Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 7. Betrachtung

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 7. Betrachtung

Etwas Großes ist die Erlösung, und was die Erlösung mit sich bringt, die Vergebung der Sünden. Haben wir sie wirklich in Christo? Die Antwort auf diese Frage hängt von der Antwort auf eine andere Frage ab, die bekannte, Matth. 22.: „Was dünkt euch um Christo? wes Sohn ist er?“ Hier teilen sich die Menschen, einige sagen dies, andere sagen das, wie schon in den ersten Zeiten der christlichen Kirche über jene Frage die Meinungen auseinandergingen. Auch in der neugegründeten Gemeinde zu Kolossä lehrten und glaubten nicht alle, dass Christus der Sohn des lebendigen Gottes sei. Es gab Irrlehrer dort, die ihn für einen bloßen Menschen hielten, mit dem zwar bei der Laufe sich ein höherer Geist verbunden habe, welcher Geist aber am Ziele seiner irdischen Laufbahn ihn wieder verlassen. Es gibt, lehrten sie, höhere von Gott ausgegangene Wesen, an Macht und Würde von einander verschieden, und diesen Wesen stellten sie Christum nach. Wie können wir aber glauben, dass wir in Christo die Erlösung, nämlich die Vergebung der Sünden, haben, wenn wir ihm die göttliche Würde absprechen, die die Schrift ihm beilegt? Lasst uns hören, was uns der Apostel Paulus darüber lehrt:

Christus das Haupt der Schöpfung.

Kolosser 1, V. 15. 16. 17.: Welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor allen Kreaturen, denn in ihm ist alles geschaffen, das im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare, beides die Thronen und Herrschaften und Fürstentümer und Obrigkeiten, es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen, und er ist vor allen und es besteht alles in ihm.

In diesen Worten nun zeigt uns der Apostel die göttliche Würde unsers Erlösers, wie sie

  1. in seinem Wesen liegt, und
  2. in seinen Werken sich zu erkennen gibt.

Christus wird das Ebenbild des unsichtbaren Gottes genannt. Hat er darin einen Vorzug vor dem Menschen? Wird doch auch der Mensch Gottes Bild und Ehre genannt (1 Kor. 11.), und wir wissen, als Gott Himmel und Erde schuf, dass er da der Schöpfung die Krone aufsetzte durch den Menschen, den er zu seinem Bilde schuf. Was Gott im Großen ist, das sollte der Mensch im Kleinen sein, ein Wesen, worin Macht mit Weisheit, Weisheit mit Liebe, Liebe mit Gerechtigkeit, Gerechtigkeit mit Freude und Seligkeit verbunden wäre. Ging nun gleich dies Bild Gottes durch die Sünde verloren, so wissen wir doch, dass Gott es wiederhergestellt hat durch Christum, und dass, wer den neuen Menschen anzieht, das Durch erneuert wird zu der Erkenntnis, nach dem Ebenbilde des, der ihn geschaffen hat (Kol. 3.). Aber wie groß auch der Vorzug des Menschen vor allen übrigen Kreaturen ist, so ist und bleibt doch ein großer Unterschied zwischen dem Bilde Gottes, das der Mensch, und dem Bilde Gottes, das Christus in und an sich trägt. Der Mensch ist geschaffen in der Zeit, Christus vom Vater geboren in Ewigkeit. Ehe der Mensch war und die Erde und die Welt, war Christus. Gott wurde nicht erst ein Vater dadurch, dass er die Menschen schuf und sie erlöste, sondern Vater war er von Ewigkeit her durch das Bild, das der eingeborne Sohn in sich trug. Und kein unvollkommenes Bild war es, wie das Bild Gottes in einem geschaffenen Wesen, sondern ein vollkommenes; was im Vater war und ist, das war und ist auch im Sohne, die ganze Fülle der Gottheit ist in Christus. Daher können wir ihn das Urbild nennen, wovon der Mensch nur ein Abbild ist. Alle seine Vollkommenheiten hat Gott dem Sohne mitgeteilt und durch ihn uns offenbar gemacht. Wir würden Gott nicht kennen, wenn wir ihn nicht in Christo erkennten. Er wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann (2 Timoth. 6.). Dennoch kennen wir ihn nach seiner Allmacht, seiner Weisheit, seiner Gerechtigkeit, Liebe, Gnade und allen göttlichen Eigenschaften. Woher diese Erkenntnis? Der eingeborne Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat es uns verkündigt“ (Joh. 1,18.). Auf zweierlei Weise hat sich uns Gott in Christo offenbart, zum Ersten dadurch, dass er durch Christum die Welt geschaffen und seine göttliche Herrlichkeit von Christo auf die Welt und auch auf uns

hat übergehen lassen. Als aber die Sünde der Menschen Herz verfinstert hatte, dass sie Gottes unsichtbares Wesen, nämlich seine ewige Kraft und Gottheit, nicht mehr wahrnahmen an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt, da offenbarte sich uns Gott zum Andern dadurch, dass er seinen eingebornen Sohn Mensch werden ließ. Was sagen von diesem Sohne die Jünger, die um ihn waren? „Wir haben gesehen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Joh. 1,14.). In dem Lichte, das Christus leuchten ließ, sahen und sehen die Menschen die Herrlichkeit des großen Gottes. Also ist Christus das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, ist es, auch nachdem er sich gesetzt hat zur Rechten Gottes in der Höhe, wie er es war, da und ehe er in die Welt kam Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit! - Um deswillen nun nennt ihn der Apostel auch den Erstgebornen der ganzen Schöpfung. Zweierlei bedeutet das, fürs Erste, dass Christus vor allen Kreaturen gewesen ist, fürs Andere, dass er einen Vorzug vor allen Kreaturen hat. Erstgeborener ist nicht so viel als Ersterschaffener, sondern einerlei mit Eingeborener. Christus ist nicht geschaffen, er war vor Abraham, er war im Anfang, seine Geburt war von Ewigkeit her (Micha 5,1.). Ist alles, was geschaffen ist, durch ihn geschaffen: wie könnte er selbst geschaffen sein? Er war im Anfang bei Gott, daher er auch nach seiner Würde erhaben ist über alle Kreaturen. Die Erstgeborenen des alten Testamentes hatten einen besondern Vorzug vor den andern Kindern des Hauses, sie hatten die Herrschaft über sie und alles Gesinde, konnten Könige und Hohepriester werden, und hatten zwei Teile des Erbes voraus. Wenn demnach Jesus der Erstgeborene der ganzen Schöpfung heißt, so will das sagen, dass er der Herr, König und Fürst aller Kreaturen ist. Christus ist also geboren, dass er durch die Geburt der Vornehmste ist vor allen Kreaturen, die er unendlich übertrifft in allem, in der Natur, Majestät, Dauer, Werken, Amt und sonst, als der mit dem Vater gleiches Wesens ist. Christus ist das Haupt der ganzen Schöpfung.

Siehe, eine solche Beschreibung macht uns der Apostel von unserm Erlöser, damit wir nicht etwa meinen, es gebe Wesen, die über ihm stehen, sondern daran festhalten: er und der Vater sind eins, daher auch seine Erlösung gültig ist, und wir alles in ihm haben, und auf so hohe Art, dass keine Kreatur etwas hinzutun kann.

Damit wir aber wissen, warum wir Christum für den Erstgeborenen der ganzen Schöpfung zu halten, also nach Würde und Ursprung über alle Kreaturen zu setzen haben, so hält uns der Apostel nun fürs Andere seine Werke vor, die von jener Wahrheit Zeugnis geben. „Denn in ihm - spricht er - ist alles geschaffen.“ Die Irrlehrer zu Kolossä schrieben die Schöpfung der Welt gewissen Engeln zu, die sie über Christum setzten. Paulus führt die Schöpfung der Welt auf Christum zurück, wie auch Johannes tut, wenn er spricht: „Alle Dinge sind durch das Wort gemacht, und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist“ (Joh. 1,3.). In ihm hat Gott alles geschaffen, alles, das im Himmel und auf Erden ist, also nicht nur die Menschen, sondern auch die Engel, und außer den Menschen und den Engeln auch die Örter, da sie wohnen. Manches sehen wir, manches sehen wir nicht; die Schöpfung hat eine Höhe und Tiefe, die wir mit unserm Auge nicht durchdringen können. Aber mag das Auge es erreichen oder nicht, beides, das Sichtbare und Unsichtbare, ist durch Christum geschaffen.

Was gehört zur unsichtbaren Welt? Vornehmlich die Engel, die uns der Apostel näher bezeichnet nach der Ordnung, die unter ihnen ist. Seien es Thronen spricht er oder Herrschaften oder Obrigkeiten oder Gewalten. Es ist möglich, dass die Irrlehrer zu Kolossä unter den Engeln denselben Unterschied machten. Paulus bestätigte ihn, aber dadurch unterscheidet er sich von jenen, dass er die Engel nicht über Christum, sondern Christum weit über die Engel stellt. Frage nun nicht, wodurch sich jene Klassen der Engel näher unterscheiden, denn das gehört zu den unnötigen und unnützen Fragen, deren wir uns entschlagen sollen (1 Tim. 2,23.). ist genug, dass wir wissen, dass, wie auf Erden unter den Menschen, so im Himmel unter den Engeln, Stufen der Macht und Würde sind. Im Reiche der Schöpfung herrscht keine Einförmigkeit, selbst nicht unter gleichartigen Wesen, sondern die Würde der Geschöpfe steigt wie an einer Leiter von der niedrigsten Stufe bis zur höchsten durch unendlich viele Mittelstufen empor. Die Zahl der Stufen unter den Engeln ist uns nicht bekannt; die in unserm Text genannten Thronen, Herrschaften, Obrigkeiten, Gewalten, bezeichnen nur die höchsten Stufen der Würde im Reiche der Herrlichkeit. Aber wie groß auch ihre Würde sei, so stehen sie dennoch als Geschöpfe weit unter der Würde dessen, durch den alles geschaffen ist, das im Himmel und auf Erden ist. Auch wir sind durch seine Hände bereitet; darum sollen seine Hände uns, die Gefallenen, auch wieder umschaffen, damit wir Gefäße der Gnade werden, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, und wir also etwas sein mögen zum Lobe seiner Herrlichkeit.

Wie haben wir uns aber die durch Christum geschehene Schöpfung näher nach ihrer Art und Weise zu denken? Alles, spricht der Apostel, ist in ihm, ist durch ihn und zu ihm geschaffen. Jegliches Werk hat eine dreifache Hauptbeziehung zu seinem Meister. Ehe es ins Dasein tritt, ist es in ihm, steht im Ganzen wie in allen seinen einzelnen Teilen als Urbild in seinem Geiste da. Ein Baumeister könnte kein Haus bauen, wenn nicht, bevor es äußerlich entsteht, der Bau in seinem Geiste geschähe. Dann aber wird, was in ihm ist, nun auch durch ihn ausgeführt. Er sorgt und legt Hand an, dass das Werk aus seinem Innern heraustrete in die Wirklichkeit. Steht es endlich da, so preist es des Meisters Hand, der es geschaffen hat, denn es offenbart seine Kunst, Weisheit und Verstand, und muss dienen, wozu es geschaffen worden ist. Also können auch Himmel und Erde nicht losgerissen werden von Christo, sondern sind von Anfang her bis jetzt mit ihm verbunden. Ehe die Welt geschaffen war, stand schon der Plan zu ihr und das Urbild von ihr fertig und vollendet im Geiste des Herrn. Das Sichtbare und Unsichtbare, vom kleinsten Wurm hinauf bis zum höchsten Cherub, alles war, wie nach seinen einzelnen Teilen, so nach dem wunderbaren Zusammenhange dieser Teile, beschlossen und vollendet in ihm. Dann ließ er es hervorgehen aus seinem Geiste. Was in ihm war, das wurde durch ihn. Gott schuf die Welt durch Christum, nicht als durch ein totes Werkzeug, sondern als durch das lebendige Wort, ohne welches nichts geschaffen werden konnte. Ist es nun von da an losgerissen von dem Herrn? Nein, es ist gebunden an den Plan, wonach er es geschaffen hat, und verkündigt in allen seinen Teilen die wunderbare Macht, Liebe und Weisheit des Herrn. Die ganze Welt dienet zur Offenbarung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi. Ihn preist Sonnenschein und Sturm, ihn preist der Sand am Meere. Bringt, ruft auch der geringste Wurm, bringt meinem Schöpfer Ehre! So ist alles geschaffen zu ihm, und auch wir sind es, dass wir, soviel an uns ist, seine Herrlichkeit offenbaren und ihm dienen sollen unser Lebenlang in Gerechtigkeit, Unschuld und Heiligkeit. Was folget nun aber daraus? Das, was Paulus am Schluffe unseres Texts sagt: „Er ist vor allem und es besteht alles in ihm.“ „Denn könnte alles durch ihn sein, wenn er nicht vor allem wäre? und könnte alles zu ihm sein, das heißt, zur Offenbarung seiner Herrlichkeit und zur Vollendung seines großen Weltplans dienen, wenn er seine Hand zurückzöge, wenn nicht alles in ihm bestände und er nicht alles trüge mit seinem kräftigen Wort? Er ist der Eckstein, worauf nicht nur die Kirche, sondern das große Gebäude der Welt in der Zusammensetzung aller seiner Gemächer steht. Welcher Trost für uns und welche Ermunterung! Das ist der Trost: Unter Jesu Schirmen sind wir vor den Stürmen aller Feinde frei. Ob in Ungewittern Welt und Kirche zittern, uns steht Jesus bei. Ob es donnert gleich und blitzet, ob gleich Sünd' und Hölle schrecken, Jesus will uns decken! Das aber ist die Ermunterung: der aller Dinge Eckstein ist, den sollen wir auch zum Eckstein unsers Heils erwählen, und sollen, wie wir nach unserm natürlichen Leben in ihm weben und sind, so auch geistlich in ihm sein und an ihm wachsen, wie eine Rebe an ihrem Weinstock wächst.

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_7_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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