Marheineke, Philipp - II. - Von Vereinigung der Härte und Schonung gegen das Böse.

Marheineke, Philipp - II. - Von Vereinigung der Härte und Schonung gegen das Böse.

Am 5ten Sonntage p. Epiph., den 7ten Februar 1815 in der St. Nicolai-Kirche vorgetragen.

Im Namen des dreieinigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Von jeher, meine andächtigen Freunde, war es eine der bedenklichsten Erscheinungen an unserm Geschlechte, daß es ewig schwankend zwischen entgegengesetzten Dingen so selten jenes heilige Gleichgewicht finden kann, ohne welches doch den edelsten Gesinnungen so viel von ihrem Werth abgeht. Was ist häufiger zu bemerken, als der Mangel an Besonnenheit und Mäßigung in allen Dingen, welche das Gefühl und die Leidenschaft in Anspruch nehmen; was ist seltener, als die Beobachtung jener Mitte zwischen den entgegengesetzten Empfindungen, die allein möglich läßt, auch die andere Seite der Dinge zu betrachten; was ist gewöhnlicher, als die Verblendung, womit wir uns ganz und gar eine? einzigen Empfindung, entweder des Hasses oder der Gleichgültigkeit, dem gränzenlosen Unwillen oder der eben so unbegränzten Gelassenheit hingeben, ohne zu bedenken, einerseits, daß Gleichgültigkeit gegen das Böse von einer Theilnahme daran nicht sehr verschieden und andrerseits, daß selbst das Böse mit Maaß, mit Rücksicht, mit Ordnung zu hassen sey und unter gewissen Umstanden selbst auf Schonung Anspruch machen könne.

Nicht so, meine Freunde, nicht so rücksichtslos und ungeordnet ist das Leben, dessen Geist der Erlöser ist: denn überall, wo er nur Einfluß gewinnt, ist alsobald auch die heilige Besonnenheit und Mäßigung bewirkt, von der er selbst uns ein so rührendes Beispiel ist, sogleich ist auch das aufgehobene Gleichgewicht, das Maaß und die Ordnung in allen Dingen wieder hergestellt, wo sie gestört und verletzt worden ist: Ja eben darin zeigt er uns das wahre Geheimniß und die rechte Weisheit des Lebens, daß wir Altes anknüpfend an eine höhere Ordnung der Dinge Allem, selbst dem Bösen Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß wir in Beziehung darauf die entgegengesetzten Empfindungen in uns verbinden, daß wir dem Hasse gegen das Böse nur in eben dem Grade Raum verstatten, als unsere Liebe zum Guten von rechter Art und lebendig ist, und also selbst im Sturm des gerechtesten Unwillens doch die Ruhe des Gemüths, die Klarheit des Gedankens und die Besonnenheit des Geistes nicht verlieren, ohne welche selbst der Haß des Bösen nur einer wilden Bewegung gleicht, die keine klare und lebendige Beziehung auf das Reich des Erlösers hat und Mithin gar keinen Werth. Last sei uns diesen gerade in dieser Zeit so wichtigen Gegenstand jetzt genauer erwägen nach Anleitung der heiligen Schrift.

Evang. am 5ten Sonntage nach Epiph.

Matth. 13,24-31
Er legte ihnen ein ander Gleichniß vor und sprach: das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Saamen auf seinen Acker säete. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säete Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Da nun das Kraut wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Saamen auf deinen Acker gesäet? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: das hat der Feind gethan. Da, sprachen die Knechte: Willst du denn, daß wir hingegen, und es ausgäten? Er sprach: Nein, auf daß ihr nicht zugleich den Weizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausgätet. Lasset beides mit einander wachsen bis zur Erndte, und um der Erndte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammlet zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne, aber den Weizen sammlet mir in meine Scheuren.

Als hervortretende Punkte in dieser Gleichnißrede fallen einem Jeden unter uns leicht und von selbst in die Augen zunächst die Frage der Diener, ob sie nicht sollten ausrotten das Unkraut, das den edlern Weizen zu überwältigen drohet und die sanfte Antwort des Herrn: Lasset beides wachsen bis zur Erndte. Doch eben so deutlich ist auch der Unwille über das Unkraut ausgesprochen in dem Ende und Untergange desselben. Etwas tiefer liegen in dieser Erzählung die Gründe, warum der Herr selbst dem Unkraut eine Stelle vergönnt auf seinem Acker und weswegen er glaubt, daß, die Ausrottung desselben vor der Zeit nicht wohl geschehen könne, ohne dem guten Gewächs selbst nachtheilig zu senn. Lasset uns diesen Gründen jetzt weiter nachforschen, meine Freunde, lasset uns sehen: wie man im Geist des Erlösers Härte und Schonung gegen das Böse vereinigen könne.

I.

Vereinigen sollen und können wir Härte und Schonung gegen das Böse, erstlich, wenn wir aufmerksam sind auf den Grund und Boden, auf welchem das Böse steht.

In allen Gestalten, in welchen das Böse uns entgegen tritt, kündiget es sich zwar an als verwerflich und hassenswerth; aber nicht immer verräth es auch den Boden, den Acker, auf welchem es, steht und die Quelle, aus der es geflossen ist. Nicht gleich geschätzt darf es werden in dieser Beziehung und nicht gleichen Haß verdient es, wenn es eine Folge der Schwachheit, des Unverstandes, der Uebereilung und Unerfahrenheit ist, oder wenn es aus wohlüberdachten Grundsätzen, aus den Tiefen eines arglistigen Herzens, aus einem von dem Feinde des Guten ganz und gar besessenen Gemach hervorgegangen ist. O! die genaueste Sorgfalt, die angestrengteste Aufmerksamkeit ist nöthig, meine Freunde, diese Quellen des Bösen zu unterscheiden, ehe wir unserm gerechten Zorn gegen dasselbe freien Lauf verstatten. Dürfen wir weit gehen und suchen, dürfen wir uns nicht selbst nur betrachten, um zu sehen, wie leicht es sey, zu fehlen und zu fallen; können wir Andern so hart, so grausam aufrechnen, was wir uns selbst nur zu leicht zu verzeihen pflegen, und ist es nicht sichrer in dieser Hinsicht die unerbittliche Strenge weit eher gegen uns selbst, als gegen Andere zu beweisen, sie eher dort als hier zu übertreiben; ja dürfen wir vergessen, wer der Saemann war und der Acker und Saamen, von welchem der Herr im Evangelium redet? Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Saamen auf seinen Acker saete. Da nun die Leute schliefen, kam sein Feind und saete Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Dem Himmelreich selbst vergleicht er den, welcher den Saamen ausgeworfen; guter Saamen war es ursprünglich, den er dem Acker anvertraute: nicht aus sich selbst konnte er das Unkraut erzeugen, sondern, ein fremder war's, der mit dem Unkraute zugleich den Unsegen ins Land gebracht, ein Feind des Guten, der die Schwachheit, die Sinnlichkeit, den Schlaf der Leute benutzte, sie zu betrügen und dann davon ging, nachdem er unter dem Schutz der Nacht sein böses Werk vollzogen. So ist es, meine Freunde, zwischen den Weizen warf der böse Feind den bösen Saamen; neben dem guten Gewächs, nicht über dasselbe erhielt das Unkraut Gewalt; wohl entziehen konnte es demselben die edleren Lebenssäfte, aber nicht verderben, nicht vertilgen und zerstören konnte es den edlen Saamen, oder ihn verhindern, aufzugehen und Früchte zu tragen. Schonung also, meine Freunde, Schonung, und Milde verdient das Böse, wenn wir sehen, daß der Grund und Boden, in welchem es steht, von Natur zu edlen Früchten bestimmt, noch nicht ganz verdorben und ausgeartet ist, wenn wir sehen, daß es durch fremde Einflüsse ins Herz gebracht, daß es durch ungünstige Umstände begünstigt, unmerklich emporgekeimt, vielleicht gegen Absicht und Willen entstanden war; Schonung und Milde, wenn wir finden, daß der arge Feind des Guten, der uns umlagert, selbst der edleren Triebe des Herzens sich bediente, sich in dasselbe einzuschleichen, daß die Verirrung selbst noch Hoffnung zur Besserung, giebt und keine böse Neigung unüberwindlich tiefe Wurzeln geschlagen hat. O! unverkennbare, untrügliche Kennzeichen giebt es, an denen sich das Böse aus Schwachheit und Bosheit, an denen sich der Feind des Reiches Christi und der Auserwählte des Herrn, an denen ein Judas und Petrus sich erkennen und unterscheiden läßt. Schwer hatte sich der Apostel an dem Herrn versündigt, ihn dreimal verläugnet; doch zeichnet der Heiland ihn vor allen Aposteln aus; tief blickend in seine reine Seele, bauet er auf den Glauben und die Treue desselben selbst seine heilige Kirche. Mit der nämlichen Sicherheit erkennet der Herr in Judas den, der vom Teufel verblendet und eingenommen war; ohne Schonung deckt er das schwarze Geheimniß und den Anschlag der Hölle auf, der in seinem Busen verborgen war; einer unter euch wird mich verrathen, spricht er, siehe die Hand meines Verräthers ist mit mir über Tische. So sollen auch wir Haß und Abscheu bezeugen gegen das Böse, kühn und rücksichtslos das Lasier entlarven, ohne Schonung das Geheimniß der Bosheit enthüllen, wo wir nach sorgfältiger Aufmerksamkeit und langer Beobachtung und wiederholter Erfahrung sehen, daß das Böse einem menschlichen Herzen zur andern Natur geworden, daß es versunken in den Abgrund des Lasters durch keine menschliche Hülfe mehr zu retten, daß es empört gegen Gott und sein heiliges Reich dem Verderben anheimgefallen ist. O! gerecht, nothwendig, heilig ist dieser Haß gegen das Böse, wenn es sich so gegen Alles, was heilig ist, verschworen, wenn es unschuldiges Blut verrathen, verführt und vergossen, wenn es so planmäßig entschlossen ist, in der Zerstörung alles Guten und Heiligen Christum immerdar ans Kreuz zu bringen und zu verrathen. Nicht anders können wir dann mehr unsere Liebe zu Christo beweisen, als durch den gründlichsten Haß desjenigen, was ihm einmal so feindselig widerstrebt und selbst in beständiger Zerstörung alles Guten begriffen ist.

II.

Härte und Schonung gegen das Böse sollen und können wir vereinigen, meine Freunde, wenn wir zweitens darauf achten, ob das Böse uns unmittelbar berührt oder von allgemeinerer Art nicht zunächst in unsern Wirkungskreis tritt.

Doppelter Art, meine Freunde, ist alles Thun und Wirken der Menschen, einmal ein besonderes, m einem engern Kreis eingeschlossenes und auf bestimmte Menschen, Verhältnisse und Zustände beschränktes, und zweitens ein solches, das an der gemeinsamen, öffentlichen und allgemeinen Thätigkeit Aller seinen Antheil hat und seinen Beitrag dazu leisten muß. Jenes bildet unsern nächsten und engeren Wirkungskreis, dieses unsern allgemeinern Beruf; jenes erfordert unsere nächste und unmittelbare That und Wirksamkeit aus einzelne Menschen; dieses hingegen wird uns von dem Ganzen aufgelegt und ist eine Pflicht gegen das Ganze; in jenem Kreise können wir unmittelbar leichter Alles berühren und ergreifen, verändern und nach unserm Sinne machen; in diesem wird etwas nur durch die Zusammenwirkung Vieler und Aller nur so fern sie gleich gesinnt denken und handeln. Wo nun das Böse uns entgegentritt in unserm nächsten und engern Wirkungskreise, wo es so unsere einzelne und persönliche Kraft gegen sich auffordert, wo es uns so unmittelbar berührt und so nahe, daß es auf uns ankommt, ob es gelten und herrschen, oder untergehen soll, da ist es die heiligste Pflicht, es zu bekämpfen und wie ein um sich fressendes Feuer zu dämpfen aus allen Kräften, keine Rücksichten des Ansehns oder des eigenen Vortheils zu nehmen, mit festem Sinn und Muth und mit heiliger Entschlossenheit den Kampf zu wagen für Gott und Christum und für die Gerechtigkeit seiner Sache. Jede Schonung in solchem Fall ist unverzeihliche Schwäche, jede Gleichgültigkeit ein wahres Verbrechen, jede Thatenlosigkeit nicht sonderlich verschieden von einer wahren Billigung des Bösen. Aber anders ist es, meine Freunde, wenn in den allgemeinen Lebensverhältnissen das Böse hervortritt in der Gestalt eines Verhängnisses, wenn es über Länder und Völker dahinschreitet, mit furchtbarer Gewalt bewaffnet, nach Blut und Menschenelend dürstend, und ausgerüstet mit allen Zeichen seiner höllischen Abkunft, wenn es, wie ein wüthendes Ungeheuer, im Gefolge nichts als Verderben und Unglück, sich über das Menschengeschlecht ausstreckt, uns es unnatürlich langsam zu peinigen, um unerbittlich grausam ihm alle Glieder auseinanderzureißen und sich mit teuflischer Lust an seinem allmählichen Untergang zu ergötzen. Wohl möget ihr dann in eurem Herzen den lebendigsten Ingrimm fühlen und nähren gegen das Böse, wohl möget ihr dann immerhin wünschen, daß es in euren Wirkungskreis eintreten möchte, um es zerstören zu können, wohl möget ihr dann im Anblick des Uebermaaßes menschlicher Laster und Unthaten mit den Knechten im Evangelium ausrufen: Herr hast du nicht guten Saamen auf deinen Acker gesäet, woher hat er den das Unkraut? Aber der Hausvater wohl anerkennend in seinen Dienern den Beruf, das Unkraut auszujäten, beruhiget sie doch mit der einfachen Antwort: Das hat der Feind gethan; so genau unterscheidet er hier das Unkraut selbst von dem Stifter des Unheils und stellet ihn dar als solchen, über den sich ihre Gewalt nicht erstreckt, gegen den nicht unmittelbar und zunächst ihr Ausrottungseifer würksam senn kann, mit welchem sie wenigstens nicht eher zu thun haben, als bis sie die von ihm ausgesaete Frucht des Unkrauts erst zerstört und ausgerottet haben. Und bemerket zugleich, nicht fremde Knechte, sondern die des Hausvaters sind es, die da fragen: wilt du denn, daß wir hingehen und es ausjäten, die sind es, die das Unkraut zunächst anging, die sind es, auf welche berufsmäßig das Geschäft des Ausjätens wartete, in deren nächsten und engsten Wirkungskreis das Böse eingetreten war und die Pflicht, es zu bekämpfen und auszurotten. So voll Eifers gegen das Unkraut in dem eigenen Lande oder in dem ihres Herrn wollen sie selbst schon Hand anlegen an das wuchernde Unkraut und nicht so lange warten sie, bis fremde Diener kommen und helfen; so voll Eifers gegen das Unkraut in ihrer nächsten Nähe maaßen sie sich nicht an, das Unkraut auf fremdem Lande ausrotten zu wollen, denn nicht errathen können sie des fremden Herrn Absichten damit, wie sie denn hier selbst ihres eigenen Herrn Absichten noch nicht errathen hatten. So voll Eifers gegen das Böse richten sie ihr Streben überhaupt zunächst und vor allen Dinge darauf, daß es in dem eigenen Lande erst ausgerottet werde, überzeugt, daß, wenn Alle so denken, das Unkraut bald überall verschwinden würde. Schonung also üben sie gegen das Unkraut auf fremden Lande, Härte und Strenge, auf dem ihrigen und so allein kann ein allgemeiner Krieg entstehen gegen das Böse, wenn jeder zunächst in seinem Wirkungskreise es zu zerstören übernimmt, wenn er es da unterdrückt, wo es emporkeimen will, wenn er in sich und Andern, die ihm angehören, jede falsche und unheilige Neigung, jede böse Gewohnheit, jedes freche Lasier bestreitet und besiegt und mit Schonung gegen das allgemeine, den lebendigsten Abscheu verbindet gegen das besondere Böse, zu dessen Bekämpfung wir zunächst berufen und verpflichtet sind und aus dessen besonderer Bekämpfung allein der Untergang des allgemeinen Bösen sich entwickeln kann.

III.

Verbinden sollen und können wir im Geiste des Erlösers Harte und Schonung gegen das Böse; drittens, wenn wir sehen, daß das Böse in das Gute innigst verflochten ist oder ganz davon abgesondert steht.

Ein dichtes, oft sehr feines Gewebe von Fehler und Tugend ist das menschliche Leben, meine Freunde; nicht frei wird der Mensch auf dieser Erde von der Sünde; selbst aus dem reinsten, von der Liebe zu Gott und dem Erlöser tief bewegten Herzen steigen nicht selten böse Gedanken und unlautere Neigungen auf; wie das Laster sich oft in das Gewand der Tugend kleidet, so hat das Gute auch nicht selten den Schein des Bösen gegen sich. Ein scharfes und geübtes Auge wird erfordert, in einzelnen Fallen beide rein von einander abzusondern; eine feste Und behutsame Hand gehört dazu, die einzelnen Faden des Guten und Bösen, die so leicht in einander laufen und. sich verwickeln, rein und genau auseinander zu legen; ja menschliche Kraft und menschlichen Verstand übersteigt es ganz und gar, das Geschäft im Großen zu versuchen und zu bestimmen, wo in solcher Vermischung und Verwickelung des Guten und des Bösen das eine aufhöre und das andere beginne, wo beide nicht mehr zusammenhängen und nicht mehr durch einander nothwendig sind. Lasset eure eigene Erfahrung sprechen. Hat Gott nicht selbst schon den Fluch gelegt auf alles Böse, daß es in seinem Reich und unter seinen Augen selbst dem Guten dienen und am Ende selbst dazu beitragen muß, daß sein heiliger Wille gelte; mußte nicht menschliche Bosheit ganz gegen ihre Absicht oft ein Mittel werden zu vielem Guten; vernichtet Gott nicht auch zuweilen das Böse durch das Böse; lenkt er den verborgenen Gang der Dinge nicht meistens so, daß auf solche Veranlassung und Aufregung unserer Kraft das Außerordentlichste geschieht; diente das Böse der Welt nicht oft zu einer verdienten Züchtigung, zu einer Geißel, womit der Herr ganze Familien und Nationen erst heimsuchen mußte, um sie aufzuwecken und aufzuschrecken aus ihrer Trägheit und Schlaffheit, um sie zur Anerkennung ihrer eigenen Sunden zu bringen und zum Bewußtseyn ihrer Kraft und Schuldigkeit? Wir, die wir den verborgenen göttlichen Zusammenhang der Dinge nicht durchschauen, wir die wir die wunderbaren Wege Gottes nie ganz begreifen und immerdar in diesem Leben untergeordnete Diener bleiben im Reiche des Herrn und Knechte des weisen Hausvaters, und mit gerechtem Unwillen das stolze Unkraut erblicken neben dem edlen Waizen, wohl können wir nicht anders, als fragen: Herr wilt du nicht, daß wir hingehen und es ausjäten? Er aber spricht: Nein, auf daß ihr nicht zugleich den Waizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausjätet; lasset beides mit einander wachsen. Schonung also, mildes Urtheil und Nachsicht über das Böse, wenn wir es in diesem geheimen Zusammenhange mit dem Guten ahnden, wo wir die öffentliche, selbst verwüstende Erscheinung des Bösen doch so unverkennbar verwickelt und verschlungen sehen mit einer andern, höhern und bessern Ordnung der Dinge, die durch dasselbe hereinbrechen und herbeigeführt seyn will, die sich des Bösen selbst nur bedient, um sich Platz zu machen und desto herrlicher einzutreten; Mäßigung unsers Unwillens und unserer Erbitterung, wenn wir nach dem Ausspruch des Herrn im Evangelio das Unkraut nicht ausrotten können, ohne zugleich dem Waizen zu schaden. O! meine Freunde, nur der heilige Geist Christi leitet uns richtig in der Behandlung des Bösen; nur er stellet uns in jenen hohen Gesichtspunkt, wo wir dem Bösen selbst eine heitere, erfreuliche Ansicht abgewinnen können; nur er lehret uns, die erhabenste Ruhe, Schonung und Duldung mit der lebendigsten Thätigkeit zur rechten Zeit und am rechten Ort zu verbinden. Er, der Heiland selbst, der überall, wo ihm auf seinen Wegen das Laster, die Ungerechtigkeit, die Heuchelei, die Gewinnsucht und der Eigennutz begegnete, mit dem heftigsten Tadel, mit schonungslosem Eifer strafte, der die Schriftgelehrten und Pharisäer Schlangenbrut und Otterngezüchte schalt und übertünchte Gräber und reißende Wölfe, der die Tische der Wechsler umstieß,, da sie das Heiligthum entweiheten, er lehrte auch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, thut wohl, denen die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder seyd eures Vaters im Himmel. Nicht stören, nicht lähmen, nicht einmal unterbrechen will er dadurch unsre Thätigkeit, unsern Eifer gegen das Böse am rechten Ort und zur rechten Zeit; aber beruhigen, besänftigen, trösten, und erfreuen will er uns durch die Hinweisung auf einen höheren Zusammenhang des Bösen selbst mit dem Guten; andeuten will er uns, was der heilige Apostel sagt, daß denen, die Gott lieben alle Dinge, selbst das Böse zum Besten dienen müssen.

IV.

Vereinigen endlich sollen wir Härte und Schonung gegen das Böse, viertens, je nachdem wir sehen, daß das Böse die Zeit der Reife erreicht hat, oder nicht.

Die heiligste Versicherung des Evangeliums, der süßeste Trost, den Christus den Seinen gegeben, ist, daß, wer in ihm lebet und bleibet und ihm anhanget, nicht untergehen und sterben kann in Ewigkeit, daß wer hingegen von ihm sich abgesondert, außer ihm, ohne ihn zu leben gedenkt, kein Leben in sich hat, sondern seinem Tod und Verderben unaufhaltsam entgegen rennt. Jede Pflanze, sagt der Erlöser, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt, soll ausgerottet werden. Mag auch das Böse, wenn gleich nicht um sein selbst willen, doch des Guten wegen, auch im Reiche Gottes seine Stelle finden und in vielen Fallen Schonung und Milde verdienen, innerlich und wesentlich trägt es doch den Tod und die Unseligkeit in sich selbst und unfehlbar wird früher oder später die Stunde seines Untergangs kommen. O! darum sollte billig alle Bosheit und Verworfenheit mit wehmüthiger Empfindung mehr, als mit Erbitterung betrachtet und der Böse wie ein Leidender, wie ein Besessener, wie ein Kranker behandelt werden, der an einem unheilbaren Uebel zehrt, das ihm langsam seine Lebenskräfte verzehrt: denn wie dieser gleichsam lebendig vor unsern Augen zu Grabe getragen wird, so eilet jener unaufhaltsam jenem in der Ferne aufgeschlagenem Richterstuhle entgegen, auf welchem Christus, der Herr, der Menschen Thaten abwägen und vergelten wird. Mit solcher Wehmuth weinte der Herr einst an den Mauern Jerusalems, weil es die Stimme des Gottgesandten nicht hören und nicht befolgen wollte; mit dieser Wehmuth sahe er im Geiste schon den nahen Untergang der Stadt voraus. Mit dieser erhabenen Ruhe deutet der Herr im Evangelium hin auf die Zeit, wo das Unkraut, reif zu seinem Verderben und Untergang, dem Feuer wird übergeben werden. Lasset beides, spricht er, wachsen bis zur Erndte; und um der Erndte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: sammlet zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne; aber den Waizen sammlet mir in meine Scheuren. Auch darum also Geduld mit dem Bösen und Schonung dessen, der einmal von Gott verworfen ist; nicht entrinnen kann er doch dem ewigen Gericht; nicht entfliehen vor dem Angesichte des Herrn; seinem sicheren Verderben reift er nur entgegen: schon menschlicherweise pflegen wir zu sagen, nicht eher könne die Verruchtheit vollkommen untergehen, als bis sie den äußersten Grad erreicht, dann aber werde und müsse sie sicher untergehn. So lehret auch das Evangelium, wachsen, zunehmen und reifen müsse neben dem Waizen auch das Unkraut bis zur Erndte. Nicht voreilig also, eigenmächtig und unbefugt lasset uns die Stunde seiner Reife herbeiführen oder beschleunigen wollen, nicht uns herausnehmen, den Augenblick zu bestimmen, wo das Böse sein Ziel und seine Gränze erreicht, nicht über das lasset uns entscheiden, was Gott sich vorbehalten hat und uns nicht in Gottes Gerichte fallen. Aber wachet und betet denn unversehens, wie ein Dieb in der Nacht, bricht der Tag des Herrn herein. Haltet, euch selbst nur rein und unverdorben und unberührt von dem Gifte des Unkrauts, das euch umgiebt, damit ihr dann in jener Stunde der Erndte leicht als der edlere Weizen erkannt und als eine reine Frucht aufgespeichert werden könnet in den Scheuren des Herrn. Sehet, schon immer schwüler und heißer werden die Tage und glühend brennet die Sonne auf uns herab. Saget ihr nicht selber, spricht der Erlöser, es sind noch vier Monden, so kommt die Erndte? Siehe, ich sage euch: hebet eure Augen auf und sehet in das Feld; es ist schon weiß zur Erndte. Darum bittet den Herrn der Erndte, daß er treue Arbeiter sende in seine Erndte. Amen.

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