Spieker, Christian Wilhelm - Christliche Morgenandachten auf alle Tage des Jahres - Dezember

Am 1. December.

Wir müssen Alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf daß ein Jeglicher empfange, nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse.“ 2. Cor. 5, 10.

Ein ernstes Wort an jede Menschenseele! Der Wechsel der Jahre wird nicht unaufhörlich fortgehen. Es wird nicht ohne Aufhören eine Stunde der anderen, ein Tag dem anderen, ein Jahr dem anderen folgen, nicht Ende an Anfang, Anfang an Ende sich drängen, wie im Meere Woge auf Woge sich wälzt, und eine die andere begräbt, - ohne Ziel. „Gott hat einen Tag gesetzet, auf welchen er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit, durch einen Mann, in welchem er's beschlossen hat.“ (Apostg. 17, 31.) Dieser Tag ist ein letzter Tag für so viele stolze Thaten, eitle Gebäude, thörichte Hoffnungen, die nicht in Gott gegründet sind. Dieser Tag wird bezahlen die Gottlosen nach ihren Werken und vollstrecken das, womit die Gerechtigkeit lange drohete. Dem Richterstuhle Christi kann sich Niemand entziehen. Jeder Glockenschlag führt uns ihm näher, jedes scheidende Jahr trägt uns ihm entgegen, und wie die Woge des Stromes nicht verweilen oder zurückkehren kann zu ihrem Quell, und wie der Regentropfen zwischen Himmel und Erde nicht ausruhen noch zur Wolke zurückeilen kann, so können auch wir nicht weilen und umkehren, sondern müssen weiter und weiter dem Gerichte entgegen.

Hienieden giebt es mancherlei Schranken, die die Menschen von einander scheiden: Ort und Zeit, Sitte und Sprache, Stand und Bildung, Ansehn und Vermögen. Diese Scheidewände zwischen Mensch und Mensch fallen an jenem großen Tage: Fürsten und Völker, Herren und Knechte, Männer und Weiber, Greise und Kinder - sie Alle müssen offenbar werden vor dem Richterstuhle des Herrn.

Hienieden ist Vieles nicht offenbar: es giebt dunkle Nächte, verschlossene Kammern, unbewachte Stunden, verhüllte Winkel und einen tief verborgenen Herzensgrund. Dort ist Alles bloß und aufgedeckt. Der Herr kennt Alle und durchleuchtet Alle mit dem Lichte seines Angesichtes. Im Buche unseres Lebens ist nichts vergessen und aus der Acht gelassen. Es stehen darin verzeichnet all die Gnadenstunden, die er uns geschenkt und all die Liebestreue, die er an uns gewandt, aber auch alle gottlosen Werke und alle leichtsinnigen Worte und alle lüsternen Gedanken, deren wir uns schuldig gemacht; die Hand des Allwissenden hat es selbst geschrieben oder schreiben lassen durch seiner Diener Hände, damit Jeder überführt werde, daß das Urtheil recht sei und Keiner durch Ausflüchte und Lügenreden sich noch durchzubringen und zu entrinnen suche.

Entscheidend wird sein des Leibes Leben. Erfüllt wird werden der Grundsatz der ewigen Gerechtigkeit: Was der Mensch säet, das wirb er ernten; wer auf sein Fleisch säet, wird vom Fleische das Verderben ernten; wer aber auf den Geist säet, wird vom Geiste das Leben ernten. O wie wichtig ist demnach unser irdischer Pilgerstand! Jenseits läßt sich nichts mehr nachholen oder gut machen. Dazu kommt's auf's Handeln an, nicht auf unser Wissen und Können, nicht auf unsere frommen Rührungen und guten Vorsätze und erbaulichen Worte, sondern auf die lebendige Bethätigung unseres Glaubens, auf die Früchte der Gerechtigkeit, die wir bringen zur Ehre und zum Lobe Gottes.

Wohl preisen wir die Gnade des Vaters, daß er das Gericht dem Sohne übergeben, der versucht ist allenthalben, gleich wie wir, der uns aller Dinge gleich und unser Bruder worden ist und es weiß, was für ein Gemächte wir sind; aber dennoch wird kein Herz von Furcht und Zittern frei bleiben können, wenn einst die Posaune des Gerichts ertönt und die Kräfte des Himmels sich bewegen; denn der die Liebe ist, ist auch der Heilige, der barmherzig ist mit armen Sündern, ist auch der Allgerechte, und wer das Heil in Christo verschmähet hat, der kann nimmer für Hohn Lohn empfangen.

Mein Heiland, ach bewahr' auch mich,
Samt allen frommen Herzen,
Daß wir nicht unvorsichtiglich
Die Gnadenzeit verscherzen!
Laß uns zu deiner Rechten stehn,
Und in des Himmels Freuden gehn,
Wann du wirst kommen. Amen!

Am 2. December.

Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes, und vertritt uns.“ Röm. 8, 34.

Wie sträubt sich doch der natürliche Mensch gegen das Wort von der Verdammniß des Sünders! Wenn er Alles gern glauben mochte, nur nicht die ewige Verdammniß. Das erschreckt sein weiches Herz, beirrt seine Einbildungen von Gottes Güte und Liebe, das stört seine Ruhe und Sicherheit und macht ihn zittern und erbleichen. Und doch ist diese Lehre, die der unerleuchteten Vernunft eine harte Rede dünkt, in der Wahrheit begründet. Oder drängt nicht die Heiligkeit Gottes, die Fluchwürdigkeit der Sünde, das klare Wort der Schrift, ja die ganze Ordnung des Gottesreiches zu diesem Glaubensstücke hin? Kann auch der frechste Unglaube das geheime Grauen überwinden, das dem Sünder auf seinen nächtlichen Wegen und in den Kammern der Unzucht durch's Herz schleicht? Ist einer Seele wohl in ihrer Gottentfremdung und Gottesfeindschaft?

Ach, das Gewissen, das nicht in unserer Hand ist, noch sich an unsere Meinungen und Gedanken kehrt, sondern unerbittlich über unsere Werke urtheilt, das da schreckt und beruhigt, verdammt und losspricht, wie Einer, der volle freie Gewalt über den Menschen hat, das Gewissen ist ein Beweis, daß es ein ewiges Gericht geben muß. und daß ein Richter über uns ist, der in diesem Leben Rechenschaft fordert und in jenem Leben sein Urtheil vollzieht. In der That, wir armen sündigen Menschen waren die elendesten Creaturen, wenn wir im Hinblick auf das Gericht keinen Trost wüßten. Aber gelobt sei Gott! Die Quelle des Trostes fließt uns so reich, so süß, so kräftig, daß die Furcht vor der Verdammniß in lauter Freude, Lob und Dank umgewandelt wird, denn sein Bote verkündigt: „Christus ist hier!“ und weis't damit jeden Angriff, der den zagenden Herzen droht, zurück. Christus ist um unserer Missethat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen, die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Friede hätten und durch seine Wunden sind wir geheilet. Christi Wundenmaale sind die Zeichen seines Sieges: wenn der himmlische Vater seinen lieben Sohn ansieht, den er ja für uns dahingegen hat, und der für uns den schweren Kampf gestritten, dann fällt auf uns der Blick seiner Liebe, der alle verklagenden Stimmen zum Schweigen bringt. Und Christus, der Alles daran gewendet hat, uns zu retten und selig zu machen, wird nicht müde, sein Verdienst für uns bei dem Vater geltend zu machen. Was auch auf uns einstürmen mag, um uns zu scheiden von der Liebe Christi, welche Mächte der Erde oder der Hölle auch ihre Heere wider uns in den Kampf führen mögen, wir werden sie überwinden in der Kraft Dessen, der uns bis in den Tod geliebet hat, so wir nur durch den Glauben bleiben in seiner Liebe. Christus wird uns aushelfen zu seinem himmlischen, Reiche. Amen.

Am 3. December.

Machet die Thore weit und die Thüren in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe!“ Ps. 24, 7.

Du kehrest wieder, wunderbare Zeit,
Und willst der Welt von Neuem Jesum bringen.
Ach, könnt' ich doch dem Herrn der Herrlichkeit
Ein triumphierend Hosianna singen!
Ach, könnt' ich ihm ein Lied der Engel weih'n
Und wie ein Kind mich seiner kindlich freu'n!

Von Zion her frohlockt der Feierklang -
Könnt' ich mit ihm nun auch mein Lied vereinen!
Doch, ach! es wird zur Klage mein Gesang,
Ich will dir jauchzen, und ich möchte weinen!
Verhüllen möcht' ich dir mein Angesicht,
Du Heiligster! - Doch jauchzen kann ich nicht!

Und dennoch kann ich's, bebet auch mein Herz;
Soll eigne Freud' ja nicht den Herrn erheben,
Und trägt doch eigne Kraft nicht himmelwärts:
Er will den Seinen seine Freude geben!
Drum freut mein Herz sich, ob mein Auge weint,
Denn Jesus kommt, es kommt der Sünder Freund!

Es kommt der Held, der Schmerz und Tod bezwang.
Durch seinen Tod bezwang und seine Schmerzen;
Drum tönt auch ihm der Weinenden Gesang,
Drum jauchzen ihm die tiefbetrübten Herzen,
Drum freut sich das betrübte Zion sein.
Drum kann auch ich ihm Freudenpsalmen weih'n!

Mein Heiland kommt! So komm' denn, Jesu, komm'
Auch in mein Herz, das Finsterniß umnachtet;
Komm' in mein Herz und mach' es selig, fromm,
Und gieb du ihm, wonach es dürstend schmachtet;
Mach' es von Sünd' und Sündenschmerzen rein,
Zeuch in mein Herz, o lieber Heiland, ein!

Triumph! du kommst und läßt dein Heil mich seh'n;
Drum will ich dir mein Hosianna singen!
Ach hält' ich Flügel, zu des Himmels Höh'n,
Zu deinem Throne mich empor zu schwingen!
Zu wem du kommst, dem ist die Welt zu klein,
Er möcht' schon heut' in deinem Himmel sein!

Sei denn gegrüßt, du wunderbare Zeit,
Seid mir willkommen, ihr geweih'ten Tage!
In Freude wandelt ihr der Seele Leid,
In Hosianna meines Herzens Klage!
Es zieht mein Heiland in sein Zion ein:
O, freu' dich, Herz, du sollst sein Zion sein!

Am 4. December.

Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebet.“ 1. Joh. 4, 19.

Die Liebe ist das Band zwischen meinem Herzen und dem Gott, der die Liebe ist. Erkennen kann ich Gott nicht, wie er ist, Niemand hat Gott jemals gesehen. Geben kann ich Gott nichts, er wird nicht reicher durch meine Opfer, nicht herrlicher durch meinen Dienst, nicht, seliger durch mein Lob. Aber lieben kann ich Gott, das ist mein einziges, mein bestes Opfer vor ihm; lieben darf ich Gott, das ist mein seliges Kindesrecht; lieben muß ich Gott, das ist meine heiligste Dankespflicht; lieben will ich Gott, das ist meines Herzen höchste Wonne, dadurch werde ich ihm ähnlich und verwandt. -

Er hat uns zuerst geliebt! Ach lange nicht genug bedenken wir die unermeßliche Fülle der Liebe Gottes, sonst würde der Psalm unserer Lippen niemals verstummen, und der Jubel über Gottes Erbarmen nimmermehr in uns erlöschen. Er hat uns zuerst geliebt; wir sind Denkmäler seiner Liebe, die all unserer Liebe weit zuvorgekommen ist.' Ehe noch eine Kreatur in der Welt war, sei es Mensch oder Engel, ihn um seine Liebe zu bitten, ihn um seiner Liebe willen zu loben, da hat er schon in seiner ewigen Liebe den Rathschluß gefaßt, eine Welt zu schaffen, die seiner sich freue. Als der Mensch in Sünden verfallen war, da hat die ewige Liebe zuerst und freiwillig den Gnadenrathschluß gefaßt, die Welt zu erlösen. Er hat unser Geschlecht geliebt, da wir noch Feinde waren (Röm. 5,10), und zu unserem Heil seinen Sohn in die Welt gesandt und in den Tod gegeben.

Er hat uns geliebt, da wir noch gar nicht in die Welt geboren waren, hat für uns väterlich gesorgt, hat uns die Pfade geebnet, die wir einst wandeln, und die Freudenblumen gepflanzt, die uns erblühen sollten. Er hat uns geliebt, da wir noch hülflose und hülfsbedürftige Kindlein waren, hat im Sacrament der heiligen Taufe uns seine Gnade zugesagt und uns ertheilt die Wiedergeburt des Geistes. Er hat uns geliebt, da wir noch in Leichtsinn oder Trotz den breiten Weg erwählten und der Sünde dienten, hat uns nicht gleich dem Tode übergeben, sondern auf unsere Bekehrung gewartet und uns Gnade und Vergebung zugesagt.

Wo eine Seele den Herrn gefunden hat und sich seiner freut und tröstet, sie wird es mit jubelnder Lippe bekennen: Er, mein Gott und Heiland, hat mich zuerst geliebt und nicht ich ihn; seine Liebe hat mir mein Herz abgewonnen! Wenn ich auch diese Liebe zuweilen verkannte, sie fuhr doch zu lieben fort; und wenn ich mich auch eine Zeitlang wider sie sträubte, sie wußte mich doch zu überwältigen. Die Wunden, welche sie mir aufdeckte, heilte sie, die Schuld welche sie mir vorrückte, tilgte sie; sie vergällte mir die irdische Lust, welche mein Verderben war; sie zertrümmerte meine eitlen Pläne und Hoffnungen, weil diese mir den Himmel verschlössen sie brach mein Selbstvertrauen, um mich mit Kraft aus der Höhe anzuthun; sie ließ meinen Eigenwillen zu Schanden werden, um mir den ewigen Gnadenwillen zu offenbaren.

Ja, Gottes Liebe muß erst, wie die Sonne, in unser Herz hineinscheinen und es durchleuchten und durchwärmen, daß unsere Liebe drin erwachse und ihm entgegenblühe. Wer lieben will, der muß von Gottes wunderbarer Liebe bereits etwas erfahren haben, dem muss eine solche Fülle von Liebe an's Herz gedrungen sein, daß er ruft mit dem Apostel: Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Amen.

Am 5. December.

Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebet.“ 1. Joh. 4, 19.

In welchem Herzen ist denn das Feuer einer heiligen Gegenliebe entzündet? Ist's genug, daß wir keine Abneigung wider den Herrn haben, oder an den Tag legen, daß wir uns hüten vor losem Spott über das, was an seine Macht und Gnade erinnert? Ist es genug, daß wir es anerkennen, womit er uns gesegnet von Kindesbeinen, daß wir hinnehmen die Verheißung, die er den Seinen giebt? Ist es genug, daß wir in guten Stunden ihm dankend zujauchzen und seinen Namen preisend erheben?-Nimmer ist das genug, sondern viel mehr schließt die Liebe zum Herrn in sich. Die Liebe ist ein gewaltig innerlich Treiben, das sich durch nichts läßt hemmen und aufhalten. Gleichwie im Schoße der Erde verborgen ist eine mächtige Kraft, welche aus den tiefsten Klüften den Quell läßt hervordringen, eine Kraft, welche im Frühling hervortreibt aus dem dürren Boden die Gräser und Kräuter und Blumen, und aus den erst erstorbenen Zweigen der Bäume Knospen und Blätter und Blüthen, eine Kraft, welche so stark ist, daß selbst abgerissene Aehren oder Zweige noch forttreiben und blühen, also ist die rechte Liebe zum Herrn eine Kraft, welche uns dringet und treibet, ihm das ganze Herz, die ganze Seele und das ganze Gemüth zu übergeben. Nichts auf der Welt, kein Wunsch und kein Genuß, kein Gut und kein Mensch, und sei es Vater oder Mutter. Weib oder Kind, darf sich theilen in den Besitz unseres Herzens. Ist es möglich, daß wir mit ein und demselben Auge beides, Himmel und Erde, zugleich ansehen können?

Getheiltes Herz
Schafft Sorg' und Schmerz,
Führt mich dem Himmel zu.

Lasset uns ihn lieben! Und wenn wir in solchem Liebesdienst auch keinen Lohn erblickten, und wenn in solchem Liebesleben die Stunden der Erquickung uns nur sparsam zugemessen wären, und die Kräfte sich verzehrten, wir sollen darin aushalten und beharren bis an's Ende, mit der Davidsbitte auf den Lippen: „Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Ach, wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue?“ (Ps. 42, 3.) Gleich wie die Sonnenblume sich immer nach der Sonne hinwendet, von der sie Leben und Kraft empfangen, also sollen wir uns auch mit allen Gaben unseres Geistes, mit allen Kräften unseres Gemüth zu Gott, der die Liebe ist, hinwenden. Oder vermöchte etwa eine Kreatur unser tiefstes Verlangen zu stillen? Keine Kreatur besitzt ein vollkommenes Gut, sondern nur stückweis wird es ihr gegeben. Wie ein Bächlein fließt das Gute von dem Gott der Liebe auf sie über; doch die Quelle des Guten bleibet allezeit in Gott. Warum also wollen wir die Quelle verlassen und dem Bächlein nachgehen? Alles, was gut ist an den Kreaturen, ist nur ein Abbild jenes vollkommenen Guten.

Und dies Gute ist in Gott, es ist Gott selber. „Niemand ist gut, denn der einige Gott.“ (Matth. 19, 17.) Warum wollen wir uns also an das Abbild halten und uns um die Sache selber nicht kümmern? Gleichwie Noahs erste Taube auf den wogenden Wassern nicht fand, da ihr Fuß ruhen konnte: also kann auch unser Herz in der ganzen Zahl der Dinge-, die unter der Sonne sind, nichts finden, was ihre Sehnsucht stillt, weil sie alle so vergänglich und zerbrechlich sind. Alles, was wir lieben, das lieben wir entweder um seiner Macht, oder um seiner Weisheit, oder um seiner Schönheit willen. Was ist aber mächtiger, was ist weiser, was schöner, denn Gott? Alle Macht der irdischen Könige ist von ihm und unter ihm. Alle menschliche Weisheit ist Thorheit gegen Gottes Weisheit. Alle kreatürliche Schönheit ist Mißgestalt gegen Gottes Schönheit.

Willst du Gaben gerne haben,
Die kein Wurm noch Rost verzehrt?
Laß die Erde, daß dir werde
Was da unvergänglich währt.

Willst du lieben? suche drüben
Den, der liebenswürdig ist;
Alles leide, Alles meide,
Bis du ihm auch ähnlich bist.

Amen!

Am 6. December.

Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebet.“ 1. Joh. 4, 19.

Siehe, alle erschaffenen Dinge selber rufen uns zu: Was hangt ihr denn eure Herzen an uns? Was findet ihr das Ziel eurer Sehnsucht bei uns? Wir können eure Luft nicht befriedigen, wir können eurer unsterblichen Seele nicht genügen. Geht doch zu Dem, der uns Beide geschaffen hat. Von uns könnt ihr keine Gegenliebe hoffen, und niemals fangen wir von selber an, euch zu liefen. Gott ist Liebe. Er hat euch zuerst geliebt. Gebt Gottes, was Gott ist, gebt ihm das Beste - euer Herz. Habt ihr ihm das gegeben, dann wird euch alles Irdische klein und gering vorkommen, daß ihr gern Alles zu des Herrn Füßen legen und Alles um seinetwillen meiden und leiden möchtet. Dann wird euch das Schwere leicht werden und das Bittere süß, und ihr werdet euch laben mit dem Vorgenuß des Himmels. Habt ihr die Liebe Gottes gefunden, dann wird euer Herz stille, ruhig und selig und spricht: „Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil.“ (Ps. 73, 25 u. 26.) „Herzlich lieb hab' ich dich, Herr, meine Stärke!“ (Ps. 18, 2.) Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu dir! Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.„ (Ps. 42, 1 u. 3.)

In der Liebe zu Gott fühlt eine Seele sich nie allein, nie vergessen, nie leer, denn sie hat Leben und Fülle, hat die tiefste Sehnsucht und die seligste Befriedigung. Diese Liebe ist ihr Jubel in den sonnigen Tagen des Glücks, ihre Zuflucht in den dunklen Tagen des Leids. In dieser Liebe ist auch alle andere Liebe beschlossen. Wir lieben die Schönheit des Himmels und der Erde, denn sie ist ein Abglanz der ewigen Liebe. Wir lieben unsern irdischen Beruf, denn er ist der Wille unseres lieben Vaters im Himmel. Wir lieben die Brüder, denn sie sind Genossen der Liebe, die ihre Sonne aufgehen läßt über die Bösen und über die Guten, und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte.

O du liebreicher Gott, freundlicher und gnädiger Vater, du Ursprung und Brunnquell aller Liebe und Freundlichkeit, aller Gnade und Barmherzigkeit! Tilge in nur aus alle unordentliche Liebe, die Liebe zur Welt und Kreatur, die eigene Ehre, die Augenlust, die Fleischeslust, das hoffärtige Leben, daß ich dich um dein selbst willen als das höchste Gut, als die ewige Liebe, als die holdseligste Lieblich' keil, als die größte Freundlichkeit, als die überschwenglichste Gütig keil, als die wesentliche Heiligkeit, als lauterste Wahrheit, Gerechtigkeit und Weisheit, von Herzen lieb habe, ohne alle Betrachtung irgend einer Belohnung, eignes Nutzens oder einiger Vergeltung, sondern allein um dein selbst willen, daß ich dir auch mein Herz, meinen Willen und Verstand unterwerfe, und mit Freuden deine Gebote halte und deinen Wille gerne thue: denn darin bestehet die wahre Liebe gegen dich. O ewige, heilige Liebe, lehre mich lieben. Amen.

Am 7. December.

Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbei gekommen.“ Röm. 13, 12.

Morgenglanz der Ewigkeit,
Licht von unerschaffnem Lichte!
Schick' uns diese Morgenzeit,
Deine Strahlen zu Gesichte,
Und vertreib durch deine Macht
Unsre Nacht.

Deiner Güte Morgenthau
Fall' auf unser matt Gewissen,
Laß die dürre Lebensau'
Lauter süßen Trost genießen,
Und erquick' uns, deine Schaar,
Immerdar.

Gieb, daß deiner Liebe Gluth
Unsre kalten Werke tödte,
Und erweck' uns Herz und Muth
Bei erstandner Morgenröthe,
Daß wir, eh' wir gar vergehn',
Recht aufstehn.

Laß uns ja das Sündenkleid
Durch des Bundes Blut vermeiden,
Daß uns die Gerechtigkeit
Möge wie ein Nock bekleiden,
Und wir so vor aller Pein
Sicher sein.

Leucht' uns selbst in jene Welt,
Du verklärte Gnadensonne,
Führ' uns durch das Thränenfeld
In das Land der süßen Wonne,
Da die Lust, die uns erhöht,
Nie vergeht.

Amen!

Am 8. December.

Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, und zwischen deinem Samen und ihrem Samen, derselbe soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.“ 1. Mos. 3, 15.

Wohl war durch den Sündenfall die Gemeinschaft des Menschen mit Gott gestört, aber die Langmuth und Gnade Gottes war nicht erschöpft. Adam und Eva hatten ihr Herz von dem lieben himmlischen Vater abgewendet und die Hand nach der verbotenen Frucht ausgestreckt, waren auch, da Leugnen und Lügen vor dem Flammenauge des Allwissenden nichts half, der Frevelthat geständig worden und warteten mit Furcht und Zittern auf den Ausbruch des gerechten Gottesgerichtes. Aber so groß ist die Barmherzigkeit der ewigen Liebe, daß sie tröstet, bevor sie straft, daß sie die Erlösung zusichert, bevor sie den Richterspruch thut. In die erste Sündennacht der Erde leuchtet der Glanz himmlischer Verkündigung. An den Pforten des geschlossenen Paradieses wird dem gefallenen Menschenpaare der Trost einer dereinstigen Erlösung dargereicht.

Der Reihe nach straft Gott der Herr die Uebertreter seines heiligen Willens, zuerst die Schlange, das Werkzeug des Teufels, die am schwersten verschuldet war, dann das Weib, das sich verlocken ließ und den Mann verführte, dann den Adam und zuletzt die ganze unvernünftige Kreatur, die nun der Eitelkeit unterworfen ist. Aber mitten aus dem Zorn, den die Sünde und der Ungehorsam erweckt hat, blickt Gottes Gnade und Barmherzigkeit hervor, und dem Schwerte geht die Palme zur Seite. In dem Fluchurtheil Gottes über die Schlange liegt zwar dunkel, aber doch bestimmt gefaßt die Verkündigung eines zukünftigen Heils für die armen elend gewordenen Opfer der argen Satanslist. Und dieses Heil ist genannt „des Weibes Same,“ des Weibes Sprößling. Im Weibe der erste Same des Bösen, dem Samen des Weibes die erste Verheißung. Der vom Weibe Geborene, welcher der Schlange den Kopf zertreten, dem alten Feinde Gottes und der Menschen, dem Satan, alle seine Gewalt rauben soll, kann kein bloßer Mensch, auch kein Engel, sondern muß Einer sein, der über alle Kreaturen, auch über die Engel erhaben ist; denn wer die Macht der Sünde und des Todes überwinden will, der muß in sich selbst das Leben haben, und das hat nur der Sohn Gottes, dem der Vater gegeben hat das Leben zu haben in ihm selber. Jesus Christus, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz gethan (Gal. 4, 4), kann also allein der Weibessame sein, der der Schlange den Kopf zertreten, aber auch den Fersenstich derselben erdulden sollte, also daß in diesem Kampfe sein theures Blut fließt. Siehe da den ganzen Gnadenrathschluß Gottes in wunderbarer Kürze, das erste Evangelium, das den Menschen zum Stern werden mußte in ihren Nächten und all ihre Thränen trocknen. Der Advent des Herrn ist ihnen aufgegangen, die Adventsglocken tönen über ihren Häuptern und die Adventskerzen sind angezündet vor ihren Augen.

O ewige Liebe, heiliges Erbarmen! Dein Wort ist wahrhaftig und was du zusagst, das hältst du gewiß! Amen.

Am 9. December.

Und der Herr sprach zu Abraham: „Durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, darum, daß du meiner Stimme gehorchet hast.“ 1. Mos. 22, 18. Die Stimme der Weissagung, welche im Paradiese dem gefallenen Menschen ganz allgemein den Weibessamen verkündet, der der Schlange den Kopf zertreten, und den sie in die Ferse stechen sollte, ertönt wieder, aber viel klarer und bestimmter. Es folgt, wie Luther sagt, die rechte Verheißung, die man mit goldnen Buchstaben schreiben und in alle Lande sprechen, rühmen und preisen soll.

Als es in der Welt dunkler und immer dunkler ward, ließ Gott aus dem Verderben, welches die gottlos gewordene Menschheit verschlang, weil sie seinen Geist sich nicht strafen lassen wollte, den Noah übrig bleiben, daß er seinen Namen verkündige und Sem's Geschlecht als dasjenige bezeichne, in welchem der Herr selber seine Stätte haben will. Weiterhin berief er den Abraham zum Vater der Gläubigen, führte ihn in ein fremdes Land, um ihn den verderblichen Einflüssen des Götzendienstes zu entziehen, der in Abrahams Familie bereits eingedrungen war, und ließ seinen treuen, demüthigen Knecht hinausschauen in die Tage, wo seine Nachkommen zahllos sein werden wie die Sterne am Himmel, wie der Sand am Meere, wo in dem Manne Gottes alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden sollen. Und fragst du nach der Erfüllung dieser Adventsbotschaft, siehe, in Palästen und Hütten, von den Lippen des unmündigen Kindes, wie des erfahrenen Greises hören wir einen Namen, der ein Segen geworden ist für alle Geschlechter und alle Zeiten, für Arm und Reich, für Hoch und Niedrig, für Mann und Weib, den Namen Dessen, der zu Abrahams Kindern spricht: „Abraham, euer Vater, ward froh, daß er meinen Tag sehen sollte; und er sahe ihn und freute sich“ (Joh. 8, 56), den Namen des hochgelobten Gottes- und Menschensohnes, der dem Fleische nach von Abraham abstammet, und gleichwohl sagen kann: „Ehe denn Abraham war, bin ich.“ (Joh. 8, 58.)

Jesus Christus ist der Segen und das Heil der Welt geworden. Licht, Liebe und Leben strömen aus seiner Gottesfülle. Suchen wir Licht und Klarheit und wahre Bildung des Geistes: in Christo liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und Erkenntniß. Durch sein Evangelium sind Kunst und Wissenschaft, Gewerbfleiß und Handel, Staat und Familie geordnet, geheiliget und verklärt worden. „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsterniß, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh. 8, 12.) Wollen wir Liebe lernen, die Liebe, die für Anderer Wohl und Wehe dem eigenen Glücke entsagen kann: Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde. Auf Golgatha strahlt sie im herrlichsten Glanze. Das Evangelium hat die Fesseln der Sclaven zerbrochen, dem verachteten Weibe den gebührenden Ehrenschmuck wieder verliehen und Frieden und Eintracht in die Häuser und Herzen gebracht. „Dabei wirb Jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe habt unter einander.“ (Joh. 13, 35.) Sehnen wir uns nach wahrhaftigem Leben, dem Leben, das frei ist von Sündendienst und Sündenangst: das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde. Frieden mit Gott, Ruhe des Gewissens, Kraft zum Wandel, Geduld im Leiden, Trost im Sterben, Freudigkeit am Tage des Gerichts - das ist das Segenstheil, das Christus all den Seinen darreicht. „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ (Matth. 11,28.)

Ja, Herr Jesu, in dir und durch dich sind wir gesegnet in Zeit und Ewigkeit; du machst aus uns Knechten der Sünde und des Todes selige Kinder Gottes! Amen.

Am 10. December.

Freue dich und frohlocke, o gläubige Seele, denn dein Könige kommt. Er ist dein Schöpfer und Erlöser, lange erwartet, heiß ersehnt. Dort ist der Himmel, von dannen er ausgeht, hier die Welt, in die er eintritt. Es kommt zu den Irrenden der Weg, zu den Unwissenden die Wahrheit, zu den Blinden das Licht, zu den Todten das Leben. Er selber kommt, der Herr dein Gott, der dich gemacht hat, sein Volk aus der Hand des Todes zu erretten, die Banden der Hölle zu zerreißen und den Eingang zur ewigen Seligkeil zu öffnen.

O bedächtest du es recht, welche Herrschaft ihm gegeben ist, welche Mächte ihm unterthan sind, du würdest die Thore deines Herzens weit aufthun, um den König der Ehren zu empfangen. Nicht bloß als Fremdling will er bei dir einkehren; er will zu dir kommen und Wohnung bei dir machen, denn von Ewigkeit her hat er dich geliebet. Heil dir, o Seele, wenn du mit Liebessehnsucht ihn zu dir einladest, den keine Kreatur würdig aufzunehmen vermag!

Auf und mache dich bereit,
Denn dein König kommt gegangen;
Thu' ihm auf die Thore weit.
Um ihn würdig zu empfangen;
Ebne freudig ihm den Pfad,
Wenn er deinem Herzen naht.

Denke, wie er für dich stritt
Und den Frieden dir erworben,
Wie er Schmach und Schmerzen litt
Und am Kreuz für dich gestorben,
Wie er ging zum Vater ein,
Daß du könnest selig sein.

Nimm ihn auf, den hohen Gast,
Zünd' ihm an der Andacht Kerzen,
Gönn' ihm eine stille Rast,
Bett' ihn sanft in deinem Herzen,
Gieb mit demuthsvollem Sinn
Ihm dich ganz zu eigen hin.

Laß ihn nicht von dannen ziehn,
Halt' ihn fest für alle Zeiten,
Schlinge liebend dich um ihn
Und laß nichts von ihm dich scheiden;
Denn mit ihm kannst du allein
Glücklich hier, dort selig sein.

Amen!

Am 11. December.

Es wird das Scepter von Juda nicht entwendet werden, noch ein Meister von seinen Füßen, bis daß der Held komme, und demselbigen werden die Völker anhangen.“ 1. Mos. 94, 10.

Diese Weissagung wurde laut, nachdem Abrahams Familie sich über das Land verbreitet hatte und ein Volk geworden war. Aus dem Munde des sterbenden Erzvaters Jakob vernehmen wir einen Schwanengesang im höhern Chor. Vom Geiste Gottes getrieben, verkündet der greise Seher, was seinen zwölf Söhnen begegnen wird in künftigen Zeiten, richtet ihre Blicke hin auf das verheißene Land und bezeichnet Juda als den Siegerstamm voll Löwenmuth, der das königliche Scepter führen und aus dem der Held, der Friedefürst, kommen werde, welchem alle Völker anhangen sollen. . Des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiß. Als die Zeit erfüllet war, als Israels Glanz und Ehre verschwunden und wie ein morscher Stab zerbrochen war, da erschien Der, in welchem Juda's Herrschaft gipfelt, Der, über dessen Krippe die Engel der Welt den Friedensgruß bringen, der ein seliges Friedensreich gegründet auf Erden, der das Königsscepter ergriffen und das Wort gesprochen hat: Du sagest es, ich bin ein König! Christus allein ist der Held aus Juda, dem die Völker anhangen. „Er herrschet von einem Meere bis an das andere, und von dem Wasser an bis zur Welt Ende.“ (Ps. 72, 8.) „Er heißt Wunderbar, Nach, Kraft, Held, Ewigvater, Friedefürst.“ (Jes. 9, 6.) Er ist gekommen als Friedensfürst, nicht auf stolzem Streitroß, sondern reitend auf einem Esel und auf dem Füllen der lastbaren Eselin, Heil und Frieden seinem Volke zu bringen und Segen auszubreiten über alle Geschlechter der Erde.

Freilich hören wir die wehmüthige, in der Wahrheit gegründete Klage: Er kam in sein Eigenthum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf; er kam als der verheißene Nachkomme Abrahams, als der ersehnte Held aus Juda's Stamm, als der Stern aus Jakob, als der längstgewünschte Davidssohn, als der von dem Täufer verkündigte König des Himmelreichs: aber Israel eilt ihm nicht entgegen mit fröhlichem Beifall und unterwürfiger Huldigung. Sie verachten sein Wort und verschmähen seine Liebe. Wunden ohne Zahl werden der ewigen Liebe, die in's Fleisch gekommen war, geschlagen, und endlich wird der Herr der Herrlichkeit von seinen Feinden gekreuzigt und getödtet. Darum ist die heilige Stadt in einen Trümmerhausen verwandelt worden, also, daß kein Stein auf dem andern blieb, und des Propheten Wort erfüllet ward: „Ich will sie heimsuchen mit vielerlei Plagen, spricht der Herr; mit dem Schwerte, daß sie erwürget werden; mit Hunden, die sie schleifen sollen; mit den Vögeln des Himmels und mit Thieren auf Erden, daß sie gefressen und verweset werden sollen, und ich will sie in allen Königreichen auf Erden hin und her treiben lassen.“ (Jer. 15, 3 u. 4.) Aber die von Israels Kindern dem Friedefürsten anhingen, sind gerettet wie ein Brand aus dem Feuer und bekennen laut: Nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum! und wenn sie in Ketten und Banden liegen, rufen sie: Freuet euch in dem Herrn allewege und abermal sage ich, freuet euch! und wenn sie unter Mörderhänden verbluten, triumphieren sie: „Siehe, ich sehe den Himmel offen, und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“ '.

O Held aus Juda's Stamm, gieb, daß ich mich je mehr und mehr unter dein gnädiges Scepter beuge, dir anhange und diene in Gerechtigkeit. Amen.

Am 12. December.

Herr Gott, himmlischer Vater, wir danken deiner Gnade, daß du uns deinen Sohn gesandt hast und ihn gesetzet zum König der Gerechtigkeit, und zu unserm Heiland und Erlöser, der uns aus dem Reiche der Finsterniß errette und uns Gerechtigkeit, Heil und Seligkeit verleihe. Wir bitten dich aber auch: erleuchte uns in seiner Erkenntniß und stärke uns im rechten wahren christlichen Glauben, daß wir ihn für unsern König und Seligmacher halten, annehmen und loben, und mit unsern Gaben und Kräften, mit Allem, was wir von dir Gutes haben und vermögen, ihm unterthan sein und dienen mögen, und er seine Wohnung unter uns und in uns habe, und wir allezeit in seinem Reiche und in seinem Gehorsam und Dienste bleiben. Neige der Fürsten und Gewaltigen Herz und Willen, daß sie dem Könige aller Könige und Herrn der Herrlichkeit aufthun ihre Pforten und Thore, laß ihn einziehen in ihre Lande. Städte und Kirchen, daß er seine Herberge bei ihnen habe, und mit seinem Wort und Geist regiere und herrsche. Steure dagegen und wehre allen Denen, die Christo die Pforten zuschließen und ihm den Eingang wehren, oder ihn gar vertreiben und von sich stoßen; dagegen dem Antichrist, falschen Lehrern und Schwärmern Thore und Thüren weit aufthun. Mache ihr böses Vornehmen und ihre Anschläge zunichte. Beweise deine Macht und Barmherzigkeit an den armen Menschen, die noch in den Banden des Aberglaubens und in der Trostlosigkeit des Unglaubens, in Abgötterei und allerlei gottlosem Wesen und falscher Lehre gefangen sind, daß Christus auch zu ihnen komme, und sein Reich des Lichts, der Wahrheit und Gerechtigkeit bei ihnen aufrichte, und du ewiger Vater, samt demselben deinem Sohne und dem heiligen Geiste überall mit Lob und Preis und Anbetung deines heiligen Namens gerühmet und geehret werdest.

Lob sei dem allerhöchsten Gott,
Der unser sich erbarmet hat,
Gesandt sein'n allerliebsten Sohn,
Aus ihm gebor'n im höchsten Thron.

Auf daß er unser Heiland würd',
Uns frei macht von der Sündenbürd',
Durch seine Gnade und Wahrheit
Führte zur ewigen Klarheit.

O große Gnad' und Gütigkeit!
O tiefe Lieb' und Mildigkeit!
Gott thut ein Werk, das ihm kein Mann
Und auch kein Engel nachthun kann.

Amen!

Am 13. December.

Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie heißen Immanuel.“ Jes. 7,14.

Dies Wort ist ein neues Adventslicht, das hinein leuchtet in die lange Nacht, die seit dem Sündenfall über das Menschengeschlecht sich gelagert hatte. In jenem ahnungsvollen Wort, das uns am Morgen der Weltgeschichte begegnet (1. Mos. 3, 15.), war bloß von dem Nachkommen eines Weibes die Rede, und Eva, die Mutter der Lebendigen, in dem irrigen Glauben, sie selbst sei gemeint, hatte bei der Geburt des ersten Sohnes das Wort ausgerufen: „Ich habe den Mann, den Herrn!“ Ach, nur in weiter, weiter Ferne leuchtet der Stern der Verheißung.

Viele Jahrhunderte sind vorübergerauscht. Israel ist herangewachsen zu einem großen Volke, mit welchem der Herr, bald nach der wunderbaren Errettung aus dem Diensthause Egypten, durch Moses den friedlichen Bund schließt am Sinai. Die prophetische Stimme ertönt fort, enthüllt Gottes Rath und knüpft an das Haus Davids die Erwartung der Völker, die Verheißung des Herrn. An den Sohn Isais, des Bethlehemiten, ergeht das Wort: „Wenn nun deine Zeit hin, daß du mit deinen Vätern schlafen liegest, will ich deinen Samen nach dir erwecken, der von deinem Leibe kommen soll, dem will ich sein Reich bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen und ich will den Stuhl seines Königreichs bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein und er soll mein Sohn sein.“ (2. Sam. 7, 12. 13.) Immer heller und völliger verkünden die heiligen Propheten den Heiland der Welt, und ihre Schilderung steigt zu einer Herrlichkeit auf, die kein Mensch tragen, zu einem Reiche, das kein Mensch stiften kann. So sieht Jesaia, der Evangelist des Alten Bundes, im Geiste die reine, gebenedeiete Jungfrau, wie sie die Mutter des Weltheilandes wird. Eine Jungfrau hat der heilige Geist selbst geheiligt zu einer Wohnung Gottes, auf daß wir klar und deutlich erkennen, hier sei nicht ein gewöhnlicher Mensch von unten her, wie wir und unsere Kinder, sondern ein zweiter Adam, unmittelbar aus Gottes Schöpferhand hervorgegangen, von den Sünden abgesondert und mit dem vollen Glanze des göttlichen Ebenbildes geschmückt, wie der erste Adam vor dem Sündenfalle. Jesus Immanuel trägt des ewigen Vaters Natur an sich, ist gleicher Gott von Macht und Ehren, um ihn wohnet die Fülle der Gottheit leibhaftig, also, daß keine Zunge seine Größe ausreden und kein Verstand seine Herrlichkeit ermessen kann. Und wie er wahrhaftiger Gott ist vom Vater in Ewigkeit geboren, so ist er auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren: er hat unsere menschliche Natur angenommen, damit wir ihn um uns haben und sehen könnten, wie er ist, damit er, der Heilige und Gerechte, an unsrer Statt leiden und sterben könnte und mit seinem Blute bezahlen, was wir schuldig sind. Jesus Immanuel ist uns auf's Innigste verbunden, ist unser Bruder geworden. O der wunderbaren Gnade des himmlischen Vaters, daß er also seinen Liebesrath erfüllt hat!

Gelobet seist du, Jesu Christ,
Daß du Mensch geboren bist
Von einer Jungfrau, das ist wahr,
Deß freuet sich der Engel Schaar.

Des ew'gen Vaters einig Kind
Jetzt man in der Krippe find't,
In unser armes Fleisch und Blut
Verkleidet sich das ew'ge Gut.

Den aller Welt Kreis nie beschloß,
Der liegt in Mariens Schoß;
Er ist ein Kindlein worden klein,
Der alle Ding' erhält allein.

Amen!

Am 14. December.

Denen zu Zion wird ein Erlöser kommen, und Denen, die sich bekehren von den Sünden in Jakob, spricht der Herr.“ Jes. 59, 20.

Dein Mittler kommt, gebeugte Seele,
Die ein erwacht Gewissen schreckt,
Das Gottes heilige Befehle,
Der Sünde Greuel dir entdeckt.
Er kommt, bringt deinem wunden Herzen
Erquickung, Trost für bittre Schmerzen;
Er bricht dir selbst die Freudenbahn.
Durch ihn darfst du Vergebung hoffen;
Gott ist versöhnt, der Himmel offen.
O bete deinen Mittler an!

Dein Lehrer kommt, mit Himmelsklarheit
Trägt er das Wort des Lebens vor;
Aus seinem Mund spricht Gnad' und Wahrheit;
Begierig öffn' ihm Herz und Ohr!
Er wird dich von den Finsternissen
Des Irrthums zu befreien wissen;
Es strahlt aus ihm der Gottheit Licht.
Er klärt dir auf des Vaters Willen;
Er giebt dir Kraft, ihn zu erfüllen.
Ihn hören sei dir Luft und Pflicht!

Dein König kommt, doch ohne Prangen;
Sein Aufzug ist an Armuth reich.
Auf! deinen Herrscher zu empfangen!
Er ward zu deinem Trost dir gleich.
Zu Gottes Bild dich zu erheben,
Erniedrigt er sein göttlich Leben;
Er stirbt für dich auf Golgatha.
Nun thu, wie treue Unterthanen;
Geselle dich zu seinen Fahnen
Und bleib ihm stets in Liebe nah!

Dein Alles kommt, dich zu beglücken;
Er kommt, der dich mit Gott vereint.
Drum laß die Welt dich nicht berücken;
Erkenn' im Mittler deinen Freund!
Was könnte sonst dir Rettung geben?
Bei ihm ist Segen, Fried' und Leben;
Bei ihm ist Alles, was dir frommt.
Zerbrich die Fesseln, die dich schänden;
Empfang' dein Heil aus Jesu Händen!
Q armes Nichts, dein Alles kommt!

Amen!

Am 15. December.

In denselbigen Tagen und zur selbigen Zeit will ich dem David ein gerecht Gewächs aufgehen lassen; und soll ein König sein, der wohl regieren wird, und soll Recht und Gerechtigkeit anrichten auf Erden. Zu derselbigen Zeit soll Juda geholfen werden, und Jerusalem sicher wohnen; und man wird ihn nennen: der Herr, der unsere Gerechtigkeit ist.“ Jer. 33. 15 u. 16.

Mit dieser lieblieblichen Verheißung tröstet der treue Gott sein Volk, das in der Trübsal der babylonischen Gefangenschaft seufzet. Vor dem Auge des Propheten enthüllt er das Bild der zukünftigen Tage, in welchen das gnädige Wort, das im Anfang war, und durch welches alle Dinge gemacht worden sind und das bei Gott war, erwecket werden soll. Er läßt den heiligen Seher hinausschauen in die fernen Gnadentage, da aus dem Stamme Juda und aus dem Geschlechte Davids ein Sproß erblühen, ein König kommen soll, der das diesem Hause entsunkene Zepter wieder ergreifen, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit anrichten wird auf Erden. Und mit dieser seiner Hülfe will der Herr nicht warten, bis Israel die hohe Forderung erfüllt habe: ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig! sondern man wird Ihn nennen: der Herr, der unsere Gerechtigkeit ist. Auf wunderbare Weise wird der Verheißene sein eigenes Leben zum Opfer bringen, damit wir, die wir allzumal Sünder sind und keine Gerechtigkeit haben, in ihm die Gerechtigkeit hätten, die vor Gott gilt. Und dieser wunderbare Gnadenrath Gottes ist erfüllt durch Jesum Christum, der an unserer Statt das Gesetz erfüllt, und die Strafen, welche die Sünde verdient, durch Leiden und Sterben auf sich genommen hat, damit durch seinen thätigen und leidenden Gehorsam dem Menschen die Gerechtigkeit und die Versöhnung mit Gott zu Theil werde.

Was hülfe uns auch die Offenbarung der Liebe Gottes, was die Fleischwerdung des ewigen Wortes, was seine Verkündigung der Wahrheit, was seine Hirtentreue, was seine Kreuzespein und sein bittrer Tod, wenn wir Ihn nicht nennen dürften: den Herrn, der unsere Gerechtigkeit ist!

Nun erst können wir dem Tode und der Verdammniß entrinnen, im Glauben zu Gottes Thron, als zu einem Gnadenstuhle, unsere Zuflucht nehmen und dürfen es wagen: „Abba, lieber Vater!“ zu rufen. Nun haben wir Friede mit Gott, in der Anfechtung Kraft und Stärke, im Streite Muth und Sieg, im Leben Freude und im Sterben Trost und Hoffnung, denn der Gerechte und Heilige, der zur Rechten Gottes sitzet, ist unser Bürge und Fürsprecher.

O Geheimniß der Erlösung, großes Werk der Gnade, Werk unendlicher Liebe und Geduld! Das hat der Mensch nicht verdient, das konnte kein Engel vollbringen, das haben die Propheten bewundert, die Apostel gesehen und verkündigt, die Gläubigen und Auserwählten aller Zeiten aufgenommen. Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, um den schuldbeladenen Knecht zu erlösen, hast du den Sohn dahingegeben!

Er stellt sich, uns zu erfreun,
Herr, auf deinen Namen ein.
Bei uns, die wir Sünder sein-,
Tritt der Sünder Heiland ein.

Hosianna in der Höh'! ,
Gott reißt uns aus allem Weh';
Ihm sing' alle Christenheit:
Hosianna! weit und breit.

Amen.

Am 16. December.

Und du, Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir Der kommen, der in Israel Herr sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ Micha 5, 1. Dieses prophetische Wort zeigt dem Volke Gottes die Stätte, aus welcher das Licht der Welt hervorbrechen, wo der Heiland aller Völker geboren werden sollte: es ist Bethlehem, die Stadt Davids, die ehedem Ephrata hieß, kaum genannt in der Geschichte Israels, durch keine Schlachten und Thaten und Kunstwerke berühmt, davon die Welt erzählt, auch nicht verherrlicht durch große Offenbarungen Gottes, dazu an Umfang zu klein, um unter die Städte von tausend Familien aufgenommen zu werden. Aber in anderer Beziehung war sie- mit nichten die kleinste unter den Städten Juda's; ihr war es aufbehalten, die herrlichste zu werden unter allen Städten der Erde.

Bethlehem war der Ort, darauf die Sehnsucht und Hoffnung der Gläubigen in Israel gerichtet war. Unter dem Joch des Gesetzes, verstoßen vom Herde der Väter, unter der schweren Hand einer Dränger, sah das Volk, wenn auch aus weiter Ferne, ein Licht der Freude und des Trostes heraufdämmeren. Wohl manches bekümmerte Herz schaute hin nach Bethlehem, holte sich von da Muth und Geduld und sprach zu sich selber: Harre aus, denn dein Heiland wird kommen; die Hütte ist ihm schon bereitet! Und siehe,

Was der alten Väter Schaar
Höchster Wunsch und Sehnen war,
Was vordem sie prophezeit,
Ist erfüllt in Herrlichkeit.

Wie Bethlehem schon einmal die Wiege eines großen Königs, des David, gewesen war, sollte auch hier die Krippe stehen, in welche die ewige Liebe des Vaters den eingebornen Sohn legte, den er lieb hatte, und den er der Welt schenkte als ein Pfand seiner Liebe und als einen Bürgen seiner Gnade. Aus Bethlehem ist gekommen, der in Israel Herr sei, der Ewige, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist, der Menschensohn und Gottessohn, der Trost Abrahams, die Hoffnung Israels, der Segensbringer über alle Völker auf Erden, Der, von welchem Johannes sagt: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort, - und das Wort ward Fleisch.“ Der, welcher von sich sagen konnte: „Ehe denn Abraham war, bin ich“ - Jesus Christus, gestern und heute und derselbige auch in Ewigkeit!

Bethlehem ist wirklich, was es heißt: ein Brodhaus, denn, hier, ward uns dargereicht das wahrhaftige Brod, das. vom Himmel herabgekommen, allen Hunger ewiglich stillet. Hier wird dem Uebertreter gewehret, und die Sünde zugesiegelt, die Missethat versöhnet und die ewige Gerechtigkeit gebracht und der Allerheiligste gesalbt. (Dan. 9, 24.) Bethlehem ist die neue Geburtsstätte für alle Menschenherzen, die des Friedens und des Trostes und der Gnade bedürfen. Voll Dank und Freude blicken wir darum auf die Stadt, wo die Erbauung Gottes sich aller Welt hat aufgeschlossen.

Vom Himmel kam der Engel Schaar,
Erschien den Hirten offenbar:
Sie sagten ihn'n: Ein Kindlein zart,
Das liegt dort in der Krippen hart,
Zu Bethlehem, in Davids Stadt,
Wie Micha das verkündet Hat.
Es ist der Herre Jesus Christ,
Der euer aller Heiland ist.

Amen!

Am 17. December.

Sein Rath ist wunderbarlich und führet es herrlich hinaus.“ Jes. 28, 29.

Aller Rath des Herrn ist wunderbarlich, keiner aber wunderbarlicher, als der Rathschluß unserer Erlösung durch Christum. Dies stellet einer der Kirchenväter durch folgendes sinnreiche Gleichniß in ein schönes Licht. „Siehe,“ spricht er, als die Menschheit in den tiefsten Jammer versunken war, da traten die Barmherzigkeit und Wahrheit zu gleicher Zeit vor den Thron Gottes. Die Barmherzigkeit sprach: die vernünftige Kreatur bedarf der Rettung, sie ist im schrecklichsten Elend; die Wahrheit dagegen: nein, Herr, du mußt dein Wort halten; Adam muß sterben mit seinen Nachkommen, weil sie alle gesündigt haben. Als sich nun diese beiden eine Weile gestritten hatten, ohne daß die eine der andern nachgeben wollte, neigte sich der Richter nieder und schrieb solches mit seinem Finger: „Du sagst: stirbt Adam nicht, so ist es um mich geschehen, und du: erlangt er kein Erbarmen, so ist es um mich geschehen. Der Tod soll etwas Gutes werden, so wird euch beiden Genüge gethan.“ Da erstaunte der ganze Himmel über das tiefe Wort der Weisheit. Aber, wie mag das zugehen? fragte man. Ist doch der Tod so grausam und bitter; wie soll er gut werden? Darauf sprach der Richter: „Der Tod von Sündern ist schrecklich, der Tod von Heiligen aber kann sogar köstlich werden. Oder sollte er es nicht sein, wenn er der Eingang zum Leben, die Pforte zur Herrlichkeit würde? - Ja, dann ist er köstlich, sprechen die Himmlischen. Aber wie soll es dahin kommen? - Es darf nur Jemand aus Liebe sterben, der nicht zu sterben braucht, entgegnet der Herr. Denn die Liebe ist stark wie der Tod, ja noch stärker. Dringt sie in seinen Palast, so bindet sie ihn, raubt ihm alle seine Waffen und bahnt den Pfad für viele. - Ein theures und aller Annahme werthes Wort! klingt es ringsum wieder, und die Wahrheit macht sich auf und durchläuft die ganze Erde, ob sie jemand finde, der rein von Sünden wäre; aber sie findet keinen, auch unter den jüngsten Kindern nicht. Die Barmherzigkeit durcheilt zu gleicher Zeit den Himmel und findet unter den Engeln zwar der Reinheit, aber nicht der Liebe genug. Beide kommen traurig und bekümmert zurück, weil sie vergebens gelaufen sind. Da nimmt sie der Friede beiseits und spricht zu ihnen: Ihr wisset und bedenket nichts. Es giebt keinen, der eine solche That thun könne, auch nicht einen. Der den Rath gegeben hat, der mag auch die Hülfe leisten.

Der Herr hatte indeß das leise Gespräch gehört und winkte Gewährung. Sofort mußte der Engel hinabsteigen und der Tochter Zion melden: Siehe, dein König kommt! Und als er dann kam, brachte er den treuen Rathgeber, den Frieden, mit; so daß die Engel sangen: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“

Am 18. December.

Herr, deine Barmherzigkeit übersteigt alle Erkenntniß. Besäßen wir Engelsweisheit, wir könnten dir nimmer vergelten; wandelten sich all unsre Glieder in Zungen, dein Lob könnten wir nicht aussingen. Wie hast du unsere Seelen so unaussprechlich hochgeachtet! Als wir noch deine Feinde waren, da gedachtest du deiner reichen Barmherzigkeit und blicktest herab von deiner Höhe in dies Thränenthal. Du sahest, o Herr, die Noth deines. Volkes, und von süßer Liebe bewegt, singest du an, über uns Gedanken des Friedens und der Erlösung zu denken. Und, obwohl Gottes Sohn, gleiches Wesens mit dem Vater und dem heiligen Geiste, verschmähtest du es nicht, deine Majestät in diesen Kerker herabzuneigen, unser Elend auf dich zu nehmen und uns wiederum zu verherrlichen. O liebenswerthe, wunderbare Gnade!

Nichts, nichts hat dich getrieben
Zu uns vom Himmelszelt,
Als dein getreues Lieben,
Womit du alle Welt
In ihren tausend Plagen
Und großen Jammerlast,
Die kein Mund aufzusagen,
So heiß umfangen hast!

Du bist die einzige Zuflucht aller Menschenkinder. Es ist uns kein Name gegeben, darin wir könnten selig werden, als der deinige, Herr Jesu. Zu dir will ich mich hinwenden glaubend, hoffend, liebend aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüthe und aus allen Kräften, weil du allein hinreichst, du allein errettest, du allein gütig und freundlich bist gegen alle, die deinen Namen suchen und lieben. Was du mir sagst, will ich thun; wohin du mich führest, folgen; was du mir giebst, dankbar annehmen; was du mir auflegst, geduldig tragen; wenn du mich heimsuchst, stille halten; wenn du mich segnest, dir mein Herz aufthun für deinen Himmelssegen.

Du, Herr Jesu Christe, bist der Verlornen Heiland, die Hoffnung der Verbannten, die Kraft der Leidenden, die Hülfe der Unterdrückten, ein süßer Trost geängsteter Herzen, die höchste Zier und Krone der triumphierenden Streiter. Du bist der einzige Lohn und die einzige Freude aller Himmelsbürger, du der reichste Gnadenquell, von dessen Fülle wir alle genommen haben. Dir sei mit dem Vater und dem heiligen Geiste Ehre und Preis und Dank von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!

Am 19. December.

Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg, machet auf dem Gefilde eine ebene Bahn unserm Gotte.“ Jes. 40, 3.

Wie wunderbar hat doch der Herr unser Gott auch diese Weissagung des Propheten erfüllet! Ehe der verheißene Heiland sein Amt antrat, hat man in der Wüste die Stimme des Predigers gehört, der dem hochgelobten Adventskönige den Weg bereiten sollte und der auf die Frage: Wer bist du? antwortete': „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste. Richtet den Weg des Herrn, wie der Prophet Jesaias gesagt hat.“ (Joh. 1, 23.) Der König der Ehren kommt: alle Thäler müssen erhöhet, alle Berge und Hügel müssen geniedrigt, was ungleich ist, muß eben, was höckericht ist, muß schlecht werden. (Jes. 40, 4.) Der Herold, der die Herzen der Menschen auf die Erscheinung des Sohnes Gottes vorbereiten mußte, läßt seine gewaltige Stimme erschallen und mahnt das Volk zur Erneuerung des Herzens und Lebens. „Es ist die Axt den Bäumen schon an die Wurzel gelegt, auf daß abgehauen werde ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt,“ Die Berge des Hochmuthes und Trotzes, darauf so mancher Mensch thront und sich bescheinen läßt von der Sonne seiner eigenen Gerechtigkeit, sie sollen geniedrigt werden, denn Er, der Hohe und Erhabene, will nur wohnen bei Denen, die gedemüthigten Geistes und zerschlagenen Herzens sind; Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und widerstehet den Hoffährtigen. Was in den Herzen ungleich ist, soll eben, und was höckericht ist, soll gerade werden: die unbeständigen, wetterwendischen Menschen sollen es erfahren, daß es ein köstlich Ding ist, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade. Wiederum müssen alle Thäler erhöhet werden: die verzagten Herzen, die voll tiefen Mißtrauens sind gegen Gottes Wort und Verheißung, die ihre Sache verloren geben und sich in Verzweiflung begraben, sie sollen gläubig zu Dem aufsehen, der das Lamm Gottes ist, welches der Welt Sünde trägt, zu Dem, der die ganze Menschheit wunderbar aufgerichtet und erhoben hat. Und dieser Herr ist nahe. Darum mache dich auf, Zion, mache dich auf, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.

Ich will mich aufmachen und ihm fröhlich entgegen gehen, meinem Gott eine ebene Bahn machen und ihm den Weg bereiten in meinem Herzen. Ich will mich demüthigen vor Dem, der da kommt, und noch niedriger werden vor ihm, daß er mich erhöhe zu seiner Zeit und sein Wohlgefallen an mir habe.

Sei willkommen, o mein Heil!
Hosianna, o mein Theil!
Richte dir auch eine Bahn,
Herr, in meinem Herzen an.

Amen!

Am 20. December.

Herr, himmlischer Vater, ewiger Gott, gelobt sei deine göttliche Kraft und Allmacht, deine grundlose Güte und Barmherzigkeit, deine ewige Weisheit und Wahrheit, daß du mich in dieser Nacht mit deiner Hand bedecket, und unter dem Schatten deiner Flügel hast sicher ruhen und schlafen lassen, auch vor dem bösen Feind bewahrt und ganz väterlich beschirmet. Darum lobe ich dich um deine Güte und deine Wunder, die du an den Menschenkindern thust, und will dich in der Gemeine preisen. Dein Lob soll alle Wege in meinem Munde sein. Meine Seele soll allezeit dich, meinen Herrn, rühmen, und was in mir ist, deinen heiligen Namen preisen: nimmermehr will ich vergessen, was du mir Gutes gethan hast. So laß nun dir gefallen das Lobopfer aus meinem Munde, welches ich dir des Morgens früh in Einfalt meines Herzens bringe.

Ich rufe zu dir von ganzem Gemüth: du wollest mich heut diesen Tag behüten vor aller Gefahr Leibes und der Seelen, und deinen lieben Engeln über mir Befehl thun, daß sie mich behüten auf allen meinen Wegen. Umgieb mich rings mit deinem Schild, und führe mich auf den Steig deiner Gebote, daß ich unsträflich wandle in deinem Dienst, wie die Kinder des Tags, zu deinem Wohlgefallen. Wehre dem bösen Feind und allen Aergernissen dieser Welt; dazu steure meinem Fleisch und Blut, daß ich nicht von ihnen überwältigt, wider dich handle und dich mit meinen Sünden erzürne. Regiere mich mit deinem heiligen Geist, daß ich nichts vornehme, thue, rede oder gedenke, denn allein was dir gefällig ist und zu Ehren deiner göttlichen Majestät gereicht.

Siehe, mein Gott, ich übergebe und opfre mich ganz und gar zu eigen in deinen Willen, mit Leib und Seele, mit allem Vermögen und Kräften, innerlich und äußerlich. Mache du mich dir zu einem Opfer, das da lebendig, heilig und dir wohlgefällig sei, damit ich dir einen vernünftigen und angenehmen Gottesdienst leiste. Darum, du heiliger Vater, allmächtiger Gott, laß mich dein Eigenthum sein, regiere mein Herz, Seele und Gemüth, daß ich nichts denn dich wisse und verstehe. Herr, frühe wollest du meine Stimme hören; frühe will ich mich zu dir schicken und darauf merken; frühe will ich dich loben und des Abends nicht aufhören, durch Jesum Christum. Amen.

Am 21. December.

Und als Jesus zu Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist Der?“ Matth. 21, 10.

Als Jesus in Jerusalem einzieht, ist Alles in Bewegung und Einer fragt den Andern: „Wer ist Der?“ Das ist nicht zu verwundern, denn es kommt Der, auf welchen Jerusalem samt dem ganzen Israel, ja samt der ganzen Menschheit von Anfang an gehoffet, und auf welchen alle Propheten haben zuvor geweissagt. So oft aber Advent geseiert wird, ziehet Jesus in seine Kirche ein, deren Glieder diejenigen sind, die nicht allein auf ihn hoffen, sondern auch auf seinen Namen getauft sind, die sein Brod essen, die von seiner Gnade leben, die nach seinem Namen sich nennen. Man sollte nicht anders erwarten, als daß diese alle noch viel mehr sich erregeten, Wenn Christus bei ihnen einzieht, als die dort zu Jerusalem: aber ihrer Viele kümmern sich gar nicht darum, ob er kommt oder geht; sie fragen nicht einmal: Wer ist der? Aber wenn ihr auch nicht fragt, will ich euch doch sagen, wer er ist, ob ich euch vielleicht dadurch reizen möchte, nach ihm zu fragen. Das Volk sprach zu Denen, die da fragten: Wer ist der? „Das ist der Jesus, der Prophet von Nazareth aus Galiläa.“

Es hat aber nur die Hälfte von dem gesagt, was er wirklich ist. Denn er ist nicht allein der Prophet von Nazareth, sondern auch der Prophet, der in die Welt kommen sollte, mächtig von Thaten und Worten, vor Gott und allem Volk, aller Propheten und Prediger Lehrer, das Wort selbst, das im Anfang bei Gott war. Er ist weiter der Hohepriester, dem nicht noch ist, wie dem menschlichen Hohenpriester für die eigene Sünde Opfer zu thun, danach für des Volkes Sünden, sondern der da ist heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern abgesondert und höher, denn der Himmel ist; der durch sein eigenes Blut einmal in das Heilige ist eingegangen, hat eine ewige Erlösung erfunden und kann selig machen immerdar, die durch ihn zu Gott kommen und lebet immerdar und bittet für sie. Er ist nicht allein der König von Israel, sondern ein König aller Könige, ein Herr aller Herren, welchem ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden, und vor dem sich beugen müssen alle Kniee Derer, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind. Er ist das Ebenbild Gottes und der Abglanz seiner Herrlichkeit, eins mit dem Vater; durch ihn ist die Welt gemacht, er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort; er wird herrschen, bis alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind; von Ewigkeit zum Erlöser der Menschen bestimmt, und als die Zeit erfüllt war, Mensch geboren von der Jungfrau Maria, und durch seine heilige Geburt, durch sein göttliches Leben, durch sein unschuldiges Leiden, durch sein verdienstliches Sterben, durch seine siegreiche Auferstehung, durch seine glorreiche Himmelfahrt als Heiland der Welt bestätigt, außer welchem kein Heil weder in Zeit noch' in Ewigkeit zu finden; das Licht der Blinden, der Arzt aller Kranken, der Stab der Schwachen, das Brod der Hungrigen, der Versorger der Armen, der Helfer der Elenden, der Tröster der Betrübten, die Ruhe der Mühseligen, der Freund der Sünder, das Leben der Todten. Der ist's der da kommt!

Hosianna! sei willkommen,
Christe, kehre bei uns ein!

Amen.

Am 22. December.

Blind war die Menschheit geworden und hatte beide Augen, den Sinn für das Gesetz und den Sinn für die Erkenntniß Gottes verloren; taub war sie geworden, denn sie hörte nicht auf Gottes Stimme; lahm, denn sie konnte den Weg des Glaubens und der Tugend nicht gehen, stumm, denn Satanas hatte ihren Mund verschlossen. Sie dachte nicht mehr an Gott und lobte ihn nicht mehr. Und was singt, was redet doch Einer, der Zions Lied, das neue Lied nicht anstimmt?

DA aber Immanuel kam, hat er den Nebel der Sünde und Unwissenheit, der sich über den Weltkreis gelagert hatte, zertheilt, hat die Augen der Blinden und die Ohren der Tauben geöffnet, hat den Lahmen zu einem geistlichen Aufschwunge verholfen, nämlich vom Laster zur Tugend, von der Erde zum Himmel; hat die Zungen der Stummen zum Lobe Gottes gelöst. Er ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren war. Er suchte das verlorne Schaf und fand es, er trug es auf seinen Schultern zur Herde zurück der liebreiche Herr und der sehr liebreiche Hirt.

Wer hat solches je gehört? Wer müßte über so tiefes Erbarmen nicht staunen? Wer sich nicht freuen über die unendliche Liebe, mit der er uns geliebet hat? Ja, Herr, deine Barmherzigkeit übersteigt alle Erkenntniß. Besäßen wir Engelsweisheit, wir könnten dir nimmer vergelten, wandelten sich alle unsere Glieder in Zungen, dein Lob könnten wir nicht aussingen. Wie hast du die menschliche Natur so unaussprechlich hoch geehrt! Mit dem Kleide der Auferstehung und Unsterblichkeit verklärt, emporgeführt über alle Himmel, über Cherubim und Seraphim, sitzet sie zu deiner Rechten. Es preisen sie die Engel, es beten sie an die Herrschaften, und alle Gewalten verehren tief erbebend den Gottmenschen. Amen.

Am 23. December.

Saget der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmüthig.“ Matth. 21, 5.

Dein König kommt in niedern Hüllen,
Ihn trägt der lastbarn Es'lin Füllen,
Empfang' ihn froh, Jerusalem!
Trag' ihm entgegen Friedenspalmen,
Bestreu' den Pfad mit grünen Halmen,
So ist's dem Herren angenehm.

O mächt'ger Herrscher ohne Heere,
Gewaltiger Kämpfer ohne Speere,
O Friedensfürst von großer Macht!
Es wollen dir der Erde Herren
Den Weg zu deinem Throne sperren,
Doch du gewinnst ihn ohne Schlacht.

Dein Reich ist nicht von dieser Erden,
Doch aller Erden Reiche werden
Dem, das du gründest, unterthan.
Bewaffnet mit des Glaubens Worten
Zieht deine Schaar nach den vier Orten
Der Welt hinaus und macht dir Bahn.

Und wo du kommest hergezogen,
Da ebnen sich des Meeres Wogen,
Es schweigt der Sturm von dir bedroht.
Du kommst, auf den empörten Triften
Des Lebens neuen Bund zu stiften,
Und schlägst in Fesseln Sünd' und Tod.

O Herr von großer Huld und Treue,
O komme du auch jetzt auf's Neue
Zu uns, die wir sind schwer verstört.
Noth ist es, daß du selbst hienieden
Kommst zu erneuen deinen Frieden,
Dagegen sich die Welt empört.

O laß dein Licht auf Erden siegen,
Die Macht der Finsterniß erliegen,
Und lösch' der Zwietracht Glimmen aus;
Daß wir, die Völker und die Thronen,
Vereint als Brüder wieder wohnen
In deines großen Vaters Haus!

Amen!

Am 24. December.

O ewiger Vater unsers Herrn Jesu Christi, wir bitten dich durch die heilige Erscheinung deiner Leutseligkeit und Freundlichkeit: schenke uns deinen liebsten Sohn zum rechten Christgeschenk in unsere Herzen, damit du auch an uns in ihm Wohlgefallen habest. Schleuß auf dein Vaterherz und gieb uns diesen Schatz geistlich, wie du ihn vormals leiblich gabst und auf Erden sandtest. Mache uns nun seiner heiligen Menschwerdung in der That theilhaftig, daß wir alle die Seligkeit fassen und genießen, die du uns bereitet und er gebracht hat.

O du liebster Jesu, reiche uns doch deine heilige Hand, und, rufe uns zu dir, denn du bist kommen, uns dir zu holen aus diesem Jammerthal. Du, unsre Hoffnung, unser Heil, unser Alles! Ach, entzünde die Herzen mit der Flamme deiner Huld, die dich aus der Herrlichkeit ins Elend trieb. Diese müsse uns brünstig und durstig machen, dich im Geist zu umfahn und zu bewahren, daß uns nichts von dir scheide. Gewinne doch deine Gestalt in uns in Sanftmuth und Demuth, in Geduld, in Verläugnung und Armuth des Geistes, in Gehorsam und Treue der Wahrheit, in kindlichem lauteren Sinne nach deinem Bilde. Gnade und Wahrheit ist durch dich geworden, so werde sie auch in uns. Den Frieden hast du gebracht, der sei auch unser eigen. Die Sünder willst du selig machen, daher mache auch uns selig.

Und weil du auf's Niedrige stehest, so laß uns doch willig in Mangel, in Verachtung und Schmach, in Verfolgung und Trübsal zufrieden sein, dir im Kreuz nachfolgen und mit deinem Leiden Gemeinschaft haben, welches von deiner Geburt anfing, auf daß wir auch mit dir herrschen in Ewigkeit. Hochgelobet seist du, o Heiland. Amen.

Am 25. December.

„Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ So sangen die himmlischen Heerschaaren in der heiligen Nacht, in welcher der Heiland der Welt geboren ward. Die Himmelsthür, des Paradieses Pforte, hat sich aufgethan, die Kräfte der unsichtbaren Welt haben sich in Bewegung gesetzt, die starken Helden sind herausgeströmt, um sich freundlich zu den Menschenkindern zu neigen und sie zu grüßen als Eines Reiches Genossen. Die Freude, die allem Volke widerfahren ist, treibet die Engelschaaren zum Lobgesang. Ihre Feier gilt nicht der Geburt eines Menschen, der unserm sündlichen Geschlecht natürlich entsprossen, in unsern tiefen Fall verwickelt, von unserer Krankheit angesteckt, mit unserem Verderben behaftet wäre. Nein, der Sohn Gottes ist Mensch geworden, damit wir Gottes Kinder und göttlich würden. Der unendlich Reiche hat sich entäußert, uns reich zu machen. Der ewig Herrliche hat sich erniedrigt, uns zu sich emporzuziehen. Ein Kind ist aus dem Himmel herausgetreten und hinabgestiegen auf die fluchbedeckte Erde, um Himmel und Erde wieder miteinander zu verbinden. Das Wort ward Fleisch. Denn die Wahrheit konnte nur Der lehren, der als das ewige Wort bei Gott und Gott war. Die Versöhnung konnte nur Der stiften, in dem Gott wohnte und uns versöhnte mit ihm selber. Das Leben konnte nur in Dem erscheinen und sich mittheilen, dem der Vater gegeben hat, das Leben zu haben in ihm selber.

Des ew'gen Vaters einzig Kind
Man jetzt in der Krippe find't,
In unser armes Fleisch und Blut
Verkleidet sich das ew'ge Gut.

Dein Gott in der Krippe und neben ihr Dornenkranz und Kreuzesnägel! O Seele, nun hast du, was du bedarfst Nun ist dein Heil begründet und der Weg zum Paradiese wieder eröffnet. Ergreift dich darum nicht das liebe Christfest, so oft es im Laufe der Wintertage wiederkehrt, mehr als der Frühling mit seinem Blüthenschmuck und Lerchenjubel? Viel Lichter zündet das Fest an hin und her in den Häusern: auf welches unauslöschliche Licht deuten sie? Vätern und Müttern hat es die Hand zum fröhlichen Geben geöffnet: von welchem Geber haben sie das gelernt? Wer hat den Weihnachtstisch bereitet, der nimmer leer wird? Wer ist die Weihnachtslust, die nie entflieht? Wer macht uns zu Weihnachtskindern, die unaufhörlich empfangen?

„Ehre sei Gott in der Höhe!“ Richte deine Blicke aufwärts, o Seele, zum Vater des Lichts, von dem alle gute und vollkommene Gabe herabkommt, auch die alleredelste Gabe, deren die Menschheit, sich heute erfreut, das Kind in der Krippe zu Bethlehem. Was wäre die Erde ohne dieses heilige Kind? Ein verfluchter Acker voll Disteln und Dornen. Was wäre das Menschenleben ohne Den, der der Weg, die Weisheit und das Leben ist? Ein Irrgang in der Nacht. - Nie und nirgends hat der ewige Gott sich so herrlich geoffenbart nach seiner allmächtigen Größe und nach seiner herablassenden Liebe, als in der Sendung seines Sohnes auf Erden. Sein Rath ist wunderbar und führet es herrlich hinaus. Wohl wird sich der stolze Kaiser Augustus, der dazumal fast die ganze bewohnte Erde beherrschte, gebrüstet haben, als auf seinen Machtbefehl alle Welt sich regte und Jedermann ging, um seinen Namen und sein Vermögen eintragen zu lassen in die Stammrollen des römischen Reiches. Aber wem hat Augustus unwissend dienen müssen? Dem allmächtigen Gott, der der Menschen Herz lenkt wie Wasserbäche, der oft in Nacht und Dunkel seine Wege geht, aber Alles doch herrlich hinausfuhrt. „Des Königs Herz ist in der Hand des Herrn wie Wasserbäche, er neiget es, wohin er will.“ (Spr. 21, 1.) Durch den Schatzungsbefehl, der jeden Israeliten in seine Stammesheimath rief, wurde jenes prophetische Wort erfüllt: „Und du, Bethlehem, Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir Der kommen, der in Israel Herr sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ (Mich. 5, 1.)

Nacht war's, als die Engel ihr Loblied anstimmten über Bethlehems Flur. Nacht auch im Reiche des Geistes. Wohl ahnte die Heidenwelt, daß ein allmächtiges Wesen über den Sternen throne, wohl wußte Israel, daß Gott der Heilige und Gerechte sei; aber daß er die erbarmende Liebe sei, die das Verlorene sucht und selig macht, - das hat erst die heilige Nacht kund gethan vor Aller Welt Augen. Daß wir in den Nöthen des Lebens und in den Aengsten des Todes zu ihm aufblicken dürfen in kindlicher Zuversicht, - das hat er mit leuchtender Schrift über der Krippe zu Bethlehem angeschrieben. Darum, meine Seele, blicke dankend und anbetend nach oben: Der dir seinen Sohn geschenkt hat, sollte der dir mit ihm nicht Alles schenken! Amen.

Am 26. December.

„Friede auf Erden!“ Herrliches, trostvolles Wort, das uns die Engel vom Himmel brachten bei der Geburt des Heilandes! Friede zwischen Gott und den Menschen. Es ruhete noch auf der Erde der Sündenfluch, - aber siehe, sie ist nun umgewandelt in einen Friedensort, wie der Himmel ist. Dem Kinde, das in der Krippe liegt, steht der Name: Friedefürst auf der Stirne geschrieben. Der König ist gekommen, auf Erden ein Reich zu gründen, in welchem alle Mühseligen und Beladenen, alle Seufzenden und Angefochtenen Ruhe finden für ihre Seelen; ein Friedensreich, schöner und dauernder, als jenes Friedensreich des Kaisers Augustus, unter dessen Regierung die Welt nach vielen Kriegesstürmen etliche Jahre lang Ruhe und Frieden genoß. Frieden, der höher ist als alle Vernunft, hat er gebracht für jedes Sündenherz, das dahingehet in der Angst des bösen Gewissens, und keinen Frieden findet in der ruhelosen Welt und in selbsterwählter Tugend.

Ja, Christus ist unser Friede: er hat aus Gott und Mensch Eins gemacht, so wahr in ihm Gott und Mensch Eins ist. Sind wir in ihm und er in uns, so ist er Eins, so haben wir Frieden, die verklagenden Stimmen müssen schweigen und wir dürfen wohnen in dem Reiche, da Fried' und Freude lachet. Die Selbstsucht und Sünde, die immer auf's Reue Neid und Mißgunst, Hader und Zwietracht und das Heer der Begierden und Leidenschaften gebieret, führet in uns nicht mehr die Herrschaft, sondern Christi Friedensgeist erfüllt uns ganz und gar und hilft uns den heiligen Kampf zwischen Fleisch und Blut siegreich durchstreiten. Mag Lust oder Leid nun unser Theil werden in diesem Leben, mögen unsere Wege auch durch Noth und viel Trübsal gehen, an der Krippe und unterm Kreuze des Friedefürsten haben wir Friede- gefunden für Zeit und Ewigkeit, und unser Herz freuet sich Gottes, unseres Heilandes.

Nun ist groß Fried' ohn' Unterlaß,
All' Fehd' hat nun ein Ende.

Wo dieser Friede die Menschen zu Gotteskindern umgewandelt, da fühlen und lieben sie sich auch untereinander als Brüder, als Kinder Eines Vaters, als Erlöste Eines Heilandes, als Tempel Eines Geistes. Fast zwei Jahrtausende wird nun die Weihnachtsbotschaft verkündet, und ist doch noch nicht Frieden geworden auf Erden. Ist doch noch so viel unseliger Krieg und Streit zwischen den Völkern und in den Häusern, und haben doch noch so viel Ströme von Thränen und Meere von Blut den Erdboden überschwemmt. Ist der Friedensfürst noch nicht erschienen? Sollen wir eines andern warten?

Es ist wahr, der Friede hat von Bethlehem aus nicht mit Einem Male wie ein breiter Strom die ganze Welt überfluthet, aber in tausend Bächen und Bächlein ist er in alle Gebiete dieses Lebens eingedrungen. Die Völker, denen das Evangelium verkündigt ist, haben sich einander genähert und die Hände zum Frieden gereicht. Die Ketten der Sclaven sind gefallen, wo der Geist des barmherzigen Menschenfreundes hindrang. Das Weib als der schwächere Theil ist wieder eingesetzt in den Ehrenstand, den Gott der Herr ihm angewiesen, und die Gesetze sind milder geworden, wo man auf die Stimme des Evangeliums achtete. Und mitten in einer Welt voll Haß, Zorn und Streit hat der Friedenskönig so manche Friedenshütte sich aufgerichtet und manchen Friedensboten ausgesandt. Und

Es wird noch Friede werden,
Wenn Jesu Liebe siegt,
Wenn dieser Kreis der Erden
Zu seinen Füßen liegt.

Das soll geschehen, da nun Gott wieder ein Wohlgefallen hat an den Menschen. Wohl gilt die Welt mit all ihren gewichtigen Namen, ihren gediegenen Schätzen, ihren herrlichen Werken nichts vor dem Auge des heiligen, gerechten Gottes, aber er schaut die ganze Menschheit an in Christo, seinem Sohne, über den er bezeugt: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habt,“ Der hat uns angenehm gemacht vor Gott, weil er die ganze Sünderwelt erlöset hat. Die von Natur Kinder des Zornes sind, werden durch Christum Gottes liebe Kinder, tragen das Bild Christi an sich, sind verklärt in seine Herrlichkeit und dem Herzen Gottes lieber und näher, denn alle andere Kreatur. O selige Botschaft!

Ein Wohlgefallen Gott an uns hat,
Nun ist groß Fried' ohn' Unterlaß,
All' Fehd' hat nun ein Ende.

Wie soll ich dich genugsam preisen, hochgelobter Gottessohn, für deine unendliche Liebe und Barmherzigkeit, die dich getrieben hat, die Herrlichkeit des Himmels zu verlassen, und in dieses arme Erdenleben zu kommen, um die Sünder zu suchen, um die Verlorenen selig zu machen? Wirke in mir lebendigen Glauben an dich, du Heiland aller Welt. Sei mein wahrhaftiges Licht, das mein Herz erleuchtet. Sei mein Herr, der mich regiert und führt auf allen meinen Wegen. Sei meine Kraft in aller Anfechtung, mein Trost und Rath in aller Fährlichkeit und Noth. Nimm mich hin zum Eigenthum und Erbe für Zeit und Ewigkeit und gieb Frieden in mein Herz, daß ich Gott zur Ehre und zum Wohlgefallen wandeln möge bis an's Ende. Amen.

Am 27. December.

Eine Freudenstimme ist in unserm Land erschollen, eine Stimme des Jubels und Heils in den Zelten der Sünder. Jauchzet Lob, ihr Berge, und alle Bäume des Waldes, frohlocket vor dem Antlitze des Herrn; denn er kommt. Höret es, ihr Himmel, und vernimm es, o Erde, staunet und rühmet, ihr Kreaturen alle, aber zumeist du, o Mensch: Jesus Christus, Gottes Sohn, wird geboren zu Bethlehem im jüdischen Lande! Weß Herz wäre so steinhart, daß es nicht bei diesem Worte bewegt würde? Was kann Süßeres verkündigt, was kann Köstlicheres geschenkt werden?

O heilige, unbefleckte Geburt, gnadenreich für die Welt, freudenreich für die Menschen, unerforschlich selbst für die Engel, neu und unerhört für alle! O du schmerzlose Geburt, über die Natur und doch für die Natur! Ein Engel kommt als Bote, die Kraft des Höchsten überschattet, der Geist nahet, eine Jungfrau glaubt und empfängt im Glauben, und bleibt doch Jungfrau. Geboren wird der Sohn des Höchsten, Gott von Gott, seit Ewigkeiten, geboren wird nun auch das Wort als Kind in der Zeit; wer mag es genug bewundern?

Ihr, die ihr im Staube darniederliegt, erhebet euch und preiset! Siehe, der Herr kommt! Er heißt Jesus, er kommt mit Heil, er heißt Christus, er bringt himmlische Salbung, er heißt Gottes Sohn, er giebt ewige Herrlichkeit. Athmet wieder auf, ihr Verlornen, Jesus kommt, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist. Geneset, ihr Kranken, Christus kommt, zu heilen die zerschlagenen Herzen. Frohlocket, die ihr nach Großem verlanget, der Sohn Gottes ist zu euch herabgestiegen, um euch zu Erben seines Reiches zu machen. Amen.

Am 28. December.

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist. Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Joh. 1, 1. 3. 14.

Nun preist und dankt mit Freudenruf:
Das Wort, das Erd' und Himmel schuf.
Des Lebens Quell und Fluth,
Das Licht der Welt, der Menschen Licht,
Der Glanz von Gottes Angesicht,
Ward unser Fleisch und Blut.

O finstre Welt, hier rauscht der Quell.
Dein Leben lebt, dein Licht scheint hell,
Sein Zeugniß drang zu dir.
Er steht so sanft und demuthreich:
O laßt mit Gott versöhnen euch,
Kommt Alle her zu mir!

O Welt, durch ihn allein gemacht,
Nimmst du der Gnade nicht in Acht,
Die nur dich retten kann?
Dein Heiland kam, dein Licht, dein Ruhm,
Zum Seinen, in sein Eigenthum:
Welt, nimmst du ihn nicht an?

Wir kommen, Herr, wir öffnen dir,
An deinen Namen glauben wir,
Du süßes Licht, geh ein,
Daß wir durch deines Geistes Wehn
Hervor als Kinder Gottes gehn,
Wie Thau vorm Morgenschein.

O Wort, im Fleisch geoffenbart,
Das Mensch, bei uns zu wohnen, ward.
Dich schaun wir hier im Glanz
Der Klarheit vor des Vaters Thron
Als seinen eingebornen Sohn,
Voll Gnad' und Wahrheit ganz.

Aus deiner Füll', o Herr, allein
Zieht Gnad' um Gnade bei uns ein,
Du führst der Wahrheit Bahn;
Dies war die Nacht, die Blindheit groß,
Du ein'ger Sohn ins Vaters Schoß
Hast ganz ihn kund gethan.

Drum liegen wir zu Füßen dir,
Drum preisen, loben, danken wir
Dir, ein'gem, höchstem Gut,
Daß du, Weg, Wahrheit, Leben, Licht,
Du Glanz von Gottes Angesicht,
Wardst unser Fleisch und Blut.

Amen!

Am 29. December.

Des Menschen Zeit fähret dahin wie ein Schatten.“ Ps. 144, 4. Nur noch wenige Tage und auch dieses Jahr meines Lebens ist hinabgeeilt in das Meer der Ewigkeit. Wie schnell, ach wie schnell ist es dahingerauscht! Als ich an der Schwelle dieses Jahres stand, da schien sich ein weiter Raum vor mir auszubreiten. Ich gedachte der vielen Tage und Stunden, die ein Jahr umfaßt, durchlies in Gedanken die wechselnden Jahreszeiten mit ihren mannichfachen Erscheinungen, machte Entwürfe und Pläne und glaubte viel Nützliches thun und Großes vollbringen zu können.

Und nun die Tage dieses Zeitraums bald abgelaufen sind, liegen sie wie ein Traum hinter mir. Die ganze Reihe von Ereignissen, die vor mir vorübergegangen, alle Veränderungen meines Schicksals, Alles, was ich gethan, erfahren, gelitten, erinnert mich an das Wort der Schrift: „Unser Leben fähret schnell dahin, als flögen wir davon.“ Die Erscheinungen dieses Jahres treten mit den Bildern einer frühern Vergangenheit vor die Seele, und das ganze Leben, das hinter mir liegt, ist wie ein Sturm, der schnell vorüber rauschte. Ich höre seinen Flügelschlag, und während ich erstaune über seine flüchtige Eile, sind auch die letzten Stunden vorüber.

Wohl gab es auch im scheidenden Jahre Stunden, die zögernd und langsam vorüber schlichen, als der Schmerz der Krankheit den Schlaf vom Lager verscheuchte und die langen Nächte sich peinlich verdoppelten. Aber auch diese erscheinen mir jetzt so kurz, daß mir kaum noch die Erinnerung daran geblieben. So wird es uns wohl auch sein, wenn wir das höchste Ziel erreichen sollten, das unserem Erdenleben gesetzt ist. Was wird unser ganzes Dasein im Umfange der Zeiten anders sein, als eine kurze, flüchtige Erscheinung, als eine Folge von Veränderungen, die mit jedem Athemzuge zu Ende eilt! So viele Wünsche, die nicht erfüllt, so viele Entwürfe, die nicht ausgeführt, so viele Werke, die nicht vollendet sind! Wohin wir schauen, erblicken wir Gestalten, die sichtbar altern, Kräfte, die plötzlich schwinden, Gebilde, die zusammenstürzen, Geschöpfe, die sterben. Ach, und die Seufzer Derer, die mit dem Tode ringen, die Thränen Derber, die von einander scheiden sollen, der große, unübersehbare Jammer, der durch das frühe Hinsterben so vieler Väter und Mütter, so vieler Weisen und Edlen, so vieler Wohlthäter des Menschengeschlechts in den Jahren der schönsten Wirksamkeit angerichtet wird! Was sind denn alle diese Erscheinungen anders, als traurige Zeugnisse von der Flüchtigkeit der Zeit, als unwidersprechliche Beweise, daß sie uns unaufhaltsam fortreißt, ohne auf unser Sträuben, ohne auf unser Flehen und Bitten zu achten. „Der Mensch vom Weibe geboren, klagt der geplagte Hiob (14, 1 und 2), lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe. Er gehet auf wie eine Blume und fällt ab; fleucht wie ein Schatten und bleibet nicht.“

Schnell und unaufhaltsam fliehn
Die mir zugezählten Stunden!
Wie ein Traum sind sie dahin,
Und auf ewig dann verschwunden;
Dieser Augenblick ist mein:
Wird es auch der künft'ge sein?

Laß mich bei der Flüchtigkeit
Meiner Tage nie vergessen,
Wie unschätzbar doch die Zeit,
Die du, Herr, mir zugemessen,
Da, was hier von mir geschieht,
Ew'ge Folgen nach sich zieht.

Amen!

Am 30. December.

Eilig flieht die Stundenwache
In der Mitternacht dahin,
Wenn am hohen Himmelsdache
Schweigend Gottes Sterne zieh'n.
So enteilen uns gleich Pfeilen
Tausend Jahre; Gottes Güte
Steht allein in ew'ger Blüthe.

Der Mensch blühet wie die Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber gehet, so ist sie dahin und ihre Stätte kennet man nicht mehr.“ Ps. 103, 15 und 16. So ist's mit Allem, was die Erde erzeugt; so ist's mit dem Jahre, das nun bald in's Grab der Zeit 'hinabgestiegen sein wird. Wohl empfinden wir noch eine Zeit lang die Eindrücke, die es auf unser Gemüth gemacht, die Veränderungen, die es in unserem Leben hervorgebracht, die glücklichen Tage, mit welchen es uns erfreut, die Wunden, die es unserem Herzen geschlagen hat. Aber bald ist es vergessen mit all seinen Freuden und Leiden, mit all seinen guten und bösen Tagen, mit all seinen Frühlingsmorgen und Winterstürmen. So läßt der Nachen in der Fluth, die er durchschifft, wohl Furchen zurück, aber bald glätten sich diese auf der ebenen Fläche und man sieht den Weg nicht mehr, den er wandelte. Wenn ein Geliebter von uns schied, bleibt uns wohl noch manches Denkmal seines Lebens und seiner Liebe zurück; aber er selbst kehret nicht wieder.

So gehet das Jahr in seinem rauschenden Fluge zu Ende, und mit der letzten Stunde des letzten Tage ist es für uns unwiederbringlich dahin. Ach, es liegt ein geheimes Grauen in dem Gedanken, daß ein köstliches Gut für uns unwiederbringlich verloren ist. Viele unserer Fehler lassen sich verbessern und wieder gut machen; manche Verluste lassen sich ersetzen; mancher Schade kann vergütet werden: aber die verlorene Zeit ist durch Nichts in der Welt wiederzugewinnen. Die Stunden, die wir verträumt und versäumt, die Tage, die wir in Trägheit und Leichtsinn verloren, die kostbare Zeit, dir wir durch Sorglosigkeit und Unentschlossenheit getödtet: wir müssen sie abziehen von der Summe unseres Lebens. Und wollten wir alle Güter der Welt darum geben, wollten wir im heißen, inbrünstigen Flehen vor Gott liegen, wollten wir heiße Thränen weinen: kein Körnlein der verlorenen Zeit tritt in des Lebens Sanduhr je zurück. Thaten, die einmal vollbracht sind, lassen sich nicht ungeschehen machen; die Gelegenheit zum Lernen, zum Gutesthun, zur Aussaat für die künftige Ernte kommt nicht wieder; die Verhältnisse, in denen wir gelebt und gewirkt, kehren nicht um; die Freuden, die abgeblühet haben, keimen nicht von Neuem.

So ist die Zeit unseres Lebens in schneller, rastloser Bewegung. Indem wir ihr in's Auge schauen und sie festhalten wollen, ist sie schon vorübergeeilt. Und dies Verschwinden ist so still, so geräuschlos, so leise, daß wir den Verlust kaum bemerken. Ist sie aber verloren, ach, so ist sie auch unwiederbringlich, sie ist ewig verloren. Und ich sollte nicht mit Ernst das Leben betrachten? nicht jeden Augenblick sorgsam benutzen? nicht fleißig sein zu guten Werken? nicht Gattin und Kinder, Freunde und Brüder herzlich lieben, ihnen Freude bereiten und für ihr zeitliches und ewiges Heil sorgen? Ich sollte nicht streben, täglich zu. wachsen an Gnade und Weisheit, an Tugend und Gottseligkeit? Weiß ich denn die Stunde, in welcher der Herr kommen wird? Werde ich denn noch einmal am Ausgange eines alten Jahres stehen? oder wird mich nicht das kommende in seinem Schoße begraben? Herr, lehre mich bedenken, daß ich sterben muß, damit ich weise werde.

Wie fleucht dahin der Menschen Zeit!
Wie eilen wir zur Ewigkeit!
Wie Mancher hat, eh' er's gedacht,
Zur Todesnacht
Sein kurzes Leben schon gebracht.

Dies Leben ist gleich einem Traum;
Gleich einem leichten Wasserschaum
Ist alle seine Herrlichkeit,
Der Strom der Zeit
Reißt schnell uns fort zur Ewigkeit.

Amen!

Am 31. December.

Wir danken dir, Herr Zebaoth, du Gott Israels, wir danken dir für deine Güte und deine Wunder, die du dies verflossene Jahr, wie auch die ganze Zeit unseres Lebens hindurch an uns gethan hast. Denn ob wir zwar bekennen müssen, daß wir Alle vielfältig gesündigt haben und deinen Geboten ungehorsam gewesen sind, und. du daher nicht unrecht gethan hättest, wenn du wärest mit uns umgegangen wie wir gelebet, und uns gerichtet hättest wie wir's verdienet haben, so ist dennoch deine Barmherzigkeit zu brünstig, daß, du nicht gethan nach deinem Zorn, noch .dich gekehret, uns gar zu verderben; denn du bist Gott und nicht ein Mensch, und bist der Heilige unter uns.

Es ist deine Güte, daß wir nicht gar aus sind, deine Barmherzigkeit hat noch kein Ende. Du hast alle unsere Sünde hinter dich geworfen, und uns dieselbe geschenkt und vergeben. Du hast alle unsere Gebrechen geheilet, unser Leben vom Verderben erlöset, und uns gekrönet mit Gnade und Barmherzigkeit: Kirche und Schule und Haus hast du gesegnet und vor allem Uebel behütet. Du hast uns Lehrer gegeben zur Gerechtigkeit, und uns sagen lassen, daß sich ein Jeglicher von seinem bösen Wesen bekehre, und sein Leben bessere. Du hast unserer christlichen Obrigkeit Gnade und Weisheit verliehen, daß wir unter ihrem Regiment in stiller Ruhe und gutem Frieden, wie Christen gebühret, haben unser Leben vollführen mögen. Du hast uns viel Gutes gethan an Leib und Seele, an Weib und Kind, an Hab und Gut, in der Stadt und auf dem Felde, daß wir's nicht Alles erzählen können.

Gelobet sei Gott, der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum, der uns so viel Gutes gethan, vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, und unsere Herzen erfüllet mit Speise und Freude. Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich. Saget, die ihr erlöset seid durch den Herrn, die er aus der Noth erlöset hat, die er errettet aus ihren Aengsten: Gelobet sei der Herr, der Gott Israel, von Ewigkeit zu Ewigkeit, und alles Volk sage Amen und lobe den Herrn. Gelobet sei der Herr ewiglich. Amen, Amen.

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