Erichson, Alfred - Martin Butzer, der elsässische Reformator - XII. Butzer in England. Tod und Schicksale nach dem Tod.

Erichson, Alfred - Martin Butzer, der elsässische Reformator - XII. Butzer in England. Tod und Schicksale nach dem Tod.

„Viel Ehre und Freundschaft, wenig Trost“, so überschreibt in seiner klassischen Biographie Butzers mein unvergesslicher Lehrer, Professor Baum, den Abschnitt über dessen Aufenthalt in England; wir können hinzufügen: auch viel Arbeit.

Als „teure Brüder“ wurden Butzer und Fagius im erzbischöflichen Palast zu London aufgenommen und bald darauf von Eduard VI. empfangen, der ihnen unzweideutige Beweise seiner königlichen Gunst gab. Es wurde unserm Reformator ein schöner Gehalt und eine sorgenfreie Stellung zugesichert und die Würde eines Doktors der Theologie Ehren halber verliehen. Es war das erste Mal, dass ein solcher Titel also vergeben wurde.

Die Zuversicht, die Sturm in den vorhin angeführten Worten ausgesprochen, erfüllte auch Butzers Herz. Trotzdem er bereits zu altern begann, hoffte Fagius, dass sie beide mit einander noch etwas Tüchtiges zu Ehren des Namens Gottes und zur Erbauung seiner Kirche leisten könnten. „So wird alles gut gehen.“

Butzer wirkte als akademischer Lehrer in Cambridge und zog viele Zuhörer an. Nebenbei predigte er vor Gelehrten und Studenten, hielt öffentliche Disputationen mit Papisten, entwarf eine Liturgie, organisierte die Londoner Flüchtlingsgemeinde und begann sogar eine Übersetzung der Bibel aus dem Urtext ins Lateinische, mit kurzen Erläuterungen und übersichtlicher Inhaltsangabe der einzelnen Teile. Dies erste Bibelwerk sollte von Anderen „zum Nutzen der Prediger und des Volkes in die englische Sprache übertragen werden.“ Von dem König aufgefordert, schrieb Butzer endlich das Buch „Vom Reiche Christi“, worin er zeigte, wie der christliche Geist Kirche, Staat und Schule und alle Lebensverhältnisse durchdringen und gestalten solle. Es war, wie Baum treffend sagt, sein Schwanengesang.

Auch auf fremdem Boden und unter ganz neuen Verhältnissen blieb Martin Butzer der unermüdliche Arbeiter im Weinberg des Herrn. Es wurde ihn nicht leicht: Alles, die Sprache, die Sitten, das Klima, selbst die Speisung („immer Fleisch und Fleisch, und nur selten Wein“), war ihm ja ungewöhnt. Ein alter Baum lässt sich nicht leicht versetzen. Bald stellten sich in Folge des feuchten Klimas, der schwereren Rost und der anstrengenden Arbeit Beschwerden, Magenschmerzen, Schwindel und Wechselfieber bei ihm ein.

Hierzu kam das Heimweh: „Ach, wie hat er,“ schreibt sein alter Bekannter Peter Martyr, für und für die straßburgische Kirche in seinem Munde gehabt! Was Sorg hat er für sie getragen! Obwohl leiblich getrennt, war er im Geist immer bei ihr. Vergangenen Sommer kam er zu mir hierher nach Oxford und war mein lieber Gast während elf Tagen. Wie haben wir da unser Herz ausgeschüttet, wie war da von euch Allen die Rede, so dass, während wir so miteinander von euch sprachen, es uns vorkam, wie wenn wir mitten unter euch wären!“ Wahrlich, der Mann hatte sein Elsass und sein Straßburg von Herzen lieb, und diese Liebe sollten wir ihm nach Jahrhunderten vergelten.

So sehr auch Butzer von den Engländern geachtet und geschätzt wurde, er blieb immer ein Fremder unter Fremdlingen. Wie wohl tat es ihm, mit einem Landsmann, seinem Arbeits- und Leidensgenossen Fagius, sich in der Muttersprache unterhalten, deutsche Lieder singen und ein deutsch Vater-Unser beten zu können! Aber auch dieser letzte Trost sollte ihm genommen werden: Fagius ward ihm - ein furchtbarer Schlag! - nach kurzem Krankenlager durch den Tod entrissen.

Schmerzlicher als je empfand er nun das Leben in der Verbannung, im „Elende“. Die Nachrichten aus Straßburg waren selten und meist betrübende, sie meldeten z. B. von Hader und Zwist zwischen den Predigern: „Das müssen wir tragen,“ schrieb er, „denn wir haben es verschuldet. Es ist auch wahrlich nicht ein kleines Kreuz, der so lieben Kirchen, Schulen, Kinder, Freunde und seiner eigenen Hausgenossin beraubt sein.“

Mit Freude nahm er deshalb das Anerbieten des Erzbischofs an, seine Familie nach England kommen zu lassen. Wibrandis und ihre beiden Töchter Agnes und Alithia konnten aber die weite Reise nicht wohl allein unternehmen, man dachte daran, den Frauen einen Geleitsmann in der Person des Schwiegersohns Christoph Söll zu geben. Martin Butzer aber, dem stets das Wohl der Kirche dem eigenen Interesse vorging, hatte große Bedenken, Söll von seinem Vikaramt an der Aurelienkirche abzuziehen. „Du kannst nicht heißer wünschen als ich,“ schrieb er an ihn, „dass du bei mir seiest. Ich hätte dich sehr nötig. Nötiger aber habe ich die Gnade des Herrn und das Gebet der Kirche. Gegen diese wollen wir uns beide nicht versündigen. Du musst bleiben, so lange du dein Amt verwalten kannst.“ Erst als für die Verwaltung dieses letzteren gesorgt war, willigte er ein, und bald durfte er seine Lieben in die Arme schließen.

Da gab es wieder Sonnenschein im Haus des geprüften Mannes, und mit neuem Mut arbeitete er weiter. Doch die Kräfte waren aufgebraucht.

Als der kalte, feuchte Winter, den er so sehr fürchtete, zum zweiten Mal wiederkehrte, befiel ihn ein gefährliches Leiden, das ihn allmählich dem Tod entgegenführte.

Wie sein Leben, so war auch sein Sterben ein erbauliches. Die Herzogin von Suffolk war an das Lager des teuren Kranken geeilt, die Pflege desselben mit den Familienangehörigen zu teilen. Wochenlang ertrug er mannhaft die Schmerzen. Als ein Prediger ihm versprach in den Kirchengebeten seiner zu gedenken, sprach Butzer: „Ja, mein Gott verwirf mich nicht in meinem Alter und wenn ich schwach werde. Der Herr züchtigt mich wohl, aber er verwirft mich nicht. Erbarme dich, mein Gott, deiner armen Kirche.“ Den Widerwillen gegen Speisen überwand er nur, als man ihm vorhielt, er sei ja nicht ihm selber, sondern Vielen zu nutz geboren. „So will ich denn gehorchen,“ sprach er. Anwesenden Geistlichen, die ihn mahnten, sich wider des Satans Anfechtung zu stärken, erwiderte er: „Ich habe mit Satan nichts zu schaffen. Ich kenne nur Christum, und das sei fern, dass ich jetzt nicht den allersüßesten Trost meiner Erlösung empfinden sollte,“ und einem jungen Freund, der ihn daran erinnerte, was er für ein Mann wäre, was er gelehrt hätte, welche Beständigkeit und Gottesfurcht er allewegen an den Tag gelegt, gab er zur Antwort: „Ich will nur den gekreuzigten Christum in meinen Augen behalten.“

Die Ärzte hatten befürchtet, dass mit dem abnehmenden Mond auch die Kräfte des Dahinsiechenden abnehmen möchten. Als aber am folgenden Tag eine Besserung eintrat, und man ihm von solcher Besorgnis Mitteilung machte, sprach der freidenkende Mann, drei Finger nach dem Himmel richtend: „Jener regiert und lenkt alles.“

Und dieser treue Gott, der ihn sein Lebenlang geleitet, führte ihn, im 60. Lebensjahr, am 28. Februar 1551, zur Seligkeit der Frommen ein.

In einem früheren Testament hatte Martin Butzer angeordnet, dass sein Begräbnis einfach gehalten und die dadurch ersparten Kosten den Armen zu gute kommen sollten. Die Engländer bereiteten ihm aber als „einem Fürsten der Theologen“ eine ungewöhnlich glänzende Leichenfeier. Bei drei Tausend Personen aus allen Ständen, Universität, Magistrat, Hofbeamte, Bürger, gaben ihm, unter Tränen und Wehklagen, das Ehrengeleit. Nicht allein Hunderte von Gedichten, die nach damaliger Sitte an den Kirchentüren und Wänden, so wie an der Gruft angeheftet wurden, sondern zahlreiche Reden, an zwei Tagen in den Kirchen gehalten, feierten sein Gedächtnis.

In der Leichenpredigt stellte ihn der Orator der Hohenschule auf dieselbe Linie wie die hochberühmten Lehrer und Väter der alten Kirche. „Butzer besaß den Scharfsinn Augustins, die Sprachkenntnis und die Gelehrsamkeit des Hieronymus, die feste Handhabung der Kirchenzucht eines Cyprian, das hohe Ansehen des Ambrosius, die tiefe Wissenschaft des Origenes, die klare Lehrgabe des Chrysostomus und die Frömmigkeit eines heiligen Bernhard.“ Ansprechender als diese überschwänglichen Ergüsse, und zugleich des bescheidenen Mannes würdiger, lauten die einfachen Worte des Ritters John Checke: „Du weißt, wie dieser treue Kämpfer für das Evangelium nicht für sich selbst gelebt, sondern sich ganz und gar in den Dienst seines Erlösers ergeben hatte.“

Die Leiche wurde in der Hauptkirche zu Cambridge beigesetzt.

Im Leben hatte Butzer keine Ruhe gekannt: wie seinem mutigen Vorkämpfer auf englischer Erde, Johann Wiklef, gönnte ihm der Fanatismus selbst noch im Grab die Ruhe nicht. Auf den frühen Tod Eduards VI. war in England ein Rückschlag gegen die Reformation eingetreten. Die päpstlichen Inquisitoren hielten ein förmliches Ketzergericht über Butzer so wie über Fagius. Auf Befehl der Königin Maria wurden die Gräber der Beiden aufgebrochen, die Leichen in Armensündersärge gelegt, diese sodann auf den öffentlichen Platz geschleppt, daselbst an Pfähle angekettet, und nebst einer Anzahl ihrer Bücher, am 6. Februar 1556, verbrannt. Die Hand des Henkers schürte das Feuer.

Die Bauern, die zum Markte kamen, verlachten aber die Torheit, die sie vor Augen hatten und spotteten: „Wozu die Waffen und Wehr, und die Ketten! Es wäre nicht zu fürchten, dass sie entliefen.“ Ihr gesunder Sinn traf das Richtige. Die Fesselung und Verbrennung des toten Leibes sollten ein Bild für die Knechtung und Vernichtung der Wahrheit und des Glaubens der beiden Gottesmänner sein. Aber die Wahrheit lässt sich nicht fesseln noch verbrennen!

Die Schmach, die dem Gedächtnis Butzers wie seinen irdischen Überresten unter Maria „der Blutigen“ angetan worden war, suchte vier Jahre später die protestantische Elisabeth wieder gut zu machen. Sic erneuerte den Gnadenbrief, welcher der Familie Butzers eine Pension und allen seinen Nachkommen das Ehrenbürgerrecht in England auf ewige Zeiten verlieh, ließ das Grabmal des Reformators so wie dasjenige des Fagius wiederherstellen und das „gebenedeite Andenken der beiden teuern Märtyrer“ aufs ehrenvollste in den Kirchen feiern.

Jahrhunderte sind seitdem in's Grab gesunken, vieles ist anders geworden: das Bild des elsässischen Reformators steht aber heute noch verklärt vor unsern Augen, und es bleibt bei dem alten Psalmwort (Ps. 112), das der Prediger, bei jener Ehrenrettung in der Kirche von Cambridge, seinem Nachruf zu Grunde legte: Selig ist der Mann, der Gott fürchtet! Wohl dem, der barmherzig ist! Er wird ewig bleiben, des Gerechten wird nimmermehr vergessen!

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