Murray, Andrew - Wachset in der Gnade - 26. Große Gnade.
Apostelgesch. 4,33.
Es war große Gnade bei ihnen allen.
Auf der Pfingstgemeinde ruhte die Gnade Gottes. Und doch zeigte sich nur kurze Zeit danach ein Zustand der Gemeinde, in welchem es ganz ergreifend gewesen sein muss, die starken Wirkungen der Gnade auf die Mitglieder zu sehen. Mit den Worten: „Es war große Gnade bei ihnen allen“ erwähnt dies der Verfasser der Apostelgeschichte als etwas Besonderes. Es können also noch Zeiten für die Gemeinde kommen, in denen besondere Ausströmungen von Gnade stattfinden und die Gnade bei allen groß wird. Das sind herrliche Zeiten, wenn die Gnade mit ihrer himmlischen Seligkeit die Herzen erfreut und mit einander verbindet. Was können wir tun, solche Zeiten oftmals und in jeder Gemeinde zu haben? Wenn wir die Gemeinde betrachten, von welcher dieses Zeugnis hier aufgezeichnet ist, erhalten wir die Antwort auf diese Frage. Wir finden dann nach meiner Meinung folgende Stufen:
- Die Apostel hatten ein gutes Bekenntnis für ihren Herrn abgelegt und sich bereit erklärt, lieber alles zu leiden, als Gott ungehorsam zu sein. Es ist der entschiedene und unzweideutige Entschluss, Gott gehorsam zu sein (Apostelgesch. 4,19-20), es ist die Treue gegen den Herrn und Seinen Willen, welche den Weg zu großer Gnade bahnt. Sei es nun, dass man Seinen Namen vor der Welt bekennt, sei es, dass man einen Willen mitten in Mühe und Streit erfüllt, sei es, dass man sich für Sein Reich und Werk auf dieser Erde aufopfert, jeder neue Erweis von Treue hilft sowohl der einzelnen Seele, als auch der Gemeinde vorwärts und mehrt die Gnade.
- Es folgte auf den Entschluss, Gott gehorsam zu sein, das einträchtigliche Gebet der Gemeinde (V. 23-30), ein Gebet, in welchem dies Beachtung verdient, dass es nicht um Hilfe und Erlösung bittet, sondern einzig und allein um Freimut zu weiterer Betätigung der Treue. Das Gebet, zumal das gemeinsame Gebet und vor allem andern das Gebet, in welchem Gottes Ehre und unsere Treue auf dem Vordergrund stehen, ist ein zweiter Schritt oder eine zweite Stufe auf dem Weg zu großer Gnade.
- Dann kommt die Antwort auf das Gebet: Sie werden aufs neue alle erfüllt mit dem heiligen Geist und reden freimütig Gottes Wort. Es ist also nichts anderes, als die lebendige und erkennbare Wirkung des Geistes Gottes nötig. Die Christen müssen wirklich des Geistes Gottes voll werden. Er wird als Geist der Gnade die Gnade also mehren, dass sie zu großer Gnade in ihnen allen wird.
- Die folgende Stufe ist die brüderliche Liebe und Gemeinschaft. „Die Menge derjenigen, welche glaubten, war ein Herz und eine Seele. Niemand sagte von seinen Gütern, dass sie seine wären“ (V. 32). Wo Gottes Kinder als solche zusammenkommen und durch die Betätigung der Liebe die Einigkeit des Geistes in der Einigkeit des Leibes bewahren, da wird auch große Gnade in allen sein.
- Und endlich - „Die Apostel gaben mit großer Kraft Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesu“ (V. 33). Die Predigt des Wortes der Gnade und vor allem die Predigt von der Auferstehung Jesu Christi, in welchem die Gnade herrscht zum ewigen Leben, ist der vorgeschriebene Weg, auf welchem die Gnade überreich wird. Sie übermittelt uns auch heute noch im Verein mit dem Vorerwähnten denselben Segen, dass große Gnade in uns allen sich offenbart.
Möge die Kirche unserer Tage diese Lehre auf ihren Konferenzen und andern Zusammenkünften von Gläubigen beherzigen! Es gibt Zeiten, in welchen die Gnade in der Stille Zeit haben muss, um durchzudringen, Zeiten, in welchen in einsamem Gebet, im Streit um Bewahrung unseres Gehorsams und Vertrauens die persönliche Aneignung der Gnade stattfinden muss. Allein dann kommen auch wieder Zeiten der Erquickung, in denen bei Gelegenheit der Zusammenkunft des Volkes Gottes die Gnade in besonderer Weise ausströmen will. Rückhaltlose Hingabe an den Herrn und seinen Dienst, im Leiden, Bekennen und Arbeiten; gemeinsames Gebet um die Kraft, ihm besser zu dienen; Erfüllung mit dem Geist infolge dieses Gebets; lebendige Betätigung der Liebe und der Gemeinschaft der Heiligen in Wort und Tat, und dies, dass man dem Wort Gottes, als der Kraft Gottes in Gottes Volk und in der Welt die Ehre gibt; das sind die Vorbereitungen und Bedingungen für besondere Durchbrüche großer Gnade. Noch einmal: Gehorsam, Gebet, der Geist, die Liebe, das Wort. An den ersten Jüngern sehen wir, wie diese genannten Erfordernisse den Weg zu der seligen Erfahrung bahnen: Es war große Gnade bei ihnen allen.
Warum sollte nun die Gemeinde unserer Tage diese Erfahrung nicht in reicherem Maß machen? Das Bedürfnis ist doch immerhin vorhanden? Kurz nach diesem Wort lesen wir (Apostelgesch. 5,14): „Es wurden aber je mehr zugetan, die da glaubten, eine Menge der Männer und der Weiber.“ Wenn daher die Kirche einigermaßen zur Leistung ihrer riesigen Arbeit gestärkt werden soll, welche sie sowohl in der sogenannten Christenheit, als auch unter dem Heidentum zu verrichten hat, dann muss sie mehr Gnade besitzen, als man gegenwärtig im allgemeinen sieht. Der Reichtum der Gnade ist nicht erschöpft. Der gute Wille des Herrn Jesus, des Brunnens der Gnade in Seiner Gemeinde, ist nicht abgeschwächt. Der Gnadenratschluss ist nicht abgeändert. Das Wort, dass uns die Gnade in reichem Maß zuteil werden solle, ist immer noch die Losung des Evangeliums. Ach, dass wir es glauben möchten, dass es sich also gehört, dass es so sein muss und sein kann: große Gnade bei allen.
Was mag nun der Grund sein, dass es nicht so ist? Wenn wir die fünf Stufen des Segensweges noch einmal überblicken, können wir alles zu der einen Bedingung zusammenfassen: Ungeteilte Hingabe an den Herrn. Der Umstand, dass es gerade daran so sehr fehlt, enthält die Antwort auf unsere Frage. Die Absonderung von der Welt, welche in der Gemeinschaft der Kinder Gottes, in ihrer Beziehung zu einander als Untertanen des erhöhten Königs sichtbar wird, das Leben im Gebet und Geist, welches für den Herrn, Sein Reich und Seine Arbeit eintreten möchte; dies alles fehlt noch viel zu sehr. Darum ist es Ihm unmöglich große Gnade zu geben. Allein, meine lieben Brüder, wir wollen doch einzig und allein für den Herrn und Sein Reich leben. Die Herrlichkeit der Gnade ist es doch wert, dass wir alles aufopfern und uns Gott hingeben; auf dass Er an uns den außerordentlichen Reichtum Seiner Gnade zeige. Darum wollen wir bitten und beten, dass der Geist uns kund tue, was die rechte Absonderung von der Welt und ihrem Geist und was das ungeteilte Leben zur Ehre Gottes und nach dem Willen des Herrn sei. Wir wissen ganz bestimmt, dass auf diesem Wege große Gnade über uns alle kommen wird.
„Gott kann machen, dass allerlei Gnade unter euch reichlich sei, dass ihr in allen Dingen volle Genüge habt und reich seid zu allerlei guten Werken.“