Säen sollen wir mit Fleiß für die Erndte jenes Lebens; und was an den hohen Festen der Christenheit ausgesäet wird, das ist eigentlich der fruchtbringende Same für die Ewigkeit, das Wort vom Sohne Gottes, der Welt Heiland. Denn das Gesetz ist durch Mosen gegeben; die Gnade und die Wahrheit aber ist durch Jesum Christum geworden. Und durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht vor Gott, sondern die Gerechtigkeit kommt aus dem Glauben. Wir haben viele Sonntage im Kirchenjahre, um das Gesetz des Herrn zu lehren und zu hören; aber das Wissen um Alles, was wir thun sollen, bleibt vergeblich, wenn wir nicht mit innigem, freudigem Danke erkennen und annehmen, was Gott zu unser Aller Heile gethan hat, wenn wir nicht aus der Fülle himmlischer Erbarmungen die stärkende Lebenskraft zu wahrer Heiligung der Seele empfangen, wenn wir nicht den Muth zum Kampfe wider die Versuchung und den wahrhaftigen Trost in aller Trübsal aus derselbigen Quelle schöpfen. Und wie wir alle Tage Ursache haben zu beten: Herr, stärke uns den Glauben, so müssen wir die hohen Feste der Christenheit also feiern, daß wir am bösen Tage Widerstand thun und das Feld behalten mögen. Und dazu ist es im Christenleben nicht genug, daß wir wider die einzelnen Uebel des Lebens und wider die Schläge des Unglücks, die uns treffen, die jedesmaligen Trostgründe auffinden, wie sie sich etwa unsern suchenden Blicken darstellen; sondern wir müssen dahin kommen, daß wir uns mit der Freudigkeit, die wahre Christen im Glauben an den eingebornen Sohn Gottes besitzen, über alles Irdische und über die Leiden der Zeit erheben, und durch Gottes Kraft und Gnade darüber erhoben werden. Und in diesem Sinne und Geiste laßt uns diese heilige Stunde feiern und der himmlische Vater lege seinen Segen darauf reichlich und erwecke unsre Herzen durch seinen Geist.

Text: Evangelium Johannes 1, V. 14: Das Wort ward Fleisch, und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit,

Also redet der Evangelist im Anfange seines Zeugnisses von Christo, und Jedermann fühlt, daß er nicht mit wehmüthigen Erinnerungen an vergangene Tage, sondern mit einer frohen, freudigen Bewegung des Gemüths von jener seligen Zeit der Offenbarung rede, und alle Eindrücke, die er mit gleich gesinnten Freunden von dem Leben und Wirken Jesu auf Erden empfangen hat, faßt er in die Worte zusammen: Wir sahen seine Herrlichkeit, als die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Er ist im Begriff, aus der Fülle seiner Anschauungen und Erfahrungen, die seinem Geiste lebendig gegenwärtig geblieben sind, Vieles mitzutheilen; aber seine Absicht dabei geht nicht dahin, der Welt das Glück zu schildern, das die Augenzeugen des Lebens Christi vorausgehabt haben, sondern, wie er selbst in seinem Evangelio sagt: „Dieses ist geschrieben, auf daß ihr glaubet, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und daß ihr durch den Glauben das Leben habet in seinem Namen“, oder wie er im Eingange seines ersten Briefes schreibt: „Was wir gesehen und gehöret haben vom Worte des Lebens, das verkündigen wir euch, auf daß auch ihr mit uns Gemeinschaft habt“. Der Zweck dieser Verkündigung ist erreicht worden, die erste Freude ist in reichen Strömen in gläubige Seelen gekommen, und wo das Evangelium geprediget worden ist in aller Welt, da hat es auch solche Bekenner gefunden, welche den Glauben an den Sohn Gottes ihres Lebens Licht und Ruhm, ihres Herzens höchste Freude nannten. Das Weihnachtsfest kehrt alle Jahre wieder, uns zu Lob und Dank für diese große Wohlthat zu erwecken, und die selige Gemeinschaft, die von der apostolischen Kirche ausging, in allen wahren Gliedern Christi zu erneuern. Und so laßt uns denn auch in dieser festlichen Stunde bei Betrachtungen:

Ueber die hohe Freudigkeit, die wahre Christen in ihrem Glauben an den eingebornen Sohn Gottes besitzen, verweilen.

Diese Freudigkeit wird nämlich erweckt:

  1. erstlich dadurch, daß wir uns das Bild der Erscheinung Jesu auf Erden im Geiste vergegenwärtigen, und
  2. zweitens dadurch, daß wir unser eignes Dasein im Lichte dieser Erscheinung betrachten; oder, um in der Sprache unsers Textes zu reden:
    1. theils indem wir bedenken, wie der Sohn Gottes unter uns gewohnet und seine Herrlichkeit geoffenbaret habe,
  3. theils indem wir innewerden, wie nun auch wirklich durch ihn die Gnade und die Wahrheit zu uns gekommen sei.

Und wenn das Gesagte nicht Allen sogleich deutlich und verständlich ist, so soll eben die nachfolgende Rede auch dazu dienen, dies Alles in das gehörige Licht zu setzen.

Als entschieden setzen wir mit Recht voraus, daß Alle, die da wirklich an den Sohn Gottes glauben, auch mit Freuden glauben, wie dies bei seinen ersten Jüngern der Fall war, und je stärker und fester sie glauben, desto freudiger ist ihr Glaube. Hier ist kein Kampf, kein Zwang, kein Widerstreben, sondern das innigste Wohlgefallen an der einmal erkannten und ergriffnen Wahrheit, mit dem Wunsche, diese selige Erkenntniß Jesu Christi mit allen Menschen zu theilen. Darum freuen sich wahre Christen auch als Fremdlinge in jeder Stadt, in welcher das Evangelium von Jesu viele eifrige Bekenner findet; sie freuen sich in jeder Kirche, in der Christus gepredigt wird; sie freuen sich in jedem Hause, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind; ja sie freuen sich auch über das schwächste Bekenntniß und Zeugniß von Christo, das aus einem kindlichen Herzen kommt.

Aber auf welchem Wege finden wir nun eine gemeinschaftliche Anregung und Nahrung dieser Glaubensfreudigkeit? Das Fest sagt: Geboren ist Christus, der Herr. Der Evangelist sagt: Das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, nachdem er begonnen hat: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. In wie weit ist es nöthig, dem Sinne dieser Rede weiter nachzuforschen? Allerdings kann die Frage: wie Christus zugleich Gottes- und Menschensohn, und wie das Göttliche und das Menschliche in seiner Person vereinigt sei, unseren denkenden Geist lebhaft beschäftigen, wenn wir auch nicht unter die Schriftgelehrten gehören, und an den in alter Zeit darüber angestellten Untersuchungen haben nicht bloß die Kirchenlehrer, sondern Viele mitten aus der Christenheit Theil genommen, - allein auf der Entscheidung dieser Frage beruht sicherlich nicht die Freudigkeit unsers Glaubens, weder auf irgend einem darüber festgestellten Lehrbegriffe, noch auf einer in eigenthümlicher Weise gebildeten Ansicht und Ueberzeugung, und wenn es auch unserm Scharfsinne gelingen sollte, hier Vieles heller zu sehen, als Andre, so würde das Wohlgefallen an dieser Klarheit wohl eher eine Freude des Denkens sein, als eine Freude des Glaubens. Aber was uns die feinste Gedankenbildung unsrer Seele beim Forschen über die Verbindung des Sohnes mit dem ewigen Vater nicht gibt, das gibt uns eine lebendige Anschauung des in der Zeit erschienenen Christus, der als das Ebenbild des unsichtbaren Gottes uns Gott so offenbart, wie wir ohne ihn die Erkenntniß Gottes nicht haben, und wie sie uns kein Mensch mittheilen kann. Die Erscheinung des Sohnes Gottes ist ja eben das Hervortreten, das Offenbarwerden des Verborgnen im göttlichen Wesen und der göttlichen Eigenschaften, wodurch des Vaters Name auf Erden verklärt wird. Und die wirkliche

Auffassung der göttlichen Strahlen im sichtbaren Ebenbilde des Unsichtbaren bei der Vergegenwärtigung seines Lebens und Wirkens auf Erden bringt uns zum Glauben an Christum, den Sohn des lebendigen Gottes, zu jener seligen Erkenntniß, von der wir wünschen, daß sie niemals wieder getrübt, sondern immer klarer und heller werden möge. Zwar ist der Ursprung alles Glaubens selbst und also auch wesentlich des Glaubens an den Sohn Gottes wie der Ursprung des Lichts: „Gott sprach, es werde Licht! und es ward Licht,“ und jeder Christ wird die göttliche Wirkung und die göttliche Gabe mit demüthigem Danke erkennen und den Schöpfer des Lichts in seiner Seele preisen, wenn auch nicht jeder die Entstehung durch eine deutliche Erinnerung nachzuweisen vermag, wie hinwiederum bei vielen Andern der Fall ist; aber es gibt ein gemeinschaftliches Feld, auf welchem wir Alle zusammentreffen, und das ist eben das Feld der evangelischen Geschichte, auf welchem uns Christus vor Augen gemalt ist. Hier ist die eigentliche Heimath für unsern Glauben und hier haben wir auch ein wirkliches Heimathsgefühl, hier erwachen alle die Erinnerungen, die unauslöschlichen Eindrücke der Wahrheit und Liebe, die uns zuerst das Herz gewonnen haben hier ist die Wunderwelt, in der der Allgegenwärtige, der von Keinem fern ist, uns seine Nähe durch den Erretter unsrer Seele fühlbar macht, sei es, daß Einige zuerst an der Krippe zu Bethlehem, oder am Fuße des Kreuzes auf Golgatha, oder am offnen Grabe des Auferstandnen die Herrlichkeit des Herrn im Geiste erblickt haben, oder daß Andern ein Wort des Erlösers wie himmlisches Feuer in die Seele gefallen ist, so daß auch sie sagen mußten: Brannte nicht unser Herz, als er uns die Schrift öffnete? Kurz die Freudigkeit des Glaubens kommt aus Allem, was wir Großes gesehen und gehört haben von den Worten und Thaten unsers Herrn, von seinem Kampfe und seinem Siege; wobei wir immer eingedenk bleiben müssen daß seine Worte lauter Thaten in der Weltgeschichte geworden und seine Werke nicht vergangne Wohlthaten, sondern fortdauernde Zeugnisse himmlischer Macht und Güte sind, wie schon Philippus, als er den Messias gesehen hatte, zum zögernden Nathanael sagte: Komm und siehe, und wie der Herr selbst darauf hinwies: Gehet hin und saget Johanni wieder, was ihr sehet und höret: die Blinden sehen, und die Lahmen gehen, und die Tauben hören, die Todten stehen auf und den Armen wird das Evangelium geprediget. Also zum Beispiel, wenn der Sohn Gottes seine Herrlichkeit dadurch offenbaret, daß er als unüberwundner Held auf den Kampfplatz zurückkehrt und zu den wenigen Jüngern, die er wehrlos aussendet, spricht: Gehet hin in alle Welt und lehret alle Heiden und taufet sie, so müssen wir eingedenk bleiben, daß dies Gebot der Völkertaufe zu einer Zeit gegeben wurde, wo noch Alles in tiefem Schlummer lag; wir müssen eingedenk bleiben, daß diese frühe Morgenstimme des guten Hirten ein wirkliches Erwachen der Geister zu einem Leben, wie es in keines Menschen Seele gekommen war, zur Folge gehabt, daß dieses Siegeswort des Auferstandnen nach vollbrachtem Werke den ganzen Lauf der menschlichen Dinge, die ganze Richtung der Völkerbildung, den rollenden Wagen der Weltgeschichte wie im Schwunge umgelenkt hat, so daß wir nun mit Recht die Zeit vor und die Zeit nach Christo unterscheiden. Oder wenn Christus, der den Seinen Alles gewesen war, nach einem kurzen dreijährigen Umgange mit seinen Jüngern, als diese künftigen Lehrer der Wahrheit seine Führung und Leitung am allermeisten zu bedürfen schienen, in die wunderbaren Worte ausbricht: Es ist euch gut, daß ich hingehe, denn so ich nicht hingehe, kommt der Tröster nicht zu euch, so ich aber hingehe, will ich ihn senden; und wenn jener kommen wird, der Geist der Wahrheit, der wird zeugen von mir, und mich verklären und euch in alle Wahrheit leiten; so müssen wir eingedenk bleiben, daß diese Verheißung an menschlicher Schwachheit durch himmlische Belebung auf eine Weise in Erfüllung ging, die unwidersprechlich bewies, daß der weissagende Christus zugleich der göttliche Geber und Regierer der zukünftigen Dinge war. Ein todter Mann vermag nichts mehr über die nach ihm lebende Welt, und wenn auch seine Thaten fortwirken, so vermag er doch selbst nicht, diese Nachwirkungen zu lenken und zu leiten, sondern er muß Alles dem Einflusse der Zeit überlassen. Wenn es in der Macht frommer Väter stünde, ihren Geist auf den Ihrigen ruhen zu lassen, so würden sie nicht säumen, davon Gebrauch zu machen, sie würden sich selbst den Schmerz der Scheidestunde versüßen, statt sich in das Schicksal zu fügen, daß mit dem Tode alles Wirken und Sorgen für die Zurückbleibenden aufhört. Aber das Leben ist erschienen, sagt der Evangelist vom Sohne Gottes, und die Erscheinung des wahrhaftigen Lebens in Christo thut sich eben kund durch eine solche Erhabenheit über die Grenze des Todes, ja durch den Sieg über den Tod selbst. Das Leben ist erschienen und hat seine Erscheinung durch Wort und That aufs Kräftigste erwiesen. Die Propheten des alten Testaments hatten als Knechte Gottes in göttlichem Auftrage geredet und ihre Reden angefangen: „So spricht der Herr“. Als aber der Sohn kam vom Vater gesendet, von dem sie geweissagt hatten, so redete er im Bewußtsein der Einheit mit dem himmlischen Vater aus unmittelbarem Wissen von Gott und göttlichen Dingen in einer Sprache, wie sie kein Prophet vor ihm und auch kein Apostel nach ihm geführt hat. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch. Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist; ich aber sage euch: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich von der Wahrheit zeugen soll, ich bin gekommen, daß sie Leben und volle Genüge haben. Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolget, wird nicht wandeln in Finsterniß. Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Wer an mich glaubet, der wird leben, und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage. Wahrlich, wahrlich ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein. - Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen, und ich bin bei euch bis an das Ende der Tage.

Dieses gewaltige Ich des Wortes, das ewig bei dem Vater war, durchdrang die Schöpfung, erweckte die schlummernde Seelenwelt als das nie gehörte Zeugniß des lebendigen persönlichen Gottes, der da kommen und Wohnung machen will. Das war die Stimme des Sohnes Gottes auf Erden, und das Volk entsetzte sich über seiner Lehre, die Niedrigen und Geringsten aus seiner Mitte, die Knechte der Hohen-Priester selbst sagten, als sie sich geweigert hatten, Hand an ihn zu legen, zu ihrer Rechtfertigung: Es hat nie ein Mensch geredet, wie dieser Mensch, und seine wahren, treuen Jünger riefen aus: Herr! wo sollen wir hingehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!

Und so wie der Unvergleichbare, Einzige mächtig war in Worten, so war er auch mächtig in Thaten vor Gott und allem Volk, das im ersten Staunen mit lauter Stimme Gott pries, der solche Macht den Menschen gegeben hat. Wir aber, wenn wir uns das Bild seiner Wirksamkeit auf Erden vergegenwärtigen, so müssen wir wohl zusehen, daß wir nicht voreilig nur den Maßstab des menschlichen Thuns und Wohlthuns anlegen, da es ja eben die Bestimmung Christi war, uns das göttliche Thun und Walten durch seine Werke auf Erden zu offenbaren, wie er auch selbst spricht: Mein Vater wirket bis hieher und ich wirke auch, und was der Vater thut, das thut auf gleiche Weise auch der Sohn. Offenbaren sollte er das Wirken und Walten des verborgnen Gottes, der auch das Wenige segnet, in der Schwachheit mächtig ist, auf das Niedrige stehet, die zerbrochnen Herzens sind, heilet, und nahe ist Allen, die ihn anrufen. So wirkte der Sohn Gottes auf Erden; er kam, wo er gerufen ward, und half, er sprach zu dem bittenden Vater: Gehe hin, dein Sohn lebet, und zur trauernden Witwe: Weine nicht! Er flößte durch seine Gegenwart Allen ein solches Vertrauen ein, daß selbst ein Heide sagte: Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn wie er selbst aus Armuth und Niedrigkeit hervorgegangen war, - die Mutter des Verheißenen fand bei seiner Geburt nicht Raum in der Herberge und des Menschen Sohn hatte zeitlebens nicht, wo er sein Haupt hinlegen konnte, - so hob der erhabne Pilger auf Erden die Augen der Armen und Verlassenen himmelwärts, und zeigte bei allen Wundern seiner Macht und Liebe den einzigen Weg zur Hülfe Gottes mit den Worten an: Dein Glaube hat dir geholfen. Nicht um den Stolz der Ungläubigen zu beugen und ihren Trotz zu brechen, war er gekommen, und noch weniger um die Reiche der Gewaltigen zu stürzen, - für diesen Kampf war dieser Held zu groß, zu erhaben, und die Menschwerdung des Sohnes Gottes nicht vonnöthen, - ein Hauch des Allmächtigen und ihre Herrlichkeit sinkt in Staub. - Doch an der Allmacht Gottes zweifelte die Welt nicht; aber sie hatte keinen Glauben an seine Liebe und konnte ihn nicht haben. Der Sohn Gottes kam, um die zitternde Hand der Verzagten zu fassen, den schwächsten Funken ihres Vertrauens zur Flamme zu beleben, den ersten Hülferuf der seufzenden Creatur zu erhören. Darum war sein ganzer Lebensgang ein Weg zur Rettung der Verlornen, voll sanfter Geduld, dienender Demuth, hingebender, aufopfernder Liebe, und dies war auch sein letzter, sein glorreichster, sein entscheidender Sieg. Wie er für Alle gelebt hatte, so ging er auch, um für Alle zu sterben, in den Tod, und wir erkennen in dem, den wir in äußerster Schwachheit als einen hinsterbenden Menschen am Kreuze erblassen sehen, den Ueberwinder des Todes, der mit der Kraft seiner Auferstehung Leben und unsterbliches Wesen ans Licht bringt. Denn ihr wisset, daß der Sohn Gottes nicht triumphiert hat, wie die Menschenkinder triumphieren, über einen gestürzten Feind, sondern daß er mit göttlicher Erhabenheit und göttlicher Liebe vom offnen Grabe her seinen Retterarm über die ganze Welt ausstreckte und den Preis des errungnen Sieges zum Segen der erlösten Menschheit mit Freunden und Feinden theilt.

Das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit; eine Herrlichkeit, die Alles überstrahlet, eine Größe, der Nichts auf Erden vergleichbar ist; aber sie schlägt uns nicht nieder, vielmehr, je lebhafter wir uns dieselbe im Geiste vergegenwärtigen, desto stärker ergreift uns selbst ein Gefühl des Erhabnen und der Glaube an den Hocherhabnen erfüllt unser Gemüth mit hoher Freudigkeit, denn er ist unser und wir sind sein, er ist gekommen um unsertwillen; indem wir seine Ankunft feiern, rufen wir einander zu: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, dessen Herrschaft ist auf seiner Schulter.

Es ist aber nicht genug, daß wir uns das Bild des Lebens und Wirkens Christi auf Erden im Geiste vergegenwärtigen, wir müssen auch unser eignes Dasein im Lichte seiner Erscheinung betrachten, um unsers Glaubens an den Sohn Gottes froh zu werden.

Denn wir leben in einer Welt, in die der Sohn Gottes gekommen, wir tragen eine Natur, die der Sohn Gottes angenommen, wir sind Glieder einer Gemeine, deren Haupt der Sohn Gottes ist, und wir gehen einer Herrlichkeit entgegen, die uns der Sohn Gottes erworben hat.

Wir leben in einer Welt, in die der Sohn Gottes gekommen ist. Dieser Wohnplatz der Menschen, der, nachdem Maaße des Raums gemessen, gegen die Größe des Weltalls wie ein Punkt verschwindet, hat den Werth einer ganz andern, unvergleichbaren Größe und strahlt durch die Herrlichkeit des Eingebornen in seinem eigenthümlichen Glanze. Dieses Land der Thränen hat unter den weinenden Pilgern auch die himmlischem Liebe im Thränenkleide des Schmerzes gesehen, dieser Weg durch die Wüste ist mit der Spur des allerheiligsten Lebens bezeichnet worden. Wo ist die Stätte, die sein Fuß betrat? Schon manchen Pilgrim hat eine lang gepflegte Sehnsucht aus dem Abendlande nach jenen Fernen hingezogen, und als er die Grenzen Palästina's überschritten hatte, ergriff ihn mit wunderbarer Gewalt der Gedanke, nun wirklich in dem Lande zu sein, wo der Herr in den Tagen seines irdischen Wandels einherging, und je näher den Gegenden, wo der eigentliche Schauplatz seines Lebens und Wirkens war, desto mehr steigerte sich die Macht dieses Gefühls. Also hier am Ufer dieses Sees war sein liebster Aufenthalt, hier war es, wo er in das Schiff trat und aus dem Schiffe das Volk lehrte, hier war es, wo er die Fischer, die ans Land getreten waren, anredete: Fahret auf die Höhe, daß ihr einen Zug thut! und zuletzt das mächtige Wort hinzufügte: Folget mir nach! Hier war es, wo sie die Kranken zu ihm brachten, daß er die Hände auf sie legte und sie heilte; hier, wo der Welterlöser seinen Leidensweg antrat mit dem Ausrufe: Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem und es wird Alles erfüllet werden, was geschrieben steht. Hier Nazareth und wenige Tagereisen weiter Bethanien, hier am Fuße des Oelbergs das Haus der Gastfreundschaft, wo man ihn mit köstlichen Narden salbte zu seinem Begräbniß, hier die letzte Höhe, die ihn von der Hauptstadt schied; als er diesen Gipfel erreicht hatte, sahe er die Stadt an und weinete über sie, und vor ihm lag der Blutberg und der Garten für sein Grab und für den ersten Fußtritt des Auferstandnen im Lande der Lebendigen.

Und doch, meine Freunde, ist die ganze Gestalt jenes merkwürdigen Landes nach so vielen Verheerungen und Verwüstungen ganz unkenntlich geworden, ohne die geringsten Ueberbleibsel aus jener Zeit. Keine Stadt, kein Haus, nicht einmal eine Trümmer von den Denkmälern altisraelitischer Baukunst ist mehr aufzufinden; schrecklicher, als in Rom und Athen, haben die wilden Kampfe der Völkerschaaren hier jede Spur des Alterthums vernichtet. Kein Mensch kann mit Bestimmtheit nur die Lage von Golgatha oder die Stelle des heiligen Grabes bezeichnen; es ist Alles verschüttet und unkenntlich geworden. Also hat es die Weisheit Gottes bei der Ausbreitung seines Reichs gewollt, die Anbetung im Geist und in der Wahrheit sollte durch kein äußerliches Ueberbleibsel oder Bildniß gehindert, das Wort zum Heil aller Völker sollte durch keine Zurückweisung auf ein irdisches Vaterland in seinem Laufe aufgehalten, der Weg zum Himmel sollte nicht in eine Wallfahrt zum heiligen Grabe verwandelt werden. Aber was hindert uns, die ganze Erde mit den frommen Blicken anzusehen, mit welchen jene Pilger, wenn sie ins gelobte Land eingetreten waren, die Gegend um Nazareth und Jerusalem betrachtet haben? Der ganzen Erde gehört durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes der Ruhm, der Schauplatz seiner Herrlichkeit zu sein, und alle Völker sollen sagen: Das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns; und was haben sie Größeres zu sagen von Allem, was auf Erden geschehen ist! Alle Denkwürdigkeiten der Völkergeschichte aus den Zeiten des Kriegs und des Friedens verschwinden mit dem Schimmer ihrer Größe, erblassen vor dem Glanze jener Herrlichkeit, und alle Gedächtnißtage ihres Heldenruhms vor dem Tage der heiligsten Geburt und vor dem Tage des weltversöhnenden Todes. Denn was ist die Welt ohne Christum, was ist die Weltgeschichte ohne den Lichtpunct seiner Erscheinung? Eine Reihe von Erdbeben und Schlachten, von Ueberschwemmungen und Völkerwanderungen, von sich aufthürmenden und zusammenstürzenden Reichen, ein Auf- und Niederwogen der Geschlechter im Strome der Zeiten. Wie erscheint sie auf dem höchsten Gipfel der Betrachtung dem ruhigen Kenner und Forscher, wenn er auch allen Quellen nachspürt, und Ursachen und Folgen auseinander setzt, wie verstärkt sie endlich auch im schärfsten Denker das Gefühl der Eitelkeit und Richtigkeit, wenn ihm nicht der letzte Endzweck aller menschlichen Dinge so fest steht, wie er durch Christum festgestellt ist, und in derjenigen Höhe, zu der ihn Christus gebracht hat, wenn nicht das Ewige durch alles Zeitliche mit der siegreichen Klarheit hindurchbricht, wie es eben durch die Erscheinung des allein Heiligen unter den Menschenkindern geschehen ist!

Finsterniß bedeckte das Erdreich und Dunkel die Völker; aber der Glanz des Herrn ist über ihnen aufgegangen; der Sohn Gottes kam, das Licht der Welt; wir leben in einer Welt, deren wahrhaftiges Licht der Sohn Gottes ist.

Doch nicht als eine himmlische Erscheinung nur hat er den Weltkreis erleuchtet, ohne selbst das Irdische zu berühren, sondern das Evangelium sagt: Das Wort ward Fleisch, also das, was wir sind; die menschliche Natur hat er angenommen, wie der Apostel sagt, er ward gleich wie ein andrer Mensch und an Geberden als ein Mensch erfunden. Und wir fühlen unsre Menschenwürde am stärksten in dem Gedanken, daß er, unsres Geschlechts geworden, sich nicht schämte, uns seine Brüder zu nennen, und schauen mit Freudigkeit empor zu dem Ersten unsrer Brüder. Die Könige der Erde erscheinen uns oftmals wie Wesen höherer Art, wenn sie im vollen Glanze ihrer Majestät in feierlicher Versammlung ihren Thronsitz einnehmen, oder unter freiem Himmel auf sonnenhellem Felde Heerschau halten und mit schweigendem Blick Ehrfurcht gebieten, und Aller Augen auf sie gerichtet sind. Doch dieser Zauber löst sich wieder, wenn wir ruhig bedenken, daß sie unter dieser glänzenden, prachtvollen Rüstung nur eine menschliche Natur tragen, allen Schwachheiten des Leibes und der Seele und zuletzt dem Tode unterworfen, wie der geringste unter den Kriegsknechten in dem vor ihnen aufgestellten Heere. Sie sind Menschen wie wir! -

Allein dieses sagen wir nicht, um das Gefühl unsrer eignen Menschenwürde zu verstärken; , sondern, um der Verblendung durch falschen Schimmer der Erdengröße zu wehren, sagen wir uns, daß auch Könige nur Menschen sind. Gerade nun in entgegengesetzter Richtung wendet sich unser Glaubensblick auf den Herrn der Herrlichkeit bei der Feier stiller Menschwerdung. Denn so wie er sich erniedrigt und Knechtsgestalt angenommen hat, so er heben wir uns durch den Gedanken, daß er, der Erstgeborne vor allen Kreaturen, er, den alle Engel Gottes anbeten, ein Mensch ward, wie wir, daß er menschlich fühlte und menschlich litt und alles Menschliche mit uns gemein hatte, und obwohl der einzig Reine, Heilige, doch allen Versuchungen, allen Mühseligkeiten, allen Schwachheiten der menschlichen Natur unterworfen war. Und wenn wir im Kampfe der menschlichen Natur ermatten, welch ein Trost, welch eine Stärkung in dem Aufblick zu ihm? Erlöser, der du selbst auf Erden der Leiden Joch getragen hast, will ich im Kampfe müde werden und fühl' ich dieser Tage Last, so stärke mächtig meinen Geist, daß er dem Unmuth sich entreißt. -

Oder wenn wir bei Betrachtung über den Anfang, Fortgang und Ausgang des Menschenlebens im Wechsel der irdischen Dinge in so manche Anfechtung gerathen, im Gefühl der Eitelkeit Alles aufgehen zu lassen, was kann uns mächtiger schützen und bewahren, was kann uns kräftiger aufrecht erhalten, als ein Blick auf die reinsten, edelsten Züge der Menschheit im Bilde des menschgewordenen Erlösers? Bei der Unmöglichkeit, sein heiliges Leben in die Reihe der vergangnen Erscheinungen, ins Reich des Todes zu versetzen, bei der Unmöglichkeit, zu denken, daß im Munde des sterbenden Christus ein Betrug erfunden worden sei, bei der unwiderlegbaren Beweiskraft seiner letzten Worte gibt die Vergegenwärtigung seines Lebens und Sterbens unsrem eignen Bewußtsein die erhabne Würde unsrer Bestimmung, die Würde der Unsterblichkeit zurück.

Und mehr, als dies; wenn wir wirklich Glieder der Gemeine sind, deren Haupt der Sohn Gottes ist, nachdem er sie durch seinen Kampf erlöst und durch seinen Sieg mit himmlischen Gütern gesegnet hat. Hier beginnt erst die wahre, volle Freudigkeit christlicher Seelen. Denn alle Menschen leben in dieser Welt, in die der Sohn Gottes gekommen ist, alle Menschen haben dieselbe Natur, die auch der Sohn Gottes angenommen hat; aber sie wissen es nicht Alle, sie fühlen es nicht Alle und das vollkommne Heil seiner Menschwerdung wird erst dann ihr Theil, wenn sie durch die Gemeinschaft mit ihm Kinder Gottes geworden sind. Er kam in sein Eigenthum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie Viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben. Und der Apostel sagt zu den Gliedern der Gemeine Jesu: Ihr seid allzumal Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum! O welch ein Glück, welch eine Seligkeit! Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen!

Nun ist zwar die Rede von Gott als dem Vater aller Menschen schon von Alters her in der vorchristlichen Zeit nicht unerhört gewesen, und durch das Christenthum in aller Welt verbreitet worden. Aber gerade die unbestrittne Geltung dieser Lehre macht uns in diesem Falle nur allzu leichtgläubig, und es gehört doch viel, unendlich viel dazu, das wirklich zu glauben, was wir Alle von Kindheit an schon gewußt und vielleicht niemals geleugnet haben. Laßt uns nur die am nächsten liegende Vergleichung zu Hülfe nehmen. Welch ein Glück ist es, an einem menschlichen Vater- oder Mutterherzen auszuruhen mit dem vollen Vertrauen zu einer Alles hingebenden Liebe! Und welch ein unaussprechlich tiefer Schmerz, einen liebenden Vater, eine liebende Mutter zu verlieren! Wie wird an ihrem Grabe der ganze Werth eines Glücks, das niemals wiederkehrt, dem kindlichen Herzen fühlbar! Nun ist es viel zu schwach, wenn wir anheben zu fragen, was ist alle treue Liebe und Sorge sterblicher Eltern gegen die Treue und Liebe dessen, der der rechte Vater ist über Alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden? Aber messe nur ein Jeder nach dem Maaße jener kindlichen Empfindung das Gefühl, das er haben müßte, wenn er wirklich im Glauben an den himmlischen Vater lebte, und als ein wahrhaftes Kind Gottes ohne Furcht und Sorge unter dem Schutze des Allmächtigen ruhte? Welch eine Veränderung muß mit dem Menschen vorgehen, ehe die todten Worte Feuer und Leben in seiner Seele werden. Aber zur Ehre der Wahrheit dürfen wir es auch bei der Weihnachtsfeier nicht verschweigen, daß diese selige Veränderung schon oft mit diesem Feste begonnen habe, und daß in Folge derselben Viele das Wort von der Geburt des Herrn nicht anders als mit der innigsten Rührung und Dankbarkeit vernehmen. Getrübt wird wohl ihre Freude noch durch so manchen Kampf im irdischen Leben, aber sie kennen das Licht des Lebens, das ihnen mit der Liebe Gottes in Christo Jesu aufgegangen ist, und bekennen einmüthig, daß sie den Geist der Kindschaft durch Christum empfangen haben, und je näher sie mit den Leiden, mit dem Tode des Erlösers vertraut wurden, desto mehr ist alle Furcht aus ihrem Herzen verschwunden und Friede und Freude eingekehrt.

Doch dieses Fest ist nicht gestiftet, uns das Geheimniß der Seelen zu öffnen, die unter den Führungen der göttlichen Gnade den Herrn kennen gelernt haben, sondern um den allgemeinen Rathschluß Gottes zu unsrer Seligkeit kund zu machen, daß wir Alle durch seinen Sohn, Jesum Christum, seine Kinder in That und Wahrheit werden. Uns Allen ist der Heiland geboren, und wenn wir ihn aufnehmen, wie wir sollen, als die Demüthigen, denen Gott Gnade gibt, und als die Mühseligen, die bei ihm Ruhe für ihre Seele suchen, dann werden wir auch mit freudiger Hoffnung der Herrlichkeit entgegengehen, die er uns erworben hat. Denn für Sterbliche ist der Sohn Gottes nicht ins Fleisch gekommen, und für Sterbliche hat er sein Blut nicht am Kreuze vergossen, um ihnen hier ein irdisches Vaterland mit vergänglichen Gutem zu gründen und ihre Wohnung auf Erden zu verschönern. Sein Reich ist nicht von dieser Welt; aber er ist dennoch ein König und hat ein Reich, ein ewiges, himmlisches Reich, das hier anhebt in Schwachheit, wie er selbst in Schwachheit und Niedrigkeit einherging, das aber, wenn alle irdischen Hüllen fallen werden, erscheinen wird in großer Kraft und Herrlichkeit. Dann werden Alle, die durch die Trübsale der Zeit ins Reich Gottes eingegangen sind, sich freuen mit unaussprechlicher Freude, und ihre Freude wird Niemand von ihnen nehmen. Dann werden alle Klagen und alle Thränen sich zu Wonnedank vor dem Angesichte des Herrn verklären. Dulden wir mit ihm, so werden wir mit ihm herrschen; sterben wir mit ihm, so werden wir mit ihm leben. Alle Leiden dieser Zeit sind nicht werth der Herrlichkeit, die dort offenbart soll werden. O Glaube, der das Herz erhöht! Was ist der Erde Majestät, wenn sie mein Geist mit der vergleicht, die ich durch Gottes Sohn erreicht? Vor Gottes Thron, in seinem Reich, unsterblich, heilig, Engeln gleich, mit allen Frommen aller Zeit soll ich mich freun in Ewigkeit. Herr, der du in dem Himmel thronst, ich soll da wohnen, wo du wohnst, und du erfüllst einst mein Vertraun, dich in der Herrlichkeit zu schaun. Amen.

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