Sigel, Eduard - Predigt am zweiten Sonntag des Advents
Text Luc. 21, 25-36.
25 Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein, und sie werden zagen, und das Meer und die Wassermengen werden brausen, 26 und Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen. 27 Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. 28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung naht. 29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Sehet an den Feigenbaum und alle Bäume: 30 wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihr's an ihnen und merket, daß jetzt der Sommer nahe ist. 31 Also auch ihr: wenn ihr dies alles sehet angehen, so wisset, daß das Reich Gottes nahe ist. 32 Wahrlich ich sage euch: Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß es alles geschehe. 33 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht. 34 Hütet euch aber, daß eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung und komme dieser Tag schnell über euch; 35 denn wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen. 36 So seid nun wach allezeit und betet, daß ihr würdig werden möget, zu entfliehen diesem allem, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.
Das, andächtige Zuhörer, ist das Evangelium vom zweiten Advent Christi zum Ende und Gericht der Welt. Aber wie redet der Herr in unserm Text von dieser Seiner Wiederkunft? So, daß, während alle Welt vor ihr sich werde fürchten und erschrecken müssen, Seine Jünger darob sich freuen und freudig darauf hoffen sollen. Und von dieser Seite wollen auch wir, meine geliebten Freunde, diese gewaltige Prophezeiung heute betrachten.
Damit wir
Christi zweiten Advent zum Ende und Gericht der Welt
nicht fürchten, sondern immer freudiger hoffen lernen, wollen wir aus des Herrn Worten zu Herzen nehmen zuerst den Grund dieser Hoffnung, sodann ihre Bedingung.
I.
An die Weissagung vom Gericht über Juda und Jerusalem, von der Zerstörung der heiligen Stadt durch die Römer und vom Gräuel der Verwüstung auf dem heiligen Berg knüpft der Herr hier und in den entsprechenden Stellen bei Matthäus (24, 15 ff.) und Markus (13, 14 ff.) die Prophezeiung vom Ende der Welt und der herrlichen Wiederkunft des Menschensohns so nahe an, daß oft schwer zu sagen scheint, wo die eine Weissagung in die andre übergeht, und doch ist klar und gewiß, daß er dieß Zwiefache weissagt. Wahrlich, ich sage euch, spricht er von dem Einen (Luc. 21, 32), dieß Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß es Alles geschehe; und siehe, das Geschlecht Seiner Junger und Zeitgenossen war auch noch nicht vergangen, da hielt der Herr im Himmel Sein Wort, er goß die Schale Seines Zorns über Jerusalem und Juda aus, ließ die Stadt des Heiligthums (Luc. 21, 24.) zertreten von den Heiden und das Volk des Eigenthums zerstreuen und verjagen nach allen vier Winden. Was Er aber sagt von dem Andern, von den Zeichen an Sonne, Mond und Sternen, vom Brausen des Meers und der Wasserwogen und von Erschütterung der Kräfte des Himmels (Luc. 21, 25. 26.), wie oft auch schon gewaltige Erscheinungen der Natur und stürmische Erschütterungen der menschlichen Verhältnisse dafür gehalten worden sind, sie waren doch nicht die geweissagten; sie wurden mit Recht für Mahnungen an Christi zweiten Advent und für das Vorspiel des Endes dieser Welt gehalten, aber das Ende waren sie nicht selbst. Des Menschen Sohn kam in ihnen noch nicht, wie Er verheißen hat, mit Seiner größten Kraft, mit der letzten Offenbarung Seiner Herrlichkeit. Sondern dessen sind wir noch gewärtig; das ist noch das Unerfüllte, aber gewiß Verheißene, davor wir uns nicht fürchten, sondern darauf wir freudig hoffen sollen.
Und ist dieß Verheißene nicht der Art, daß Christen darauf sich freuen können und freuen müssen, daß, was von wahrhafter Freude und christlicher Hoffnung unser Herz bewegt, im Harren darauf seine Stütze, in seinem Kommen und Zustandekommen sein letztes Ziel, seine Vollendung findet? - Vornehme Geister zwar, dem einfältigen Glauben stolz entwachsen und mit einem Wissen, das nicht aus Gottes Wort kam, sondern aus menschlicher Einbildung, sich blähend, sie mögen spöttisch lächeln über die Beschränktheit dessen, der noch auf eitle andere Herrlichkeit hofft als die Herrlichkeit dieser Welt, der von einem Jenseits hofft, was er im Diesseits gar nicht oder nur unvollkommen fand, sie mögen mitleidig die Achseln zucken über die Beschränktheit des gläubigen Christen, der auf einen zweiten Advent seines Herrn und Erlösers darum hofft, weil er seines ersten in das Fleisch und in die Welt christtäglich sich freut, doch aber das Kommen seines himmlischen Herrn noch nicht für geschlossen, den Bau seines Reiches noch nicht für vollendet hält. Wer aber, der noch im Glauben steht und mit des Glaubens Seligkeit auch des Glaubens Bedürfnisse fühlt, wer möchte mit Jenen theilen die trostlose Kühle ihrer Weisheit? Wer hält nicht ihrem Besserwissenwollen einfach Christi Wort entgegen: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht, und wer unsererseits findet nicht mehr Vernunft in dem Glauben an ein Ende einer endlichen Welt als in dem an ihre Ewigkeit, und mehr Weisheit und Verstand darin, daß die Geschichte Christi auch eine Zukunft hat und einen Ausgang, als in dem Unglauben, der selbst ihren Anfang leugnet und ihre Gegenwart für Schein erklärt? Wenn's aber doch dabei bleiben soll, daß eben Diejenigen schwache Köpfe oder schwärmende Thoren seyn sollen, die noch mit der Bibel und dem kirchlichen Bekenntniß festhalten am Glauben an Christi letzten Tag und das Ende der Welt: nun, wer von uns wird sich's nicht gern gefallen lassen, also schwach und beschränkt gescholten zu werden, wenn er für seinen Glauben Christi Wort zum Schilde hat und Christum selbst zum Vorgänger, und ein schwärmender Thor zu heißen, wenn die Genossen, ja die Zuganführer seiner schwärmenden Thorheit zu allererst die Apostel sind!
Können wir uns aber, andächtige Zuhörer, unmöglich denen gleich stellen, für die das Wort unseres Textes wie die ihm gleichlautenden sonstigen aus dem Munde Jesu und in den Briefen der Apostel gleichsam nicht vorhanden ist, weil es ihnen nichts gilt, weil sie daran nicht glauben, so wollen wir doch auch nach dem Willen unseres Herrn auch in Erwartung des Schrecklichen, das noch kommen soll, nicht seyn wie die, die keine Hoffnung haben, sondern aufsehen sollen wir, wie Er sagt (Luc. 21,28.), und unsere Häupter aufheben voll freudiger Erwartung darum, daß sich unsere Erlösung naht und das Reich Gottes nahe ist. Unsere Erlösung nahet und das Reich Gottes ist nahe, wenn das Ende dieser Welt im zweiten Advent des Menschensohns kommt: das ist der Grund unserer freudigen Hoffnung, aber was heißt doch dieß? Sind wir denn nicht schon erlöst und ist das Reich Gottes nicht schon gekommen? oder stehet nicht eben darin unsre Adventsfreude und unsre Weihnachtsfreude und die getroste Zuversicht unsers ganzen Christenlebens, daß wir einen Herrn Herrn haben, der uns von Sunde, Tod und Hölle erlöst hat und in Ihm den allbereits gekommenen und allezeit uns nahen König eines Reichs, dessen Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist auf uns ruht! Ja so, ist's freilich, so wahr wir Christen sind: aber, lieber Mitchrist, bleibt nicht dennoch des Herrn Wort steh'n, daß Seine Erlösung auch noch eine zukünftige und Sein Reich auch noch ein nahe und näher kommendes ist? Ja, wir sind wohl erlöset und Gefreite des Herrn, erworben und gewonnen von aller feindlichen Gewalt, und Kinder Gottes im geliebten Sohn; dennoch, aber beten wir in jedem Vaterunser: erlöse uns vom Uebel! und getrösten uns des Reiches und der Gewalt und der Herrlichkeit, die Gottes sind in Ewigkeit. Ja, das Reich Gottes ist wohl gekommen ohne dieses Gebet und auch zu uns gekommen vor unserm Gebet und wir sind darein, gekommen über all' unser Bitten und Verstehen, dennoch aber hören wir nicht auf zu bitten: Dein Reich komme, und unsere Adventsfreude ist nur dann völlig, wenn in ihr und aus ihr heraus der Geist und die Braut sprechen: Komm! (Off. 22. 17.)
Was heißt dieß anders, geliebte Freunde, als, daß wir wohl selig sind, aber selig in Hoffnung, daß wohl aller Gläubigen Leben friedlich und selig geborgen ist mit Christo in Gott, aber doch nur geborgen und verborgen, noch nicht offenbar in der Herrlichkeit, daß noch nicht erschienen ist, was wir seyn werden, und dem Reiche Gottes noch sein letzter Tag, sein voller Sieg, sein Triumph in Ewigkeit vorbehalten ist? So freuen wir uns denn wohl des treuen Herrn und himmlischen Heilands, der die Schuld für uns gebüßt, die Sünde für uns gesühnt, den Gewappneten für uns überwältigt hat; aber wir trauern, daß noch in uns das Fleisch gelüstet wider den Geist, daß wir noch täglich nöthig haben die Vergebung täglicher Sünden, daß der Festeste nicht so fest steht, daß er nicht wieder fallen könnte, daß der Friede des göttlichen Reichs in unserm Herzen und in unserm Leben so oft wieder gestört wird durch den Einbruch des bösen Feinds. Wir freuen uns des Lebensfürsten, der den Tod für uns überwunden und Leben und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat, aber wir spüren doch noch, wie Elihu (Hiob 33, 6.), daß wir aus Lehmen gemacht sind, und was an uns sterblich und vergänglich ist, so oft es den Zahn der Zeit, den Mottenfraß der Sterblichkeit, die Baufälligkeit irdischen Glücks und den Raub eines liebsten Guts erfährt, so trauern wir, so sprechen wir betrübt: wir haben hier keine bleibende Stätte. Wir freuen uns des göttlichen Säemanns, der seine Saat aus dem Himmel so freigebig ausgestreut hat auf der armen Erde, wir freuen uns, daß die Saat seines guten Samens in allerlei Weizen und guten Früchten aufgegangen ist da und dort, und daß wir selbst in Haus und Schule, in Kirche und Staat, in Sitte und Wissenschaft, in Handel und Wandel das schmackhafte Brod treffen, welches der Weizen des göttlichen Worts hervorgebracht, aber wir trauern und müssen trauern, daß unter dem Weizen soviel Unkraut mit aufgegangen ist, und will uns oft bedünken, es sey dessen mehr und das Unkraut wuchere lustiger denn der gute Weizen. Wir freuen uns der Wege und Gerichte unsers Gottes, denn Er ist unser Vater in Jesu Christo, wir getrösten uns der Macht Seines Schutzes, der Gerechtigkeit Seiner Regierung, der Weisheit Seines Thuns, denn wir leben der Zuversicht, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen, dennoch aber müssen wir oft trauern, daß der große Gott uns ein verborgener Gott ist und Seine Gerichte unbegreiflich, Seine Wege unerforschlich, wir müssen's betrübt gestehen, daß unsere Augen so oft gehalten sind, des Herrn Nähe zu schauen und in die Tiefe der Weisheit und Erkenntniß Gottes hinabzublicken, und wie fest es uns auch steht, daß der Herr gerecht ist in allen Seinen Wegen und heilig in allen Seinen Werken, das will und kann uns doch nicht genügen, daß Seine Gerechtigkeit zu Ende seyn soll mit dem schon, was Er hier thut vor unsern Augen, sondern wenn wir sehen müssen, daß der Gerechte zertreten wird und der Gottlose auf seinem Staube steht, daß der Unsinn und das Unrecht siegt, die Unschuld stirbt, die Wahrheit gelästert wird und der heilige Leib Christi aufs Neue aus vielen Wunden blutet, so schärft die eigene Erfahrung, was die Verheißungen des göttlichen Worts schon lange uns bestätigen, das Verlangen nämlich nach einem Tag offenbarer Vergeltung, der ans helle Licht bringen wird, was der Mensch werth, und daß alles, was der Herr thut, recht ist.
Wohlan, Geliebte in dem Herrn, wornach wir uns sehnen um unserer Unvollkommenheit und der Welt Sünde willen, wornach mit uns sich gesehnt haben die ältesten Christen und die frömmsten Christen zu jeder Zeit, es ist uns verbürgt und zugesagt in Christi Wiederkunft zum Ende und Gericht der Welt. Dieses Wort annehmen im Glauben, das heißt warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt nach Seiner Verheißung, (2 Petr. 3, 13.), es heißt hoffen auf einen Siegestag des Rechts und der Wahrheit, auf einen letzten Triumph der Unschuld und der Güte, auf einen Abschluß der Vergänglichkeit und den Anbruch ewigen Lebens, es heißt mit aufgehobenen Häuptern ausschauen nach einer Erscheinung Christi, in der Seine Herrngestalt so klar und unverkennbar erscheint, daß die Spötter verstummen und die Zweifler erblassen müssen; es heißt harren und warten auf eine Vollendung des göttlichen Weltplans, in der diese sichtbare Welt vergeht und die jetzt unsichtbare Welt des Glaubens sichtbar wird, in der unsere Erlösung von allem Uebel vollendet wird, weil auch der letzte Feind, der Tod nicht mehr ist, Gott aber abwischen wird alle Thränen von unsern Augen, in der Gottes Reich in Seiner vollen Herrlichkeit ewiglich nah und ewiglich da und eine Hütte Gottes bei den Menschen seyn wird, darin Er bei ihnen wohnt und sie Sein Volk sind und Er selbst Gott mit ihnen ihr Gott (Off. 21, 3,4.).
Und diese Aussicht ist's sie nicht werth, daß wir darauf hoffen? sind wir Thoren und Schwarmgeister, daß wir sie preisen als den Trost der Sterblichkeit und an sie glauben als an das Morgenroth ewig göttlichen Lebens? oder ist uns nicht das Höchste genommen, und unserm Denken und Glauben die Spitze abgebrochen, wenn uns diese Hoffnung zu Schanden geht!
II.
Aber, Geliebte in dem Herrn, versteht es sich denn so von selbst, daß wir Freudigkeit haben dürfen auf den zukünftigen Tag der Offenbarung Jesu Christi? ist die freudige Hoffnung darauf uns so natürlich als es uns und der Welt natürlich ist, daß wir sterben, und Himmel und Erde vergehen müssen. Der Tag Jesu Christi ist ja ein Tag des Sieges, nun so wird es auch Besiegte geben; er ist ein Tag der Rache, nun so gibt es auch Niedergeworfene und Zertretene; er ist ein Tag der Vergeltung, nun, so gibt es auch Verurtheilte und Verdammte. Wer wird nun den Tag seiner Zukunft erleiden mögen? wer wird bestehen, wann wird Er erscheinen? Nicht Alle sind ja würdig zu entfliehen dem Schrecklichen und mit Freuden zu stehen vor des Menschen Sohn, (Luc. 21, 36.); sondern Vielen wird bange seyn und werden zagen und werden verschmachten, wie Er selber sagt (v. 25, 26.) vor Furcht und vor Warten schon der Dinge, die kommen sollen auf Erden. Wer sind denn die, die, wenn die Vorboten anfangen zu kommen, mit Freuden aufsehen und mit Hoffnung die Häupter aufheben? (v. 28.)
Das sind die, die den Herrn lieb haben und Seine Zukunft schon jetzt, das sind die, die den Anfang Seiner Erlösung schon jetzt im Herzen verspüren und an das Gekommenseyn Seines Reichs der Gnade in fröhlicher Adventszuversicht glauben: die Jünger sind es, zu denen Er dieß sagt. Seine Jünger sind's, die von der Ungerechtigkeit der Welt abgetreten und von Ihm angenommen sind, Seine Jünger sind's, die nicht mehr laufen mit dem großen Haufen, noch auf eigenen Wegen gehen, sondern vom Wort der Gnade gelockt und vom Kreuze Christi angezogen, angefangen haben, die, Welt zu verlassen, sich selbst zu verleugnen und Christo zu folgen. Und das eben macht ihre Jüngerseligkeit aus, daß sie eine Freudigkeit haben auf den Tag des Gerichts, daß sie wohl schaffen selig zu werden mit Furcht und Zittern (Phil. 2, 12.), aber die Furcht nicht mehr kennen, die Pein hat (1 Joh. 4, 18.), dieweil sie sprechen, wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns (Röm. 8, 33. 34.) Und das ist auch eine Probe unsers Jüngerthums, geliebte Freunde, ob es ein wahrhaftes ist oder ein blos eingebildetes, das, daß wir uns nicht fürchten, wenn gleich die Welt untergienge (Ps. 46, 3.), daß wir uns nicht fürchten weder vor dem stachellosgewordenen Tod, noch vor der besiegten Hölle, noch vor dem angesagten Tag des Gerichts, sondern mit Freudigkeit die Häupter aufheben, was auch kommt und kommen mag, dieweil wir in uns haben einen Tröster, und über uns einen Fürsprecher, ja in dem Richter aller Welt den Freund unserer Seelen, den Erlöser unseres Lebens. Ob diese Probe wahrhaftigen Jüngerthums eintrifft, sehe Jeder zu bei sich selbst. Wo sie eintrifft, da darfst du auch nicht zweifeln weder an der Wahrhaftigkeit deiner Berufung und Erwählung, noch an der Richtigkeit deines bisherigen Wegs. Wo sie aber nicht eintrifft, da heißt es: Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Todten, so wird dich Christus erleuchten (Eph. 5, 14.). Denn damit du wachen kannst, wie Er will (Luc. 21, 36.), mußt du doch zuerst aufgewacht seyn, und damit du wandeln kannst aus dem Weg des Lebens, mußt du doch zuerst aufgestanden seyn vom Tod und dich umgekehrt haben vom Pfade des Verderbens. Also nach dem Anfang des Heils und den ersten Schritten des neuen Lebens, darnach heißt uns das Evangelium von Christi zweitem Advent zuerst schauen, ob es damit bei uns sich verhalte, wie es sich verhalten soll.
Sodann aber, was sagt der Herr weiter? die Er als Seine furchtlosen, freudig hoffenden Jünger anredet, weil sie Ihn zum Herrn haben und Seiner Gnade leben, denen gibt Er doch zu bedenken, daß auch sie der alten Furcht wieder verfallen und eine Beute der großen Gefahr werden können, wenn sie nämlich nicht als Seine Junger sich bewähren, sondern wieder zurückfallen in's alte Wesen der Sünde und der sündigen Welt. Darum ist Sein Gebot: hütet euch, daß eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen, und Sorgen der Nahrung, und komme jener Tag schnell über euch, wie ein Fallstrick über den leichtsinnig flatternden Vogel, seyd wacker allezeit und betet! (v. 34 - 36.) Ihr höret es, geliebte Freunde, die geistliche Vorsicht und die geistliche Zucht, die das junge Leben des Glaubens bewahren und bewähren, und das gute Werk des Heils in uns schützen und fördern, die sind Jesu Gebot, aber ihr erkennet auch die Weisheit und Nothwendigkeit dieses Gebots. So Mancher hat schon in dem Eifer des ersten Glaubens und mit dem Feuer der ersten Liebe Christum und Sein Heil ergriffen, und wie war er dazumal so selig, so frei von aller Furcht, so voll Freudigkeit auch auf den Tag des Gerichts! Da er aber sein eigen Herz nicht bewachte, noch die Zeichen der Zeit und die Versuchungen der Welt beachtete und nicht wider sie kämpfte mit Gebet und nüchterner Enthaltung, siehe, so war er sobald wieder gefangen in's alte unordentliche Wesen, und sein Herz beschwert mit Gedanken des Leichtsinns, mit Sorgen der Nahrung und Werken des Fleisches. Aber wie kann doch derselbe des Tages, der wie ein Fallstrick aller Welt droht, anders gedenken als mit Furcht und Zittern?
Diese Furcht sollen wir nicht mehr kennen. Wir sollen sie austreiben und vor ihrer Rückkehr uns bewahren durch jene bessere Furcht, die da spricht: wie sollte ich so groß Uebel thun und wider den Herrn meinen Gott sündigen! Und wahrlich, meine Geliebten, wir treiben sie auch aus mit dieser freien und seligmachenden Furcht Gottes, die das ungebärdige Fleisch meistert und die versucherische Welt scharf bewacht, die wacker macht allezeit und zum Gebet treibt ohne Unterlaß. Darum sey diese Furcht Gottes auch unserer Weisheit Anfang, und auch unseres Jüngerthums Schutzwehr und Bewährung: so mögen auch wir wohl würdig werden, zu entfliehen den Wehen des letzten Tags, mit Freudigkeit aber als selig Gerettete zu stehen vor des Menschen Sohn. Amen.
Quelle: Dr. Christian Friedrich Schmid/ Wilhelm Hofacker - Zeugnisse evangelischer Wahrheit, Bd. 3