Hofacker, Ludwig - Predigt am ersten Sonntage in der Fasten, Invocavit
Das Gebet Jesu
Text: Joh. 17.
Solches redete JEsus, und hob Seine Augen auf gen Himmel, und sprach: Vater, die Stunde ist hier, daß Du Deinen Sohn verklärest, auf daß Dich Dein Sohn auch verkläre; gleichwie Du Ihm Macht hast gegeben über alles Fleisch, auf daß Er das ewige Leben gebe Allen, die Du Ihm gegeben hast. Das ist aber das ewige Leben, daß sie Dich, daß Du allein wahrer Gott bist, und, den Du gesandt hast, JEsum Christum, erkennen. Ich habe Dich verkläret auf Erden, und vollendet das Werk, das Du mir gegeben hast, daß ich es thun sollte. Und nun verkläre Du mich, Vater! bey Dir selbst mit der Klarheit, die Ich bey Dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe Deinen Namen geoffenbaret den Menschen, die Du mir von der Welt gegeben hast. Sie waren Dein, und Du hast sie mir gegeben, und sie haben Dein Wort behalten. Nun wissen sie, daß Alles, was Du mir gegeben hast, sey von Dir. Denn die Worte, die Du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben; und sie haben es angenommen und erkannt wahrhaftig; daß ich von Dir ausgegangen bin, und glauben, daß Du mich gesandt hast. Ich bitte für sie, und bitte nicht für die Welt, sondern für die, die Du mir gegeben hast, denn sie sind Dein. Und Alles, was mein ist, das ist Dein, und was Dein ist, das ist mein; und ich bin in ihnen verkläret. Und ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu Dir. Heiliger Vater! erhalte sie in Deinem Namen, die Du mir gegeben hast, daß sie Eines seyen, gleichwie wir. Dieweil ich bey ihnen war in der Welt, erhielt ich sie in Deinem Namen. Die Du mir gegeben hast, die habe ich bewahret, und ist Keiner von ihnen verloren, ohne das verlorne Kind, daß die Schrift erfüllet würde. Nun aber komme ich zu Dir, und rede Solches in der Welt, auf daß sie in ihnen haben meine Freude vollkommen. Ich habe ihnen gegeben Dein Wort, und die Welt hasset sie; denn sie sind nicht von der Welt, wie denn auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, daß Du sie von der Welt nehmest, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Uebel. Sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch Ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in Deiner Wahrheit. Dein Wort ist die Wahrheit. Gleichwie Du mich gesandt hast in die Welt, so sende Ich sie auch in die Welt. Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiliget seyen in der Wahrheit. Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf daß sie Alle Eines seyen, gleichwie Du, Vater, in mir, und Ich in Dir, daß auch sie Eines seyen, auf daß die Welt glaube, Du habest mich gesandt. Und ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die Du mir gegeben hast, daß sie Eines seyen, gleichwie wir Eines sind. Ich in ihnen, und Du in mir, auf daß sie vollkommen seyen in Eines, und die Welt erkenne, daß Du mich gesandt hast, und liebest sie, gleichwie Du mich liebest. Vater, ich will, daß, wo Ich bin, auch die bey mir seyen, die Du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, die Du mir gegeben hast; denn Du hast mich geliebet, ehe denn die Welt gegründet ward. Gerechter Vater, die Welt kennet Dich nicht; Ich aber kenne Dich, und diese erkennen, daß Du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen Deinen Namen kund gethan, und will ihnen kund thun, auf daß die Liebe, damit Du mich liebest, sey in ihnen, und Ich in ihnen.
Ueber das heutige Evangelium zu predigen, ist keine leichte Sache. Nicht, daß die Worte unseres Evangeliums schwer zu verstehen wären; sie sind im Gegentheile sehr klar und einfältig. Aber das, was diese Worte ausdrücken, der Sinn ist so tief, daß wir ihn mit unsern Gedanken und Worten nimmermehr erreichen können. Der selige Prälat Albrecht Bengel hat über dieses siebenzehnte Kapitel des Evangeliums Johannis gesagt: in der ganzen heiligen Schrift gebe es keinen Abschnitt, der den Worten nach so klar und verständlich, und dem Sinne nach so tief wäre. Der Sohn redet in diesem Kapitel mit dem Vater; Er schüttet am Ende Seiner irdischen Wirksamkeit bey'm Antritt Seines letzten Leidens- und Todes-Kampfes Sein Herz heraus vor dem Vater; Er offenbart darin Seine innersten Herzensgedanken; Er läßt sich heraus über das selige und ewige Liebes-Verhältniß zwischen Ihm und dem Vater: lauter Dinge, die über unser endliches und noch obendrein durch die Sünde geschwächtes Verständniß weit hinausgehen. Wenn man darum über dieses Kapitel, über dieses, wie man es zu nennen pflegt, hohepriesterliche Gebet JEsu redet: so soll es nur mit der tiefsten Ehrfurcht, mit der tiefsten Anerkennung unserer Endlichkeit und Sündlichkeit geschehen. Wie untüchtig sind wir, die wir Staub und Asche sind, solche hohe, heilige Worte zu fassen, zu erklären, und darüber mit unsern sündigen Lippen zu reden! So untüchtig wir aber sind: so ist es uns doch erlaubt, dieses zu thun; wenn es anders nicht in aufgeblasenem, sondern in demüthigem Geiste geschieht. Und so wage ich denn auch, das hohepriesterliche Gebet JEsu zum dießmaligen Gegenstand meiner Betrachtung zu machen.
Das ganze Gebet zerfällt in drey Theile. Im ersten Theil, Vers 1 - 5. bittet der Sohn den Vater um Seine eigene Verklärung; im zweiten Theile, Vers 6 - 19. bittet Er für Seine Jünger, und im dritten Theile, Vers 20 - 26. für Seine künftige und ganze Gemeinde. Wir betrachten also
das Gebet,
- das der Sohn für Sich gebetet hat,
- das Er für Seine Jünger,
- das Er für Seine künftige und ganze Gemeinde gebetet hat.
O großer Hohepriester! Wir können Deine Worte, die Du in Deiner letzten Nacht zum Vater geredet hast, zwar keineswegs ganz verstehen; wenn Du uns aber nur ein schwaches Gefühl davon in unsere Herzen gibst, so ist dieses schon etwas vom ewigen Leben. Amen!
I.
„Vater!“ so beginnt JEsus mit gen Himmel gerichteten Augen Sein hohepriesterliches Gebet. Es war nicht das erste Mal, liebe Zuhörer, daß der Heiland mit dieser ehrerbietigen, kindlichen Ansprache zu dem HErrn Himmels und der Erde aufsah. Das erste Wort, das wir von Ihm in dem Evangelium lesen, zeigt uns, wie klar Er Sich von früher Jugend an Seines besonderen Sohnes-Verhältnisses zum Vater bewußt war. Denn schon in Seinem zwölften Jahre sagte Er zu Seinen Eltern, die Ihn drey Tage lang gesucht, und endlich im Tempel gefunden hatten: „muß ich nicht seyn in dem, das meines Vaters ist?“ Und dieses Bewußtseyn begleitete Ihn durch Seinen ganzen Lauf. O! was mag in Seinem Laufe oft zwischen Ihm und dem Vater vorgegangen seyn; was in Seiner Kindheit und Jugend in Nazareth; was nachher in Seinem Amtslaufe; was besonders bey Seiner Taufe, bey Seinem Aufenthalt in der Wüste; was vor und bey so manchen Gelegenheiten, wo Er durch Worte und Thaten den Vater verherrlichte (Joh. 11,41.42.); was bey so manchem stillem und nächtlichem Umgang mit Ihm! Es war nicht das erste Mal, daß Er Sich mit diesem Worte an Gott wendete. Aber nun - am Schlusse Seines Amtslaufes, unmittelbar vor Seinem letzten Todesleiden; wer fühlt es genug, was Sein Herz sprach, als Er Seine Augen aufhob und sprach: „Vater!“ -
„Vater! die Stunde ist gekommen, daß Du Deinen Sohn verklärest, auf daß Dich Dein Sohn auch verkläre.“ Der Heiland stand am Ende Seiner irdischen Wirksamkeit; Sein drey und dreyßigjähriger Lauf war vollendet; die Verborgenheit, in der Er dreyßig Jahre lang leben sollte, und die besondern Versuchungen, die in dieser Lage auf Ihn eindringen mußten, waren überwunden und lagen hinter Ihm; Sein Lehramt hatte ein Ende; Alles, was Ihm der Vater geboten hatte, daß Er, thun, reden oder leiden sollte, war auf das Pünktlichste vollbracht; mit großer Freudigkeit konnte Er zum Vater sagen: „Ich habe Dich verkläret auf Erden, und vollendet das Werk, das Du mir gegeben hast, daß Ich es thun sollte.“ Es fehlten nur noch wenige, aber freilich entsetzliche Leidensstunden, so waren die Tage Seines Fleisches und Seiner Erniedrigung aus; darum spricht Er mit so großer Zuversicht: „die Stunde ist hier, daß Du Deinen Sohn verklärest.“ Zwar hatte Ihn der Vater auch in Seinem Erniedrigungslaufe auf machfaltige Weise verklärt. Der tiefsten Niedrigkeit, in welche Er um der Sünden der Sünder willen den Sohn eingehüllt hatte, hatte der Vater immer mächtige Spuren und Zeugnisse der Herrlichkeit beygegeben. Als der Heiland in Bethlehem geboren wurde, wie arm und niedrig gieng es da her! In einem Stalle wurde Er geboren, in eine Krippe wurde Der gelegt, den der Weltkreis, ja aller Himmel Himmel nicht fassen und beschließen können. Aber während in Bethlehem am Orte Seiner Geburt die tiefste Armseligkeit herrschte, siehe, da erschien die Herrlichkeit Gottes auf dem Felde, und die himmlischen Heerschaaren feierten mit ihren Lobgesängen die Menschwerdung des Sohnes Gottes. So gieng es durch den ganzen Lauf des Heilandes. Allenthalben liefen Herrlichkeit und Niedrigkeit neben einander her. Ja, als der Sohn die tiefsten Stufen Seiner Erniedrigung betrat, da Er am Kreuz von Gott und Menschen verlassen als ein Verfluchter hieng: da noch gab Ihm der Vater Zeugniß. Die Sonnenfinsterniß, das Erdbeben, das Zerspalten der Felsen, die Eröffnung der Gräber, das Zerreißen des Vorhangs, die heftige Arbeit der ganzen Natur - Alles zeigte, daß der Fürst des Lebens Sein Haupt in den Tod neige, was ja auch der heidnische Hauptmann tief anerkannte. Der Vater hatte den Sohn schon während Seines Erniedrigungslaufes verklärt. Nun aber begehrt der Sohn vom Vater eine fernere, eine höhere Verklärung, nämlich die Verklärung bey'm Vater selber, wie Er sagt: „und nun verkläre mich, Du Vater, bey Dir selbst, mit der Klarheit, die ich bey Dir hatte, ehe die Welt war.“
O meine lieben Zuhörer, höret diese gewaltigen Worte, die der Sohn dem Vater als eine zwischen Beyden bekannte und ausgemachte Sache in das Herz sagt: ehe die Welt war, hatte ich Herrlichkeit bey Dir. Ehe die Welt war, ehe denn die Berge worden, und die Welt und die Erde geschaffen worden; ehe es eine Zeit gab; als noch kein Cherub und kein Seraph da war; als die vier höchsten und lebendigen Wesen, die am Throne Gottes stehen, und voller Augen inwendig und auswendig die Heiligkeit Gottes mit aufgedecktem Angesichte schauen, auch noch nicht waren; als der Ewige allein war, da war der Sohn bey Ihm, und hatte Herrlichkeit bey Ihm. Wer kann dieß begreifen? wer kann diese Gottestiefen ausschöpfen? Wo ist, ich will nicht sagen, der Mensch, sondern der Engel, der diesen Gedanken der Unendlichkeit ausdenken könnte: der Sohn hatte Herrlichkeit bey'm Vater, ehe die Welt war? Aber obgleich dieß viel zu hoch für unser schwaches und endliches Verständniß ist, so liegen doch eben darin die ewigen, die unwandelbaren Gründe unseres Heils. Dort in des Vaters Schooß, vor Grundlegung der Welt, ist dasjenige vorgegangen, und wenn ich armer Staub mich so ausdrücken darf, zwischen dem Vater und dem Sohne besprochen worden, was in der Fülle der Zeit zu unserer Seligkeit geschehen ist. Vor Grundlegung der Welt hat sich der Sohn entschlossen, die Herrlichkeit des Vaters zu verlassen, und ein Mensch, ja ein Knecht zu werden, ja am Kreuze zu sterben, um den Riß der Sünde wieder zu heilen. Satan war noch nicht geschaffen, noch viel weniger gefallen; Adam war noch nicht geschaffen, noch viel weniger gefallen; es wandelte noch kein Sünder auf der Erde; die Erde selbst war noch nicht; es gab noch keine Sünde, denn es war noch kein Geschöpf vorhanden, das sündigen konnte; der Tod war noch nicht, denn wer hätte sterben können? Da wurde in den ewigen Tiefen der Gottheit schon der Erlösungsplan entworfen, schon die Art bestimmt, wie die Sünde aufgehoben, der Tod getödtet werden solle, wie der Sohn sollte der Schlange den Kopf zertreten, und sich die Macht erwerben über alles Fleisch, daß Er das ewige leben gebe allen Denen, die Ihm der Vater gegeben hat. Und als die Zeit erfüllet ward, da wurde dieser ewige Erlösungsplan auch ausgeführt. Der Sohn wurde ein Mensch und an Geberden als ein Mensch erfunden. allen Beschränkungen des Lebens der Sünder, der Kinder des Staubs, unterwarf Er sich; drey und dreyßig Jahre lang gieng Er durch dieses arme Leben, und hatte einen saureren und versuchlicheren Lauf, als je ein Sünder hat; trug alles Widerwärtige, das durch die Sünde der Sünder und durch den Grimm Satans auf Ihn einstürmte, und blieb dabey in lauterstem Gehorsam und in der lautersten Liebe gegen Seinen Vater; dieß Alles lag hinter Ihm; Sein letztes schweres Todesleiden lag in Seinem prophetischen Glaubensblick gleichsam auch hinter Ihm: da sehnt Er sich mit tiefer Inbrunst aus diesem irdischen Zeitleben wieder zurück nach Seiner ursprünglichen Herrlichkeit, und spricht: „ich habe Alles ausgerichtet nach Deinem Wohlgefallen, darum ist es nun Zeit, daß Du Deinen Sohn verklärest.“
Aber wozu begehrt der Sohn vom Vater Seine Verklärung? Etwa nur um Sein selbst willen, um des Kampflebens überhoben zu seyn? Nein! dieß war Ihm nicht die Hauptsache: „auf daß Dich Dein Sohn auch verkläre.“ Darnach dürstete Seine Seele, das war Seinem Herzen das wichtigste und höchste Anliegen in den Tagen Seines Fleisches, ja noch jetzt ist es Ihm das größte Anliegen, daß der Vater verkläret oder verherrlichet werde. Wie wird aber der Vater verkläret? Antwort: in dem Sohne. Wenn der Sohn den Sündern das ewige Leben gibt, welches stehet in der Erkenntniß des Vaters und des Sohnes: dadurch wird der Vater verkläret; dadurch wird die unendliche Liebe, womit der Vater die Welt geliebet hat, dadurch wird der unausschöpfliche Reichthum Seiner ewigen Gottes-Erbarmungen, dadurch wird Sein ganzes Herz geoffenbaret, und in das hellste Licht gesetzt. Und das ist eigentlich der Grund, warum der Sohn um Seine Verklärung bittet, damit Er Seine Macht über alles Fleisch beweisen, Seine armen Brüder beseligen, sie begnadigen, und ihnen Seinen Geist in das Herz geben könne, der da rufet: „Abba, lieber Vater!“
O meine lieben Zuhörer! mit welch' geringen, schwachen Worten rede ich über diese großen Dinge! Aber betrachtet die Worte des Sohnes selber, betrachtet sie in der Stille und unter herzlichem Seufzen um den Heiligen Geist; denn diese Worte wollen mit stillem, betrachtendem Geiste gefaßt werden. Hier können wir einen Blick thun in das ewige und selige Liebesverhältniß, das zwischen dem Vater und dem Sohne Statt findet; hier können wir sehen, wie in diesem Liebesverhältnisse unsere Erlösung und die ewigen Gründe unserer Seligkeit liegen; hier können wir einen Blick thun in das Herz des Vaters, der Seines eingebornen Sohnes nicht verschonet hat, sondern hat Ihn für uns Alle dahingegeben; einen Blick in die Größe jenes „Also“, welches der Heiland ausgesprochen hat in den Worten: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingebornen Sohn gab“; hier können wir auch einen Blick thun in das Herz des Sohnes, in Sein gehorsames, dem Vater durchaus ergebenes, für das Heil der Sünder brennendes Herz. Es ist nicht auszusprechen, was in diesen Worten liegt; es sind Abgründe, es sind ganze Ewigkeiten voll Gottesgedanken da, Geheimnisse, in welche hineinzuschauen es die Engel gelüstet (1. Petr. Kap. 1.), die aber Gott aufschließt durch Seinen Geist, Denen, die Ihn lieb haben.
II.
Nun, nachdem der HErr JEsus über Seine großen, Zeit und Ewigkeit und die ganze Vollendung des Raths Gottes umfassenden Angelegenheiten ausgeredet hatte, kommt Sein liebendes, sorgsames Hirtenherz auf Seine armen Jünger zu sprechen, die Ihm der Vater gegeben hatte, und die um Ihn versammelt waren. Drey Jahre lang hatte Er sie um Sich gehabt; Er hatte sie in dieser Zeit mit mehr als mütterlicher Sorgfalt auf dem Herzen getragen; Er hatte sie in Seinen besondern Unterricht und Pflege genommen, Er war mit ihnen als mit unmündigen Kindern umgegangen; ihre Thorheiten und Schwachheiten hatte Er getragen und zurechtgewiesen: nun sollte Er von ihnen gehen und sie allein lassen. Seine Arbeit an ihnen war zwar nicht vergeblich gewesen; Er konnte ihnen vor dem Vater das Zeugniß geben: „sie haben Dein Wort behalten, sie haben es angenommen und erkannt wahrhaftig, daß ich von Dir ausgegangen bin, und glauben, daß Du mich gesandt hast“ - aber dessen ungeachtet waren sie doch noch unmündige und bey vorkommenden Fällen rathlose Kinder. So sehr Sich der Heiland nach Seiner Verklärung sehnte: so schmerzlich mußte das Gefühl seyn, das der Blick auf Seine armen Jünger in Ihm erregte; ja, Sein letzter Leidensgang mußte sehr erschwert werden durch den Blick auf diese Küchlein, die sich bisher bey jeder Gefahr unter die Flügel ihrer Mutter geflüchtet hatten, und die nun allein gelassen, und den Stürmen und Aergernissen schon in der Nacht, da Er Solches zu dem Vater redete, sollten Preis gegeben seyn. Denn es stand geschrieben: „ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Heerde werden sich zerstreuen“ - und dieß ist ja, wie wir wissen, in pünktliche Erfüllung gegangen. Wie ein Vater, der nach dem Willen Gottes diese Welt verlassen soll, auf seine kleinen, unmündigen Kinder hinsieht, die freilich in ihrem Unverstand seine bedenklichen Blicke und Thränen nicht fassen: so sah der Heiland, ehe Er von ihnen schied, auf Seine armen Jünger.
Darum brach auch Sein Herz heraus vor dem Vater: „Ich bitte für sie, nämlich für Dir, die Du mir gegeben hast; ich bin nicht mehr in der Welt, ich komme zu Dir, sie aber sind in der Welt.“ In der Welt - o! der Heiland wußte wohl, was das heißt: in der Welt seyn. Das war ein bedeutendes Wort, das Er dem Vater in das Herz sagte: meine armen Jünger sind in der Welt, in der Welt, die voll Versuchungen ist, in der Welt - wo man stets auf Schlangen gehen muß, die ihren Gift in unsere Fersen bringen, in der Welt, wo Tod und Sünde ist, wo Satan sein Unwesen treibt, der Lügner und Mörder von Anfang. meine Jünger sind in der Welt - sagte der Heiland: Heiliger Vater! Vater, der Du in der Herrlichkeit wohnest, der Du in Deinen innersten Gottestiefen nichts als pure, lautere Heiligkeit bist, der Du aus Deiner Heiligkeit auf diese unheilige, unsaubere, verwüstete, finstere, mit satanischen Kräften durchwirkte Sünderwelt herabsiehst, heiliger, allmächtiger Vater, erhalte sie in Deinem Namen, die Du mir gegeben hast!
Der Heiland hatte aber bey dieser Bitte für Seine Jünger vorzüglich Zweyerley im Auge und auf dem Herzen, was Ihn bewegte, mit solcher Innigkeit für sie an das Vaterherz Gottes hinzudringen, nämlich die Feindschaft der Weltmenschen gegen die Seinigen und die Arglist Satans. Wie Er es denn selber zum Vater sagt: „Ich habe ihnen gegeben Dein Wort, und die Welt hasset sie, denn sie sind nicht von der Welt; wie denn auch ich nicht von der Welt bin; ich bitte nicht, daß Du sie von der Welt nehmest, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Uebel“, oder vielmehr vor dem Argen, vor der List und Bosheit des Satans.
Den Haß der Welt gegen Die, so nicht von ihr sind, hatte der Heiland selbst in vollem Maaße erfahren. In Seiner eigenen Familie, unter Seinen nächsten Anverwandten hatte sich eine bedeutende Widrigkeit gegen Ihn entsponnen (Joh. 7,3-8.), und welch' eine wüthende Feindschaft gegen Ihn offenbarte sich bald zu Anfang Seines Lehramtes in den Herzen der Obersten Seines Volks und vieler Pharisäer! Wie waren sie bemüht, Seine Werke herunterzusetzen; wie lauerten sie Ihm auf Seine Reden, ob sie Ihn nicht in Seinen Worten fangen könnten; wie wurden sie durch Seine größten Thaten nur noch mehr in ihrer blinden Wuth gesteift! - „Was thun wir?“ - hieß es, als Er Lazarum von den Todten auferweckt hatte - „dieser Mensch thut viele Zeichen“, und nur um so eifriger beschloßen sie Seinen Tod. Wie furchtbar brach endlich dieser Haß in Seinem letzten Todesleiden heraus! Er war ihnen eben ganz zuwider und unausstehlich, ein Mensch, den sie nicht vor Augen haben konnten, und das Alles darum, weil Er nicht von der Welt war.
Diesem Haß der Welt giengen nun auch Seine Jünger entgegen. Aber sie waren noch unbefestigt, noch schwache Kinder in der Gnade und Erkenntniß. Je nachdem der Feind sie angriff, konnte die äußere Widerwärtigkeit ihnen zum Fallstrick, ja zum ewigen Falle werden. Wie leicht dieß möglich gewesen wäre, das können wir an der Geschichte der Verläugnung Petri sehen, die ja nur wenige Stunden nach diesem hohenpriesterlichen Gebet sich ereignete. Wie gefährlich sah es damals um Petrus aus! Wie nahe war Petrus daran, von seinem schweren Fall nicht mehr aufzustehen! Aber daß er wieder aufstehen konnte, daß die übrigen Jünger in der Zeit des Leidens und Todes Christi nicht verfolgt wurden, daß es, ob sie gleich sehr gehaßt waren, doch keinem Obersten des Volkes einfiel, die Hand auch an sie zu legen, ja, daß sie bis zur Zeit, wo sie mit der Kraft von Oben getauft wurden, völlig unangefochten blieben: das hatten sie dem Gebet ihres theuren Hohenpriesters zu danken, der so ernstlich bey'm Vater für ihre Bewahrung vor der Hinterlist des Satans angehalten hatte.
Es kommen wohl in jedem Christenlaufe Zeiten, wo man unfehlbar verloren wäre, wenn dem Satan erlaubt würde, zu jener Zeit die Seele zu sichten; - Zeiten der Schwachheit, der Verwirrung, wenn Welt und Sünde daherbrausen, und man unvorbereitet überfallen wird. So gieng's den lieben Jüngern. So wie hätten hohe Zeit gehabt, zu wachen und zu beten in Gethsemane: da schliefen sie, und so wurden sie vom Unglück überrascht. Das machte ihre Herzen ganz verwirrt, daß sie nicht mehr recht wußten, was sie thaten. Petrus schlug im ersten Schrecken mit dem Schwerte darein; bald aber wußte er sich vor Angst und Betretenheit nicht mehr zu fassen, und - verläugnete. Sein Schifflein hatte Mast, Segel und Steuer verloren. Wenn nun in solchen Zeiten dem Teufel noch erlaubt würde, an der Seele seine ganze Kunst zu probiren: so würde sie unwiederbringlich fallen. Wenn er Petrus nach seinem Fall sein Herz hätte noch recht schwer machen, wenn er hätte eine satanische Traurigkeit (denn eine göttliche war schon da, Luc. 22,61.62.) in ihm erregen, und ihm finstere, verzweifelte Gedanken einflößen dürfen: wie wäre es dem lieben Petrus ergangen? Er wäre wohl hingegangen wie Judas, und hätte sich erhängt. Aber das durfte Satan nicht. Dagegen hatte der Heiland gebetet schon vorher; „denn: ich habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre“, sagt Er ihm schon vorher, und auch in Seinem letzten hohenpriesterlichen Gebet mit den Worten: „Ich bitte nicht, daß Du sie von der Welt nehmest, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Argen.“ Sehet da die Treue des guten Hirten. So ist Er aber noch jetzt gegen die Seinigen gesinnt. Er lässet uns nicht über Vermögen versucht werden; denn Er ist treu, und macht darum, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, und wir es ertragen können.
O meine lieben Zuhörer! es ist etwas unaussprechlich Großes, wenn ein Gläubiger, ein Nachfolger des Heilandes durch diese Welt hindurchkommt, ohne an seinem Glauben Schiffbruch zu leiden. So lange man freilich meint, mit einem guten Willen sey Alles ausgerichtet, kann man diese Sache für kein so großes Wunder achten. Man wundert sich darüber, wenn ein Gläubiger abfällt, und sollte sich vielmehr darüber wundern, wenn ein Gläubiger stehen bleibt, und seinen Lauf mit Ehren vollendet. Aber wenn man endlich merkt, wie schwach, veränderlich und lügenhaft das Herz ist; wie bald es aus dem Trotz in die Verzagtheit und aus der Verzagtheit in den trotz umschlägt, wie ungeschickt es ist, den richtigen Weg Gottes zu treffen, und wie alle seine besten Vorsätze und Entschlüsse armselige Puppenhäuser sind, die der nächste beste Wind umwirft, - liebe Zuhörer, wenn ein Mensch solcherley Entdeckungen an sich macht, und bedenkt dazu die Macht der Sünde, den großen Hang des Herzens zur Welt und zu dem, was von der Welt ist, seine Erregbarkeit und Reizbarkeit für die Einflüsse und Grundsätze des Zeitgeistes, und daß es noch zu dem Allem seinen Hauptkampf hat mit den Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsterniß dieser Welt herrschen, mit den geistlichen Horden der Bosheit - wer dieß recht bedenkt und im Lichte erkennt, der kann nicht leichtsinnig in seine Zukunft blicken, sondern es erscheint ihm als ein großes Wunder und Meisterstück Gottes, wenn ein Christ des Glaubens Ziel erreicht, nämlich der Seele Seligkeit; darum sagt auch die Schrift, daß wir durch Gottes Allmacht bewahret werden zur Seligkeit. Wenn einmal die Binde wird von unsern Augen gefallen seyn, wenn wir im Lichte der Ewigkeit unsern Weg durch die Wüste dieses Lebens, durch diese Finsterniß erblicken und beurtheilen werden: dann werden wir uns, wenn wir anders selig durchgebracht sind, erst recht wundern; dann werden wir erst recht die Treue und Macht Gottes anbeten, die uns sicher an Abgründen vorbeygeleitet hat, wo wir nichts von einem Abgrund ahneten, die so manchen Stein des Anstoßes vor unsern Füßen weggeräumt, und über so manche gefährliche Stelle uns hinübergeholfen, die mit Muttertreue uns in unserer unmündigen Schwachheit gegängelt hat. Diese Betrachtung mag wohl ein neues Lied den Erlösten in den Mund geben, daß sie mit neuen Zungen rufen: „Heil sey Dem, der auf dem Stuhl sitzt, und dem Lamm!“ Ja, dem Lamme, dem treuen Hohenpriester, der selbst versucht ist allenthalben, und dem es eben darum ein desto größeres Anliegen ist, daß die Seinigen bewahret werden zur Seligkeit! Zuletzt bittet der HErr JEsus noch für Seine Jünger, daß der Vater sie in der Wahrheit heiligen möchte. Der Heiland sieht hier wohl besonders hinaus auf den nachmaligen Beruf der Apostel, wie Er denn ausdrücklich hinzusetzt: „gleichwie Du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.“ Sie müssen meine Boten und Zeugen an die Menschen werden, wie ich Dein Zeuge an die Menschen gewesen bin, o wie nöthig ist es da, daß sie geheiligt werden in der Wahrheit, daß sie von der Wahrheit völlig eingenommen seyen, daß die Wahrheit ihnen in ihr innerstes Leben übergehe. man kann die Wahrheit erkennen, man kann ein schönes rüstiges Gebäude von der Wahrheit in seinem Kopfe haben, aber damit ist der Heiland bey Seinen Knechten nicht zufrieden. Die Wahrheit soll ihr Eigenthum werden; sie soll ihr ganzes Wesen, ihr Leben, ihren Verstand, Herz, Sinne und Glieder durchgehen und durchdringen; sie sollen geheiliget werden in der Wahrheit: dann erst können sie Frucht schaffen, die da bleibet in's ewige Leben.
Und nun, liebe Zuhörer, was können wir an allen diesen Worten, die der Heiland für Seine Jünger dem Vater in das Herz sagt, sehen? Gewiß nichts Anderes als die zärtlichste, die mütterlichste Liebe gegen sie. Was für ein gutes Zeugniß gibt Er ihnen vor Seinem Vater, und gedenkt ihrer Schwachheiten mit keinem Worte! Wie kämpft Sein Herz für sie, wie eindringlich wird Sein Gebet, wo Er für ihre Bewahrung und Heiligung fleht! Hier kann man sehen, aus welchem Grunde Alles, was Er während Seines dreyjährigen Umgangs mit ihnen in Beziehung auf sie redete und that, herausgeflossen ist; denn hier hat Er Seine innersten Gedanken über Seine Jünger herausgegeben. Wie JEsus geliebt hat die Seinen, so liebte Er sie bis an's Ende, und wie Er sie in den Tagen Seines Fleisches liebte, so liebt Er sie noch jetzt.
III.
Nun kommt der dritte Theil des hohenpriesterlichen Gebets, wo der HErr JEsus für Seine künftige Gemeine betet: „Ich bitte nicht allein für sie (die Apostel), sondern auch für Die, so durch ihr Wort an mich glauben werden.“ Dieß geht also alle Diejenigen unter uns an, die im wahren Glauben des Sohnes Gottes stehen; denn so Viele in der Christenheit gläubig sind, diese sind's Alle durch das Wort der Apostel. Das große Herz des Heilandes umfaßt die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; in Seinem Herzen hat Alles, was sich zu Ihm hält, ein Räumlein; Seine Liebe dringt durch Alles; sie beschäftigt sich mit den Jüngern; sie breitet sich aus; sie dehnt sich aus bis auf die letzten Tage des Neuen Testaments; Er nimmt Seine ganze Gemeinde, vom Ersten bis zum Letzten, vom Größten bis zum Kleinsten, in Seine Liebesarme, und trägt sie vor den Vater hin. Und was erbittet Er vom Vater für Seine Gläubigen? „Daß sie Alle Eines seyen, gleichwie Du, Vater in Mir, und Ich in Dir, daß auch sie in uns Eines seyen, auf daß die Welt glaube, Du habest Mich gesandt.“ Eins möchten sie seyn; in herzlicher Liebe und Gemeinschaft möchten sie zusammenschmelzen, sowohl mit Ihm und dem Vater, als auch unter einander; - das ist die Bitte des großen Hirten und Hohenpriesters für Seine Heerde. Dieß ist also die Hauptforderung, die Er an Seine Gemeinde macht, daß Liebe, daß Gottes- und Bruder-Liebe in ihr herrsche. Er fordert nicht sonderliche Erkenntniß; Er begehrt keine Heldenthaten von ihr - Liebe will Er sehen an den Seinigen, sonst nichts; und das ist ein Abscheu vor Seinen heiligen Augen; das ist Seinem großen Herzen ganz zuwider, wenn die einträchtige Liebe gestört wird, wenn an die Stelle der herzlichen Liebesgemeinschaft mit Ihm und dem Vater etwa trockene Erkenntniß und Heuchelgeschwätz gesetzt wird, wenn die Bruderliebe erkaltet. Nur Liebe hat Werth vor den Augen des HErrn. Wenn ich weissagen könnte, und wüßte alle Geheimnisse, und hätte allen Glauben, also, daß ich Berge versetzte, und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen: siehe, das Alles wäre mir nichts nütze ohne die Liebe.
Dieses Gebet des Heilandes ist schon an Seiner ersten Gemeinde erfüllt worden. Die Schrift gibt ihr das große Zeugniß: „die Menge der Gläubigen war Ein Herz und Eine Seele.“ Aber was sollen wir sagen, die wir in dieser letzten betrübten Zeit, in diesen geringen Tagen, in dieser Zeit des großen Zorns des Fürsten der Finsterniß leben? Die Liebe, ja, die Liebe ist rar geworden auf Erden, nicht unter den Menschen dieser Welt meine ich; denn die Welt hat ohnehin kein anderes Leben als das Leben der Selbstsucht; sondern rar ist die Liebe geworden unter Denen, die sich zu den Jüngern Christi zählen. Von Sekten und allerley Gesinntheiten, wie man es nennt, ist die Gemeinde Christi zerrissen, von Partheien, die sich oft unter einander recht herzlich gram sind. Und wo ist denn unter uns jener Sinn, der sein selbst vergißt, jenes herzliche Aneinanderhangen, jene aufopfernde Liebe, die, ich will nicht sagen, das Leben für einander läßt, sondern nur etwas Unbedeutendes für die Brüder verläugnet! Wie Viele sind unter uns, die groß genug sind, um die Schwachheit des Bruders mit Geduld zu ertragen, und die Meisterschaft und Herrschaft über Andere zu verläugnen? Stehen wir so, daß die Welt aus der Liebe, die wir zu einander haben, und für Jünger Christi erkennen kann? Ich sage dieß nur von uns, von Denen unter uns, die an den Heiland glauben, nicht aber von den übrigen Gläubigen, die auf Erden zerstreut sind. Der Heiland hat ja noch Seine Leute, und Seine Gemeinschaften, die in der Liebe stehen, obgleich unsere Zeit besonders ungünstig ist für die Liebe. Der Geist der Welt, der Geist der Selbstsucht dringt je mehr und mehr durch Alles hindurch, steckt Alles an; man hat in unsern Tagen doppelt nöthig, zu wachen und zu beten. Unter uns ist die Liebe rar. Ich weiß aber wohl, wo das herkommt. Es fehlt an der gründlichen und ganzen Bekehrung des Herzens von den Götzen zu dem lebendigen Gott. Man kann den Bruder, den man siehet, nicht lieben, wenn man nicht zuvor Gott, Den man nicht siehet, lieben gelernt hat. Erst aus der Liebesgemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne wird die brüderliche Liebe geboren. O wie hätten wir uns zu demüthigen, wie sollten wir Buße thun, wenn wir nicht zu hart und eigengerecht dazu wären!
Aber meinet ihr auch, daß wir, so lange wir in diesem Sinne stehen, Theil haben an Christo und an Seiner Herrlichkeit? Das sey ferne. Nur für die Seinigen hat JEsus gebetet, nur für die Seinigen die Worte ausgesprochen: „Vater, Ich will, daß, wo Ich bin, auch Die bey Mir seyen, die Du Mir gegeben hast, daß sie Meine Herrlichkeit sehen, die Du Mir gegeben hast.“ Höret doch diese mächtigen Worte! „Ich will“, sagt der Heiland, nicht: Ich bitte, sondern: „Ich will.“ Das war der Rathschluß, der zwischen dem Vater und dem Sohne in den tiefen Ewigkeiten gefaßt wurde; dieß war der hohe Zweck der Menschwerdung und des Todes des großen Bürgen, daß Sünder sollen selig und Kinder der Verdammniß zu ihrer ursprünglichen Herrlichkeit zurückgeführt werden. Darum spricht der Heiland: Ich will es so; denn Du hast mich geliebet, ehe die Welt war. In den tiefen Gründen der Ewigkeit, in dem Liebesverhältniß, das zwischen Dir und Mir statt findet, in dem innersten Wesen der Gottheit liegt nun die Beseligung der Sünder als ein Recht; darum will Ich es. So sieht also der Heiland mit Seinem Gebet rückwärts und vorwärts in die tiefen Ewigkeiten; so reicht Seine hohenpriesterliche Fürbitte hinein in die Zeit, wo Er als der Hirte Seine Schafe auf die himmlische Weide und zu den ewigen Lebensbrunnen leiten wird. Seine Herrlichkeit sollen sie sehen. Wer wird wissen, wie ihm da geschieht!
Aber die Welt hat freilich keinen Theil daran; wer zu der Welt gehört, den geht diese Bitte des HErrn JEsu nichts an. Zur Welt gehören aber alle Diejenigen, die nicht in der Liebe stehen oder nicht darnach herzlich verlangend sind. Wem sein eigener Wille sein Gesetz ist, der gehört zur Welt, und wenn er der Frömmste und Tugendhafteste wäre. Denn der Unterschied zwischen Welt und Kindern Gottes ist nicht ein äußerlicher, sondern innerlich; die Liebe macht den Unterschied, die Liebe, welche Niemand kennet, als wer sie vom Heiland empfangen hat.
Wer diese Liebe nicht kennt, für den hat der Heiland nicht gebetet; das ganze siebenzehnte Kapitel des Evangeliums Johannis steht für ihn nicht in der Bibel; der Heiland will nicht, daß er Seine Herrlichkeit sehen soll; „Ich bitte nicht für die Welt“, hat Er zum Vater gesagt. Es ist zwar Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße thut, und durch Buße zur Liebe und Gemeinschaft Gottes hindurchdringt; aber wer das nicht will, der hat keinen Antheil am Hohenpriesterthum Christi, und also auch nicht an Seiner hohenpriesterlichen Fürbitte. Denn der Vater ist ein gerechter Vater, und der Sohn ist auch gerecht; Er wird einem Jeglichen geben nach seinen Werken; nämlich „Preis und Ehre und unvergängliches Wesen Denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; aber Denen, die der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber dem Ungerechten, Ungnade und Zorn; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses thun, Preis aber und Ehre und Friede allen Denen, die da Gutes thun; und ist kein Ansehen der Person vor Gott.“ Amen!