Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - Ezeon Gaber.

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - Ezeon Gaber.

Siebenundvierzigste Predigt.

Einunddreißigste Lagerstätte: Ezeon Gaber. Text: 4. Buch Mose 33, 35.

So fangen wir denn jetzt das vierte und letzte Zehntel der Lagerstätten der Kinder Israel an. Diejenige, welche wir jetzt betrachten, ist die letzte von den 17 Lagerstätten, wovon uns nichts weiter gemeldet wird, als der Name, wiewohl sie etwa 37 Jahre über der Reise von Ritma bis hierher zubrachten. Langes Stillschweigen. In dem langen Zeitraum nichts als Sterben und Sterben, da Alles in der Wüste sterben musste, was zwanzig Jahr alt oder drüber aus Ägypten gezogen war. In den noch übrigen zehn Lagerstätten fallen wieder viele merkwürdige Begebenheiten vor, als da ist: Mirjams und Aarons Tod, der Wassermangel, Mosis Übereilung und Verurteilung, die feurigen Schlangen und ihre Heilung, Bileam, Mosis Tod, der Durchgang der Kinder Israel durch den Jordan. Wir verweilen denn jetzt mit unsrer Betrachtung bei der 31sten Lagerstätte, die Ezeon Gaber heißt, machen erst einige vorläufige Anmerkungen und erwägen dann die Bedeutung des Namens.

1) Diese Lagerstätte war von der vorherigen etwa 7 Meilen entfernt, die sie gewiss nicht in Einem Zuge zurücklegen konnten, da namentlich eine große Menge kleiner Kinder die Reise mitmachen mussten und den Aufenthalt und die Beschwerlichkeiten vermehrten. Vor der übermäßigen Sonnenhitze waren sie freilich geschützt, da sich die Wolkensäule bei Tage wie ein kühlender Schirm über ihnen ausbreitete, ohne welche sie körperlich hätten verschmachten müssen, wie wir geistlich, wenn wir nicht einen Fürsprecher bei dem Vater hätten. Übrigens ging's so gut, wie es konnte. Ihr Reisen war nicht ohne viel Ungemach. An Aufschlagen der Zelte war wohl nicht sonderlich zu denken, und hatten sie sie aufgeschlagen, mussten sie sie oft bald wieder abbrechen und anderswo aufpflanzen, und hatten selten oder niemals ihren Willen. Überall Verleugnung, überall Ungemach! und das nun schon 38 Jahre. Sie murren mitunter. Wir sind weit entfernt, das zu rechtfertigen oder auch nur zu entschuldigen oder in Schutz zu nehmen; aber betrachten wir uns als an ihrer Stelle, wie möchten wir es wohl gemacht haben, ja vielmehr wie machen wir's?

Sie wurden hart gestraft. Was haben wir verdient? Sie genossen viele Wohltaten. Wir noch mehr. Wo ist unser Dank? Gilt es nicht auch im Ganzen von uns, was zu jenen gesagt wird: O du toll und töricht Volk, dankest du also dem Herrn deinem Gott? Sind wir verständiger, besser, gläubiger, würdiger wie sie? Zu seiner Zeit wird der Herr aber die Leute heimsuchen, welche auf ihren Hefen liegen und lören1).

2) Was die Lage dieser Lagerstätte anbetrifft, so war sie der 9ten Lagerstätte Alus parallel und nicht weiter davon entfernt, als von der vorigen Lagerstätte zu Abrona. Dort hatten sie im ersten Jahre nach ihrem Auszug aus Ägypten und Durchgang durchs rote Meer ihr Lager gehabt. O weh, und jetzt im 38sten Jahre waren sie nicht weiter gekommen, als im ersten halben Jahr! Noch grade so arm, so schwach, so unwissend, so unbeholfen, so unwürdig! Doch sie waren viel weiter gekommen. Sie hatten alle die traurigen Erfahrungen von sich selbst und alle die erfreulichen Erfahrungen von dem Herrn, seiner Macht, Güte und Treue gemacht, welche sie in diesem langen Zeitraum machen sollten. Sie waren glaube ich denn wenigstens - viel ärmer, kleiner, verzagter an sich selbst geworden, als sie noch zu Alus waren. Ob auch gläubiger, dem Herrn zugewandter, ihm ergebener darf ich nicht behaupten, will es aber doch um so mehr hoffen, da wir seit langer Zeit nichts Nachteiliges von ihnen vernommen haben. Stellten sie hier zu Ezeon-Gaber Vergleichungen zwischen der Wirklichkeit jetzt und den damaligen Hoffnungen, Erwartungen, Vorstellungen, Denkbildern an, so würde das Ergebnis ganz eigener Art sein. Wie viel anders erschien ihnen. Vieles, wo nicht gar Alles jetzt als damals, und wird's uns das nicht auch tun, wenn wir anders eine Zeit in der Welt und namentlich im Christentum gewandelt haben und nachdenken? David gedachte auch wohl einmal geflissentlich der vorigen Zeiten, der alten Tage und wurde wohl dadurch getröstet, wenn er überlegte, wie Gott von der Welt her gerichtet hatte. Er hatte gewisse Punkte, gewisse Da's in seinem Leben, denen er in seinen Psalmen gern ein Denkmal setzte und worauf er oft zurückkam. Diese Da's waren eben nicht seine Salbung zum Könige, als vielmehr göttliche Errettungen, Wohltaten und Tröstungen. Von denselben sagte er zu seiner Seele: Vergiss sie nicht, und eins seiner merkwürdigsten Da's war jenes, dessen er im 32sten Psalm gedenkt, wenn er sagt: Da vergabst du mir die Schuld meiner Übertretung. Ein anderes merkwürdiges Da kommt im 30sten Psalm vor, wo er sagt: Da es mir wohl ging, sprach ich: Ich werde nimmermehr darniederliegen, denn, Herr, durch dein Wohlgefallen hast du meinen Berg festgemacht. Aber da du dein Angesicht verbargst, erschrak ich. - Gewiss, bis man von Alus nach Ezeon-Gaber kommt und also 22mal seine Station ändert, gestaltet sich und erscheint Vieles anders. Eben-Ezer, bis hierher hat der Herr geholfen. Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, das da vorne ist.

3) Jetzt befanden sie sich zum dritten Mal am Ufer des roten Meeres oder doch zum zweiten Mal, nachdem sie bei Pi-Hahirot durch dasselbe gezogen waren. Sie kommen nach einem bogenförmigen Zuge längs der moabitischen Grenze nach einiger Zeit zum vierten Male an das Gestade dieses ihnen so merkwürdigen Meerbusens, jedoch nur im Vorbeiziehn von Zalmona nach Phönon. Wir wissen, dass Paulus 1. Kor. 10 das rote Meer, wie Petrus 3,20. die Sündflut als eine Abbildung des Taufbundes aufstellt, welche, wie der Erstgenannte, dieser große Apostel unsers Herrn sagt, ein Begraben werden mit Christo durch die Taufe in den Tod zur Abtötung des alten Menschen mit seinen Lüsten und Begierden, so wie eine Auferweckung und Lebendigmachung samt ihm zum Wandel in einem neuen Leben bezeichnet und versiegelt, und deswegen das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Geistes heißt, und die, wie der Andere schreibt, ist eine Abwaschung von Sünden durch das Blut des Sohnes Gottes und der Bund eines guten Gewissens und Anspruch zu Gott durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Wie die Taufe, so ist das rote Meer eine Abbildung des überflüssigen Maßes, in welchem die Güter des Gnadenbundes ausgegossen sind in den Tagen des Neuen Testamentes, wodurch namentlich die Reinigung der Seele von Sünden und ihre Wiederbelebung zum Bilde Gottes bewirkt wird. Was können wir denn Köstlicheres sehen, als dies rote Meer! Wird es genug sein, es nur viermal zu beschauen, oder sollen wir nicht stets daran gelagert bleiben? Immer müssen wir doch wieder zu Christo zurück, und billig sollen wir keinen Augenblick von ihm abkommen, sondern stets in ihm bleiben, damit wir viel Frucht bringen, durch welche der Vater geehrt wird, denn ohne ihn können wir nichts tun. Ermunternd ist die Erinnerung an die begonnene Erlösung, deren Beginn uns zugleich zum Unterpfand ihrer Vollendung gereicht. Er hat uns erlöset. Er erlöset uns täglich, und so vertrauen wir auch, dass er uns erlösen wird und aushelfen zu seinem herrlichen Reich. Was für ein köstliches Gastmahl wird aber auch dem Geiste bereitet, wenn ihm erleuchtete Augen verliehen werden, um etwas von dem unausforschlichen Reichtum Christi und der eigentlichen Beschaffenheit des neuen Bundes zu erschauen. Jawohl, dann wird er mit vergestaltet in dasselbe Bild von einer Klarheit zur andern; dann lehrt Ein Viertelstündchen mehr, als alle Bücher wissen.

4) Ezeon Gaber war übrigens wenigstens in späterer Zeit - ein Seehafen, wo die Schiffe aus- und einfuhren und einen sichern Stand fanden. Salomo baute hier Schiffe und bekam welche, bemannt mit der Schifffahrt kundigen Leuten, von dem Könige zu Tyrus, Hiram. Diese sandte er nach Ophir, Gold zu holen, und sie machten die Reise hin und zurück innerhalb drei Jahren. Der gottselige König Josaphat ließ hier auch Schiffe bauen, war aber unglückselig damit, denn sie wurden von Sturmwinden so übel zugerichtet, dass sie nicht aufs Meer fahren konnten. Dies war ihm von dem Propheten Elieser zuvor angekündigt und gedroht worden. Wodurch hatte sich denn dieser gottselige König dieses Gericht und Züchtigung zugezogen? Der Prophet sagte es ihm: Darum, dass du dich mit Ahasja vereinigt hast, hat der Herr deine Werke zerrissen. Zuerst hatte Josaphat sich verleiten lassen, mit dem gottlosen Könige Ahab einen Bund zu schließen und ihm in einem Kriege gegen Syrien beizustehn, welcher, wie der Prophet Micha vorhergesagt hatte, obschon er dafür von Ahab war ins Gefängnis geworfen worden, so unglücklich ausfiel, dass Ahab ums Leben kam, und Josaphat selbst in die äußerste Gefahr geriet und sich nur mit genauer Not durch eine schleunige Flucht rettete. Für diese Gemeinschaft, die er mit einem so durchaus gottlosen Könige, wie Ahab war, gepflogen hatte, ließ ihm Gott durch den Prophet Jehu einen scharfen Verweis geben. Solltest du so den Gottlosen helfen und lieben, die den Herrn hassen? hieß es zu ihm. Um deswillen ist über dir der Zorn vom Herrn. Weil aber doch Josaphats Herz in Aufrichtigkeit Gott ergeben war, wurde ihm sein Fehler verziehen und der scharfe Verweis, den er bekam, brachte sehr heilsame Früchte. Später verlieh ihm der Herr einen wunderbaren und herrlichen Sieg wider ein ungeheuer großes Heer. Bei dieser Gelegenheit erschien Josaphat im höchsten Glanze seiner Gottseligkeit, und sein Gebet unter diesen Umständen ist vom heiligen Geiste würdig geachtet worden, 2. Chron. 20 aufgezeichnet zu werden. Aber ach, wo gibt es ein Wort, um das bejammernswürdige Elend des menschlichen Herzens, auch sogar eines solchen Herzens, das nicht ganz von göttlicher Gnade leer ist, anzudeuten oder gar zu beschreiben und auszusprechen! - Nach allen diesen Vorgängen vereinigte er sich doch wieder mit dem Sohn und Thronfolger Ahabs, der seinen Vater fast noch an Gottlosigkeit übertraf, der nämliche, welcher den Propheten Elias wollte aufheben lassen, der aber zweimal durch Feuer vom Himmel die gegen ihn ausgesandte Mannschaft aufrieb. Von diesem ließ Josaphat sich bereden, mit ihm gemeinschaftliche Schiffe aufs Meer auszusenden, um Gold aus Ophir zu holen. Wie es ihm dabei ging, wissen wir. Dies hatte auch gute Wirkung, denn als Ahasja ihn zu einem zweiten Versuch verleiten wollte, war Josaphat unbeweglich. So züchtigt Gott seine Kinder, die er lieb hat, und sieht ihnen ihre Unarten nicht durch die Finger. Er trachtete, wie die Schrift von ihm sagt, von ganzem Herzen nach dem Herrn, deswegen kam ihm der Herr durch treue Züchtigung zu Hilfe, ihm selbst zu nutz, damit er seine Heiligung erlangte. Seht daher zu, wie ihr vorsichtig wandelt. Seid nicht stolz, sondern fürchtet euch. Schließlich bemerke ich noch gern, dass der Prophet, welcher ihm den Verweis geben musste, ein Sohn Dadava war, d. h. er ist die Liebe; denn des Vaters Liebesrut ist uns allewege gut.

5) Soweit wie jetzt sind sie noch nicht einmal von Kanaan entfernt gewesen. Zu eurem Trost können wir euch aber versichern, dass sie nie wieder so weit davon abkommen werden. Was wollen wir dazu sagen? Finden wir nicht ein Bild eines Zustandes, worin sich die Kirche überhaupt und in einzelnen Gliedern schon mehrmals befunden hat und jetzt wohl besonders drin schwebt? Wollten wir dieses näher nachweisen, so würden wir uns zu weit ausbreiten müssen und schweigen deswegen lieber ganz davon. Der einzelne Christ aber, welcher je mit Jeremia sagen musste: Meine Seele ist aus dem Frieden gerissen, ich muss das Gute vergessen, befand sich auch gleichsam in Ezeon Gaber gelagert, fühlte sich fern und seufzte mit David aus fernem Lande nach Zion. Jedoch er züchtigt uns wohl, gibt uns aber dem Tode nicht hin. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht; wir werden unterdrückt, aber kommen doch nicht um.

6) Wir bemerken weiter sechstens, dass sie von hier aus ihre Richtung gegen Westen auf Kanaan zu nehmen, müssen euch aber im voraus sagen, dass sie bei der zweiten Lagerstätte von hieraus aufs verheißene Land zu, wieder zurück müssen, denn die Edomiter wollen sie nicht durchziehn lassen, obschon sie aufs demütigste darum bitten und Alles, was sie etwa verzehren, bis zum Wasser hin bezahlen wollen; dennoch müssen sie zurück. Und da sie sich nun bittend an Moab wenden, bekommen sie ebenfalls eine abschlägige Antwort, die sie mit Drohungen begleiteten. Ihr Stammvater Jakob hatte einmal in bitterm Schmerzgefühl ausgerufen: Es geht Alles über mich. Urteilt selbst, ob sich für seine Nachkommen eine ähnliche Sprache geziemt hätte! In der besten Sache stoßen sie unerwartet auf unübersteigliche Hindernisse. Sie, das Volk Gottes, müssen einem Volk weichen, das Gott nicht angehört. Moab ist von seiner Jugend auf sicher gewesen und auf seinem Hefen still gelegen und ist nie aus einem Fass in das andere gegossen und nie ins Gefängnis gezogen, darum ist sein Geschmack ihm geblieben und sein Geruch nicht verändert worden. Aber ich will ihnen Schröter schicken, die sie schroten sollen und ihre Fässer ausleeren und zerschmettern sollen; denn Israel hat dein Gespötte sein müssen, als wäre es unter den Dieben gefunden worden, und weil du solches wider sie redest, sollst du auch weg. Verflucht sei, wer sein Schwert wider dich aufhält, Jer. 48. Moab ist ein Bild des Widerchristen, dem nach Jes. 63, der Untergang bereitet und damit dem Reiche Gottes jedes Hindernis aus dem Wege geräumt wird.

7) Die siebente und letzte vorläufige Anmerkung, welche wir machen, ist lieblicher Art. Hier war es nämlich, wo der Herr nach 5. Mose 2,7. dem Volke durch Mose sagen ließ: Der Herr hat dein Reisen durch die große Wüste zu Herzen genommen. Sie hatten das Gebirge Seir, zu deutsch rau, borstig, dem die Haare zu Berge stehen lange Zeit umzogen, bis endlich der Herr sagte: Es ist nun lange genug und jene tröstlichen Worte aussprach. Es ist wahr, sie lauten tröstlich, aber lauten sie nicht zugleich so, als ob der Herr sich bisher ihr Reise-Ungemach nicht sonderlich zu Herzen genommen, wie es von dem zweiten Stammvater des menschlichen Geschlechts heißt: Da dachte Gott an Noah, als ob er seiner bisher vergessen gehabt hätte. Das ist hart. Ein so raues, borstiges Gebirge zu umziehen, dies eine lange Zeit und wie ohne Nutzen fortsetzen zu müssen; dabei keine besonderen Proben der göttlichen Leitung, Regierung und Mitwirkung zu sehen, das ist hart. Gesellen sich allerhand Unfälle, allerhand Anzeichen des göttlichen Zorns dazu, wie in dem israelitischen Lager durch die häufigen und immer zunehmenden Sterbefälle geschah, so kann das Gemüt tief niedergebeugt werden, so dass auch David einmal betet: Du wollest nicht dem Tier geben die Seele deiner Turteltaube und deiner armen Tiere nicht so gar vergessen; und ein anderes Mal: Du wollest dich aufmachen, Herr, und über Zion erbarmen, denn es ist Zeit, dass du ihr gnädig seist und die Stunde ist kommen; denn deine Knechte wollten gern, dass sie gebaut würde, dass ihr Kalk und Steine zugerichtet würden, dass die Heiden den Namen des Herrn fürchten und alle Könige deine Ehre. Ach, wie weinten und beteten vor Viertelhalbhundert Jahren jene versammelten und bedrängten Christen in Böhmen, als ihre Abgesandten von einer weiten Reise, auf welcher sie nach Christen forschten, zurückkehrten und ihnen berichteten, dass sie weder in Europa noch Asten eine Gemeine gefunden hätten, welche die Wahrheit lauterlich unter sich erhalten hätte, und an die sie sich anschließen könnten. Und siehe, Luther war schon geboren, durch welchen wenigstens ein Teil der Kirche eine ganz andere Richtung bekam. Freilich kann Zion in Umstände kommen, wo es sich vom Herrn vergessen und verlassen dünkt. Aber zur Zeit nimmt der Herr dein Reisen so zu Herzen, dass du selbst es fühlst und erfährst.

Dies sind die vorläufigen Anmerkungen. Lasst uns jetzt die Bedeutung des Namens dieser Lagerstätte vernehmen. Dieser Name besteht aus zwei Wörtern, Ezeon und Gaber, und wir geben derjenigen Übersetzung dieses Namens den Beifall, welche ihn durch Kraft-Rat gibt. Das letztere Wort ist das nämliche, wovon das Segenskind, das uns geboren ist, den Namen Held führt Jes. 9, den ihm auch der 45ste Psalm beilegt: Gürte dein Schwert an deine Seite, du Held. Das erstere leiten wir von dem nämlichen Worte ab, wovon er bei dem genannten Propheten den Namen Joez d. i. Rat hat. Hier werden beide Namen in einander verschlungen, Kraft-Rat, und so bezeichnet er etwas ebenso Wünschenswertes als Nötiges, Nützliches und Ermutigendes. Späterhin bekam dieser Ort den Namen Bernien, auf deutsch: Der den Sieg bringt, und gewiss erlangt man Diesen nur durch Jenen.

Der Name Ezeon, in seinen Klängen auf Rat hindeutend, erinnert an Bedürfnis und Erfahrung und ermuntert zu Zuversicht und Vertrauen. Welch ein Bedürfnis für Rat befand sich bei den lieben reisenden Hebräern und mehrte sich in dem Maße, als sie sich Kanaan näherten! Was war doch noch Alles durchzumachen, welche Mühseligkeiten noch zu erdulden, welche Schwierigkeiten zu überwinden, welche Feinde zu besiegen, Feinde, an Macht und Geschick ihnen weit überlegen, und sie gegen dieselben nur einem Haufen Ameisen zu vergleichen! Dazu kam ihre Torheit, da Moses sich genötigt sieht, ihnen zu sagen, bis diese Stunde hätten sie noch kein Herz bekommen, das verständig wäre. Wie oft waren sie schon in Umständen gewesen, wo sie keinen Rat mehr wussten, als am roten Meer, da es ihnen an Speise, an Wasser mangelte, da Gott sie wegen ihrer Sünden umbringen wollte, da Amalek über sie herfiel usw. Wie oft konnten sie in ähnliche Fälle kommen und kamen bald hinein. Sie waren jetzt noch so weit von Kanaan, waren umgeben von erbosten und mächtigen Feinden, Edom, Moab, Ammon, welche schon ihre Schwerter wetzten; bald starb ihnen Mirjam, starb ihnen Aaron, starb ihnen Moses selbst. So stand es um Israel. Und sind wir, im Grunde betrachtet, weniger ratsbedürftig, wie sie? Wir werden das nicht glauben, wofern wir das rechte Maß von uns nehmen, sondern überzeugt sein, dass wir uns, wenngleich unter andern Umständen, in gleichen Verhältnissen befinden, und ehe wir's uns versehn, ganz ratlos in uns selbst dastehn können. Wie notwendig ist uns also doch ein zuverlässiger, weiser Ratgeber, der uns an die Hand gebe, wie wir dies ansehen, jenes angreifen sollen, wie wir als Sünder dennoch getrost zu Gott kommen, wie wir als Schwache dennoch Alles wohl ausrichten, und das Feld behalten mögen, als Traurige doch allezeit fröhlich sein, und als Arme doch Alles inne haben können. Wie kommen wir durch? Wie machen wir's, dass wir des rechten Weges nicht fehlen? und da wir's mit eben so verschlagenen als unermüdet mächtigen und gefährlichen Feinden zu tun haben, wie greifen wir's an, dass wir's ihnen dennoch abgewinnen und das vorgesteckte Ziel der himmlischen Berufung Gottes in Christo Jesu erreichen? Gewiss tut uns da Jemand not, der uns mit Rat und Tat an die Hand gehe. Und wohl uns, wenn wir dergleichen Rat recht viel bedürfen, es ist ein gutes Zeichen.

Aber wo wäre Jemand in Israel, der nicht auch an seine Erfahrung vor wirklichem und oft empfangenem Rat sich dankbar erinnerte, wenn er auf den zurückgelegten Weg blickt? Durch was Alles war Israel denn nicht durchgekommen, so dass auch 5. Moses 1,31. sagt: Der Herr hat dich getragen in der Wüste, wie ein Mann seinen Sohn trägt, durch allen Weg, daher ihr gewandelt habt bis hierher. Wie viele Durchhilfen im Leiblichen, wie viele im Geistlichen habt ihr nicht erfahren! Schien zuweilen kein Durchkommen, kein Ausweg mehr zu sein, so fand sich denn doch wieder eine Öffnung. Die Finsternis wurde vor dir her zum Licht, das Höckerige zur Ebene gemacht. Ehe du es dachtest, rief der Herr wieder: Hier bin ich, hier bin ich! Er gab dir weder Licht und Trost. Die Müden bekamen Kraft und Stärke genug die Unvermögenden, dass sie auffuhren mit Flügeln wie Adler, dass sie liefen und nicht matt, wandeln und nicht müde werden.

Diese Erfahrung kann und soll denn Hoffnung und Zuversicht bringen. Zu wem? Zu wem anders, als zu demjenigen, der da Rat heißt, und der von sich sagt: Mein ist beide, Rat und Tat. Wir sind nun so lange in der Wüste herumgezogen, dass uns billig alles Vertrauen auf eignen Rat und Kraft rein vergangen. sein sollte. So war's ja die Absicht dieser Kreuz- und Querzüge. Es sollte vor und nach Alles kund werden, was in ihren Herzen wäre. Wir sollten so gedemütigt werden, dass wir nicht sagten, wozu wir so geneigt sind: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben dies ausgerichtet, dass wir gänzlich einräumten, wozu wir freilich gar keine Neigung haben, dass wir nicht um unsers aufrichtigen Herzens und unsrer Gerechtigkeit willen ins Land kommen, sondern bloß darum, dass der Herr sein Wort halte. Der Zweck wird dann wohl ziemlich erreicht sein, und das wird sich in dem Maße offenbaren, als ihr nun lediglich dem Herrn anhanget und nicht auf euch selbst, sondern auf den vertrauet, der da sagt: Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.

Dies Vertrauen erblickt in diesem Kraft-Rat hinlängliche Gründe bei aller eignen Ratlosigkeit, dennoch gutes Mutes zu sein in allen Verwicklungen. Dies leitet ein in eine heilige Stille und Gott-Gelassenheit, macht tüchtig, alle Sorge auf ihn zu werfen, der ja für uns sorgt, mehr wie ein Vater für ein geliebtes Kind und den ganzen Weg auf ihn zu wälzen. - Stirb denn nur, Mirjam, und du Aaron, ja stirb Moses dazu. Rüste dich nur, Moab, und schärfe dein Schwert, Edom. Ihr riesenhaften Enim, erhebt euch nur, und du, Og, König zu Basan. Rüstet euch, ihr Völker und gebt doch die Flucht, beschließt einen Rat, und es werde Nichts daraus, denn hie ist Immanuel. Amen.

1)
›plärren, schreien, brüllen, heulen; etw. herunterleiern‹.
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autoren/k/krummacher_g.d/krummacher_g_d_wuestenwanderung_predigt_47.txt · Zuletzt geändert: von aj
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