Piper, Ferdinand - Jesu Niederfahrt in das Totenreich.
Zwischen Karfreitag und Ostermorgen. Es ist ein Abschnitt im Leben des Erlösers, wo er nicht gesehen wurde und ringsum Schweigen herrscht: seine Grabesruhe, welche die Gläubigen zu stiller Betrachtung einladet. Das erste ist, dass sie im Geiste diesem Grabe sich nähern, wie es noch sein Geheimnis barg, und der Empfindung der Jünger sich hingeben. Was damals ihre Seele bewegte, wissen wir aus dem, was vorangegangen und was folgte. Denn noch standen sie unter dem Worte, welches beim Andringen der Häscher sich erfüllt hatte: „ich werde den Hirten schlagen und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen“ (Matth. 26,31); und zween von ihnen haben selbst es ausgesprochen, als der Herr unerkannt unter ihnen war: „wir hofften, er sollte Israel erlösen“ (Luk. 24,21). Also ihre Hoffnung zu Grabe gegangen; und was für ein Grab! Wenn etwa einer der Zerstreuten, der Lieblingsjünger des Herrn oder eine der heiligen Frauen in der Sabbatstille dahin kam; so fanden sie es verschlossen und von der heidnischen Gewalt versiegelt und von Häschern besetzt.
Nachdem er aber als Lebensfürst hervorgegangen, hat dies Grab einen anderen Charakter, so wie jener Tag, der nach dem jüdischen Festjahr ein großer Sabbat war (Joh. 19,31). Das ist auch sein christlicher Name, dessen letzte Bedeutung darin beruht, dass er an der Grenze zweier Weltalter und zweier Welten steht. Dieser Sabbat sieht zurück auf den ersten Sabbat der Schöpfung, an welchem Gott ruhte von seinen Werken, nachdem er sie alle gut geheißen hatte. Wenn der Erlöser bis dahin nicht gehabt, da er sein Haupt hinlegte; so hatte er jetzt die Stätte gefunden: und von ihm zuerst wird gelten, was an denen sich erfüllen sollte, die in ihm sterben würden (Offenb. 14,13), dass er ruhte von seiner Arbeit und seine Werke ihm nachfolgten. Dieses Werk aber weist in die Zukunft, auf einen anderen großen Sabbat, der seinem Volk erworben ist: die Ruhe nach der Fremdlingschaft und Pilgerschaft auf Erden, welche der Ruhe Gottes nach dem Schöpfungswerk verglichen wird (Hebr. 4,9.10).
Die Grabesruhe selbst hängt ganz daran, dass der Herr das Leben hingab und es wiedernahm (Joh. 10,18), - Ereignisse, die beide noch seinem irdischen Leben angehören. Daher auch die Geschichte desselben auf die Frage leitet nach dem Zwischenzustand: dem Leben, das in seinem Tode war. Das Evangelium freilich gibt darauf keine Antwort; denn unmittelbar an die Nachricht von dem Begräbnis schließt sich die Botschaft von dem Auferstandenen. Aber die erste Glaubensformel allgemeiner Christenheit führt im zweiten Artikel das niedergefahren zur Hölle auf; und zwar mitten unter den Hauptereignissen aus dem irdischen Leben des Herrn: Geburt, Leiden, Tod, Auferstehung, Himmelfahrt. Also wird hier, wo wir seine Person und sein Werk in einer Folge von Lebensbildern uns zu vergegenwärtigen suchen, auch dieses Todesbild nicht auszuschließen sein.
Wenn aber hierfür das apostolische Glaubensbekenntnis zum Grunde gelegt wird; so müssen wir zwei Einschränkungen bemerken. Zuerst dass dies Bekenntnis, dessen Ursprung den Zeiten der Apostel nahe steht, wenn es auch nicht von ihnen selbst herrührt, in den ersten Jahrhunderten den Artikel von der Höllenfahrt noch nicht enthält. Selbst im vierten Jahrhundert, aus welchem die erste Nachricht von diesem Artikel stammt, war die Aufnahme noch nicht allgemein, da die zu Rom gebräuchliche Formel ohne ihn bestand. Nicht als ob damals es eine neue Lehre gewesen wäre, sie war längst anerkannt und verbreitet. Aber dass sie in der ältesten Form des Bekenntnisses fehlt, dient zum Beweise, dass man ihr, als einer mehr verborgenen, für die Grundlage des Glaubens, seinen Inbegriff im ersten Unterricht der Täuflinge nicht gleiches Gewicht mit den anderen offenkundigen Tatsachen beimaß, die aus dem Evangelium selbst geschöpft sind. Wogegen im 4. Jahrhundert eine besondere Streitfrage das Bedeutungsvolle dieses Aktes auch für den Glauben an die Person Christi erkennen ließ. Noch wichtiger ist, dass der Artikel das nicht bedeutet, was jetzt der Ausdruck im Deutschen sagt: es ist darin nicht ausdrücklich von der Hölle die Rede, als dem Strafort der Verdammten; sondern von dem Hades oder der Unterwelt, als dem Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen, der Gerechten wie der Ungerechten, - wie zur Zeit der Entstehung jenes Artikels die Väter allgemein (Irenäus, Hippolytus, Gregor von Nyssa, Chrysostomus, Tertullian, Lactantius, Hieronymus) das Wort verstanden; eine Bedeutung, die ursprünglich auch das deutsche Hölle gehabt hat. Daher, um das Missverständnis auszuschließen, zu übersetzen ist: niedergefahren zur Unterwelt oder vielmehr Totenwelt.
Es liegt hierin ein doppeltes Geheimnis: der Zustand der abgeschiedenen Seelen überhaupt, sodann der Seele Christi insbesondere und sein Verhältnis zu ihnen in der Zeit zwischen Tod und Auferstehung. Wir werden uns nicht vermessen, in das Geheimnis der Geisterwelt einzudringen. Und können nur versuchen, uns dem zu nähern, so weit es die Tatsachen des Heils betrifft, wenn Zeugnisse des Herrn oder der Apostel uns geleiten.
Der Erlöser hat seine Jünger und selbst das Volk, zu dem er redete, nicht in Dunkel gelassen über die entscheidenden Ereignisse, welche bevorstanden, sowohl Tod als Auferstehung und Himmelfahrt, wenn auch in Rätselworten. Er verkündet die Tatsachen, die erste und die letzte, wenn er sagt: über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen (d. i. wenn ich begraben bin), und aber über ein Kleines werdet ihr mich sehen (d. h. im Geist, wenn ich aufgefahren bin), denn ich gehe zum Vater (Joh. 16,16). Er gibt aber auch Erklärungen, insbesondere über den Zustand, selbst den Zeitraum, da er ihnen entzogen sein würde. Zuerst durch die Rede von dem Weizenkorn, das nur, wenn es in die Erde fällt und erstirbt, viele Frucht bringt (Joh. 12,24). Jedoch das Gleichnis betrifft nur die Stufen der Wirksamkeit, dass im Tode die niedere verschwinden muss, um der höheren Raum zu geben; nicht das Todesschicksal, am wenigsten den irdischen Leib der Verwesung im Verhältnis zu dem Auferstehungsleib, eine Anwendung, welche erst der Apostel Paulus macht (1 Kor. 15,36.37). Aber zwei andere Reden gehen näher auf den Zwischenzustand ein. Die eine von dem Zeichen des Propheten Jonas, nach dessen Vorbilde des Menschensohn drei Tage mitten in der Erde sein werde (Matth. 12,40): das ist die Ruhe des Leichnams im Grabe. Hingegen von dem Seelenleben ist die Rede, wenn dem Schächer auf die Bitte: „Herr gedenke mein, wenn du in dein Reich kommst“ die Antwort wird: „heute wirst du mit mir im Paradiese sein“ (Luk. 23,43). Das ist eins der inhaltreichsten und trostreichsten Worte aus dem Munde des Erlösers, jedoch geheimnisvoll. Offenkundig ist der Inhalt der Verheißung, welche zwei sonst getrennte Zusprüche zusammenfasst: den einen, welcher in der Not des Leibes und der Seele die Gebrechlichen, die seine Hilfe suchten, aufrichtet: „sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben“ (Matth. 9,2); den anderen, wo er die Seinen an seine eigene Zukunft bindet: „wo ich bin, da soll mein Diener auch sein“ (Joh. 12,26. 17,24). Denn wenn er das letzte dem Schächer verhieß, so hatte er dessen Buße und Glauben angenommen und ihm Vergebung der Sünden erteilt, da jener als ein Übeltäter nicht in das Reich Gottes kommen konnte, wenn er nicht zuvor durch den Namen Jesu gerecht geworden war (1 Kor. 6,9-11). Das ist also von Seiten des Herrn eine hohepriesterliche Handlung und ein prophetisches Wort; überdies ein königlicher Akt: denn er konnte nicht bestimmter als hierdurch seine Herrschaft bezeugen: dass er selbst im Tode des Todes Gewalt hatte (vergl. Hebr. 2,14). Aber verhüllt bleibt die Lage, sowohl in der er selbst als mit ihm der Schächer sich befinden würde. Denn wenn auch Zeit und Ort angedeutet werden; so haben wir dafür kein Maß des Verständnisses: heute, spricht er, wirst du mit mir im Paradiese sein. Dieses heute, heißt das vor Sonnenuntergang? Aber wenn überhaupt das Licht des irdischen Tages erloschen ist, wenn der geisterhafte Flug der Zeit begonnen hat, wie mögen da die Tage gerechnet werden? Und wenn man auch versteht, heute so viel als unmittelbar nach dem Tode; so bleibt nicht minder verhüllt der Ort, dessen Name wohl erinnert an den bewässerten Garten, in den das erste Menschenpaar gesetzt worden, jedoch nicht anders als auf einen seligen Zustand hinweist. Zur Vergleichung aber dient die Schilderung in der Parabel: dass die Seele des Lazarus nach seinem Tode durch Engel in Abrahams Schoß getragen wurde (Luk. 16,22); und man wagt nicht zu viel, wenn man Paradies und Abrahams Schoß für verwandte Ausdrücke nimmt.
Suchen wir hiernach den Unterricht der Apostel, so erhalten wir zunächst Aufschluss über den Ursprung des Ausdrucks niedergefahren zur Hölle, welchem gegenübersteht das aufgefahren zum Himmel. Es liegt darin eine zwiefache Stufe: zuerst die Herabkunft vom Himmel zur Erde, wie der Herr selbst sie benennt: „niemand ist aufgestiegen in den Himmel, als der vom Himmel herabgestiegen ist, der Menschensohn, der im Himmel ist“ (Joh. 3,13. vergl. 6,62). Woran sich das apostolische Wort schließt: „er ist aufgefahren in die Höhe (aus Ps. 68,19), was heißt es anders als dass er auch herabstieg in die niederen Räume der Erde“ (Ephes. 4,9). Diese untern Räume (es heißt nicht die untersten) sind eben die Erde selbst, gegenüber dem Himmel, der oben ist. Aber dies oben und unten ist nach dem Augenschein genommen; überdies ist der Himmel nicht räumlich, sondern bildlich verstanden, nicht der Wolken- oder gestirnte Himmel, sondern der, welchen das Gebet des Herrn im Eingang anzeigt. Die zweite Stufe ist die Niederfahrt von der Erde in das Totenreich; denn allerdings wird das letztere in oder unter der Erde vorgestellt, wenn seine Bewohner die Unterirdischen heißen, durch Unterscheidung der drei Reiche, in denen aller Knie im Namen Jesu sich beugen sollen: im Himmel, auf Erden und unter der Erde (Phil. 2,10). Das ist eine Vorstellung, die uralt ist bei Juden und Heiden (im 1. Buch Mose und bei Homer); aber ihre Zulassung ist noch nicht eine Bestätigung. Es ist kein Glaubensartikel, wenn es nicht Gegenstand göttlicher Offenbarung und apostolischer Verkündigung war; aber nirgends in der heiligen Schrift zeigt sich die Absicht, über den Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen Aufschluss zu geben. Hingegen deutlich erhellt in den Briefen des Neuen Testaments die fremde Abkunft jener Vorstellung von dem Unterirdischen des Totenreichs. Denn was die Hölle als eine Abteilung desselben betrifft, so weist auf griechischen Ursprung der Ausdruck (2 Petr. 2,4), Gott habe die Engel, welche gesündigt, mit Ketten der Finsternis in den Tartarus gestoßen. Und an die jüdische Bezeichnung des unterirdischen Totenreichs (Scheol, im Griechischen Hades, welche zuerst der Patriarch Jakob anwendet in der Klage, dass er mit Herzeleid hinunterfahren werde, 1 Mos. 37,35), knüpft unmittelbar aus dem Psalter der Apostel Petrus in seiner Pfingstrede an (Apostelgesch. 2,27).
Diese Rede will den Juden die Vorgänge des Pfingsttages, deren Zeugen sie waren, zum Verständnis bringen und sie selbst zum Glauben leiten. Sie erklärt also diese Ausgießung für das Werk des verherrlichten Jesus von Nazareth, den sie getötet hätten, der aber von Gott auferweckt und erhöht und zu seiner Rechten gesetzt sei. Dass das so kommen musste, beweist er aus den Propheten; dass es an Jesus sich erfüllt habe, durch das Augenzeugnis der Jünger von dem Auferstandenen. Die Beglaubigung der Auferstehung steht im Mittelpunkt des Beweises, für welche die Prophetie aus den Worten Davids genommen ist: „du wirst meine Seele nicht im Scheol (Totenreich) lassen, auch nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe.“ Beide Verneinungen wendet der Apostel auf Jesus an; wodurch als Tatsache vorausgesetzt wird: sowohl dass sein Leib im Grabe geruht hat, als dass seine Seele im Totenreich gewesen ist. Damit ist aber nichts anderes als der Tod bezeichnet vermöge der Trennung von Seele und Leib: und zwar in der Weise, wie es von allen Menschen gilt, nach alttestamentlicher Auffassung, so weit es die Seele betrifft. Hinsichtlich des Leibes aber mit dem Unterschied, dass dieser im Tode sogleich dem Tode, d. h. der mit demselben sonst eintretenden Verwesung, entnommen ist. - Es liegt darin also nicht mehr, als das Glaubensbekenntnis durch „gestorben und begraben“ bezeichnet. Der Zusatz „niedergefahren in das Totenreich“ (obwohl manche ihn so verstanden haben; zwar nicht Calvin, der es ausdrücklich verwirft, aber Beza und nach ihm besonders reformirte Theologen) muss also mehr besagen, da er sonst überflüssig wäre. Dies mehr zeigt derselbe Apostel in seinem ersten Briefe (3,19.20).
Es ist der Abschnitt, worin Petrus die zwiefache Ermahnung gibt: sich die Leiden nicht befremden zu lassen, die über die Christen gekommen, und in ihrem Wandel ein gutes Gewissen zu haben, womit sie die Lästerungen der Heiden beschämten. Diese Ermahnung gründet sich auf die Person und das Werk Christi, sein Leiden, Tod, Auferstehung, Erhöhung, Gericht: unschuldig zu leiden nach seinem Vorbild (3,18. 4,1), das gute Gewissen zu bewahren, das in der Taufe das Heil gesucht und erlangt hat durch die Kraft seiner Auferstehung (3,16.21), der Offenbarung seiner Herrlichkeit sich zu getrösten (4,13.14); während die, so in dem heidnischen Wesen verharren, ihm als Richter werden Rechenschaft geben müssen (4,5). Zwischen Tod und Auferstehung Jesu schließt sich an die Taufe die Erwähnung der Sintflut, deren Wasser dem Taufwasser zum Vorbild dient. Hauptsächlich aber wird sie erwähnt, da sie das Strafgericht und der Untergang einer sündigen Welt war, als Vorbild der damaligen Zeit. Denn von dieser wird beides gesagt: es ist nahe gekommen das Ende aller Dinge, und es ist Zeit, dass das Gericht anfange am Hause Gottes (4,7.17). Daher die wiederholte Ermahnung, zu leiden nicht als Übeltäter, sondern als Christ: demnach die Errettung aus der Taufe zu behalten, gleich dem Geschlecht Noah, während die arge Welt dem Gericht verfällt. Und hier tritt das Zeugnis ein von der Wirksamkeit Christi im Totenreich: „der, getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist, in demselben auch den Geistern im Gefängnis, wohin er gegangen, gepredigt hat, welche einst ungläubig waren, als Gottes Langmut harrte zu den Zeiten Noahs, als der Kasten bereitet wurde.“ Er hat also gepredigt den Geistern, die als fleischlich durch den Geist Gottes sich nicht strafen lassen wollten (1 Mos. 6,3); und zwar im Gefängnis, welches als eine Abteilung des Totenreichs gedacht werden mag, ein Ort der Qual, den auch in der Parabel von Lazarus der reiche Mann nach seinem Tode einnimmt. Da erscheint Christus: es heißt nicht, er sei niedergefahren, sondern dahingegangen, wie nachmals in den Himmel (V. 19. 22). Die Zeit ist ganz bestimmt: nicht etwa in den Tagen Noahs; sondern in dem Zwischenzustand, nachdem er gestorben, bevor er auferstanden war. Denn während der Leib im Grabe lag, ist er hingegangen als ein geistiges Wesen, wie denn seinem Geist im Tode das Leben nicht fehlen konnte, den er auch sterbend in die Hände des Vaters befohlen hatte. Und der Inhalt dieser Predigt? Es kann wohl kein anderer gemeint sein, als den die Predigt Christi überhaupt gehabt hat, und der hier insbesondere als der Inbegriff seines Werks bezeichnet wird: uns zu Gott zu führen; also Heilsverkündigung. Und gewiss nicht der Verdammungsspruch. Das ist eine überschwängliche Tatsache; sie bleibt für sich bedeutungsvoll genug, wenn sie auch allein steht und die Verkündigung des Evangeliums an die Toten(wovon der Apostel weiterhin spricht 4, 6) nichts besonderes von der Wirksamkeit Christi enthält.
Also Christus im Totenreich, und Christus hingegangen den Geistern im Gefängnis zu verkündigen: das ist der Inhalt der Niederfahrt. Dabei bleiben wir, getreu dem Schriftwort, stehen: und enthalten uns den Vorgang auszumalen; noch mehr, ihn zu erweitern oder gar umzugestalten. Alles dies ist geschehen schon in der ältesten Kirche und von Neuern wiederholt durch Hinzunahme von Bibelstellen, die nicht hierher gehören, und durch Folgerung daraus, die nicht zutrifft. Eine solche ist es, wenn man den Johannes sein Amt als Vorläufer des Herrn auf Erden, auch im Totenreich verwalten lässt. Das ist erlaubt zu denken, vielleicht natürlich, vorauszusetzen; aber nichts davon steht in der heiligen Schrift. Hingegen eine Ausmalung geschieht mittelst der alttestamentlichen Schilderung von dem Zerbrechen eherner Türen und dem Zerschlagen eiserner Riegel, ein Bild der Befreiung aus dem Elend des Exils (Ps. 107,16 nach Jes. 45,2), wenn sie auf die Pforten der Hölle angewendet wird: wie dies besonders in zahlreichen Gemälden der Höllenfahrt erscheint, die aus der griechischen Kirche auf uns gekommen sind. Das ist den Malern vergönnt; aber von ihrer Freiheit kann die heilige Geschichte keinen Gebrauch machen. Andererseits haben Theologen das Wort des Herrn von dem Stärkeren, der über einen Gewappneten kommt, in seinem Palast ihn überwindet, ihm die Rüstung nimmt und die Beute austeilt (Luk. 11,22), auf die Erscheinung Christi in der Hölle angewendet. Aber das Gleichnis betrifft allein die Austreibung böser Geister in der Krankenheilung und dient zur Abwehr des Vorgebens: Christus treibe die Teufel durch Beelzebub aus; findet jedoch nicht allgemein Anwendung auf das Verhältnis des Herrn zum Teufel, am wenigsten in der Zeit nach seinem Tode. Denn nicht durch Gewalt siegt er über den Versucher, sondern durch Abwehr; und nicht mit Gewalt entreißt er ihm seine Beute, sondern durch Überredung, d. h. durch Bekehrung. Sein Werk aber hat der Herr auf der Erde zum Ziel geführt: und vollständig, auch das, dass er gekommen ist, die Werke des Teufels zu zerstören (1 Joh. 3,8). Das geschah zumal in seiner Leidenszeit, worauf er so feierlich hindeutet, dass man das Geheimnis der Erlösung wie vorüberschreiten sieht: „nun ist das Gericht dieser Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden: und wenn ich erhöht bin von der Erde (am Kreuz), so werde ich alle zu mir ziehen“ (Joh. 12,31.32). Und nachdem er am Kreuz das Wort vollbracht gesprochen, blieb nicht übrig noch etwas nachzubringen. Auch hatte er schon zuvor den Beweis seiner Macht über den Tod gegeben, als er den Lazarus ins Leben zurückrief. Also nur als Herr und Sieger konnte er ins Totenreich gehen, nachdem er freiwillig dem Tode sich unterworfen hatte; und seine Person so wie seine Predigt hatte dort, wie auf der Oberwelt, keine anderen Schranken, als den Grad der Bußfertigkeit oder Verstoßung derer, die ihn hörten.
Den Eindruck aber und den Erfolg seiner Erscheinung unter den Abgeschiedenen und bei den Geistern im Gefängnis werden wir uns nicht anmaßen zu schildern, während der Apostel Schweigen beobachtet. Wir folgen vielmehr der Zurückhaltung der Konkordienformel (Art. 9), so wie der Lutheraner und Reformirten (die eben dadurch sich verständigten) auf dem Religionsgespräch zu Leipzig 1631. Da erkannten beide Teile die Höllenfahrt des Herrn für einen schweren und wichtigen Glaubens-Artikel, der so wenig als der Artikel vom Sitzen zur Rechten mit menschlicher Vernunft begriffen werden könne; und bekannten, dass der ganze Christus, Gott und Mensch, zur Hölle gefahren sei. Die noch folgende Behauptung jedoch, dass er daselbst den Teufel überwunden und alle seine Macht ihm genommen habe, die mit einer gewissen Lebhaftigkeit dramatischer Schilderung an das Evangelium Nicodemi erinnert, dürfen wir übergehen.
Diese Geschichte aber, so viel oder wenig wir davon verstehen, ist nütze zur Lehre nach vielen Seiten. Zuerst für das Bekenntnis von der Person Christi: dass er in der Einheit seiner göttlichen und menschlichen Natur (die niemals getrennt gedacht werden dürfen) bestanden, also als der Gottmensch, auch nach Ablegung des Leibes, mit der Seele ins Totenreich gegangen ist und dort gewirkt hat. Daher hat die alte Kirche, um die Lehre von der Vollständigkeit der menschlichen Natur Jesu zu sichern (gegen die Meinung, dass in ihm die vernünftige Seele durch die göttliche Natur ersetzt sei), die Tatsache der Höllenfahrt hervorgehoben. Nicht minder wichtig ist dieselbe zur Erkenntnis seines Werks und seines Amts: sowohl nach der Seite, dass er gekommen ist, das Verlorene zu suchen, als dass ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist (Luk. 19,10. Matth. 28,18). Sie eröffnet auch einen Blick in den Abgrund des Geheimnisses der göttlichen Vorherbestimmung und Erwählung, als Zeugnis, dass den Ungläubigen, welche in diesem Leben den Weg des Heils nicht gefunden haben, noch jenseits des Grabes derselbe offen stehen mag. Und bestärkt die Gläubigen in der Zuversicht, dass keine Macht des Bösen ihnen schaden kann und die Pforten der Hölle die Kirche Christi nicht überwältigen werden.