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Aus dem "Brief an Diognet"

Aus dem "Brief an Diognet"

Ende des 2. Jahrhunderts

Wie ich sehe, vortrefflicher Diognet, bist du mit ungewöhnlichem Eifer bestrebt, die Religion der Christen kennenzulernen und erkundigst dich ganz genau und mit Sorgfalt über diese: Welchem Gott sie gläubig vertrauen, wie sie alle in seinem Dienst die Welt nicht beachten und ebenso auch den Tod verachten und weder die von den Heiden geglaubten Götter als solche ansehen noch den Aberglauben der Juden befolgen, auch welche Herzlichkeit sie gegeneinander hegen und warum jemals dieses bis dahin unbekannte Volk oder diese Lebensweise erst jetzt und nicht schon früher zu bestehen begonnen hat. Ich stimme dir bei wegen dieser Bereitwilligkeit und bitte für mich von Gott - der sowohl das Sprechen als auch das Hören uns gewährt -, daß mir gegeben werde, so zu sprechen, daß nach Möglichkeit du als Hörer besser werdest, und daß dir gewährt werden möge, so zuzuhören, daß nicht traurig gemacht werde der Sprecher.

Wohlan denn, reinige dich selbst von allen Überlegungen, die deinen Verstand zuvor einnehmen und sobald du dir die trügerische Gewohnheit abgeworfen hast und ähnlich einem Neugeborenen ein neuer Mensch wirst, da du ja auch einer neuen Lehre Hörer sein wirst, ganz so wie du auch selbst zugestehst; sieh nicht nur mit den Augen, sondern auch mit verständigem Herz, welches Wesen und welche Gestalt denen, die ihr Götter nennt und für solche haltet, zuteil werden.

Ist nicht der eine irgendein Stein, gleich dem, den man mit Füßen tritt, ist nicht der andere Erz, nicht trefflicher als die uns zum Gebrauch gefertigten Geräte, ist nicht ein weiterer Holz, und schon verfault, ist nicht wieder ein anderer Silber, das einen Menschen als Wächter nötig hat, damit es nicht gestohlen wird, ist nicht noch ein weiterer Eisen, vom Rost zerfressen, ist nicht schließlich noch ein anderer irdene Scherbe, um nichts hervorstechender als das zum verächtlichsten Dienst Verfertigte?

Ist das alles nicht vergänglicher Stoff? Ist es nicht aus Eisen und Feuer geschmiedet? Hat nicht das eine von diesen Dingen ein Steinmetz, das andere ein Gießer, wieder das andere ein Silberschmied, ein anderes ein Töpfer verfertigt? War nicht ein jedes dieser Materialien gestaltbar, bevor es durch die Kunstfertigkeit dieser Männer in die Form von Göttern gebracht wurde und ist es nicht auch jetzt zu allen möglichen Dingen gestaltbar? Könnten wohl nicht die gegenwärtigen Gerätschaften, die aus demselben Stoff bestehen, wenn sie sich zufällig bei denselben Künstlern befänden. solcherlei Götterbildern ähnlich werden? Könnten nicht umgekehrt diese Gegenstände, die jetzt von euch fußfällig verehrt werden, von Menschen zu Geräten gemacht werden, gleichartig den oben beschriebenen? Sind sie nicht alle taub, blind, leblos, empfindungslos und bewegungslos? Sind sie nicht alle Fäulnis und Vernichtung unterworfen? So etwas nennt ihr Götter, diesen dient ihr, diesen huldigt ihr kniend und zuletzt werdet ihr diesen ähnlich.

Deswegen haßt ihr die Christen, weil sie diese nicht als Götter ansehen.

Ihr jedoch, die ihr jetzt felsenfest an diese glaubt, verachtet ihr sie nicht in weit höherem Maße? Verspottet und verhöhnt ihr sie nicht weit mehr dadurch, daß ihr zwar diejenigen, die aus Stein und Ton bestehen, ohne Bewachung heilig haltet, die aus Silber und Gold jedoch die Nacht über einschließt, während des Tages aber Wachen daneben hinstellt, damit sie nicht gestohlen werden?

Auch mit den Ehrengaben, die ihr darzubringen glaubt, straft ihr sie nur um so mehr, falls sie wirklich Empfindung haben; daß sie hingegen ohne Wahrnehmung sind, zeigt ihr deutlich durch Blut und Fettdampf als Zeichen eurer Verehrung.

So ein Verhalten soll einer von euch auf sich nehmen, dieses soll einer an sich selbst geschehen lassen! Doch nicht ein einziger Mensch wird dieser Unannehmlichkeit freiwillig standhalten, denn er hat ja Empfindung und Einsicht. Der Stein hingegen läßt sie zu, denn er ist empfindungslos: Ihr macht also sehr deutlich, daß er ohne Empfinden ist.

Darüber nun, daß Christen sich vor solcherlei Göttern nicht dienend niederbeugen, hätte ich noch vieles andere anzuführen; falls aber jemandem das bisher Gesagte nicht als hinreichend gelten sollte, halte ich es für überflüssig, noch mehr darüber zu sagen.

Zunächst meine ich, daß du etwas darüber zu hören begehrst, warum Christen nicht auf dieselbe Weise wie Juden Gott die Ehre erweisen.

Wenn die Juden sich dieses vorher genannten Götzendienstes enthalten, haben sie in der Tat recht, an den einen Gott zu glauben und ihn als Herrn des Alls zu verehren; wenn sie aber ihm auf die gleiche Art wie die vorher erwähnten Heiden diese Verehrung erweisen, irren sie sich.

Denn die Heiden geben dadurch, daß sie gefühllosen und unempfindlichen Wesen opfern, einen Beweis von Unverstand; die Juden nun sollten, wenn sie der Auffassung sind, solche Opfer Gott darbringen zu müssen, als ob er sie begehrte, dies zu Recht eher als Narrheit, keineswegs als Frömmigkeit ansehen. Der nämlich, der Himmel und Erde und alles, was darinnen ist, erschaffen hat und uns allen gnädig gewährt, was wir brauchen, er selbst bedarf doch nichts von dem, was er selbst denen gewährt, die es ihm zu geben glauben. Menschen, die glauben, ihm einen Dienst zu erweisen durch Opfer von Blut und Fettdampf und Brandopfer ganzer Tiere und ihn selbst durch solche Zeremonien zu ehren, die scheinen sich mir in nichts von denen zu unterscheiden, die gegenüber gefühllosen Götzen dieselbe Freigebigkeit an den Tag legen, die der Ehrung nicht teilhaftig werden können. Das stelle man sich vor: Geschenke an denjenigen zu verteilen, der keiner bedarf.

Aber was hingegen ihre ängstliche Vorsicht hinsichtlich der Speisen betrifft, ihren Aberglauben in Bezug auf die Sabbate, die Prahlerei mit der Beschneidung, die Verstellung mit Fasten und Neumondsfeier, alles lächerliche und keiner Erwägung werte Dinge, so meine ich, daß du es nicht nötig hast, darüber von mir belehrt zu werden.

Wie kann es also erlaubt sein, daß man von dem, was von Gott für den Gebrauch der Menschen geschaffen wurde, den einen Teil als gelungen geschaffen anzunehmen, den anderen Teil jedoch als unnütz und überflüssig zu vermeiden?

Wie sollte es nicht frevelhaft sein, über Gott etwas zu erdichten, als ob er verbieten würde, zur Zeit der Sabbate etwas Gutes zu tun?

Wie kann es aber nicht des Spottes wert sein, wenn sie gar mit der Verstümmelung des Fleisches als einem Zeugnis von Erwählung prahlen, als ob sie eben deswegen von Gott ganz außerordentlich geliebt würden?

Wer möchte es aber gar als den Beweis von Gottesfurcht und nicht vielmehr als Beweis von Unverstand ansehen, auf den Lauf der Sterne und des Mondes zu achten, um den regelmäßigen Ablauf der Monate und der Tage festzulegen, und die Heilsordnungen Gottes und die Wechsel der Zeiten in Festtage und in Bußtage nach eigenem Gutdünken aufzuteilen?

Daß sich also die Christen zu Recht der allgemeinen Unverständigkeit und Täuschung und der Vielgeschäftigkeit und Prahlerei der Juden enthalten, hast du, meine ich, genügend erkannt. Doch erhoffe nicht, das Mysterium ihrer eigenen Religion von einem Menschen erfahren zu können.

Die Christen nämlich sind weder durch Heimat noch durch Sprache noch durch Sitten von den übrigen Menschen unterschieden. Denn sie bewohnen weder irgendwo eigene Städte noch verwenden sie eine abweichende Sprache noch führen sie ein absonderliches Leben.

Wahrlich nicht durch irgendeine Einbildung oder Träumerei vorwitziger Menschen ist ihnen diese Lehre ersonnen worden, auch machen sie sich nicht zum Kämpfer einer menschlichen Lehre wie manche andere.

Und sie bewohnen griechische und nichtgriechische Städte, wie es ein jeder zugeteilt erhalten hat; dabei folgen sie den einheimischen Bräuchen in Kleidung, Nahrung und der übrigen Lebensweise, befolgen aber dabei die außerordentlichen und paradoxen Gesetze ihres eigenen Staatswesens.

Sie bewohnen ihr jeweiliges Vaterland, aber nur wie fremde Ansässige; sie erfüllen alle Aufgaben eines Bürgers und erdulden alle Lasten wie Fremde; jede Fremde ist für sie Vaterland und jede Heimat ist für sie Fremde. Sie heiraten wie alle und zeugen Kinder, jedoch setzen sie die Neugeborenen nicht aus. Sie haben gemeinsamen Tisch, kein gemeinsames Lager.

Sie sind im Fleische, aber sie leben nicht nach dem Fleisch.

Auf Erden halten sie sich auf, aber im Himmel sind sie Bürger.

Sie gehorchen den bestehenden Gesetzen und überbieten durch ihre eigene Lebensweise die Gesetze.

Sie lieben alle und werden von allen verfolgt.

Sie werden verkannt und verurteilt, sie werden getötet und dadurch gewinnen sie das Leben.

Arm sind sie und machen doch viele reich; an allem leiden sie Mangel und zugleich haben sie Überfluß an allem.

Mißachtet werden sie und in der Verachtung gerühmt; verlästert werden sie und doch für gerecht befunden.

Geschmäht werden sie und segnen; sie werden verhöhnt und erweisen Ehre.

Obwohl sie Gutes tun, werden sie wie Übeltäter bestraft; mit dem Tode bestraft, freuen sie sich, als ob sie zum Leben geboren würden.

Von den Juden werden sie wie Fremde bekämpft und von den Heiden werden sie verfolgt, doch den Grund der Feindschaft vermögen die Hasser nicht zu nennen.

Ohne Umschweife sei es formuliert: Was im Leib die Seele ist, das sind in der Menschheit die Christen.

Verbreitet über alle Glieder des Leibes hin ist die Seele wie die Christen verbreitet sind über die Städte der Welt hin.

Zwar wohnt die Seele im Leib, aber sie stammt nicht vom Leib ab; ebenso wohnen die Christen in der Welt, stammen aber nicht von der Welt ab.

Unsichtbar wacht die Seele im sichtbaren Leib; ebenso leben die Christen bekanntermaßen in der Welt, aber unsichtbar bleibt dabei ihre Frömmigkeit.

Es haßt das Fleisch die Seele, von der ihm kein Unrecht geschieht, und führt mit ihr Krieg, weil es gehindert wird, Vergnügungen zu genießen; ebenso haßt die Welt die Christen, von denen ihr kein Unrecht geschieht, weil sie den Vergnügungen entgegentreten. Die Seele hingegen liebt das hassende Fleisch und die Glieder, wie die Christen ihre Hasser lieben.

Umschlossen ist zwar die Seele vom Leib, diese hält aber den Leib zusammen; ebenso werden zwar die Christen von der Welt gleichsam in Bewachung gehalten, jedoch halten vielmehr sie die Welt zusammen.

Unsterblich wohnt die Seele im sterblichen Zelt und so wohnen die Christen im Vergänglichen, erwarten aber die Unvergänglichkeit in den Himmeln.

Schlecht bedient mit Speise und Trank vervollkommnet sich die Seele und so nehmen die Christen trotz ihrer Bestrafung mit dem Tod von Tag zu Tag mehr zu.

An einen solchen erhabenen Platz hat Gott selbst sie versetzt, den zu verlassen ihnen nicht zusteht.

Denn nicht als menschliche Erfindung wurde diese Tradition - wie ich sagte - ihnen übergeben und nicht als sterblichen Gedanken wollen sie diese so sorgfältig hüten, auch nicht die Verwaltung menschlicher Mysterien ist ihnen anvertraut.

Sondern in Wahrheit hat der allherrschende und allerschaffende und unsichtbare Gott selbst, er selbst von den Himmeln her, die Wahrheit und sein heiliges und unbegreifliches Wort unter den Menschen Wohnung nehmen lassen und ihren Herzen eingepflanzt, nicht, wie man vermuten dürfte, indem er den Menschen irgendeinen Diener schickte, entweder einen Engel oder einen Fürsten oder einen der Gestalter der irdischen Verhältnisse oder einen, dem die Verwaltung in den Himmeln anvertraut ist. Vielmehr sandte er den Schöpfer und Lenker des Alls selbst, durch den er die Himmel geschaffen und durch den er das Meer in seinen eigenen Grenzen eingeschlossen hat, dessen Geheimnisse alle Himmelskörper treu bewahren, von dem die Sonne die Maße der Tagesumläufe zu beachten zugeteilt bekam, dessen Befehl gehorchend der Mond in der Nacht scheint, dem die Sterne gehorchen, die der Bahn des Mondes folgen, von dem alles geordnet und festgesetzt und dem alles unterworfen ist, die Himmel und was in den Himmeln sich befindet, die Erde und was sich auf der Erde befindet, das Meer und was sich im Meer befindet, Feuer, Luft, Abgrund und was sich in den Höhen und in den Tiefen und im Dazwischen befindet: diesen hat er zu den Menschen gesandt.

Doch etwa, wie man als Mensch wohl erwägen könnte, zum Zwecke von Gewaltherrschaft, Furcht und Schrecken?

Aber keineswegs; sondern in Milde und Sanftmut, wie ein König seinen Sohn als König entsendet, sandte er ihn, als Gott sandte er ihn, als Mensch zu Menschen sandte er ihn, als Rettender sandte er ihn, zum Überzeugen, nicht zum Erzwingen: Bei Gott gibt es keine Gewalt.

Er sandte ihn als Rufer, nicht als Verfolger; er sandte ihn aus Liebe, nicht zum Gericht. Dennoch wird er ihn als Richter senden und wer wird dann seine Wiederkunft ertragen?

(Siehst du nicht), wie sie wilden Tieren vorgeworfen werden, damit sie den Herrn verleugnen, wie sie aber nicht überwunden werden?

Siehst du nicht, daß sie, je mehr hingerichtet werden, desto weiter anderswo an Zahl wachsen?

Dies sind offenbar nicht Werke eines Menschen, dies ist die Macht Gottes, dies sind deutliche Beweise seines Kommens.

Denn welcher Mensch wußte überhaupt, was die Gottheit wirklich ist, ehe Gott selbst gekommen ist?

Oder möchtest du die leeren und törichten Erklärungen jener Schwätzer von Philosophen annehmen? Die einen von ihnen sagten, daß das Feuer die Gottheit sei - wohin sie selbst werden gehen müssen, das nennen sie Gottheit -, die anderen, das Wasser sei die Gottheit, wieder andere nannten ein anderes der von Gott geschaffenen Elemente.

Gleichwohl wenigstens könnte, wenn eine dieser Behauptungen annehmbar wäre, auch jedes einzelne der übrigen Geschöpfe auf gleiche Weise zu Gott gemacht werden.

Aber das ist Blendwerk und Irrweg dieser Betrüger.

Denn nicht ein Mensch hat ihn jemals gesehen der erkannt, doch er selbst hat sich kundgetan.

Er tat sich aber durch den Glauben kund, der allein den Vorzug besitzt, Gott zu schauen. Denn Gott, der Herrscher und Schöpfer des Weltalls, der die Gesamtheit gemacht und in einer bestimmten Ordnung eingerichtet hat, zeigte sich nicht nur als menschenfreundlich, sondern auch als langmütig.

Aber dieser war zwar immer von solcher Art und ist es und wird es sein: hilfreich und wohlwollend, sanftmütig und wahr; er allein ist gut. Doch als er den erhabenen und unaussprechlichen Ratschluß gefaßt hatte, teilte er ihn allein dem Sohne mit.

Während er ihn nun also als Geheimnis zurückhielt und seine weise Überlegung bewahrte, schien er uns nicht zu beachten und um uns unbekümmert zu sein.

Als er aber durch seinen geliebten Sohn offenbarte und sichtbar machte, was er seit Anbeginn in Aussicht genommen hatte, gewährte er uns alles zugleich, sowohl den Anteil an seinen Wohltaten als auch das Schauen und die Einsicht. Wer von uns hätte solches wohl jemals erwartet?

Als er nun alles bei sich selbst zusammen mit dem Sohn geordnet hatte, ließ er uns bis zur abgelaufenen Zeit - unserem Willen entsprechend - von ungeordneten Trieben geleitet und von Lüsten und Begierden verführt werden, durchaus nicht etwa aus Freude über unsere Sünden, sondern in Langmut, auch nicht aus Wohlgefallen an der damaligen Zeit der Ungerechtigkeit, sondern in Vorbereitung auf die jetzige Zeit der Gerechtigkeit, damit wir, in der damaligen Zeit aus unseren eigenen Werken als des Lebens unwürdig überführt, jetzt von der Güte Gottes würdig gemacht würden und dann, als wir den Beweis unserer eigenen Ohnmacht geliefert hatten, in das Reich Gottes einzugehen, durch die Kraft Gottes dazu fähig gemacht würden.

Als aber das Maß unserer Verderbtheit voll gemacht war und es gänzlich offenbar war, daß als ihr Lohn uns Marter und Tod erwartete, da kam nun der Zeitpunkt, den Gott sich gesetzt hatte, um fortan seine Freundlichkeit und Macht zu offenbaren: Welch eine jedes Maß übersteigende Menschenfreundlichkeit Gottes! Er haßte uns nicht und verstieß uns nicht und gedachte nicht des Bösen, sondern war langmütig und geduldig. Er selbst nahm aus Erbarmen unsere Verfehlungen auf sich, und er selbst gab den eigenen Sohn hin als Lösegeld für uns, den Heiligen für die Ungerechten, den Unschuldigen für die Bösen, den Rechtschaffenen für die Schlechten, den Unvergänglichen für die Vergänglichen, den Ewigen für die Menschen.

Denn was sonst war imstande, unsere Sünden zuzudecken als dessen Gerechtigkeit?

In wem war es möglich, daß wir Ungerechte und Gottlose gerechtfertigt wurden als im Sohne Gottes allein?

Welch süßer Tausch, welch unerforschliches Walten, welch unverhoffte Wohltat, damit die Ungerechtigkeit vieler in einem einzigen Gerechten verborgen würde und die Gerechtigkeit eines einzigen viele Ungerechte rechtfertige! Als er in der Zeit vorher das Unvermögen unserer Natur, zum Leben zu gelangen, aufgedeckt hatte, zeigte er aber jetzt, daß der Erlöser Macht hat, auch das Unvermögen zu retten. Durch beides wollte er, daß wir seiner Güte Vertrauen schenken, daß wir ihn ansehen als Ernährer, Vater, Lehrer und Ratgeber, als Arzt, Geist und Licht, als Kostbarkeit, Herrlichkeit, Macht und Leben und daß wir für Kleidung und Nahrung nicht ängstlich sorgen.

Wenn auch du dich nach diesem Glauben sehnst, lerne zuerst den Vater kennen. Denn Gott hat die Menschen geliebt. Ihretwegen schuf er den Kosmos, ihnen ordnete er alles unter, was auf der Erde ist, ihnen gab er Redefähigkeit und Einsicht, ihnen allein gestattete er, empor zum Himmel zu blicken, sie gestaltete er nach seinem Ebenbild, zu ihnen sandte er seinen eingeborenen Sohn, ihnen versprach er das Himmelreich und er wird es denen geben, die ihn lieben.

Wenn du aber ihn genau kennengelernt hast, von welcher Freude glaubst du, daß du erfüllt werden wirst? Oder wie sehr wirst du den lieben, der dich so zuvor geliebt hat?

Aber ihn liebend wirst du Nachahmer seiner Güte sein. Und wundere dich nicht, daß ein Mensch Nachahmer Gottes sein kann; er ist dazu imstande, da Gott selbst es will.

Denn das Glück besteht nicht darin, über seine Mitmenschen zu herrschen und nicht darin, über die Schwächeren zu triumphieren und nicht darin, reich zu sein und die Niedrigeren zu unterdrücken: Auf solche Art kann niemand Gott nachahmen, sondern all das ist seiner Majestät fremd.

Wer hingegen die Last des Nächsten auf sich nimmt, wer in der Sache, in der er überlegener ist, dem Schwächeren Gutes tun will, wer das, was er von Gott empfangen hat, den Bedürftigen gewährt, der wird ein Gott für die Empfänger, dieser ist Nachahmer Gottes.

Dann wirst du schauen, obwohl du auf Erden lebst, daß Gott in den Himmeln waltet, dann wirst du Geheimnisse Gottes zu stammeln beginnen, dann wirst du die zum Tod Geführten, da sie Gott nicht verleugnen wollen, lieben und bewundern, dann wirst du die Verstellung und Irrung der Welt verachten, wenn du verstehst, was wahrhaft im Himmel zu leben bedeutet, wenn du den scheinbaren Tod hier auf Erden verachtest und wenn du den tatsächlichen Tod fürchtest, der denen vorbehalten ist, die zum ewigen Feuer verurteilt sein werden, das die ihm Übergebenen bis ans Ende peinigen wird. '

Dann wirst du diejenigen bewundern und selig preisen, die sich um der Gerechtigkeit willen diesem zeitlichen Feuer unterziehen, wenn du jenes andere Feuer kennengelernt hast.

Nicht Fremdartiges bespreche ich und nicht Unvernünftiges untersuche ich, sondern ich werde Lehrer der Völker, nachdem ich Schüler der Apostel geworden bin, und biete das Überlieferte in rechter Weise denen dar, die Schüler der Wahrheit werden.

Denn wer - rechtgläubig belehrt und hervorgebracht durch die Freundlichkeit des Wortes - erstrebt nicht, das klar zu erfahren, was durch den Logos den Jüngern deutlich gezeigt wurde? Den Jungem offenbarte es der Logos, als er erschienen war, in freimütiger Sprache, von den Ungläubigen nicht verstanden, denen aber deutlich erklärend, die als Gläubige erkannt von ihm die Geheimnisse des Vaters kennenlernten.

Deswegen sandte er den Logos aus, damit er der Welt erscheine, er, der von seinem Volk verachtet durch die Apostel verkündigt und von den Völkern gläubig angenommen wurde.

Dieser, der seit dem Anfang ist, erschien als Neuer und wurde doch als der Alte empfunden und wird immer neu in den Herzen der Heiligen geboren.

Dieser existiert immer, der heute als Sohn geglaubt wird; durch ihn wird die Ekklesia bereichert und sich entfaltende Gnade vervielfacht sich in den Heiligen, indem sie Einsicht verleiht, Mysterien offenbart und die Verteilung der Zeiten enthüllt in Freude über die Gläubigen und als Geschenk den Suchenden, von denen Gelöbnisse des Glaubens nicht gebrochen und Grenzen der Väter nicht überschritten werden.

Hier wird auch die Furcht vor dem Gesetz gepriesen, die Gabe der Propheten erkannt, der Glaube an die Evangelien bekräftigt und die mündliche Belehrung der Apostel bewahrt, und es ertönt der Ekklesia Danksagung.

Wenn du die Gnade nicht betrübst, wirst du erkennen, was der Logos verkündet, durch wen er es beabsichtigt, wann er es wünscht.

Denn was wir nach dem Gebot des gebietenden Logos mit Mühsal zu sagen veranlaßt wurden, teilen wir euch gemeinsam mit aus Liebe zu dem Geoffenbarten.

Wenn ihr darauf achtgebt und es mit Eifer hört, werdet ihr inne werden, was Gott denen gewährt, die ihn aufrichtig lieben: ihr werdet ein Paradies der Wonne, ein früchtereicher Baum, den ihr herrlich in Blüte aufsprießen laßt in euch selbst, geschmückt mit mannigfaltigen Früchten.

Denn an diesem Ort ist der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens gepflanzt; aber nicht der Baum der Erkenntnis tötet, sondern der Ungehorsam.

Denn sehr wohl begründet ist das Geschriebene, daß Gott von Anfang an den Baum der Erkenntnis und den Baum des Lebens in der Mitte des Paradieses pflanzte und durch „Gnosis“ das Leben gezeigt hat. Weil die Stammeltern sie nicht aufrichtig gebrauchten, wurden sie durch Verderbtheit der Schlange entblößt.

Denn weder existiert Leben ohne Gnosis noch zuverlässige Gnosis ohne wahrhaftes Leben, deshalb sind beide nebeneinander gepflanzt worden.

Im Hinblick auf die Bedeutung dieser Verbindung tadelt der Apostel die Erkenntnis, wenn sie ohne Wahrheit der Anwendung auf das Leben geübt wird und sagt: Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber baut auf. Wer nämlich glaubt, etwas zu wissen ohne wahre Erkenntnis, die auch das Leben bezeugt, der weiß nichts; von der Schlange wird er irregeführt, da er das Leben nicht hochschätzte. Wer aber mit Ehrfurcht erkennt und nach dem Leben trachtet, pflanzt auf Grund von Hoffnung in Erwartung der Frucht.

Möge dir das Herz Erkenntnis sein, Leben aber das wahre, festgegründete Wort.

Wenn dieser Baum in dir wächst und du davon Frucht nimmst, wirst du immer das bei Gott Gewünschte ernten, das die Schlange nicht berührt und nicht Betrug entstellt; auch wird Eva nicht mehr verführt, sondern findet als Jungfrau Vertrauen.

Und das Heil zeigt sich, die Apostel erhalten Einsicht, das Pascha des Herrn tritt öffentlich hervor, die Zeiten vollenden sich und es herrscht Einklang gemäß der Weltordnung und beim Belehren der Heiligen freut sich der Logos, durch den der Vater verherrlicht wird: Ihm sei die Ehre in die Ewigkeiten. Amen.

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